Rider Haggard
Das unerforschte Land
Rider Haggard

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12. Kapitel

Die Schwesterköniginnen

Unser Ruderboot fuhr in den Kanal ein, der fast bis an den Fuß der großen Treppe führte, und hielt dann bei dem Aufgang zur Landungsstelle an. Hier stieg der alte Herr ans Land und lud uns ein, seinem Beispiel zu folgen, was wir auch unbedenklich taten, da uns kein anderer Ausweg blieb und wir überdies halb verhungert waren. Natürlich nahmen wir vorsichtshalber unsere Gewehre mit. Jedesmal, wenn einer von uns das Boot verließ, legte unser Führer seine Finger an die Lippen und verbeugte sich tief, auch hielt er die Menge, die sich versammelt hatte, um uns anzustarren, in Schranken. Ganz zuletzt ging das Mädchen, das wir aus dem Wasser gezogen hatten, ans Land, wo ihr Begleiter bereits auf sie wartete. Ehe sie sich jedoch von uns entfernte, küßte sie mir die Hände – aus Dankbarkeit wahrscheinlich, weil ich sie vor der Wut des Flußpferdes beschützt hatte, und es kam mir ganz so vor, als ob sie schon alle Scheu vor uns verloren und es keineswegs sehr eilig hätte, zu ihrem rechtmäßigen Eigentümer zurückzukehren. Auf jeden Fall stand sie bereits im Begriff, auch Good die Hand zu küssen, als ihr Gefährte sich ins Mittel legte und sie hinwegführte. Sobald wir 193 alle am Lande waren, ergriffen einige Ruderer des großen Bootes Besitz von unseren wenigen Kisten und Kasten und liefen damit die prächtige Treppe hinauf. Unser Führer gab uns durch Zeichen zu verstehen, daß die Sachen vollständig sicher wären und führte uns dann, einen Seitenweg einschlagend, in ein kleines Haus, das, wie ich später entdeckte, eine Wirtschaft vorstellte. Wir traten in ein ziemlich geräumiges Zimmer, wo ein Holztisch bereits mit Speisen für uns gedeckt war. Hier bedeutete uns unser Führer, auf einer Bank vor dem Tische Platz zu nehmen. Wir ließen uns nicht zweimal nötigen, sondern fielen sofort gierig über die auf Holzplatten aufgetragenen Gerichte her, die aus kaltem Ziegenfleisch, grünem, an unsern Lattich erinnernden Gemüse, Braunbrot und Rotwein, der aus einem Schlauch in Horngefäße gegossen wurde, bestanden. Der Wein war mild und gut und hatte ein Bukett wie feiner Burgunder. Zwanzig Minuten, nachdem wir uns an jenem gastlichen Tisch niedergelassen hatten, standen wir wie neugeboren wieder auf. Nach all unserer Drangsal taten uns vornehmlich zwei Dinge not, Nahrung und Ruhe, und die uns vorgesetzten Speisen hatten uns trefflich gemundet. Zwei Mädchen mit regelmäßigen Gesichtszügen bedienten uns bei Tisch auf recht geschickte Weise. Sie waren nach derselben Mode gekleidet, d. h. in einen weißen, bis an die Knie reichenden leinenen Unterrock und in das togaähnliche Gewand aus braunem Stoff, das den rechten Arm und die rechte Schulter unverhüllt ließ. Ich entdeckte später, daß dies die Nationaltracht war, die durch eine strenge, wenn auch der 194 Änderung unterworfene Sitte geregelt wurde. War z. B. der Unterrock ganz weiß, so bedeutete das, daß die Trägerin unverheiratet, wenn weiß mit einem geraden Purpurstreifen am Rand, daß sie verheiratet und eine erste oder gesetzmäßige Gattin, mit einem gezackten Purpurstreifen, daß sie eine Witwe war. Ähnlich zeigte auch die Toga, oder wie man hier sagt, Kaf, die verschiedensten Farbenschattierungen von reinem Weiß bis zum tiefsten Braun, und war, je nach dem Range der Trägerin, am Rande verschieden eingefaßt. Dieselbe Regel galt auch für die Tunika der Männer, die in Material und Farbe abwechselte, wenngleich der Kilt, von der Qualität abgesehen, stets der gleiche war. Als Nationalabzeichen wurde von den Männern wie den Frauen des Landes auf dem rechten Arm über dem Ellbogen und dem linken Bein unter dem Knie ein dicker Goldreifen getragen. Hochgestellte Personen schmückten sich außerdem noch mit einem goldenen Halsband, und ich bemerkte, daß unser Begleiter ein solches trug.

Sobald wir unser Mahl beendet hatten, machte unser ehrwürdiger Führer, der sich während der ganzen Zeit nicht gesetzt und uns wie unsere Gewehre mit beinahe furchtsamen Blicken betrachtet hatte, eine Verbeugung gegen Good, den er offenbar seiner glänzenden äußeren Erscheinung wegen für den Anführer der Gesellschaft hielt, und führte uns wiederum an den Fuß der großen Treppe. Hier hielten wir einen Augenblick an, um zwei kolossale Löwen zu bewundern, die aus einem einzigen schwarzen Marmorblock gehauen waren und trotzig und 195 herausfordernd am Ende der beiden Treppengeländer standen. Diese Löwen waren prächtig ausgeführt, und wie man sagt, Werke des großen Königs Rademas, des Erbauers der Treppe, der zweifellos nach den vielen schönen Schöpfungen, die wir später von ihm sahen, einer der bedeutendsten Bildhauer aller Zeiten und Länder gewesen ist. Dann stiegen wir fast mit einem Gefühle von Ehrfurcht die prächtige Treppe herauf, die, wie ich überzeugt bin, für die Ewigkeit aufgeführt ist und noch nach Jahrtausenden bewundert werden wird, wenn sie nicht vorher infolge eines Erdbebens einstürzen sollte. Selbst Umslopogaas, bei dem es Ehrensache war, nie Erstaunen zu verraten, das er für unschicklich hielt, war nicht wenig verblüfft und fragte, ob die Brücke von Menschen oder Teufeln erbaut sei, unter welch letzteren Wesen er jede übernatürliche Kraft verstand. Nur Alfons ließ sich nicht verblüffen. Die Großartigkeit der Anlage verdroß den frivolen kleinen Franzosen: »Es sei zwar alles »très magnifique, mais triste - ah triste!« so meinte er und fügte hinzu, daß der Eindruck bedeutend schöner sein würde, wenn die Geländer vergoldet wären.

So stiegen wir die ersten hundertundzwanzig Stufen bis an die zweite Treppenflucht hinauf, wo wir auf der Plattform eine kurze Pause eintreten ließen, um die schöne Aussicht über eine bezaubernde, von den blauen Wassern des Sees eingerahmte Landschaft zu genießen. Dann stiegen wir die Treppe vollends empor, bis wir auf einer zweiten großen Plattform mit drei verschiedenen Eingängen ankamen. Zwei davon öffneten sich in 196 ziemlich enge, in den Felsen gehauene Galerien, die um die Palastmauer herum in die Hauptstraßen der Stadt führten. Sie wurden von den Einwohnern auf dem Wege nach und von den Werften benutzt. Bronzetore verschlossen sie; zudem gab es, wie wir später erfuhren, sogar noch eine Vorrichtung, durch die Entfernung einiger Eisenstangen einen Teil des Felsenwegs herunterzulassen, und so jedem Feinde den Zutritt zu versperren. Der dritte Eingang bestand aus schwarzen Marmorstufen, die bis vor das Tor der Palastmauer führten. Diese Mauer bildete schon an und für sich ein Kunstwerk, da sie aus ungeheuren Granitblöcken vierzig Fuß hoch erbaut und die Außenseite konkav geformt war, so daß niemand sie zu ersteigen vermochte. Vor diesem Tor hielt unser Führer an. Die sehr massive Holztür wurde bei unserer Annäherung sofort weit geöffnet und wir hörten den Anruf einer Schildwache, die mit einem schweren, in eine dreikantige, bajonettähnliche Klinge auslaufenden Speer bewaffnet war und dazu ein Schwert, auf Brust und Rücken einen Panzer aus geschickt präparierter Flußpferdhaut, sowie einen kleinen, runden Schild aus demselben starken Material trug. Das Schwert erregte sofort unsere Aufmerksamkeit. Es war genau ein solches, wie es Herr Mackenzie von dem auf so elende Weise umgekommenen Wanderer erhalten hatte. Die goldeingefaßten Verzierungen in der dicken Klinge waren nicht zu verkennen. So hatte der Mann also doch die Wahrheit gesprochen. Unser Führer gab sofort die Parole, worauf der Soldat den Eisenschaft seines Speers krachend zu Boden fallen und uns ohne weitere Förmlichkeiten durch 197 das Tor in den Palasthof gehen ließ. Dieser war etwa vierzig Fuß breit und in Blumenbeete mit vielen lieblichen, mir ganz neuen Gewächsen eingeteilt. Mitten durch den Garten führte ein breiter, mit zerstampften Muscheln belegter Weg bis vor ein zweites gewölbtes Tor, das mit schweren Gardinen verhängt war, denn in dem Palaste selbst gibt es keine Türen. Dann kam noch ein kurzer Gang und wir befanden uns in dem Palastsaal, über dessen einfache und doch überwältigende Größe wir wiederum staunten.

Der Saal ist, wie wir später selbst sahen, hundertfünfzig Fuß lang, achtzig Fuß breit und besitzt eine prächtige gewölbte Decke aus geschnitztem Holz. Auf beiden Seiten erheben sich in einem Abstand von zwanzig Fuß von der Wand Reihen schlanker Säulen aus schwarzem Marmor, die schön kanneliert und mit geschnitzten Kapitellen versehen, bis an die Decke reichten. An dem einen Ende des Saals fällt die Gruppe in die Augen, die König Rademas, wie bereits erwähnt, zur Erinnerung an seinen Treppenbau ausgeführt hatte, und deren Schönheit uns, als wir sie später in Muße betrachteten, fast den Atem nahm. Die Figuren der Gruppe sind in halber Lebensgröße ganz aus weißem Marmor, alles andere aber aus schwarzem Marmor ausgeführt. Sie stellt einen jungen Mann von edlem Gesichtsausdruck und edlen Formen dar, der in festem Schlummer auf einem Ruhelager liegt. Ein Arm hängt nachlässig von dem Lager herab und auf dem andern ruht sein zum Teil von seinen Locken verhülltes Haupt. Über ihn beugt sich, eine Hand auf seiner Stirn, eine 198 weibliche Gestalt von solcher Lieblichkeit, daß der Beschauer vor Entzücken starr ist. Stolze Ruhe verklärt ihr himmlisch lächelndes Gesicht, auf dem sich Macht, Liebe und Göttlichkeit abspiegeln. Ihre Augen sind auf den schlafenden Jüngling gerichtet. Am außerordentlichsten an dem Kunstwerk erscheint vielleicht das Geschick, mit dem der Künstler auf dem müden, abgespannten Gesicht des Schläfers das plötzliche Erwachen neuer Hoffnung, eines neuen befreienden Gedankens, zum Ausdruck gebracht hat – die Folge des Zaubers, welchen die weibliche Gestalt auf ihn ausübt. Man sieht ordentlich, wie das Licht in die Seelenfinsternis des Mannes eindringt. Es ist ein wunderbares Denkmal, wie es nur ein Genie ersinnen konnte. Zwischen den schwarzen Marmorsäulen befinden sich ferner Gruppen von Figuren, die zum Teil allegorisch sind, und zum Teil die Personen und Frauen abgeschiedener Monarchen oder bedeutender Männer des Reichs vorstellen. Keine von ihnen kann sich aber meines Erachtens mit dem soeben beschriebenen Meisterwerk messen, obwohl einige von ihnen gleichfalls aus der Hand des großen Bildhauers und Ingenieurs, Königs Rademas, stammen.

Genau in der Mitte des Saals stand ein schwarzer Marmorblock von der Größe eines Kinderarmstuhls, dem er auch sonst ähnlich sah. Wie wir später erfuhren, war dies der heilige Stein dieses merkwürdigen Volkes, auf den die Monarchen nach der Krönungsfeier ihre Hand legten, um bei der Sonne zu schwören, die Interessen des Reichs wahrzunehmen und seine Sitten, Gebräuche und Gesetze zu beobachten. Dieser Stein besaß offenbar 199 ein außerordentliches Alter und zeigte an der Seite lange Risse und Sprünge, die, wie Sir Henry sagte, bewiesen, daß er in grauer Urzeit gewaltsam von einem Gletscher mitgerissen war. An diesen Marmorblock, der, der Sage nach, direkt von der Sonne heruntergefallen ist, knüpft sich eine sonderbare Wahrsagung: daß nämlich ein König aus fremdem Geschlecht das Land regieren solle, sobald er in Trümmer zerschmettert würde. Da der Stein indes unerschütterlich fest aussah, so war alle Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß die eingeborenen Fürsten sich noch lange Jahre des ungestörten Besitzes ihres Thrones zu erfreuen hätten.

Am Ende des Saales befindet sich eine mit reichen Teppichen bedeckte Estrade, auf der zwei Thronsessel Seite an Seite stehen. Diese Thronsessel haben die Gestalt großer Stühle und sind aus reinem Gold. Der Sitz ist mit üppigen Polstern belegt, dagegen die Rücklehne freigelassen, in die das Sinnbild der ihre feurigen Strahlen nach allen Richtungen sendenden Sonne eingraviert ist. Als Schemel dienen goldene schlafende Löwen, denen gelbe Topase als Augen eingesetzt sind, die sonst aber jedes andern Edelsteinschmuckes ermangeln.

Der Saal empfängt sein Licht aus zahlreichen schmalen Fensteröffnungen, die nach dem Muster der Schießscharten, wie man sie in alten Schlössern sieht, hoch oben an den Wänden und in der Decke eingeschnitten sind. Glas war hier offenbar noch unbekannt.

Dies ist nur eine kurze Beschreibung des prächtigen Saals, in 200 dem wir uns jetzt befanden. Damals blieb uns selbstverständlich herzlich wenig Zeit zu solchen Betrachtungen, da wir gleich bei unserm Eintritt sahen, daß eine große Anzahl Männer vor den beiden Thronsesseln aufgestellt war. Die Vornehmsten saßen rechts und links von der Thronestrade auf geschnitzten Holzstühlen und waren in weiße Überwürfe mit nach ihrem Range verschiedenen Stickereien und Randeinfassungen gekleidet, sowie mit den gewöhnlichen goldausgelegten Schwertern bewaffnet. Nach ihrer würdevollen Erscheinung zu urteilen, schienen sie alle Personen von sehr hoher Stellung zu sein. Hinter jedem dieser Großen stand ein kleines Gefolge von Lehnsleuten und Dienern.

Links von dem Thron saßen sechs Männer von einem andern Gepräge in einer kleinen Gruppe ganz für sich. An Stelle der gewöhnlichen Kilts trugen sie lange Gewänder aus reinem weißen Leinen mit dem schon auf den Thronsesseln sichtbaren Symbol der Sonne in goldener Stickerei auf ihrer Brust. Das Gewand wurde um die Mitte durch eine einfache goldene Panzerkette zusammengehalten, von der lange elliptische Tafeln aus demselben Metall, die beim Gehen laut rasselten und das Licht wiederspiegelten, herunterhingen. Es waren alles Männer gesetzten Alters, deren ehrwürdiges Äußere durch die langen Bärte, die sie trugen, noch erhöht wurde.

Ganz besonders fesselte uns jedoch unter ihnen die Persönlichkeit eines Mannes, der seine Gefährten in jeder Hinsicht zu überragen schien. Er war sehr alt – mindestens achtzig Jahre – außerordentlich groß und hatte einen langen schneeweißen Bart, 201 der ihm beinahe bis auf den Gürtel herabfiel. Seine Gesichtszüge waren kühn und scharf geschnitten, seine Augen grau und von kaltem Ausdruck. Die andern erschienen barhäuptig, dieser Mann aber trug eine runde, ganz mit Goldstickereien bedeckte Kappe, woraus wir einen Schluß auf sein Ansehen und seine Macht zogen. Wie wir später erfuhren, war es Agon, der Hohepriester des Landes. Als wir uns ihnen näherten, erhoben sich all diese Männer, einschließlich der Priester, und verbeugten sich mit der größten Höflichkeit vor uns, indem sie gleichzeitig die beiden Finger zum Gruß über ihre Lippen legten. Dann kamen leichtfüßige Diener zwischen den Säulen hervor und brachten uns Sitze, die in einer Reihe vor den beiden Thronsesseln aufgestellt wurden. Wir drei setzten uns, während Alfons und Umslopogaas hinter uns stehen blieben. Kaum war dies geschehen, als wir erst eine Trompetenfanfare von der rechten und dann eine zweite von der linken Seite vernahmen. Dann erschien vor dem Thron zur Rechten ein Mann mit einem langen Elfenbeinstab und rief etwas mit lauter Stimme aus, das mit dem dreimal wiederholten Wort: Nyleptha endete; auch vor dem andern Thronsessel rief ein zweiter wie der erste gekleidete Mann einen ähnlichen Satz aus, der aber mit dem gleichfalls dreimal wiederholten Wort: Sorais endete. Dann wurde von jedem Seiteneingang der Tritt gewappneter Männer laut und herein marschierten etwa zwanzig ausgesucht stattliche, prächtig gekleidete Leibgardisten, die sich zu beiden Seiten der Thronsessel aufstellten und ihre schweren Eisenspeere gleichzeitig krachend auf den 202 schwarzen Marmorboden fallen ließen. Wiederum ertönten die Fanfaren und von jeder Seite rauschten die beiden Königinnen der Zu-Vendis herein, jede von sechs Hofdamen begleitet. Im Saal erhob sich jedermann, um sie zu begrüßen.

Ich habe in meinem Leben zahlreiche schöne Frauen gesehen, und der Anblick eines hübschen Gesichtes versetzt mich in keinerlei überschwängliche Stimmung mehr. Die Sprache versagt mir jedoch, wenn ich der Lieblichkeit dieser Schwesterköniginnen auch nur annähernd gerecht werden soll. Beide waren jung – vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt – beide schlank und beide besaßen ausgesucht schöne Formen. Damit aber hörte die Ähnlichkeit auf. Die eine, Nyleptha, war eine Erscheinung von blendendem Weiß. Ihr rechter Arm und ihre rechte Schulter, beide nach der Landessitte entblößt, hoben sich wie Schnee sogar gegen ihre weiße goldgestickte Kaf oder Toga ab. Und von ihrem süßen Gesicht kann ich nur sagen, daß es ein solches war, daß nur wenige Männer es sehen und wieder vergessen könnten. Wie eine wirkliche Goldkrone fiel ihr Haar in kurzen Locken über die Stirn fast bis zu den schöngeschwungenen Brauen, unter denen Augen von tiefem, prachtvollem Grau in zärtlicher Majestät erstrahlten. Ich will es nicht erst versuchen, ihre Gesichtszüge zu beschreiben, sondern nur noch hinzufügen, daß ihr Mund außerordentlich süß und wie Kupidos Pfeil gewölbt war. Über dem ganzen Gesicht lag ein unbeschreiblicher Zug von Milde und Güte, verbunden mit einem feinen Humor, der es wie ein Silberstreifen auf einer rosigen Wolke erhellte. 203

Sie trug keine Juwelen, hatte aber um Hals, Arm und Knie die gewöhnlichen Goldreifen, die bei ihr wie eine Schlange geformt waren. Ihr Anzug bestand aus weißem Leinen, das reich mit goldenen Stickereien bedeckt war.

Ihre Schwester Sorais dagegen glänzte, obwohl von gleicher Schönheit, doch in dunkleren Farben. Ihr Haar war wie das Nylepthas gewellt, aber rabenschwarz und fiel in üppiger Fülle auf ihre Schultern herab. Ihr Teint war olivenfarben, ihre Augen groß, dunkel und feurig, die Lippen voll, und wie mir schien, nicht ohne einen grausamen Zug. So ruhig und kalt ihr Gesicht auch erschien, deutete es doch die darunter schlummernden Leidenschaften an, so daß ich mich unwillkürlich fragte, wie es aussehen würde, wenn diese Ruhe einmal durch irgendein Ereignis unterbrochen werden sollte. Es erinnerte mich an das tiefe Meer, das selbst an den sonnigsten Tagen nicht den sichtbaren Ausdruck seiner Macht verliert, und das im Schlummer ruhend doch den Geist des Sturms verrät. Ihre Gestalt war wie die ihrer Schwester in ihren Umrissen nahezu vollkommen, nur ein wenig voller, und ihre Kleidung ganz dieselbe.

Als dieses liebliche Paar unter dem tiefen, gespannten Schweigen des Hofes auf die Thronsessel zuging, mußte ich mir selbst gestehen, daß sie in der Tat ganz und gar meinen Begriffen von königlicher Würde entsprachen. Königlich waren sie in jeder Hinsicht – in ihrer Gestalt, Anmut und königlichem Auftreten wie in der barbarischen Pracht ihres Hofstaates. Es dünkte mich aber, daß weder Leibwächter noch Gold nötig waren, um ihre 204 Macht zu verkünden und die Treue unbeständiger Männer zu fesseln. Ein Blick aus jenen strahlenden Augen, oder ein Lächeln von jenen süßen Lippen – und so lange noch das Blut Jünglingen heiß durch die Adern fließt, wird es solchen Frauen nie an Untertanen fehlen; die bereit sind, ihre Gebote bis in den Tod auszuführen.

Immerhin waren sie jedoch zuerst Frauen und dann Königinnen, und daher von Neugierde nicht frei. Als sie sich auf ihre Sitze begaben, sah ich sie beide einen flüchtigen Blick auf uns werfen. Ihre Augen streiften mich nur, da es an der Person eines unansehnlichen alten Mannes nichts gab, das sie fesseln konnte, blickten dann mit unverkennbarem Erstaunen auf die grimmige Gestalt des alten Umslopogaas, der grüßend seine Axt erhob, ruhten, von der glänzenden Erscheinung Goods angezogen, einen Augenblick auf ihm, um sich schließlich Sir Henry Curtis zuzuwenden, in dessen gelbem Haar und spitzem Bart gerade das Sonnenlicht spielte, das die Umrisse seiner reckenhaften Gestalt malerisch gegen das Halblicht des etwas düstern Saales abhob. Er schlug seine Augen auf und begegnete dem Blick der schönen Nyleptha, und so blickten der herrlichste Mann und die herrlichste Frau, die ich je gesehen, zum erstenmal aufeinander. Wie es kam, weiß ich nicht, ich sah aber Nyleptha plötzlich wie die Morgenröte am Himmel erröten.

Ich blickte auf Sir Henry. Auch er war bis an die Augen errötet.

»Auf mein Wort,« dachte ich bei mir, »die Damen sind auf 205 der Bühne erschienen, und die Entwicklung der Handlung wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.« Und ich seufzte und schüttelte mein Haupt, da ich wußte, daß Weiberschönheit wie die Schönheit des Blitzstrahls ist – zerstörend und verheerend. Dann ließen sich beide Königinnen auf ihre Thronsessel nieder. Noch einmal schmetterten die Fanfaren, der Hof nahm Platz und Königin Sorais bedeutete uns, das gleiche zu tun.

Nun trat aus der Menge unser Führer, der alte Herr, hervor, der das Mädchen an der Hand hielt, das wir zuerst gesehen und später vor dem Flußpferd gerettet hatten. Nach einer ehrerbietigen Verbeugung redete er die Königinnen an und beschrieb offenbar, wo und wie man uns gefunden hatte. Es war höchst amüsant, das Erstaunen zu beobachten, das, ein wenig mit Furcht vermischt, sich während seiner Erzählung auf ihren Gesichtern abspiegelte. Sicherlich blieb es ihnen ein Rätsel, wie wir den See erreicht hatten, und sie waren offenbar geneigt, unsere Gegenwart übernatürlichen Ursachen zuzuschreiben. Dann fuhr der Führer, wie ich aus seinen heftigen Bewegungen gegen das Mädchen ersah, mit seinem Bericht bis zu der Stelle fort, wo wir auf die Flußpferde geschossen hatten, und ich merkte sofort, daß es mit diesen Flußpferden nicht ganz in Ordnung sein müsse, denn die Erzählung wurde häufig von den unwilligen Ausrufen der kleinen weißgekleideten Priesterschar und selbst der Höflinge unterbrochen, während die beiden Königinnen das lebhafteste Erstaunen verrieten, besonders als der Führer auf die Gewehre in unserer Hand als die fraglichen Zerstörungswerkzeuge hinwies. 206 Zur Klarstellung des Sachverhaltes will ich hier sofort erklären, daß die Bewohner von Zu-Vendis Sonnenanbeter sind und aus dem einen oder andern Grunde die Flußpferde für heilige Tiere ansehen. Nicht, daß sie sie nicht töten, da sie zur bestimmten Jahreszeit Tausende von ihnen, die sie weiter im Innern des Landes eigens in großen Seen für den Zweck aufziehen, schlachten und aus ihren Häuten Panzer für ihre Soldaten herstellen. Dies hält sie jedoch nicht ab, diese Tiere als der Sonne heilig zu verehren. Wie es nun unser Unstern haben wollte, waren die von uns getöteten Flußpferde eine Familie zahmer Tiere gewesen, die an der Mündung des Flusses gehalten und täglich von besonderen Priestern gefüttert wurde. Schon als wir auf sie schossen, kam es mir so vor, als ob die Tiere ganz verdächtig zahm wären. Wir hatten also, ohne es zu wissen, bei unserm Versuch, uns bei den Eingeborenen in Respekt zu setzen, einen argen Frevel gegen ihre Religion begangen.

Als unser Führer seine Erzählung beendet hatte, erhob sich der von mir bereits beschriebene alte Mann mit dem langen Bart und der runden Kappe, der, wie ich schon gesagt habe, der Hohepriester des Landes, Agon, war, und begann eine leidenschaftliche Ansprache zu halten. Der Ausdruck seiner kalten, grauen, auf uns gerichteten Augen wollte mir gar nicht gefallen. Noch weniger hätte er mir aber gefallen, hätte ich gewußt, daß er in dem Namen der verletzten Majestät seines Gottes das Verlangen aussprach, uns sämtlich zur Sühne für unser Verbrechen den Flammentod sterben zu lassen. 207

Nachdem er geredet hatte, sprach die Königin Sorais mit sanfter, musikalischer Stimme zu ihm und schien, nach seinen unwilligen Bewegungen zu schließen, die andere Seite der Frage zu erörtern. Dann sprach Nyleptha in beredten Lauten. Wir ließen uns nicht träumen, daß sie für unser Leben plädierte. Zum Schluß wandte sie sich an einen schlanken, militärisch aussehenden Mann mittleren Alters mit schwarzem Bart und einem langen Schwert, der, wie wir später erfuhren, der erste Edelmann des Landes, Nasta, war, wie wenn sie erwarte, daß er für ihre Worte eintreten werde. Nun hatte ich bemerkt, daß das liebliche Erröten der Königin bei dem ersten Anblick Sir Henrys der Beachtung dieses Mannes nicht entgangen, sondern ihm höchst unangenehm gewesen war, denn er biß die Lippen zusammen und seine Hand umklammerte den Schwertgriff. Später hörten wir, daß er als Bewerber um die Hand der Königin auftrat, was uns sein Benehmen erklärte. In Anbetracht dieses Umstandes hätte Nyleptha sich an keine Person wenden können, die weniger für ihren Zweck geeignet gewesen wäre, als Nasta, und langsam, abgemessen sprechend, schien er alles, was der Hohepriester Agon gesagt hatte, zu bestätigen. Während seiner Rede stützte Sorais ihren Ellbogen auf ihr Knie und blickte ihn, das Kinn auf ihre Hand gelehnt, mit einem unterdrückten Lächeln auf ihren Lippen an, wie wenn sie ihn durchschaue, und entschlossen wäre, den Kampf mit ihm aufzunehmen. Nyleptha aber wurde sehr erregt. Ihre Wangen glühten, ihre Augen blitzten und sie sah in der Tat bezaubernd lieblich aus. Nach Nastas Rede wandte sie sich 208 an Agon und erteilte ihm offenbar eine bedingte Zusage, denn er verneigte sich tief bei ihren Worten, denen sie übrigens durch sprechende Handbewegungen noch größeren Nachdruck zu verleihen suchte. Dann plötzlich gab Nyleptha ein Zeichen, wiederum schmetterten die Trompeten und jedermann erhob sich, um die Halle zu verlassen, uns und die Leibwächter allein ausgenommen.

Als sich der Hofstaat entfernt hatte, neigte sich Nyleptha ein wenig vor und gab uns, zum Teil durch Zeichen, zum Teil durch Ausrufe zu verstehen, daß sie sehr gern wissen möchte, woher wir kämen. Es war schwer, ihr die gewünschten Aufschlüsse zu erteilen, bis mir plötzlich ein guter Gedanke einfiel. Ich holte mein großes Notizbuch und meinen Bleistift heraus und fertigte eine kleine Skizze von einem See an, dann zeichnete ich, so gut ich konnte, den unterirdischen Fluß und den See am andern Ende. Als ich fertig war, näherte ich mich den Stufen des Thrones und überreichte ihr das Blatt. Sie verstand es sofort, schlug die Hände vor Entzücken zusammen und gab es dann, vom Thron herabsteigend, ihrer Schwester Sorais, die die Zeichnung gleichfalls richtig deutete. Darauf nahm sie den Bleistift in ihre Hand und entwarf, nachdem sie ihn neugierig betrachtet hatte, eine Anzahl reizender kleiner Zeichnungen: die erste davon stellte sie selbst dar, wie sie uns beide Hände zum Gruß entgegenhielt, die ein Sir Henry äußerst ähnlich sehender Mann ergriff. Dann zeichnete sie ein niedliches kleines Bild von einem Flußpferd, das sich sterbend im Wasser wälzte, während ein Individuum, in dem wir unschwer den Hohenpriester Agon erkannten, seine Hände 209 vor Entsetzen über den Anblick in die Höhe hob. Dann folgte ein höchst beunruhigendes Bild von einem fürchterlichen feurigen Ofen und demselben Mann, Agon, der uns mit einer großen Forke hineinstieß. Dies Bild rief das tiefste Entsetzen in mir wach und ich fühlte mich erst ein wenig beruhigt, als sie, uns süß zunickend, eine vierte Zeichnung entwarf, auf der wiederum ein Sir Henry äußerst ähnlicher Mann dargestellt war, den zwei Frauen, in denen ich Sorais und sie selbst erkannte, mit dem einen Arm umschlangen, während sie mit dem andern ein Schwert wie zu seinem Schutze über sein Haupt hielten. Zu alledem gab Sorais, die uns sorgfältig einen nach dem andern betrachtete, durch Kopfnicken ihre Zustimmung.

Endlich zeichnete Nyleptha noch das Bild einer aufgehenden Sonne, womit sie sagen wollte, daß sie gehen müßte, am nächsten Morgen aber wieder mit uns zusammentreffen würde. Sir Henry sah hierüber so enttäuscht aus, daß sie ihm, wahrscheinlich um ihn zu trösten, ihre Hand reichte, die er mit frommer Inbrunst küßte. Gleichzeitig überließ auch Sorais Good, der während des ganzen Indaba (Unterredung) kein Auge von ihr abgewandt hatte, ihre Hand zum Kuß, obwohl sie Sir Henry dabei ansah. In diesen Abschied war ich, wie ich ohne Groll eingestehe, nicht mit eingeschlossen, da mir keine der beiden Schönheiten Gelegenheit zum Handkusse bot.

Dann wandte sich Nyleptha an den Anführer der Leibwache und erteilte ihm, nach seinen häufigen Verbeugungen zu schließen, offenbar sehr genaue uns betreffende Befehle, worauf sie, von 210 Sorais und den meisten Soldaten gefolgt, mit ziemlich kokettem Lächeln und Kopfnicken den Saal verließ.

Als die Königinnen sich entfernt hatten, näherte sich uns der Offizier und führte uns unter vielen Zeichen seiner Ehrerbietung aus dem Saal in eine Reihe prächtig eingerichteter Zimmer, die alle in ein großes Mittelzimmer mündeten, das – es war inzwischen dunkel geworden – von kupfernen Hängelampen erhellt und reich mit Teppichen und Polstern belegt war. Auf einem Tisch in der Mitte des Zimmers erblickten wir Speisen, Obst und Blumen in verschwenderischer Fülle. Es fehlte auch nicht an alt und ehrwürdig aussehenden versiegelten irdenen Krügen mit köstlichem Wein und schöngeformten Trinkbechern aus getriebenem Gold und Elfenbein. In unsere Bedienung teilten sich männliche und weibliche Diener und während des Mahls drangen von außen die Töne einer gedämpften Musik zu uns herein. Wir befanden uns wirklich in einem irdischen Paradiese, das nur durch den Gedanken an jenen abscheulichen Hohenpriester, der uns den Flammen überantworten wollte, getrübt wurde. Wir waren aber so müde, daß wir uns kaum wach erhielten, solange die Tafel dauerte, und als sie beendet war, sofort den Wunsch ausdrückten, uns zur Ruhe zu begeben. Die Diener führten uns alsdann in die uns zugewiesenen Gemächer, wo wir ihnen klar machten, daß wir zu zweien, und nicht allein, in je einem Zimmer, schlafen wollten. Als weitere Vorsichtsmaßregel ließen wir Umslopogaas sich mit seiner Axt in der Nähe der verhängten Türen, die in unsere Gemächer führten, niederlegen. Dann 211 entkleideten wir uns bis auf die Stahlhemden, die anzubehalten wir für ratsam hielten, warfen uns auf die niedrigen üppigen Ruhebetten und zogen die seidengestickten Decken über uns.

Zwei Minuten waren vergangen, und ich wollte grade einschlafen, als Goods Stimme mich wieder weckte.

»He, Quatermain,« sagte er, »haben Sie je solche Augen gesehen?«

»Augen,« sagte ich ärgerlich, »was für Augen?«

»Die der Königin natürlich! Sorais, glaube ich, heißt sie.«

»Ich weiß nicht,« gähnte ich, »ich habe nicht sehr acht darauf gegeben. Vermutlich hat sie schöne Augen,« und damit schlummerte ich ein.

Fünf Minuten später wurde ich aufs neue von ihm geweckt.

»He, Quatermain,« sagte die Stimme.

»Nun,« entgegnete ich grimmig, »was gibt es nun schon wieder?«

»Haben Sie je solchen Fuß gesehen? Diese Form –«

Das war mehr, als ich zu ertragen vermochte. Neben meinem Bett standen die Veldtschuhe, die ich auf der Reise getragen hatte. Ganz außer mir vor Ärger, nahm ich einen auf, warf ihn Good an den Kopf und – traf ihn auch.

Dann schlief ich den Schlaf des Gerechten, und es muß ein sehr schwerer Schlaf gewesen sein. Von Good weiß ich nicht, und will es auch gar nicht wissen, ob er einschlief oder fortfuhr, Sorais' Reize im Geist an sich vorüberziehen zu lassen. 212

 


 


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