Rider Haggard
Das unerforschte Land
Rider Haggard

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22. Kapitel

Ich habe gesprochen

Es war eine Woche nach Nylepthas Besuch. Ich hatte schon angefangen, um die Mittagsstunde ein wenig aufzustehen und herumzugehen, als Sir Henry mir sagen ließ, daß Sorais ihnen um Mittag in dem ersten Vorzimmer der Königin vorgeführt werden würde, und mich, wenn möglich, um mein Erscheinen bat. Außerordentlich begierig, die Unglückliche noch einmal zu sehen, machte ich mich mit Hilfe meines dienstbereiten kleinen Alfons, der ein wirklicher Schatz für mich ist, und noch eines zweiten Wärters nach dem Vorzimmer auf. Ich kam auch glücklich dort an und war sogar, von einigen hohen Würdenträgern abgesehen, einer der ersten. Doch hatte ich mich kaum niedergelassen, als Sorais, die so schön und trotzig wie immer aussah, jedoch einen müden Ausdruck in ihrem stolzen Gesicht zeigte, unter militärischer Begleitung hereingeführt wurde. Sie trug wie gewöhnlich ihren königlichen, mit dem Symbol der Sonne in prachtvoller Stickerei bedeckten »Kaf« und in ihrer rechten Hand hielt sie wiederum den kleinen silbernen Speer. Ich empfand aufrichtige Bewunderung und tiefes Mitleid als ich sie erblickte, und mühsam aufstehend verbeugte ich mich tief, indem 366 ich gleichzeitig mein Bedauern ausdrückte, daß ich infolge meines Befindens nicht stehen bleiben könnte.

Sie errötete ein wenig und lachte dann bitter auf. »Du vergißt, Macumazahn,« sagte sie, »ich bin jetzt keine Königin mehr, höchstens noch dem Blute nach. Ich bin eine ausgestoßene Gefangene, die alle Menschen verabscheuen sollten und keiner ehren.«

»Zum mindesten,« erwiderte ich, »bist du immer noch eine Dame und hast als solche Anspruch auf Achtung. Auch befindest du dich in einer schlimmen Lage und hast deshalb doppelt Anspruch darauf.«

»Ach,« antwortete sie mit schwachem Lächeln, »du vergißt, daß ich dich mit Gold überziehen und auf der höchsten Zinne des Turmes an die Trompete des Engels hängen lassen wollte.«

»Nein,« antwortete ich, »ich versichere dich, ich vergaß es nicht; ich dachte vielmehr jedesmal daran, wenn es mir schien, daß die Schlacht im Paß sich gegen uns wandte. Allein die Trompete ist dort und ich bin hier, obwohl vielleicht nicht mehr auf lange. Warum also jetzt davon sprechen?«

»Ach,« fuhr sie fort, »die Schlacht, die Schlacht! Oh, daß ich doch noch einmal Königin, wenn auch nur auf eine kurze Stunde, sein könnte. Ich würde eine solche Rache an jenen verruchten Schakalen nehmen, die mich in meiner Not verließen, daß man nur im Flüsterton davon sprechen sollte.«

»Ja, und jener kleine Feigling neben dir,« fuhr sie fort und deutete mit ihrem Silberspeer auf Alfons, »er entfloh und verriet meine Pläne. Ich wollte einen General aus ihm machen, 367 sagte den Soldaten, daß er Bugwan sei, und versuchte ihm Tapferkeit einzupeitschen (hier schauerte Alfons unwillkürlich zusammen), es war aber alles vergeblich. Hätte ich ihn doch nur erschlagen! Doch ach! Ich schonte ihn.

Und du, Macumazahn, ich habe von deinen Taten gehört, du bist tapfer und hast ein treues Herz. Und der Schwarze! Ah, auch er war ein Mann! Fast möchte ich wünschen, daß ich gesehen hätte, wie er Nasta die Treppe herabschleuderte.«

»Du bist ein sonderbares Weib, Sorais,« sagte ich. »Ich bitte dich, gib der Königin Nyleptha gute Worte, damit sie dich vielleicht begnadige.«

Sie lachte laut auf. »Ich um Gnade bitten!« sagte sie, und in diesem Augenblick trat die Königin, von Sir Henry und Good begleitet, ein und ließ sich ruhig auf ihren Sitz nieder. Was den armen Good anbetraf, so spielte er eine ziemlich traurige Figur.

»Gruß, Sorais!« sagte Nyleptha nach kurzer Pause, »du hast das Königreich wie einen Lappen zerrissen, du hast Tausende meines Volkes mit dem Schwerte getötet, du hast mir zweimal auf hinterlistige Weise nach dem Leben getrachtet, du hast geschworen, meinen Gemahl und seine Gefährten zu erschlagen und mich die große Treppe hinunterzuwerfen. Hast du etwas zu sagen, weshalb ich dich nicht töten soll? Sprich, o Sorais!«

»Mich dünkt, meine Schwester, die Königin, hat den Hauptpunkt der Anklage vergessen,« antwortete Sorais mit ihrer langsamen, musikalischen Stimme. »Derselbe lautet also: ›du 368 versuchtest die Liebe meines Gemahls Incubu zu gewinnen.‹ Um dieses Verbrechens willen will meine Schwester mich töten, nicht weil ich sie bekriegte. Es war vielleicht dein Glück, Nyleptha, daß ich zu spät daran dachte, ihn an mich zu fesseln.«

Dann fuhr sie mit erhöhter Stimme fort: »Ich habe weiter nichts zu sagen, als daß ich wünsche, ich hätte gewonnen, statt zu verlieren. Tue mit mir, wie du willst, o Königin, und laß den König dort« (sie wies auf Sir Henry) – »denn jetzt wird er König sein, – das Urteil ausführen. Es wäre das nur in der Ordnung, da er dann den Streit, der um seinetwillen entstand, auch selbst beendete.« Und sie richtete sich auf, warf unter ihren tiefbewimperten Augen einen zornigen Blick auf ihn und begann dann mit ihrem Speer zu spielen.

Sir Henry beugte sich zu Nyleptha und flüsterte ihr etwas zu, das ich nicht verstehen konnte. Dann sprach die Königin:

»Sorais, stets bin ich dir eine gute Schwester gewesen. Als unser Vater starb und sich ein lebhafter Streit im Lande erhob, ob du mit mir auf dem Throne sitzen solltest, da ich doch die ältere war, gab ich meine Stimme für dich ab und sagte: ›Ja, möge auch sie auf dem Thron sitzen, sie ist meine Zwillingsschwester, wir wurden bei einer Geburt geboren, weshalb sollte die eine der andern vorgezogen werden?‹ Und so ist es immer zwischen dir und mir gewesen, meine Schwester. Du weißt ja, wie du mir meine Güte vergolten hast, ich habe aber gesiegt und dein Leben ist verwirkt, Sorais. Und dennoch bist du meine Schwester und wurdest bei einer Geburt mit mir geboren, wir spielten 369 zusammen, als wir klein waren und liebten einander sehr. Und des Nachts schliefen wir in demselben Bett und schlangen unsere Arme um des andern Hals. Deshalb schlägt mein Herz selbst noch jetzt für dich, Sorais.

Doch nicht deswegen möchte ich dein Leben schonen, dazu ist dein Vergehen zu schwer gewesen, auch wird das Land nie Frieden haben, solange du am Leben bist. Dennoch sollst du nicht sterben, Sorais, weil mein lieber Gemahl hier dein Leben von mir als eine Gabe erbeten hat. Ich gebe es ihm daher als eine Gabe und als ein Hochzeitsgeschenk. Möge er damit anfangen, was er will, denn ich weiß, daß, wenn du ihn auch liebst, Sorais, er dich trotz all deiner Schönheit nicht liebt. Und wenn du auch so lieblich wärest wie der nächtliche Himmel mit all seinen Sternen, o Königin der Nacht, so liebt er doch mich, sein Weib und nicht dich, und daher schenke ich ihm dein Leben.«

Sorais errötete über das ganze Gesicht, sagte aber nichts, während Sir Henry in jenem Augenblick so unglücklich wie nie zuvor in seinem Leben aussah. Wenn auch wahr und überzeugend, so berührte Nylepthas Rede doch nicht grade angenehm.

»Wenn ich recht berichtet bin,« stammelte Curtis und blickte Good an, »wenn ich recht berichtet bin, so empfanden Sie einst – eine – Neigung – für die Königin Sorais. Ich weiß zwar nicht, welcher Art Ihre Gefühle jetzt sein mögen, doch dachte ich, daß, wenn sie noch dieselben wären, Sie einer unangenehmen Angelegenheit einen befriedigenden Abschluß verleihen könnten. Die Dame hat sehr große Privatbesitzungen, wo sie ganz 370 unbehelligt nach ihrem Behagen leben dürfte. Nicht wahr, Nyleptha? Es ist natürlich nur ein Vorschlag.«

»Soweit ich in Betracht komme,« sagte Good errötend, »bin ich gern bereit, die Vergangenheit zu vergessen, und will, wenn die Königin der Nacht mich der Ehre wert erachtet, sie morgen heiraten, oder wann es ihr gefällt, und mich bemühen, ihr ein guter Gatte zu sein.«

Aller Augen wandten sich jetzt Sorais zu, deren schönes Gesicht dasselbe düstere Lächeln zur Schau trug, das mir schon das erste Mal, wo ich sie gesehen, aufgefallen war. Sie schwieg eine kurze Weile, räusperte sich, machte drei tiefe Verbeugungen, eine gegen Nyleptha, eine gegen Curtis, eine gegen Good und begann dann langsam und abgemessen zu sprechen.

»Ich danke dir, allergnädigste Königin und Schwester, für die Liebe und Güte, die du mir von meiner Jugend an und auch jetzt erst wieder bewiesen hast, indem es dir beliebte, meine Person und die Verfügung darüber deinem Gemahl Incubu, der König werden wird, als eine Gabe zu schenken. Mögen Reichtum, Glück, Zufriedenheit den Lebenspfad einer so liebenswürdigen Schwester wie mit Blumen bedecken. Mögest du lange regieren, o große und erhabene Königin, und die Liebe deines Gatten mit beiden Händen festhalten. Groß sei auch die Zahl der Söhne und Töchter deiner Schönheit. Und ich danke dir, mein Häuptling Incubu, ich danke dir viel tausendmal, daß es dir gefallen hat, jene huldvolle Gabe anzunehmen und sie deinem Waffengefährten, dem großen Bugwan, weiter zu schenken. Die 371 Handlung ist sicherlich ganz deiner Großmut wert. Und nun zuletzt danke ich auch dir, mein Häuptling Bugwan, der du deinerseits gleichfalls geruht hast, mich und meine arme Schönheit anzunehmen. Ich danke auch dir viel tausendmal und will hinzufügen, daß du ein guter, ehrlicher Mann bist, ich lege sogar die Hand aufs Herz und schwöre, ich wollte, daß ich dir ›ja‹ antworten könnte. Und jetzt, wo ich allen der Reihe nach gedankt habe« – und wiederum lächelte sie – »will ich noch ein kurzes Wort hinzufügen.

Wie wenig versteht ihr mich doch, du Königin Nyleptha und ihr, edlen Männer, wenn ihr nicht wißt, daß es für mich keinen Mittelpfad gibt, daß ich euer Mitleid verabscheue und euch deswegen hasse, daß ich eure Gnade von mir werfe, wie wenn sie der Stachel einer Schlange wäre, und daß ich, hier ganz allein, verraten, verlassen und beleidigt vor euch stehend, dennoch über euch triumphiere, eurer lache und euch, einem wie allen, Trotz biete. Und so antworte ich euch.«

Dann stieß sie sich, ehe noch jemand ahnte, was sie vorhatte, den kleinen Silberspeer so stark und mit so sicherer Hand in ihre Brust, daß die scharfe Spitze auf dem Rücken wieder hervorkam, und sie fiel der Länge nach auf den Boden.

Nyleptha schrie laut auf und der arme Good wurde bei dem Anblick beinahe ohnmächtig. Während die andern auf sie zueilten, richtete sich die Königin der Nacht noch einmal, auf ihre Hand gestützt, empor und ihre prachtvollen Augen ruhten einen Augenblick durchdringend auf Curtis, wie wenn sie ihm etwas sagen 372 wollten. Dann neigte sie ihr Haupt, seufzte, und mit einem Schluchzen schied ihr düsterer, aber glänzender Geist von hinnen.

Sie erhielt ein königliches Begräbnis, und damit wollen wir uns von ihr verabschieden.

Einen Monat nach dem letzten Akte des vorstehend geschilderten Trauerspiels fand eine große Feier in dem Blumentempel statt, auf der Curtis formell zum König-Gemahl von Zu-Vendis ausgerufen wurde. Ich war zu krank, um selbst hinzugehen, und hasse zudem all diese Veranstaltungen mit ihren Menschenmengen, ihrem Trompetenblasen und Fahnenschwenken; Good aber, der sich in seiner Galauniform in den Tempel begeben und auf den das Fest einen tiefen Eindruck gemacht hatte, erstattete mir einen ausführlichen Bericht. Er erzählte, daß Nyleptha lieblich ausgesehen und Curtis, der wahrhaft königlich aufgetreten sei, einen so jubelnden Empfang gefunden habe, daß seine Beliebtheit beim Volke keinem Zweifel unterliege. Weiter erzählte er, daß auch das Pferd »Taglicht« sich in dem Umzug befunden, und die Bevölkerung so lange »Macumazahn, Macumazahn« gerufen hätte, bis sie heiser geworden sei. Auch hätte sich die Menge erst dann zufrieden gegeben, als er, Good, sich in seinem Wagen erhoben und ihnen gesagt habe, daß ich zu krank sei, um unter ihnen zu weilen.

Unmittelbar nach dieser Feier ließ ich mich nach dem Hause bringen, in dem ich jetzt diese Zeilen schreibe. Es ist ein angenehmer Landsitz und etwa zwei Meilen von der Felsenstadt entfernt, auf die er herabblickt. Das geschah vor fünf Monaten. 373 An eine Art Ruhelager gebannt, habe ich die ganze Zwischenzeit benutzt, um nach meinem Tagebuch und Gedächtnis die Geschichte unserer Irrfahrten niederzuschreiben. Wahrscheinlich wird sie niemals gelesen werden, doch würde das auch nichts schaden. Auf jeden Fall habe ich mir viele Leidensstunden damit vertrieben. Ich stand in letzter Zeit ziemlich starke Schmerzen aus, werde aber, Gott sei Dank, bald von ihnen erlöst sein.

Es ist eine Woche her, seitdem ich die vorstehenden Zeilen geschrieben habe, und ich ergreife die Feder zum letztenmal, denn ich weiß, daß das Ende nahe ist. Ich bin noch bei klarem Verstand und vermag noch zu schreiben, obwohl es mir nicht leicht fällt. Die Schmerzen in meiner Lunge, die in letzter Woche sehr heftig waren, haben plötzlich nachgelassen, und an ihre Stelle ist ein Gefühl der Starre getreten, dessen Bedeutung ich nicht mißverstehen kann. Mit den Schmerzen ist auch alle Furcht vor dem Tode verschwunden, und es ist mir nun zumute, als ob ich einer unaussprechlichen Ruhe in die Arme sinken solle. Glücklich, zufrieden, und mit demselben Gefühl der Sicherheit, mit dem sich ein Kind in die Arme seiner Mutter zum Schlafe niederlegt, lege auch ich mich in die Arme des Todesengels nieder. Alle Furcht und Angst, die mich während meines Lebens verfolgt haben, sind nun von mir gewichen. Die Stürme sind vorüber, und der Stern unserer ewigen Hoffnung leuchtet klar und ständig an dem Horizont, der so weit von dem Menschen zu liegen scheint und mir diese Nacht doch so nahe ist.

Das also ist das Ende – eine kurze, unruhige Spanne Zeit, 374 einige wenige beschwerliche, fieberheiße, angstvolle Jahre und dann die Arme des großen Todesengels. Viele Male bin ich ihnen nahe gewesen, viele, viele Gefährten haben sie an meiner Seite umarmt, und jetzt ist die Reihe auch an mich gekommen, und das ist gut. Noch vierundzwanzig Stunden und die Welt mit allen ihren Hoffnungen und allen ihren Enttäuschungen wird hinter mir liegen.

Nein, es ist keine gute Welt – das kann niemand sagen, die allein ausgenommen, die sich absichtlich gegen die Tatsachen verschließen. Wie kann eine Welt gut sein, in der Geld die bewegende Kraft und Selbstsucht der leitende Stern ist. Verwunderlich allein erscheint es, nicht daß sie so schlecht ist, sondern daß es überhaupt noch etwas Gutes in ihr gibt.

Jetzt, wo mein Leben vorüber ist, bin ich froh, daß ich gelebt habe, froh, daß ich Weibesliebe und jene treue Freundschaft, die selbst Weibesliebe übertreffen kann, kennen gelernt habe, froh, daß ich das Lachen kleiner Kinder gehört, die Sonne, den Mond und die Sterne gesehen, den Kuß des Ozeans in meinem Gesicht empfunden und das scheue Wild im Mondschein nach dem Wasser habe ziehen sehen. Ich möchte aber nicht noch einmal leben!

Alles ändert sich vor mir. Das Dunkel nähert sich, das Licht verschwindet, und dennoch scheint es mir, daß ich durch jenes Dunkel hindurch bereits das leuchtende Willkommen manch eines langverlorenen Gesichtes erkenne. Harry ist dort und andere, und eine vor allen, die mir das süßeste und vollkommenste Weib war, das je auf dieser grauen Erde Frohsinn verbreitete. Von ihr habe 375 ich jedoch schon an anderer Stelle ausführlich geschriebenDiese Erzählung ist »Der Zauberer im Sululande«.. Warum also jetzt von ihr sprechen? Warum nach diesem langen Schweigen von ihr sprechen, da sie mir jetzt so nahe ist, da ich jetzt dorthin gehe, wohin sie gegangen ist?

Das goldene Dach des großen Tempels erscheint in der untergehenden Sonne wie eine feurige Flamme, und meine Finger erlahmen.

So reiche ich allen, die mich gekannt oder von mir gehört oder dem alten Jäger einen freundlichen Gedanken gewidmet haben, meine Hand von der fernen Küste und biete ihnen ein langes Lebewohl.

In die Hände des allmächtigen Gottes, der ihn sandte, befehle ich nun meinen Geist.

»Ich habe gesprochen,« wie die Sulu sagen. 376

 


 


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