Rider Haggard
Das unerforschte Land
Rider Haggard

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8. Kapitel

Wie sich Alfons rechtfertigte

Und so war der Kampf vorüber. Ich wandte mich grade von dem schaurigen Bilde ab, als es mir plötzlich einfiel, daß ich von dem Augenblick an, wo ich vor etwa zwanzig Minuten – denn länger hatte der Kampf nicht gedauert, obwohl seine Beschreibung geraume Zeit erfordert – Alfons einen Stoß vor den Bauch versetzte, nichts mehr von ihm gesehen hatte. Ich fürchtete schon, daß der arme kleine Mann in der Schlacht sein Leben eingebüßt hätte, und begann unter den Toten nach seinem Leichnam zu suchen. Da ich aber weder den Leichnam fand, noch das Geringste von ihm sah oder hörte, schloß ich daraus, daß er noch unter den Lebenden weilen müsse, und ging nach der Seite des Kraals, wo wir uns aufgestellt hatten, zurück, indem ich ihn laut bei Namen rief. Nun stand etwa fünfzig Schritte von der Steinmauer ein Feigenbaum von so ehrwürdigem Alter, daß das ganze Innere im Laufe der Jahrhunderte fortgefault und nichts als die Außenrinde übrig geblieben war.

»Alfons,« rief ich, ihn längs der Mauer suchend, »Alfons!«

»Oui, Monsieur,« antwortete eine Stimme, »hier bin ich.«

Ich blickte mich um, sah aber niemanden. »Wo?« rief ich.

»Hier bin ich, Monsieur, in dem Baum.« 123

Ich blickte hin, und wirklich: dort lugte aus einem etwa fünf Fuß von der Erde entfernten Loch in dem Feigenstamm ein blasses Gesicht mit einem riesigen Schnurrbart hervor, dessen eine Hälfte kurz abgeschnitten war und dessen andere so kläglich wie der Schwanz eines tüchtig durchgeprügelten Pudels niederhing. Da wußte ich, was ich allerdings bereits längst vermutet hatte, daß Alfons ein Feigling ersten Ranges war. Ich trat dicht vor ihn hin. »Heraus aus diesem Loch,« sagte ich.

»Ist es vorüber, Monsieur?« fragte er ängstlich, »ganz vorüber? Oh, welche Angst ich hier ausgestanden und wieviel Gebete ich empor zum Himmel gesandt habe!«

»Heraus aus diesem Loch, du kleiner Wicht!« sagte ich ärgerlich. »Es ist alles vorüber.«

»So haben meine Gebete also den Sieg errungen, Monsieur? Ich bin schon draußen,« und er folgte seinen Worten.

Auf dem Wege zu den Gefährten, die in einer Gruppe vor dem breiten Eingang zum Kraal, der jetzt einem richtigen Schlachthause glich, versammelt standen, sprang plötzlich ein Massai, der dem Tode bisher entgangen war, aus seinem Versteck unter einem Busch auf und griff uns wütend an. Mit lautem Schreckensgeheul riß Alfons aus und hinter ihm flog der Massai her, der vor seinem Tode wenigstens noch eine Bluttat verüben wollte. Bald hatte er den armen kleinen Franzosen eingeholt und würde ihm das Lebenslicht ausgeblasen haben, hätte ich nicht dem Elmoran rechtzeitig eine Kugel zwischen die breiten Schultern gesandt, die die Angelegenheit zu einem 124 zufriedenstellenden Abschluß, wenigstens für den kleinen Franzosen, brachte. Als meine Kugel den Massai traf, machte Alfons grade einen letzten verzweifelten Seitensprung, in der eitlen Hoffnung, dem kalten Stahl, der über ihm schwebte, zu entgehen. Er stürzte dabei der Länge nach auf den Boden, und in demselben Augenblick auch fiel der Körper des in seinen Todeszuckungen krampfhaft ausschlagenden Massai auf ihn. Nun erhob sich ein solch durchdringendes Geheul, daß ich annahm, es sei dem Wilden vor seinem Tode noch gelungen, den armen Alfons zu erstechen. Eilig lief ich herbei, riß den Massai weg, und vor mir lag, mit Blut überströmt und wie ein galvanisierter Frosch mit seinen Armen und Beinen zuckend, Alfons. Armer Bursche, dachte ich bei mir, es ist aus mit ihm, und begann, neben ihm niederkniend, nach seiner Wunde zu suchen, soweit seine heftigen Bewegungen das gestatteten.

»Oh, das Loch in meinem Rücken!« gellte er. »Ich bin ermordet, ich bin tot!«

Ich suchte wiederum, fand aber keine Wunde. Dann erriet ich die Wahrheit – der Mann war erschrocken, aber nicht verletzt.

»Marsch, aufgestanden!« fuhr ich ihn an. »Aufgestanden! Haben Sie denn gar keine Scham im Leibe? Sie sind nicht verletzt.«

Er erhob sich darauf, ohne auch nur für einen Pfennig Schaden genommen zu haben.

»Ich glaubte es aber zu sein, Monsieur,« sagte er entschuldigend. »Ich wußte nicht, daß ich gesiegt hatte.« Dann versetzte 125 er dem Körper des Massai einen Fußtritt und rief triumphierend aus: »Ah, Hund von einem schwarzen Wilden, du bist tot. Welch ein Sieg!«

Höchst entrüstet gebot ich Alfons, von nun an für sich selbst zu sorgen, was er auch tat, indem er mir wie mein Schatten folgte, und begab mich dann zu den andern vor dem Haupteingange. Der erste, den ich sah, war Mackenzie, der auf einem Stein saß und ein Taschentuch um seinen durch einen Speerstoß verwundeten, heftig blutenden Schenkel gebunden hatte. In seiner Hand hielt er noch sein großes, jetzt krummgebogenes Vorlegemesser, das ihn mithin gegen den Elmoran, mit dem ich ihn zuletzt hatte kämpfen sehen, nicht im Stich gelassen hatte.

»Ach, Quatermain,« rief er mir mit zitternder aufgeregter Stimme entgegen, »wir haben also gesiegt. Es ist aber ein trauriger Anblick – ein trauriger Anblick.« Dann brach er in ein hysterisches Lachen aus, und fuhr, auf das gebogene Messer in seiner Hand blickend, fort: »Es ist sehr schlimm, daß sich mein bestes Messer an der Rippe eines Wilden hat krummbiegen müssen.« – Armer Kerl, kein Wunder, daß seine Nerven stark erschüttert waren, wenn man bedenkt, was er in der Todesaufregung der letzten halben Stunde erduldet hatte! Es ist traurig, wenn ein Mann des Friedens in eine so entsetzliche Handlung hineingezogen wird. Ja, das Schicksal bringt uns häufig in die sonderbarsten Lagen.

Am Eingang zum Kraal bot sich dem Auge ein eigentümliches Bild. Das Gemetzel war vorüber, und dort, wo sich die 126 Dornenhecke befunden hatte, erhoben sich jetzt Leichenhaufen. Tote, Tote, überall gab es Tote, da kein Pardon bewilligt worden war. Hier lagen sie in Hügeln, dort allein oder zu zweien, kurz in jeder Stellung – nicht unähnlich den Leuten, die sich an einem heißen Augustsonntage in den Londoner Parks ins Gras werfen. Vor dem Eingang standen auf einem von den Toten und ihren Waffen gänzlich gesäuberten Platz die Überlebenden dieses schrecklichen Kampfes, und ihnen zu Füßen lagen vier Verwundete. Dreißig Mann stark waren wir ausgezogen und von den dreißig nur fünfzehn am Leben geblieben, wovon noch drei mit Einschluß Herrn Mackenzies leicht, zwei andere aber tödlich verwundet waren. Von den Verteidigern des Einganges lebten nur noch Curtis und der Sulu. Good hatte fünf Tote, ich zwei und Mackenzie von seinen sechs Männern nicht weniger als fünf. Die Geretteten waren – von mir, der ich an dem Handgemenge nicht teilgenommen hatte, abgesehen – von Kopf bis zu den Füßen blutrot gefärbt und alle bis auf den Tod erschöpft. Umslopogaas allein, der, wie gewöhnlich auf seine Axt gelehnt, grimmig auf einem kleinen Leichenhügel dastand, sah nicht besonders angegriffen aus, obwohl die Haut über dem Loch in seinem Kopf heftig pulsierte.

»Ah, Macumazahn!« sagte er zu mir, als ich, betrübt über das schreckliche Bild, herbeihumpelte, »ich sagte dir, es würde ein guter Kampf werden, und das ist er gewesen. Nie habe ich einen besseren oder einen solchen erlebt, in dem tapferer gekämpft wurde. Und dieses Eisenhemd ist sicherlich ›tagati‹ (behext), 127 denn nichts konnte es durchdringen. Ohne das Hemd würde ich jetzt dort liegen,« und er deutete auf den großen Leichenhaufen zu seinen Füßen.

»Ich schenke es dir, du bist ein Tapferer,« sagte Sir Henry kurz.

»Koos!« antwortete der Sulu, sowohl über das Geschenk wie über das Lob entzückt, »auch du, Incubu, hieltest dich wie ein Mann. Ich muß dir aber noch etwas Unterricht in der Axtführung geben, da du deine Stärke verschwendest.«

Jetzt fragte Mackenzie nach Flossie, und es fiel uns allen ein Stein vom Herzen, als ein Neger sagte, daß er sie mit der Wärterin nach dem Hause habe fliehen sehen. Dann nahmen wir diejenigen Verwundeten, die sich ohne besondere Umstände transportieren ließen, mit uns und brachen langsam nach dem Missionshause auf, zwar von Anstrengung und Blutvergießen übermüdet, aber doch von dem glorreichen Gefühl des Sieges gegen eine solche Übermacht beseelt. Wir hatten der kleinen Maid das Leben gerettet und die Massai in jenen Gegenden eine Lektion gelehrt, die sie in zehn Jahren nicht vergessen – aber um welchen Preis!

Es fiel uns ziemlich schwer, den Hügel hinaufzusteigen, den wir vor kaum einer kleinen Stunde unter so verschiedenen Umständen heruntergegangen waren. An dem Tor der Mauer wartete Frau Mackenzie auf uns. Als sie jedoch unsere blutüberströmten Gestalten sah, schrie sie laut auf und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen. »Es ist entsetzlich, oh, entsetzlich!« Es 128 trug nicht zu ihrer Beruhigung bei, als sie ihren würdigen Gatten auf einer schnell hergestellten Tragbahre entdeckte, doch wurden ihre Befürchtungen über die Natur seiner Verwundung bald gehoben. Nachdem ich sie dann in wenigen kurzen Worten von dem Ergebnis des Kampfes verständigt hatte, worüber sie bereits von der inzwischen sicher angelangten Flossie etwas vernommen, kam sie zu mir und küßte mich feierlich auf die Stirn.

»Gott segne Sie, Herr Quatermain, Sie und Ihre Freunde!«

Dann gingen wir in das Haus, entkleideten uns und verbanden unsere Wunden. Zum Glück hatte ich keine, und die von Sir Henry und Good waren, dank ihren unschätzbaren Kettenhemden, so harmlos, daß sie sich mit Hilfe einer Nadel und mit etwas Heftpflaster kurieren ließen. Mackenzies Verwundung war schon ernstlicher, obwohl der Speer keine große Arterie durchschnitten hatte. Dann nahmen wir ein Bad, und was für eine Wohltat uns das gewährte! Nachdem wir sodann unsere gewöhnliche Kleidung angelegt hatten, begaben wir uns in das Speisezimmer, wo das Frühstück wie sonst aufgetragen wurde. Es erschien mir recht sonderbar, dort zu sitzen, nach der Sitte unseres neunzehnten Jahrhunderts Tee zu trinken und geröstete Brotschnitte dazu zu essen, grade als ob wir die Morgenstunde nicht in einem richtigen mittelalterlichen Handgemenge verbracht hätten. Wie auch Good sagte: Das Ganze schien mehr ein böser Traum, denn ein wirkliches Erlebnis zu sein. Als wir unser Frühstück beendet hatten, ging die Tür auf, und herein kam, sehr bleich und angegriffen aussehend, sonst aber gar nicht verletzt, die kleine 129 Flossie. Sie küßte uns alle der Reihe nach und bedankte sich. Ich beglückwünschte sie zu der Geistesgegenwart, die sie bewies, indem sie den Massai mit dem Derringerpistol erschoß und dadurch ihr Leben rettete.

»Oh, sprechen Sie nicht wieder davon,« sagte sie, und begann krampfhaft zu weinen, »ich werde nie, nie das Gesicht vergessen können, das er mir zeigte, als er sich im Kreise um sich selbst herumdrehte. Nie, nie – ich sehe es jetzt vor mir.«

Ich riet ihr, zu Bett zu gehen und ein wenig zu schlafen. Sie befolgte diesen Rat und erwachte am Abend, körperlich wenigstens, völlig hergestellt. Es kam mir recht seltsam vor, daß ein Mädchen, das den Mut besaß, einen langen, schwarzen Unhold zu erschießen, der sie mit seinem Speer erstechen wollte, sich später bei dem Gedanken daran so aufregen konnte. Das ist aber schließlich weiter nichts als eine Eigenheit ihres Geschlechts. Arme Flossie! Ich fürchte, ihre Nerven werden jene Nacht in dem Massailager noch manches lange Jahr nicht verwinden. Was sie am meisten quälte, war, wie sie mir später erzählte, die Ungewißheit, in der ihr Stunde für Stunde in jener sterbenslangen Nacht dahinschwand, ohne eine Ahnung zu haben, ob ein Rettungsversuch stattfinden werde oder nicht. Sie wußte ja, wie wenige wir und wie zahlreich die Massai waren, die, nebenbei bemerkt, fortwährend zu ihr kamen und ihre Arme und ihr Haar mit ihren schmutzigen Pfoten betasteten, da die meisten von ihnen noch nie zuvor einen weißen Menschen gesehen. Sie hatte eigentlich nicht an ihre Rettung geglaubt und sich für den Fall, daß 130 bis Sonnenaufgang kein Zeichen von uns zu sehen war, mit ihrem Pistol erschießen wollen, um so der Folter zu entgehen, die der Lygonani ihr und der Wärterin angedroht hatte, wenn sich nicht einer der weißen Männer gegen sie austauschte. Es war ein schrecklicher Entschluß, den sie gefaßt hatte, und ich zweifle nicht, daß sie ihn auch ausgeführt hätte.

Als das Frühstück vorüber war, zogen wir uns alle auf unsere Zimmer zurück und schliefen uns tüchtig aus. Erst als es Zeit zum Mittagessen war, standen wir wieder auf. Nach der Mahlzeit rückten wir, von der gesamten Bevölkerung der Mission, Männern, Frauen, Knaben und Mädchen begleitet, nach der Stelle des Morgengemetzels aus, um unsere Toten zu begraben und uns die Massaileichen vom Halse zu schaffen, welche wir in den Tana warfen, der hier nicht ganze fünfzig Schritt vom Kraal vorüberfloß. Als wir den Platz erreichten, störten wir Tausende und aber Tausende von Aasgeiern und braunen Buschadlern, die sich von vielen Meilen in der Runde zu dem Schmaus eingestellt hatten. Oft habe ich diese großen, widerwärtigen Vögel betrachtet und mich über die außerordentliche Schnelligkeit gewundert, mit der sie sich auf einer Stelle einfinden, wo Blut geflossen ist. Kaum hat die Kugel des Jägers ein Wild getroffen, so erscheint im nächsten Augenblick schon hoch oben im blauen Äther ein Fleck, aus dem allmählich ein Geier wird, dann noch einer und wieder einer. Ich habe mir viele Theorien erzählen lassen, die alle das wunderbare Sehvermögen, das die Natur diesen Vögeln gegeben hat, zu erklären versuchen. Ich selbst neige mich aber 131 auf Grund meiner eigenen sorgfältigen Beobachtungen zu der Annahme, daß sie, mit einem Sehvermögen schärfer als das des schärfsten Fernglases ausgerüstet, sich am Himmel bestimmte Quartiere zuteilen und in einer ungeheuren Höhe – wahrscheinlich zwei oder drei englische Meilen über der Erde schwebend – über bestimmte Erdflächen Wache halten. Plötzlich erblickt einer von ihnen Nahrung und schießt sofort herunter auf sie zu. Sein nächster Nachbar in den luftigen Höhen, der vielleicht in einer Entfernung von einigen Meilen langsam den blauen Golf durchschneidet, folgt dem Beispiel, da er jetzt weiß, daß Nahrung erspäht worden ist. Hinunter fliegt auch er, und nach ihm alle Geier in seinem Gesichtskreis, und so weiter wieder alle in jener Gesichtskreis. Auf diese Weise können die Geier auf zwanzig Meilen in der Runde sich in Zeit von wenigen Minuten zum Schmause versammeln.

Wir begruben unsere Toten unter feierlichem Schweigen. In der Abwesenheit des ans Bett gefesselten Herrn Mackenzie ersuchten wir Good, der eingestandenermaßen die beste Stimme und das eindrucksvollste Wesen von uns besitzt, die Leichenfeier abzuhalten. Es war traurig, äußerst traurig, hätte aber, wie Good bemerkte, noch schlimmer sein können, »da wir fast in die Lage geraten wären, uns selbst zu beerdigen«. Ich entgegnete Good, daß dies eine ziemlich schwere Aufgabe gewesen wäre, wußte aber, was er sagen wollte.

Dann beluden wir einen von der Mission herbeigeholten Ochsenwagen mit den Leichnamen der Massai, deren Schilde, 132 Speere und sonstige Waffen wir zuvor an einer Stelle aufgehäuft hatten. Wir befrachteten den Wagen fünfmal, jedesmal ungefähr mit fünfzig Leichen, und warfen sie in den Tana. Es konnten also nur wenige Massai entkommen sein. Die Krokodile sind in jener Nacht wahrscheinlich satt geworden. Einer der letzten Körper, die wir aufnahmen, war der der Schildwache vom zweiten Eingang. Auf die Frage, wie er sie getötet habe, erzählte mir Good, daß er sich ähnlich wie Umslopogaas an sie herangeschlichen und sie mit dem Schwert von hinten durchbohrt habe. Der Massai hätte stark gestöhnt, doch habe ihn zum Glück niemand von seinen Stammesgenossen gehört. Es war, wie Good sagte, eine schreckliche Tat, die verzweifelte Ähnlichkeit mit einem kaltblütigen Mord besaß.

Und so endete mit dem letzten Körper, der den Tana herunterfloß, die Episode unseres Angriffes auf das Massailager. Die Speere, Schilde und sonstigen Waffen brachten wir nach der Mission, wo sie ein Vorhaus füllten. Einen Zwischenfall darf ich jedoch nicht übergehen. Als wir von der Bestattung unserer Massaifreunde zurückkehrten, kamen wir an dem hohlen Baum vorüber, in den Alfons sich am Morgen versteckt hatte. Der kleine Mann befand sich jetzt natürlich bei uns und hatte sich bei unserer unangenehmen Arbeit sehr heldenmütig gegen die erschlagenen Massai bewiesen, viel heldenmütiger als gegen die lebenden Feinde. Für jede Leiche, die er aufnahm, fand er ein höhnisches Beiwort. Der Alfons, der die toten Massai in den Tana warf, war wirklich ein ganz anderes Geschöpf als der 133 Alfons, der vor dem Speer eines lebenden Massai kreidebleich davonlief. Er war ganz heiter und zu Spässen aufgelegt, klatschte in seine Hände und sang französische Couplets, wenn die grimmigen toten Körper in das Wasser plumpsten, um ihren hundert Meilen weiter unten am Strom wohnenden Verwandten eine Todesbotschaft und Herausforderung zu überbringen. Kurzum, er benahm sich derart, daß ich es für angebracht hielt, seiner Lustigkeit einen kleinen Dämpfer aufzusetzen, und deshalb vorschlug, wegen seines Betragens am Morgen ein Kriegsgericht über ihn abzuhalten.

Wir brachten ihn zu diesem Zwecke nach dem Baum, der ihm als Versteck gedient hatte, und eröffneten das Gericht, indem Sir Henry in seinem allerbesten Französisch ihm die unerhörte Feigheit und Abscheulichkeit seines Verhaltens vorhielt. Dadurch daß er den Fettlappen aus seinem Munde habe fallen lassen, hätte er mit seinem Zähneklappern fast das ganze Massailager geweckt und unser aller Leben gefährdet. Er möge daher, wenn er dazu imstande wäre, sein Benehmen rechtfertigen.

Wenn wir aber bei Alfons Verlegenheit oder Schamgefühl erwartet hatten, sollten wir uns bald enttäuscht sehen. Er verbeugte sich und machte Kratzfüße, lächelte und gab zu, daß sein Benehmen auf den ersten Blick seltsam erscheinen müßte. Man solle ihm jedoch nicht unrecht tun, denn seine Zähne hätten nicht aus Furcht geklappert – oh nein! oh ganz gewiß nicht! – er wundere sich, wie die »Messieurs« so etwas von ihm denken könnten – sondern infolge der kalten Morgenluft. Von dem 134 Lappen aber wolle er nur sagen, daß, wenn Monsieur den üblen, aus altem Petroleum, ranzigem Fett und Schießpulver zusammengesetzten Geschmack hätte kosten können, selbst Monsieur ihn ausgespuckt haben würde. Er hingegen habe nichts derartiges getan und sei entschlossen gewesen, ihn im Munde zu behalten! doch ach! sein Magen hätte sich empört und der Lappen sei seinem Munde in einem Anfall unfreiwilliger Krankheit entflohen.

»Fort, trolle dich, du kleiner Wicht!« lachte nun Sir Henry und versetzte Alfons einen derben Fußtritt, der ihn betrübten Gesichts eine ganze Strecke vorwärts schleuderte.

Am Abend pflog ich eine Unterredung mit Herrn Mackenzie, der ziemlich viel von seinen Wunden auszustehen hatte, die ihm von Good, einem recht geschickten, wenn auch nicht approbierten Doktor, verbunden worden waren. Er sagte mir, daß er sich den Vorfall zur Warnung dienen lassen, die Mission, wenn er am Leben bliebe, einer jungen, bereits auf dem Wege zu ihm befindlichen Kraft übergeben und nach England zurückkehren wolle.

»Ich faßte den Entschluß, Quatermain,« so sagte er, »heute morgen, als wir gegen die von geistiger Finsternis umfangenen Wilden vorrückten. Wenn wir glücklich aus dem Kampfe herauskommen und Flossies Leben retten – so gelobte ich mir – will ich nach England zurückkehren. Ich habe von Wilden nachgrade genug gehabt. Ich glaubte zwar nicht, daß wir mit dem Leben davonkommen würden, dank aber dem Herrgott und Ihnen, 135 haben wir den Sieg davongetragen, und ich will meinen Vorsatz halten, damit mir nicht noch Schlimmeres widerfahre. Ein zweites solches Erlebnis würde meine arme Frau töten, und dann, Quatermain, unter uns gesagt, ich habe Geld, ich bin heute mindestens meine dreißigtausend Pfund wert, wovon ich jeden Pfennig in ehrlichem Handel verdient habe. Das Leben hier kostet mich so gut wie nichts und das Geld liegt sicher auf der Bank von Sansibar. Wenn es mir auch schwer fallen wird, diesen Ort zu verlassen, der unter meinen Händen wie eine Rose in der Wildnis erblüht ist, und noch schwerer, die Menschen zu verlassen, die ich im Worte Gottes unterwiesen habe, so will ich dennoch von hier gehen.«

»Ich beglückwünsche Sie zu Ihrem Entschluß, und zwar aus zwei Gründen. Der erste ist der, daß Sie Verpflichtungen gegen Ihre Frau und Tochter haben, ganz besonders gegen die letztere, die eine gründliche Erziehung empfangen und unter Gespielinnen ihrer eigenen Farbe aufwachsen sollte, wenn sie sich nicht zu einem wilden Geschöpf, das von weiblicher Art nichts wissen will, entwickeln soll. Der zweite ist der, daß, so wahr wie ich hier vor Ihnen stehe, die Massai früher oder später das ihnen heute widerfahrene Blutbad zu rächen versuchen werden. In der allgemeinen Verwirrung sind sicherlich einige Krieger entflohen, die die Kunde ihrem Stamme mitteilen werden. Die Folge wird die sein, daß eines Tages ein großer Rachezug gegen Sie ausgesandt werden wird. Es vergeht vielleicht noch ein Jahr darüber, aber früher oder später wird er kommen. Allein schon aus diesem 136 Grunde würde ich von hier fortziehen. Haben sie es einmal erfahren, daß Sie nicht mehr hier sind, lassen sie die Station vielleicht in Ruhe.«

»Sie haben ganz recht,« entgegnete der Geistliche; »ich werde diesem Ort spätestens in einem Monat meinen Rücken zuwenden. Es wird mir aber schwer fallen –, ja, es wird mir sehr schwer fallen.« 137

 


 


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