Rider Haggard
Das unerforschte Land
Rider Haggard

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

21. Kapitel

Wie Umslopogaas die Treppe verteidigt

Wir sahen einander an.

»Du siehst,« sagte ich, »sie haben die Tür fortgenommen. Gibt es etwas, womit wir die Öffnung ausfüllen können? Sprich schnell, denn sie werden noch vor Tagesanbruch über uns herfallen.«

Ich sprach also, weil ich wußte, daß wir diesen Platz zu behaupten hatten, oder keinen, da es keine Innentüren im Palast gab und die Räume nur durch Vorhänge voneinander getrennt waren. Ich wußte ferner, daß, wenn wir diesen Eingang verteidigen konnten, die Mörder von keiner andern Seite Einlaß fanden, denn seitdem die geheime Tür, durch die Sorais in der denkwürdigen Nacht des Mordanschlages gegen ihre Schwester eingetreten, auf Nylepthas Befehl vermauert worden war, ist der Palast vollständig abgeschlossen.

»Ich habe es,« sagte Nyleptha, die immer der Lage in wunderbarer Weise gewachsen war. »Auf der äußersten Seite des Vorhofes gibt es zugehauene Marmorblöcke – die Arbeiter brachten sie für den Sockel des neuen Denkmals meines Gebieters Incubu dorthin. Füllen wir die Tür mit diesen aus.« 347

Der Vorschlag fand meinen vollen Beifall und nachdem ich noch eine Hofdame die große Treppe hinuntergeschickt, um, wenn möglich, Beistand von den Werften zu holen, wo das Wohnhaus ihres Vaters, eines angesehenen Kaufmanns und bedeutenden Arbeitgebers, stand, und eine andere als Wache an der offenen Tür aufgestellt hatte, gingen wir nach dem Vorhof zurück, wo der zugehauene Marmor lag. Dort trafen wir auch Kara, der eben von dem Tor, aus dem er die beiden ersten Boten herausgelassen, zurückkehrte. Und wirklich, dort erblickten wir die Marmorblöcke, breite massive Stücke, die sechs Zoll dick, ein Gewicht von je achtzig Pfund hatten, und dort befanden sich auch ein paar Tragbahren, auf denen die Arbeiter sie zu tragen pflegten. Ohne Verzug legten wir einige Blöcke auf die Bahren und je vier von den Mädchen trugen sie nach der Tür.

»Höre, Macumazahn,« sagte Umslopogaas, »wenn diese elenden Burschen kommen, werde ich die Treppe gegen sie verteidigen, bis die Tür fertiggebaut ist. Nein, nein, alter Freund, widersprich mir nicht, es wird mein Tod sein. Es ist ein guter Tag gewesen, so laß es jetzt gute Nacht sein. Siehe, ich werde mich jetzt auf den Marmor dort zur Ruhe legen; wecke mich, wenn ihre Fußtritte nahe sind, nicht eher, denn ich brauche meine Kraft.« Und ohne ein weiteres Wort ging er nach draußen, warf sich auf den Marmor nieder und war im nächsten Augenblick eingeschlafen.

Auch ich konnte mich nicht länger aufrecht erhalten, sondern mußte mich bei der Tür niedersetzen und damit begnügen, die Operationen zu leiten. Die Mädchen holten die Blöcke herbei, 348 während Kara und Nyleptha sie innerhalb der sechs Fuß breiten Türöffnung aufbauten und zwar in einer dreifachen Reihe, denn weniger wäre zwecklos gewesen. Der Marmor aber mußte vierzig Schritt weit herbeigeholt werden, und wenn die Mädchen auch fast übermenschlich arbeiteten und jede von ihnen allein einen Block schleppte, so ging es doch langsam, furchtbar langsam vonstatten.

Es wurde jetzt heller und plötzlich vernahmen wir inmitten des Schweigens an dem fernen Fuß der Treppe ein Geräusch: das schwache Klirren von Waffen. Bis jetzt erhob sich die Mauer erst zwei Fuß hoch und wir hatten acht Minuten gebraucht, um sie so weit zu erbauen. So waren sie also gekommen, Alfons hatte richtig gehört.

Das Klirren kam immer näher, und in dem geisterhaften Grau der Dämmerung erkannten wir lange Reihen von Männern, die, etwa fünfzig an der Zahl, langsam die Treppe hinaufschlichen. Sie waren jetzt auf dem Ruheplatz in der Mitte des Weges angelangt und hielten, da sie das Geräusch der Arbeit über sich vernahmen, zu unserem großen Gewinn, drei oder vier Minuten lang an und berieten miteinander. Dann rückten sie wieder langsam und vorsichtig vor.

Wir waren jetzt beinahe eine Viertelstunde bei der Arbeit gewesen und die Mauer nahezu drei Fuß hoch.

Dann weckte ich Umslopogaas. Der große Mann stand auf, streckte sich und schwang Inkosi-Kaas um sein Haupt.

»Es ist gut,« sagte er, »ich fühle mich noch einmal jung. 349 Meine Stärke ist zu mir zurückgekehrt, wie eine Lampe aufflackert, ehe sie erlischt. Sei unbesorgt, ich werde einen guten Kampf kämpfen. Der Wein und der Schlaf haben mir ein neues Herz verliehen.

Macumazahn, ich habe einen Traum geträumt. Ich träumte, daß du und ich zusammen auf einem Stern standen und auf die Welt herabblickten, und du warst wie ein Geist, Macumazahn, denn Licht leuchtete durch dein Fleisch. Wie ich aber aussah, konnte ich nicht sehen. Unsere Stunde hat geschlagen, alter Jäger. So sei es. Wir haben unsere Zeit gehabt, doch wünsche ich, daß ich noch mehr solcher Kämpfe wie gestern gesehen hätte.

Man begrabe mich nach der Sitte meines Landes, Macumazahn, und richte meine Augen nach Sululand« Und er nahm meine Hand schüttelte sie und trat dem anrückenden Feind entgegen.

In jenem Augenblick kletterte, sehr zu meinem Erstaunen, der Zu-Vendi-Offizier Kara in seiner ruhigen bestimmten Weise über unsere improvisierte Mauer und stellte sich, sein Schwert ziehend, neben den Sulu.

»Was, kommst auch du?« lachte der alte Krieger. »Willkommen, tapferes Herz. Oh, wir sind bereit! Wir wetzen unsere Schnäbel wie die Adler, unsere Speere blitzen in der Sonne! Wir schütteln unsere Assagais und hungern nach Kampf! Wer kommt, um der Häuptlingin (Inkosi-Kaas) seinen Gruß darzubringen? Wer hat Sehnsucht nach ihrem Kuß, deren Frucht der Tod ist? Ich, der Baumwürger, ich, der Schlächter, ich, der Schnellfüßige! Ich, Umslopogaas, vom Stamme der 350 Maquisini, vom Volke der Amasulu, Hauptmann im Regiment der Nkomabakosi; ich Umslopogaas, der Sohn Indabazimbis, des Sohnes Arpis, des Sohnes Mosilikaatzes, ich, von dem königlichen Blute T'Chakas, ich, aus dem Königshause, ich, der Mann mit dem Ring, ich, der Induna, schreie zu ihnen, wie ein Hirsch schreit. Ich fordere sie heraus, ich erwarte sie. Uh! Du bist es, du bist es!«

Als er sprach, oder richtiger gesagt, sein wildes Kriegslied sang, stürmten die bewaffneten Männer, unter denen ich in dem Zwielicht sowohl Nasta wie Agon erkannte, die Treppe herauf, ein großer, mit einem schweren Speer bewaffneter Bursche eilte, seinen Kameraden voran, die zehn halbkreisförmigen Stufen in die Höhe und stieß mit seinem Speer nach dem Sulu. Umslopogaas bog aber geschickt aus, so daß der Stoß ihn verfehlte, im nächsten Augenblick krachte Inkosi-Kaas durch Kopf, Haar und Schädel, und des Mannes Körper rasselte die Stufen hinunter. Dabei fiel ihm sein runder Hippopotamus-Schild aus der Hand auf den Marmor und der Sulu nahm ihn schnell auf, immer noch dabei sein Kriegslied singend.

In der nächsten Sekunde hatte der kecke Kara gleichfalls einen Mann erschlagen, und nun begann ein Auftritt, der schwerlich seinesgleichen findet. Die Angreifer stürzten herauf, einer, zwei, drei auf einmal, und so schnell sie kamen, krachte auch die Axt, sauste das Schwert nieder, und tot oder sterbend rollten sie wieder die Treppe herunter. Und je heftiger der Kampf wurde, um so stärker schien der Arm des alten Sulu und um so sicherer 351 sein Auge zu werden. Er stieß sein Kriegsgeschrei aus, rief die Namen der Häuptlinge, die er getötet hatte, und hageldicht sausten die Hiebe seiner furchtbaren Axt nieder, alles entzweispaltend, auf das sie fielen. Von seiner wissenschaftlichen Methode, auf die er sich so viel einbildete, war in diesem seinem letzten unsterblichen Kampf wenig zu merken. Er hatte keine Zeit dazu, sondern gebrauchte seine ganze Kraft; und bei jedem Hiebe sank ein Mann auf seinen Platz nieder und rollte die Marmorstufen herab.

Sie hackten und hieben mit Schwertern und Speeren auf ihn los und verwundeten ihn an zwölf verschiedenen Stellen, bis er ganz von Blut überströmt war. Der Schild schützte aber sein Haupt und das Kettenhemd seinen Körper, und so behauptete er, von dem tapferen Zu-Vendi unterstützt, noch immer die Treppe.

Da Karas Schwert zuletzt zerbrach, umschlang er einen Feind und rollte mit ihm die Stufen herunter. Er starb, von feindlichen Speeren durchbohrt.

Umslopogaas war jetzt allein; aber er wankte und wich nicht. Seinen wilden Sulukriegsruf ausstoßend, schlug er einen Feind nieder und noch einen und wieder einen, bis diese sich schließlich von den schlüpfrigen, blutüberströmten Stufen zurückzogen und ihn erstaunt anstarrten, da er ihnen nicht wie ein Sterblicher erschien.

Die Marmormauer war jetzt vier Fuß sechs Zoll hoch, und neue Hoffnung stieg in meinem Herzen auf, als ich, ein hilfloser, elender Klotz, dagegen lehnte, die Zähne aufeinanderbiß und dem übermenschlichen Kampf zuschaute. Mehr konnte ich nicht tun, da ich in der Schlacht meinen Revolver verloren hatte. 352

Auch der alte Umslopogaas lehnte sich auf seine gute Axt und verhöhnte, obwohl von seinen Wunden geschwächt, seine Gegner, er nannte sie Weiber – der wunderbare alte Krieger, der es allein mit so vielen aufnahm! Und eine geraume Weile wollte, ungeachtet der Zurufe Nastas, keiner es mit ihm aufnehmen, bis endlich Agon, der, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ein tapferer Mann war, in seiner Wut, daß ihm durch den Bau der jetzt beinahe fertiggestellten Mauer die schon sicher geglaubte Beute entgehen würde, mit gezücktem Schwert wie toll die bluttriefenden Stufen hinaufstürmte.

»Ach, ach,« rief der Sulu, als er den langen weißen Bart des Priesters erkannte, »du bist es, alter ›Hexenfinder‹! Nur heran, ich erwarte dich, ›weißer Medizinmann‹. Heran! heran! Ich habe geschworen, dich zu töten, und ich halte stets mein Wort.«

Der Priester nahm den Sulu beim Wort und schleuderte den großen Speer mit solcher Wut gegen Umslopogaas, daß er durch den dicken Schild hindurchdrang und ihn am Nacken verwundete. Der Sulu warf den jetzt nutzlos gewordenen Schild nieder, und das war Agons letzter Augenblick, denn ehe er noch seinen Speer wieder in seine Hände bekommen konnte, packte Umslopogaas mit dem Schrei: »Jetzt, Regenmacher, ist es aus mit dir,« Inkosi-Kaas mit beiden Händen, schwang die Axt hoch empor und ließ sie dann auf das ehrwürdige Haupt seines Gegners niederfallen, so daß Agon zu den Leichnamen der anderen Mörder herunterrollte, und es mit ihm und seinen Plänen für immer aus war. In dem Augenblick seines Falles erscholl lautes Geschrei 353 am Fuße der Treppe, und durch den noch offenen Teil der Tür sahen wir bewaffnete Männer zu unserer Hilfe herbeieilen, und riefen eine Antwort auf ihr Geschrei zurück. Da wandten sich die am Leben gebliebenen Mörder auf der Treppe, unter denen wir verschiedene Priester bemerkten, zur Flucht, sie wurden jedoch erschlagen, da ihnen jeder Ausweg versperrt war. Ein Mann allein blieb zurück, und das war der große Häuptling Nasta, der Bewerber um Nylepthas Hand und Anstifter des Komplottes. Einen Augenblick lang stand der schwarzbärtige Nasta, auf sein langes Schwert gelehnt, mit gebeugtem Haupt wie verzweifelt da. Dann stürmte auch er mit einem schrecklichen Schrei hinauf gegen den Sulu und versetzte ihm, sein glänzendes Schwert schwingend, unterhalb seines Eisenhemdes einen solch mächtigen Hieb, daß der schwarze Stahl durch den Kettenpanzer und tief in Umslopogaas' Seite eindrang. Der Sulu war einen Augenblick wie völlig gelähmt und ließ seine Axt fallen.

Wiederum sein Schwert erhebend, sprang Nasta jetzt vor, um seinem Gegner den Todesstoß zu versetzen. Da kannte er den Sulu aber schlecht. Mit einem Wutschrei nahm dieser sich zusammen und sprang Nasta grade an den Hals, wie ich ähnlich auch schon verwundete Löwen habe springen sehen. Seine langen Arme wie eiserne Bänder um ihn schlingend, rollte er mit dem sich vergeblich zur Wehr Setzenden die Treppe hinunter. Nasta war ein starker Mann und die Verzweiflung verlieh ihm neue Kräfte. Er konnte es aber nicht mit dem stärksten Mann aus Sululand aufnehmen, dessen Stärke ungeachtet seiner 354 Verwundung der eines Ochsen glich. In einer Minute war das Ende des Kampfes da. Ich sah den alten Umslopogaas sich aufrichten, den sich sträubenden Nasta mit einer einzigen Riesenanstrengung hochheben und mit einem Triumphgeschrei über den Rand der Brücke schleudern, so daß er auf dem zweihundert Fuß tiefer liegenden Felsen zu Brei zermalmt niederfiel.

Der Entsatz, den das Mädchen herbeigeholt hatte, das vor der Ankunft der Mörder die Treppe heruntereilte, war zur Hand, und das laute Geschrei, das uns von den Außentoren erreichte, verriet uns, daß auch die Stadt sich in Aufruhr befand, und die von den Hofdamen geweckten Männer Einlaß begehrten. Einige von Nylepthas tapferen Damen, die in Nachtgewändern und mit aufgelöstem Haar, grade wie sie aus ihren Betten aufgesprungen waren und den Türverschluß hatten erbauen helfen, liefen nach dem Seiteneingang, um sie hereinzulassen, während andere, durch die die Treppe hinaufgekommenen Freunde verstärkt, die mit so viel Mühe aufgeschichteten Marmorblöcke wieder herunterrissen.

Bald war die Tür frei, und herein taumelte, von der Retterschar gefolgt, der alte Umslopogaas – eine schreckliche und dabei doch prachtvolle Gestalt. Er bestand aus einer einzigen Masse von Wunden, und ein Blick auf sein wildes Auge verriet mir, daß er starb. Der Gummiring auf seinem Haupt war durch Schwerthiebe zerschlagen, wovon einer ihn grade über dem sonderbaren Loch in seinem Schädel getroffen hatte, und das Blut strömte aus den Wunden sein Gesicht herab. Er hatte 355 ferner an der rechten Seite seines Halses eine Speerwunde von Agon davongetragen. Dazu kam noch ein tiefer Hieb auf seinem linken Arm, grade unterhalb der Stelle, wo der Panzerärmel aufhörte, und auf der rechten Seite seines Körpers wies der Panzer einen sechs Zoll langen Spalt auf, durch den Nastas mächtiges Schwert bis tief in den Sitz des Lebens gedrungen war.

Der furchtbar aussehende prachtvolle Wilde taumelte, die Axt in der Hand, vorwärts und die Damen vergaßen ihr Entsetzen über das blutige Bild und jubelten ihm, wozu sie auch allen Anlaß hatten, dankbar zu. Doch hielt er nicht an, noch gab er acht auf sie. Mit ausgestreckten Armen und schwankendem Schritt setzte er, von uns allen gefolgt, seinen Weg über den breiten mit Muscheln bedeckten Pfad durch den Hof fort, ging vorüber an der Stelle, wo die Marmorblöcke lagen, durch den runden gewölbten Torweg und zwischen den dicken Vorhängen hindurch, den kurzen Gang hinunter und in den großen Saal hinein, der sich jetzt mit hastig bewaffneten Männern füllte, die durch den Seiteneingang hereinströmten. Auf dem Marmorboden einen blutigen Streifen hinter sich lassend, schritt er gradeaus durch den Saal, bis er zuletzt den heiligen Stein in der Mitte erreichte, wo ihn seine Kraft zu verlassen schien, denn er hielt an und lehnte sich gegen seine Axt. Dann erhob er plötzlich seine Stimme und schrie laut auf:

»Ich sterbe, ich sterbe – es war jedoch ein königlicher Kampf. Wo sind sie, die die große Treppe hinaufkamen? Ich sehe sie nicht. Bist du da, Macumazahn, oder bist du vorausgegangen, 356 um in dem Dunkel, wohin ich gehe, auf mich zu warten? Das Blut blendet mich – der Raum dreht sich um mich – ich höre das Rauschen der Wasser.«

Dann hob er, wie wenn ihm ein neuer Gedanke gekommen sei, die blutige Axt in die Höhe und küßte die Klinge.

»Lebe wohl, Inkosi-Kaas,« rief er. »Nein, nein, wir wollen zusammengehen, wir, du und ich, können uns nicht trennen, denn dazu haben wir zu lange miteinander gelebt.

Ein Streich noch, nur einer noch! Ein guter Streich, ein grader Streich, ein starker Streich!« Und sich mit einem wilden, herzerschütternden Schrei in seiner vollen Höhe aufrichtend, begann er mit beiden Händen die Axt um seinen Kopf zu wirbeln, bis sie nur noch wie ein Kreis aus flammendem Stahl aussah. Dann plötzlich ließ er sie mit furchtbarer Gewalt grade auf den heiligen Stein niedersausen. Ein Schauer von Funken sprühte empor, und so groß war die fast übermenschliche Kraft des Hiebes, daß der massive Marmor krachend in eine Unmenge kleiner Stücke zersplitterte, während von Inkosi-Kaas nur noch einige Stücke Stahl und ein kleiner Rest von dem Horn, das einst der Griff gewesen war, übrig blieben. Krachend fielen die Reste des heiligen Steines auf den Boden und über sie fiel, den Knauf von Inkosi-Kaas noch immer in der Hand, der tapfere, alte Sulu tot nieder.

So starb der Held.

Ein Schrei der Verwunderung und des Erstaunens entrang sich allen Zeugen dieses außerordentlichen Vorganges. Da rief 357 jemand aus: »Die Prophezeiung! Die Prophezeiung! Er hat den heiligen Stein zerschmettert!« Und sofort erhob sich lautes Stimmengeräusch.

»Ja,« sagte Nyleptha, »ja, mein Volk, er hat den Stein zerschmettert und siehe da! Die Prophezeiung ist in Erfüllung gegangen, denn ein fremdländischer König herrscht jetzt in Zu-Vendis. Mein Gemahl Incubu hat Sorais zurückgeschlagen, so daß ich sie nicht mehr zu fürchten habe, und sicherlich soll die Krone dem, der sie gerettet hat, auch gehören. Und dieser Mann,« wandte sie sich zu mir und legte mir die Hand auf die Schulter, »wisset, daß er, obwohl in dem gestrigen Kampfe verwundet, mit dem alten Krieger, der dort liegt, zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang einhundert Meilen geritten ist, um mich vor den Anschlägen grausamer Menschen zu retten. Ja, und er hat mich im Augenblick der höchsten Gefahr gerettet. Und um der Taten willen, die sie getan haben – Ruhmestaten, wie sie unsere Geschichte nicht aufzuweisen hat – um dieser Taten willen, sage ich, daß der Name Macumazahn und der Name des toten Umslopogaas und auch der Name meines Dieners Kara, der ihm in der Verteidigung der Treppe beistand, in goldenen Buchstaben über meinem Thron eingegraben werden, und für immer, solange das Land besteht, mit Ehrfurcht genannt werden sollen. Ich, die Königin, habe es gesagt.«

Diese, von Herzen kommende Rede wurde mit lautem Beifall aufgenommen, und ich entgegnete, daß wir schließlich doch nur unsere Schuldigkeit getan hätten, wie es bei Engländern und 358 Sulu Sitte sei, und daß es sich gar nicht verlohne, so viel Aufhebens davon zu machen. Sie jubelten darauf nur noch mehr und trugen mich dann quer über den äußeren Vorhof nach meiner alten Wohnung, um mich dort zu Bett zu bringen. Auf dem Wege dorthin fiel mein Blick auf das brave Pferd »Taglicht«, das noch genau so auf dem Pflaster lag, wie es am Morgen niedergefallen war, und ich gebot meinen Trägern, mich zu ihm zu tragen, um das gute Tier noch einmal anzusehen, ehe es fortgeschafft wurde. Als ich hinsah, schlug es zu meinem Erstaunen seine Augen auf, hob den Kopf ein wenig in die Höhe und wieherte schwach. Ich hätte vor Freude, daß es nicht tot war, laut aufschreien können, nur versagte mir unglücklicherweise die Stimme. Es wurden aber sofort Diener herbeigeholt, »Taglicht« fortgetragen und ihm Wein zu trinken gegeben. Vierzehn Tage darauf war es so munter und stark wie je zuvor und ist die Freude und der Stolz der ganzen Bewohner von Milosis, die, wenn immer sie es sehen, es den kleinen Kindern als das Pferd zeigen, das der weißen Königin das Leben gerettet hat.

Dann brachte man mich zu Bett, wusch mich und zog mir das Panzerhemd aus. Ich stand dabei große Schmerzen aus, was kaum wundernehmen konnte, denn auf meiner linken Brust und Seite war eine schwarze Beule von der Größe einer Untertasse.

Das Nächste, dessen ich mich erinnere, war, etwa zehn Stunden darauf, der Galopp einer Reiterschar, die vor der Palastmauer Halt machte. Ich richtete mich auf und fragte, welche Neuigkeit sie brächten, worauf ich vernahm, daß eine von Curtis 359 der Königin zu Hilfe gesandte starke Abteilung Reiterei soeben von dem Schlachtfeld eingetroffen sei, das sie zwei Stunden nach Sonnenuntergang verlassen hätte. Als sie aufgebrochen sei, hätten sich die Trümmer von Sorais' Armee, von unserer ganzen verfügbaren Reiterei verfolgt, in vollem Rückzug auf Marstuna befunden. Sir Henry habe mit den Resten seiner ermüdeten Truppen auf dem Platz – so wechselt das Kriegsglück – den Sorais die Nacht zuvor eingenommen, sein Lager aufgeschlagen und beabsichtigte am Morgen gegen Marstuna zu rücken. Nachdem ich dies vernommen, fühlte ich, daß ich leichten Herzens sterben konnte, und dann wurde alles um mich herum schwarz.

Als ich die Augen wieder aufschlug, war das erste, was ich sah, ein mir wohlbekanntes rundes Glas, das mich anblickte.

»Wie befinden Sie sich, alter Junge?« sagte eine Stimme in der Nachbarschaft dieses Glases.

»Was tun Sie hier?« fragte ich schwach. »Sie sollten in Marstuna sein – sind Sie fortgelaufen oder was führt Sie hierher?«

»Marstuna,« erwiderte er lustig, »Marstuna hat sich letzte Woche ergeben – Sie haben leider vierzehn Tage lang ohne Bewußtsein dagelegen. Die Übergabe erfolgte unter schmetternden Trompeten und mit fliegenden Bannern, fast als ob sie die Sieger gewesen seien. Sie waren aber trotzdem froh, aus der Falle herauszukommen. Israel strömte nach seinen Zelten – das kann ich Sie versichern, ich habe nie zuvor in meinem Leben solchen Anblick gesehen.« 360

»Und Sorais?« fragte ich.

»Sorais – oh, Sorais ist gefangen. Sie lieferten sie aus, die Halunken,« fügte er mit verändertem Tone hinzu – »gaben die Königin preis, um ihr eigenes liebes Fell in Sicherheit zu bringen. Sie wird hierher gebracht, und ich weiß nicht, was mit ihr geschehen wird. Arme Seele!« und er seufzte.

»Wo ist Curtis?« fragte ich.

»Er ist bei Nyleptha. Sie ritt heute aus, um ihn einzuholen, und es gab eine großartige Feier. Er wird Sie morgen besuchen, da die Doktoren (es gibt in Zu-Vendis wie in andern Ländern eine medizinische ›Fakultät‹) es für gefährlich hielten, wenn er heute käme.«

Ich entgegnete nichts, dachte bei mir aber, daß er mir unbeschadet aller Doktoren hätte wohl einen Augenblick schenken können. Wenn ein Mann indes jung verheiratet ist und soeben einen großen Sieg errungen hat, neigt er dazu, auf den Rat der Doktoren zu hören, und hat ganz recht, wenn er es tut.

Grade in diesem Augenblick hörte ich eine bekannte Stimme sagen: »Monsieur mußt' sich jetzt hinlegen,« und sah, um mich blickend, Alfonsens Riesenschnurrbart sich in die Ferne verlieren.

»Sie sind also auch hier?« sagte ich.

»Mais oui, Monsieur. Der Krieg ist jetzt zu Ende, unsere militärischen Begierden sind befriedigt, und ich bin zurückgekehrt, um Monsieur zu pflegen.«

Ich lachte, oder richtiger gesagt, versuchte zu lachen. Was immer aber auch Alfons' Schwächen als Krieger gewesen sein 361 mögen (und ich fürchte sehr, daß er in dieser Hinsicht nicht ganz das Vorbild seines heroischen Großvaters erreicht hat), einen besseren oder freundlicheren Wärter hat es nie gegeben. Armer Alfons! Ich hoffe, er wird sich meiner stets so gern erinnern wie ich mich seiner.

Am nächsten Morgen kamen Curtis und Nyleptha zu mir und er erzählte mir die ganze Geschichte des Krieges von dem Augenblick an, wo Umslopogaas und ich aus der Schlacht galoppierten, um das Leben der Königin zu retten. Es schien mir, als ob er seine Sache recht gut gemacht und sich als tüchtiger General bewiesen habe. Unsere Verluste sind natürlich außerordentlich schwer gewesen, so schwer, daß ich mich scheue, die genaue Zahl derer, die in der verzweifelten Schlacht umkamen, anzugeben; das aber weiß ich, daß das Gemetzel die männliche Bevölkerung des Landes stark verringert hat. Er freute sich wirklich sehr, daß er mich wiedersah – guter alter Freund! – und dankte mir mit Tränen in den Augen für das Wenige, das ich habe für ihn tun können. Ich sah ihn aber heftig zusammenfahren, als sein Blick auf mein Gesicht fiel.

Was Nyleptha anbetraf, so strahlte sie gradezu vor Entzücken, daß ihr »lieber Gemahl« mit keiner andern Verwundung als einer häßlichen Narbe auf der Stirn zurückgekommen war. Ich glaube nicht, daß sie das ganze furchtbare Gemetzel überhaupt gegen diese eine Tatsache ins Gewicht fallen ließ oder daß der Gedanke daran ihre Freude nur im mindesten trübte. Und ich vermag sie deswegen nicht zu tadeln, da es in der Natur 362 liebender Frauen liegt, alle Dinge durch die Brille ihrer Liebe anzusehen und sie das Elend vieler gering schätzen, wenn nur das Glück des einen gesichert ist.

»Und was wirst du mit Sorais anfangen?« fragte ich sie.

Sofort verfinsterte sich ihr Blick.

»Sorais,« sagte sie, mit dem Fuße aufstampfend, »was mit ihr?«

Sir Henry beeilte sich, zu einem andern Gegenstand überzugehen.

»Sie werden bald wieder auf den Beinen und wohl und munter sein,« sagte er.

Ich schüttelte den Kopf und lachte.

»Täuschen Sie sich doch nicht,« entgegnete ich. »Ich mag vielleicht noch eine kleine Weile herumhumpeln, werde mich aber nie mehr erholen. Ich bin ein Sterbender, Curtis. Ich sterbe vielleicht langsam, aber ich sterbe. Wissen Sie, daß ich den ganzen Morgen Blut gespuckt habe? Ich sage Ihnen, ich fühle es in meiner Lunge arbeiten. Schauen Sie nicht so traurig aus. Ich habe meinen Tag gehabt und bin bereit, zu scheiden. Bitte, geben Sie mir doch den Spiegel da, ich möchte mich einmal ansehen.«

Er gebrauchte anfänglich eine Ausflucht, die ich aber durchschaute, und da ich mein Verlangen wiederholte, gab er mir schließlich eine jener polierten Silberscheiben, die, in Holz gefaßt, den Zu-Vendi als Spiegel dienen. Ein flüchtiger Blick und ich legte ihn wieder nieder.

»Ah,« sagte ich ruhig, »ich dachte es mir, und Sie wollen mir 363 weismachen, daß ich wieder gesunden werde!« Ich wollte sie nicht sehen lassen, wie entsetzt ich in Wahrheit über mein Aussehen war. Mein struppiges graues Haar war schneeweiß geworden und mein gelbes Gesicht wie das einer alten Frau zusammengeschrumpft, dazu lagen zwei tiefe Purpurringe unter meinen Augen.

Nun begann Nyleptha zu weinen und Sir Henry wandte sich wieder einem andern Gegenstand zu, indem er mir erzählte, daß die Künstler einen Abdruck von der Leiche des alten Umslopogaas angefertigt hätten und daß ihm ein großes Denkmal in schwarzem Marmor gesetzt werden solle, das ihn in dem Augenblick darstellt, wo er den heiligen Stein zerschmettert. Ein Gegenstück dazu solle ein Denkmal aus weißem Marmor werden, das mich und das Pferd »Taglicht« verkörpert, wie es am Ende jenes wilden Rittes auf dem Vorhofe des Palastes unter mir zusammenbricht. Ich habe inzwischen beide Denkmäler gesehen, die in dem Augenblick, wo ich diese Zeilen schreibe, d. h. sechs Monate nach der Schlacht, beinahe fertiggestellt sind. Sie sind recht hübsch, besonders das von Umslopogaas, das ihm sehr ähnlich sieht. Auch mein Denkmal nimmt sich ganz gut aus, nur hat man mein häßliches Gesicht ein wenig idealisiert, was aber nichts schadet, da ja Tausende es in den kommenden Jahrhunderten anschauen werden und es nicht angenehm ist, ein häßliches Gesicht anzublicken.

Dann erzählte man mir auch, daß Umslopogaas' letzter Wunsch ausgeführt worden sei, und daß er, statt verbrannt zu 364 werden, wie es hier Sitte ist und wie man es mit meiner Leiche tun wird, nach Suluart in sitzender Stellung, die Knie unter dem Kinn zusammengebunden und in einen dünnen goldenen Überzug gehüllt, oben auf der Treppe, die er so heldenmütig verteidigte, in einer aus dem Felsen gemeißelten Gruft beigesetzt sei. Das Antlitz nach Sululand gewandt, sitzt er dort und wird dort sitzen in alle Ewigkeit, denn sie balsamierten seinen Körper mit Gewürzen und setzten ihn in einen luftdichten Steinsarg. So hält er jetzt Wache unter der Stelle, die er allein gegen so viele verteidigte, und die Leute sagen, daß sein Geist in der Nacht umgehe und den Schatten von Inkosi-Kaas gegen feindliche Schatten erhebe. Sicher ist es, daß sie sich fürchten, während der Nacht an der Stelle, wo der Held begraben ist, vorüber zu gehen.

Seltsamerweise ist in dem Land auch eine neue Prophezeiung auf jene rätselhafte Weise entstanden, wie solche Legenden unter halbzivilisierten Völkern immer entstehen, kein Mensch weiß, woher sie kommen. Nach dieser Legende wird, so lange der alte Sulu dort oben sitzt und auf die Treppe herabblickt, die er bei Lebzeiten verteidigte, solange das neue aus der Verbindung des Engländers mit Nyleptha hervorgehende Haus der Treppe blühen und gedeihen. Wenn er aber von dort entfernt wird, oder wenn nach vielen Jahrhunderten seine Gebeine endlich in Staub zerfallen, so wird das Haus fallen und die Treppe fallen und das Volk der Zu-Vendi aufhören, ein Volk zu sein. 365

 


 << zurück weiter >>