Rider Haggard
Das unerforschte Land
Rider Haggard

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10. Kapitel

Die Feuerrose

Vorwärts, immer vorwärts flogen wir in der mächtigen Strömung, bis ich endlich bemerkte, daß das Tosen des Wassers nicht mehr halb so betäubend wie zu Anfang war. Ich schloß daraus, daß unser Kann jetzt mehr Spielraum haben müßte, wodurch das Echo sich freier entwickeln konnte. Weit deutlicher hörte ich auch Alfonsens Geheul, das sich aus dem sonderbarsten Gemisch von Gebeten zu Gott und Anrufungen an seine geliebte Annette zusammensetzte, das sich nur denken läßt. Um dem Geschrei ein Ende zu machen, nahm ich ein Ruder in die Hand und stieß ihn damit derbe zwischen die Rippen, worauf er in dem Glauben, daß sein letztes Stündlein geschlagen habe, noch lauter heulte als zuvor. Dann richtete ich mich langsam und behutsam auf meinen Knien auf und hielt meine Hand in die Höhe, fühlte aber kein Dach. Nun nahm ich das Ruder und hielt es so hoch, wie ich nur konnte, aber mit dem gleichen Ergebnis. Ich stieß auch wagrecht nach rechts und links damit, berührte aber nichts als Wasser. Dann erinnerte ich mich, daß sich in dem Boot unter den uns noch gebliebenen Habseligkeiten eine Blendlaterne und eine Kanne mit Öl befanden. Ich tastete um mich, 154 fand sie auch, zündete sie an und ließ das Licht in das Innere des Bootes fallen. Zufällig beleuchtete der Schein zuerst das weiße erschrockene Gesicht unseres Alfons, der in dem Glauben, daß nunmehr alles vorüber sei und er bereits den Anfang der himmlischen Wunder sehe, einen schrecklichen Schrei ausstieß und sich nur schwer mit dem Ruder wieder beruhigen ließ. Was die drei andern anbetraf, so lag Good glatt auf seinem Rücken und blickte, das Einglas noch immer in seinem Auge, starr nach oben in die Dunkelheit. Sir Henry ruhte mit seinem Haupte auf der Ruderbank des Kanus und hatte eine Hand im Wasser, um die Geschwindigkeit unseres Laufes zu messen. Als aber die Lichtstrahlen auf den alten Umslopogaas fielen, hätte ich beinahe laut aufgelacht. Wie ich schon sagte, hatten wir das Viertel eines gebratenen Wasserbocks bei uns an Bord. Als wir uns alle niedergeworfen hatten, um nicht durch einen Zusammenstoß mit der Felsdecke aus dem Boot in das Wasser geschleudert zu werden, war Umslopogaas diesem Braten ganz bedenklich nahe gekommen, was ihn wohl, nachdem er sich ein wenig von seinem ersten Schrecken erholt hatte, auf den Gedanken brachte, daß er hungrig sei. Er schnitt sich deshalb kaltblütig mit Inkosi-Kaas ein Schnitzel ab, das ihm nach seinen vollen, emsig kauenden Backen zu schließen, ganz vortrefflich schmecken mußte. Er dachte, wie er mir später erklärte, daß eine lange Reise vor uns läge, und zog es vor, sie mit vollem Magen anzutreten. Er erinnerte mich an die Leute, die gehängt werden sollen, und die vorher noch, wie es in den Zeitungen heißt, ein vortreffliches Frühstück zu sich nehmen. 155

Nachdem ich das Licht angezündet hatte, schafften wir zunächst Alfons in das Hinterteil des Bootes. Um ihn zu beruhigen, mußten wir allerdings die fürchterliche Drohung aussprechen, daß, wenn er uns noch fernerhin die Dunkelheit durch sein entsetzliches Geschrei unerträglich mache, wir ihn für immer von seiner Angst befreien und dem Wakwafi nachsenden würden, so daß er dann in einer andern Welt auf Annette warten könnte. Dann berieten wir uns über die Lage, so gut es ging. Zuerst richteten wir jedoch auf Goods Rat, um uns nicht durch eine plötzliche Senkung der Decke der Höhle überraschen zu lassen, vorn am Bug zwei Ruder mastartig in die Höhe. Es war uns klar, daß wir uns in einem unterirdischen Flusse, oder wie Alfons ihn bezeichnete, in einem »großen Abzugskanal« befanden, in den sich die überflüssigen Wasser des Sees leerten. Solche Flüsse gibt es bekanntlich in allen Teilen der Welt, nicht oft aber haben Forscher das Unglück gehabt, sie persönlich zu bereisen. Daß der Fluß breit war, konnten wir deutlich sehen, da das Licht unserer Blendlaterne keines der beiden Ufer erreichte, obwohl wir gelegentlich, wenn der Strom uns nach der einen oder andern Seite trieb, die Felsendecke des Tunnels erkennen konnten, die sich nach unserer Schätzung etwa fünfundzwanzig Fuß über unserem Haupte wölbte. Was den Strom selbst anbetraf, so berechnete Good, daß er eine Geschwindigkeit von acht Knoten in der Stunde besaß und zum Glück für uns, wie gewöhnlich, in der Mitte am stärksten floß. Trotzdem war es unsere erste Handlung, vorn am Bug bei der Laterne eine Wache aufzustellen, die, 156 mit einer Stange in der Hand, dafür sorgen sollte, daß wir nicht gegen die Wände der Höhle oder einen vorspringenden Felsen antrieben. Da Umslopogaas seine Mahlzeit schon verzehrt hatte, übernahm er die erste Wache. Dies war, mit einer Ausnahme, alles, was wir einstweilen für unsere Sicherheit tun konnten. Die Ausnahme bestand darin, daß ein zweiter von uns am Heck mit einem Ruder Platz nahm, um damit das Boot so gut wie möglich zu steuern. Sobald dies besorgt war, nahmen wir von dem kalten Braten ein ziemlich knappes Mahl zu uns – wir wußten ja nicht, wie lange wir damit auszukommen hatten – und dann gab ich in etwas besserer Stimmung als zuvor meine Ansicht kund, daß ich nämlich unsere Lage, so bedenklich sie auch aussah, nicht für ganz hoffnungslos hielt, es sei denn, daß die Eingeborenen recht hätten und der Fluß sich direkt in das Innere der Erde stürze. War dies aber nicht der Fall, so lag es auf der Hand, daß er irgendwo, wahrscheinlich auf der andern Seite des Gebirges, wieder zum Vorschein kommen mußte. Im Hinblick auf diese Möglichkeit hatten wir eigentlich an nichts anderes zu denken, als am Leben zu bleiben, bis wir dort ankamen, wo immer dieses »dort« auch liegen mochte. Andererseits war es aber wiederum sehr wohl möglich, wie Good kläglich bemerkte, daß hundert unerwartete Schrecken unserer harrten – oder der Fluß sich so lange im Innern der Erde hinzog, bis er eintrocknete, in welchem Falle unser Schicksal allerdings ein schauriges war.

»Hoffen wir also das Beste und bereiten wir uns auf das Schlimmste vor,« sagte Sir Henry, der, immer gut aufgelegt 157 und tapfer, in der Zeit der Not ein wirklicher Turm der Stärke ist. »Wir sind bereits aus so vielen sonderbaren Lagen mit heiler Haut davongekommen, daß ich fast glauben möchte, daß wir uns auch aus dieser wohlbehalten herausziehen werden.«

Dies war ein vorzüglicher Rat, den jeder von uns auf seine besondere Weise beherzigte – das heißt Alfons ausgenommen, der jetzt in eine Art Schreckensstarre versunken war. Good saß am Steuer und Umslopogaas vorn am Bug, so daß Sir Henry und mir nichts anderes übrig blieb, als uns der Länge nach hinzulegen und nachzudenken. Sicherlich war es eine merkwürdige, ja unheimliche Lage, in der wir uns befanden – auf den Wellen eines stygischen Flusses durch das Innere der Erde dahinzujagen, und Curtis hatte nicht so unrecht, wenn er uns mit jenen Seelen verglich, die von Charon in die Unterwelt gerudert wurden. Wie finster es war! Der schwache Schein unserer Lampe ließ uns das Dunkel um uns herum nur um so mehr empfinden. Wachsam und unverdrossen saß dort am Bug, das Ruder in der Hand, der alte Umslopogaas, und in dem Schatten hinter mir unterschied ich noch grade Goods Gestalt, der unverwandt nach dem Schein der Laterne blickte, um danach seinen Kurs zu richten, und dann und wann sein Ruder in das Wasser tauchte.

»In der Tat, Allan, alter Junge,« dachte ich bei mir, »du bist ausgezogen, um Abenteuer zu suchen, und hast sicherlich deinen guten Anteil davon abbekommen. Und das bei deinen grauen Haaren! Schämen solltest du dich. Sonderbarerweise tust du das aber nicht, vielleicht wirst du, so furchtbar die Lage auch 158 ist, dich doch noch unversehrt aus ihr herauswinden, und wenn nicht, nun dann kannst du daran nichts ändern. Schließlich ist ein unterirdischer Fluß noch gar kein so schlechter Begräbnisplatz.«

Ich muß gestehen, daß unsere Nerven anfänglich schrecklich angespannt waren. Selbst für die kaltblütigste und erfahrenste Person ist es keine Kleinigkeit, wenn sie von einer Stunde zur andern nicht weiß, ob sie die nächsten fünf Minuten noch überleben wird. Da es in der Welt aber nichts gibt, an das man sich nicht gewöhnen könnte, so gewöhnten wir uns nach und nach auch an diesen Zustand. Obwohl zweifellos natürlich, war unsere Angst im Grunde genommen unlogisch, da wir ja nie, selbst wenn wir in einem wohlgebauten Hause sitzen und zwei Schutzleute unter unsern Fenstern patrouillieren, wissen, was uns die nächste Minute bringen mag oder wie lange wir noch zu leben haben. Es ist alles wohlweislich für uns eingerichtet, meine Söhne – wozu uns da also mit selbstquälerischen Gedanken peinigen?

Es war beinahe Mittag gewesen, als unser Sprung in die Dunkelheit vor sich ging, und um zwei Uhr hatten wir unsere Wache (Good und Umslopogaas) auf ihre Posten gestellt, wo sie auf gemeinsamen Beschluß fünf Stunden ausharren sollten. Um sieben Uhr erfolgte daher die Ablösung. Sir Henry nahm den Platz vorn am Bug, und ich den am Steuer ein, während die beiden andern sich zum Schlafe niederlegten. Drei Stunden lang ging alles gut von statten, Sir Henry kam nur ein einziges Mal in die Lage, uns von der Wand abzustoßen, und ich selbst machte die Bemerkung, daß nur wenig Steuern notwendig war, 159 um im Kurse zu bleiben, da die heftige Strömung schon ganz allein dafür sorgte, wenngleich unser Kanu zuweilen das Bestreben verriet, zu wenden und sich quer forttreiben zu lassen. Davor mußten wir uns natürlich in acht nehmen. Am sonderbarsten bei diesem ganz wunderbaren Fluß erschien mir das eine: Wie blieb die Luft frisch? Sie war ja zweifellos dumpf und dick, keineswegs aber schlecht oder auch nur besonders widerwärtig. Ich finde hierfür keine andere Erklärung, als daß dem Wasser des Sees genügend Luft innewohnte, um die Atmosphäre des Tunnels vor gänzlicher Stockung zu bewahren, und daß diese Luft während des reißenden Laufes des Stroms frei wurde. Natürlich spreche ich mit dieser Lösung des Rätsels nur meine eigene Ansicht aus, die vielleicht nicht viel wert ist.

Als ich etwa drei Stunden am Steuer zugebracht hatte, empfand ich eine entschiedene Veränderung der Temperatur; sie wurde immer wärmer. Anfänglich gab ich nicht acht darauf; als es aber nach Verlauf einer halben Stunde heißer und heißer wurde, rief ich Sir Henry an und fragte ihn, ob er dieselbe Wahrnehmung gemacht hätte oder ob es nur ein Trug meiner Einbildung sei: »Wahrgenommen!« antwortete er, »das will ich meinen. Ich schwitze ja wie in einem türkischen Bad.« In dem Augenblick erwachten, nach Luft schnappend, auch die andern und legten, um sich Erleichterung zu verschaffen, ihre Kleider ab. In dieser Hinsicht hatte es Umslopogaas besser als wir, da er, außer einem Lendentuch, nichts trug, das den Namen Kleidungsstück verdient hätte. 160

Heißer und immer heißer wurde es, bis wir zuletzt kaum noch atmen konnten, und der Schweiß uns in Strömen vom Leibe rann. Noch eine halbe Stunde verging, und obwohl jetzt gänzlich nackend, vermochten wir es doch kaum mehr zu ertragen. Es war in dem Tunnel heiß wie in einem Vorzimmer zu den höllischen Regionen. Ich tauchte meine Hand ins Wasser und zog sie fast mit einem Aufschrei wieder heraus – es kochte nahezu. Wir befragten ein kleines Thermometer, das wir bei uns hatten – das Quecksilber stand auf 40° Reaumur. Von der Oberfläche des Wassers stieg eine dichte Rauchwolke in die Höhe. Alphons stöhnte laut, daß wir bereits im Fegefeuer seien, was wir auch wirklich waren, wenn auch nicht in dem Sinne, wie er es meinte. Sir Henry vermutete, daß wir uns nicht weit von dem Sitze eines unterirdischen vulkanischen Feuers befänden, eine Meinung, der ich namentlich auch in Hinsicht auf meine spätern Beobachtungen beipflichten möchte. Meine Feder versagt mir tatsächlich den Dienst, wenn ich die Leiden beschreiben soll, die wir dann eine Zeitlang ausstanden. Wir schwitzten nicht mehr, denn aller Schweiß war aus uns herausgeströmt. Wir lagen einfach auf dem Boden des Bootes, das zu leiten wir jetzt körperlich außer stande waren, glühten wie heiße Kohlen, und standen wahrscheinlich dieselben Leiden aus, wie die armen Fische, wenn sie am Lande sterben – nämlich die eines langsamen Erstickungstodes. Unsere Haut begann zu platzen, und das Blut in unsern Köpfen wie der Hammer einer Dampfmaschine zu pulsieren.

Dies hatte einige Zeit gedauert, als der Fluß plötzlich eine 161 kleine Wendung machte und ich Sir Henry am Bug einen heisern Schrei der Überraschung ausstoßen hörte. Ich blickte auf und meinem Auge bot sich ein ebenso wunderbarer wie schauriger Anblick. Etwa eine halbe Stunde vor uns und ein wenig links von der Mitte des Stromes, der, wie wir jetzt deutlich sahen, ungefähr neunzig Fuß breit war, schlug von der Oberfläche des Wassers eine ungeheure beinahe weiße Flammensäule etwa fünfzig Fuß hoch in die Luft, bis sie die Decke berührte, sich dann in einem Durchmesser von etwa vierzig Fuß ausbreitete, und in feurigen, wie die Blätter einer erschlossenen Rose geformten Bögen wieder herabfiel. In der Tat erinnerte diese unheimliche Gasfontäne an nichts so sehr als an eine große feurige Blume, die dem Wasser entstieg. Unten war der etwa einen Fuß dicke gerade Stengel und darüber die schaurige Blüte. Wer aber vermöchte ihre furchtbare wilde Schönheit zu beschreiben? Ich sicherlich nicht. Obwohl wir jetzt noch fünfhundert Fuß von der Flammensäule entfernt waren, erstrahlte die ganze Höhle ungeachtet des Dampfes wie in klarem Tagesschein, und wir sahen, daß das an dieser Stelle etwa vierzig Fuß hohe Dach vom Wasser ganz glattgewaschen war. An den schwarzen Felsen bemerkte ich hier und dort große Adern glänzenden Erzes, die sich durch das Gestein zogen. Aus welchem Metall sie waren, weiß ich aber nicht.

Vorwärts rasten wir auf diese Feuersäule zu, die feuriger erglänzte, als irgendein je von Menschenhand angezündeter Hochofen.

»Rechts gesteuert, Quatermain, rechts!« rief Sir Henry 162 aus, und eine Minute darauf sah ich ihn besinnungslos zu Boden fallen. Alfons war bereits vor ihm in Ohnmacht gesunken. Dann folgte Good. Wie tot lagen sie vor mir da. Nur Umslopogaas und ich hielten uns noch aufrecht. Jetzt waren wir nur noch fünfzig Schritte von der Säule entfernt, und ich sah des Sulu Haupt auf seine Hände sinken. Auch ihn hatte die Besinnung verlassen und ich war jetzt allein. Ich konnte nicht mehr atmen, die Hitze hatte mich völlig ausgetrocknet. Weit um die Feuerrose herum war der Fels rotglühend – beinahe auch geriet das Holz des Bootes in Brand. Bei einem der toten Schwäne sah ich, wie sich die Federn kräuselten und zusammenzogen. Mit Gewalt hielt ich mich aber aufrecht. Ließ auch ich mich von der Hitze übermannen, so wußte ich, daß wir in einer Entfernung von nur drei oder vier Schritten an dem Gasspringbrunnen vorüberkommen und elendiglich sterben würden. Ich steuerte deshalb, das Ruder krampfhaft umklammernd, so weit wie möglich davon ab.

Meine Augen schienen mir aus dem Kopf springen zu wollen, und selbst durch meine geschlossenen Augenlider erkannte ich das feurige Licht. Nun waren wir ihm beinahe gegenüber, es brüllte wie alle Feuer der Hölle und ringsumher brodelte und schäumte es von dem kochenden Wasser. Noch fünf Sekunden. Wir waren vorüber, ich hörte das Gebrüll jetzt hinter mir.

Dann fiel auch ich besinnungslos nieder. Das nächste, dessen ich mich entsinne, war ein kühler Lufthauch, der mein Gesicht umfächelte. Meine Augen öffneten sich nur mit großer Mühe. Ich blickte auf. Weit, weit über mir schimmerte Licht, obwohl 163 um mich herum tiefes Dunkel herrschte. Dann kehrte mir die Erinnerung wieder. Das Kanu flog noch immer den Fluß entlang und vor mir lagen die nackten Gestalten meiner Begleiter. »Sind sie tot?« so fragte ich mich. War ich allein in dieser schaurigen Öde zurückgeblieben? Ich wußte es nicht. Dann wurde ich meines brennenden Durstes bewußt. Ich tauchte meine Hand über den Rand des Bootes ins Wasser und zog sie schnell wieder mit einem Schrei zurück. Kein Wunder das, da die Hitze mir von der Rückfläche fast die ganze Haut weggesengt hatte. Das Wasser war indes kalt und ich trank einen Liter nach dem andern, dann besprengte ich damit den ganzen Körper. Mein Leib zog die Flüssigkeit ein wie nach einer langen Dürre eine Ziegelmauer den Regen, an den verbrannten Stellen aber bereitete mir die Berührung mit dem Wasser empfindliche Schmerzen. Nun erinnerte ich mich auch der andern, schleppte mich mit großer Mühe zu ihnen und bespritzte sie mit dem kühlen Naß. Zu meiner Freude erholten sie sich wieder – zuerst Umslopogaas und dann die übrigen. Dann tranken sie und das Wasser verschwand in ihnen, wie wenn sie eine Anzahl großer Schwämme gewesen wären. Darauf fröstelte es uns – ein sonderbarer Gegensatz zu der kürzlich von uns ausgestandenen Höllenhitze – und wir zogen, so gut es ging, unsere Kleider wieder an. Während wir noch dabei waren, wies Good auf die Seite des Kanus hin, die dem Feuer zugewandt gewesen war. Sie war stark rissig und brüchig geworden und an einzelnen Stellen tatsächlich verkohlt. Wäre es von der leichten Bauart unserer zivilisierten Boote gewesen, 164 würden die Planken, so sagte Good, sicherlich auseinandergegangen sein und genug Wasser durchgelassen haben, um das Boot zum Sinken zu bringen. Zum Glück für uns war es aber aus dem geschmeidigen weidenartigen Holz eines einzigen großen Baumstammes geschnitzt worden und hatte nahezu drei Zoll dicke Wände sowie einen vier Zoll dicken Boden.

Sobald wir uns angezogen hatten und wieder klar zu denken vermochten, suchten wir zu erforschen, wo wir uns gegenwärtig befanden. Ich habe bereits gesagt, daß es über uns hell war, dieses Licht kam, wie wir uns überzeugten, vom Himmel. Unser Fluß lief jetzt nicht mehr unter der Erde, sondern floß zwischen den schrecklichsten sicherlich nicht weniger als zweitausend Fuß hohen Felsen hindurch. So hoch waren sie, daß, obwohl der Himmel sichtbar über uns lag, um uns herum trübes Zwielicht – nicht gerade Dunkelheit, sondern das Dämmerlicht eines bei hellem Tage dicht verhängten Zimmers – herrschte. Grimmig und unheimlich stiegen die großen steilen Steinriesen empor, so daß das Auge müde wurde, ihre nackte schwindelnde Höhe zu messen. Wie ein blauer Faden lag der schmale Streifen, der die Stelle kennzeichnete, wo sie aufhörten, über der himmelhohen schwarzen Masse, deren Eintönigkeit kein Baum oder Strauch milderte. Hier und dort zeigten sich jedoch gespensterhaft aussehende Reihen einer langen grauen Flechtenart, die bewegungslos von den Felsen wie der weiße Bart von dem Kinn eines Toten herabhing. Fast schien es, als ob nur die Schatten des Lichts in diesen schaurigen Platz gedrungen wären. Kein heller 165 Sonnenstrahl verirrte sich je in diese Tiefe, er erstarb auf dem Wege dahin weit, weit über unsern Häuptern.

Am Rande des Flusses zeigte sich ein schmales Ufer wie besäet mit runden Felsstücken, die durch den fortwährenden Anprall des Wassers in die Form vorsintflutlicher Kanonenkugeln gewaschen waren. Offenbar ist das Ufer bei hohem Wasserstande überhaupt nicht oder nur sehr wenig sichtbar, jetzt jedoch lag eine sieben oder acht Fuß breite Bank frei vor uns, und auf dieser Bank beschlossen wir zu landen, um uns von unsern Strapazen ein wenig zu erholen und unsere Glieder auszustrecken. So unheimlich der Platz auch war, so konnten wir doch auf ihm den Schrecken des Flusses für eine Stunde entgehen, sowie den bedenklich durcheinander geratenen Inhalt unseres Kanus umpacken. Wir suchten uns deshalb eine günstige Anlegestelle aus, zogen nicht ohne Schwierigkeit das Kanu aus dem Wasser und krochen dann auf die rauhen ungastlichen Steine hinauf.

»Auf Ehre!« rief Good aus, der zuerst das Kanu verließ, »welch schauriger Platz! Da könnte einen ja gleich vor Angst der Schlag rühren.« Und er lachte.

Sofort pflanzte eine donnernde Stimme, den Schall der Worte noch hundertfach verstärkend, die Rede weiter. »Der Schlag rühren – ha! ha! ha!« »Der Schlag – ha! ha! ha!« antwortete eine andere Stimme in wilden Tönen von der Felsenhöhe herunter – »der Schlag! der Schlag! der Schlag! –« fiel eine Stimme nach der andern ein, und jede warf mit schaurigem Gelächter die Worte den unsichtbaren Lippen der andern 166 zu, bis der ganze Platz von dem Geschrei einer teuflischen Heiterkeit widerhallte, die schließlich ebenso plötzlich aufhörte, wie sie angefangen hatte.

»Oh, mon Dieu!« kreischte Alfons, der das bißchen Selbstbeherrschung, das er wieder erlangt hatte, gänzlich verlor. »Mon Dieu! Mon Dieu! Mon Dieu!« donnerte, schrie und jammerte das titanische Echo in jedem denkbaren Tonfall.

»Ah,« sagte Umslopogaas ruhig, »hier leben Teufel, das ist klar. Der Platz sieht auch ganz danach aus.« Ich versuchte ihm zu erklären, daß die Ursache all dieses Getöses ein sehr merkwürdiges und interessantes Echo wäre. Er glaubte mir aber nicht.

»Ach,« sagte er, »ich kenne ein Echo, wenn ich eins höre. Im Sululande lebte eins grade meinem Kraal gegenüber, und die Intombis (Mädchen) pflegten sich mit ihm zu unterhalten. Wenn aber das, was wir hier hören, ein ausgewachsenes Echo ist, so kann das meine zu Hause nur ein kleines Kind gewesen sein. Nein, nein – dort oben wohnen Teufel. Ich mache mir aber nicht viel aus ihnen,« fügte er hinzu und nahm eine Prise Schnupftabak, »sie können wohl nachsprechen, was wir sagen, ihren Mund aber anscheinend nicht von selbst öffnen. Auch wagen sie es nicht, uns ihre Gesichter zu zeigen.« Und er fiel wieder in tiefes Schweigen, indem er dem Treiben so verächtlicher Unholde keine Aufmerksamkeit mehr schenkte.

Wir sahen uns sodann gezwungen, uns nur im Flüsterton zu unterhalten, da es wirklich unerträglich war, jedes Wort wie einen Tennisball von einem Abhang zum andern fliegen zu hören. 167

Aber selbst unser Geflüster stieg in geheimnisvollem Gemurmel die Felsen empor, bis es schließlich in langgezogenen Seufzern erstarb. Ein Echo ist etwas ganz Entzückendes und Romantisches, wir bekamen aber in jenem grausigen Fluß mehr als genug davon.

Sobald wir uns ein wenig erholt hatten, gingen wir daran, unsere Brandwunden zu waschen und zu verbinden. Da wir von unserm wenigen Lampenöl nichts entbehren konnten, zogen wir einem der beiden Schwäne die Haut ab und benutzten sein Brustfett, das vorzüglich für unsern Zweck geeignet war. Dann packten wir den Inhalt unseres Kanus um und begannen schließlich etwas Nahrung zu uns zu nehmen, was uns sehr not tat, denn unsere Besinnungslosigkeit hatte viele Stunden gedauert und unsere Uhren standen jetzt auf Mittag. Wir ließen uns daher im Kreise nieder und beschäftigten uns mit unserm kalten Fleisch, doch war wenigstens mein Appetit nicht der beste. Nach all der Drangsal der vergangenen Nacht fühlte ich mich krank und elend und litt außerdem an wütendem Kopfweh. Es war ein sonderbares Mahl und dabei so düster, daß wir kaum genug sahen, um das Fleisch zu schneiden und es zum Munde zu führen. Das kümmerte uns aber wenig und wir verspeisten in aller Gemütsruhe die Reste des Bratens, obwohl das Fleisch unter der Hitze stark gelitten hatte. Plötzlich vernahm ich ein Geräusch, wie wenn etwas über die Steine krieche, und sah, mich umdrehend, auf einem Felsen in meiner allernächsten Nähe einen ungeheuren schwarzen Süßwasserkrebs, der mindestens fünfmal so groß wie der größte Krebs war, den ich je gesehen hatte. Dieses ekelhafte, 168 abscheulich aussehende Tier hatte vorquellende Glotzaugen, sehr lange biegsame Scheren und gigantische Klauen. Ich war übrigens nicht allein mit dieser Gesellschaft beglückt. Aus jedem Winkel krochen Dutzende dieser scheußlichen Tiere, zweifellos durch den Geruch des Fleisches angezogen, zwischen den runden Steinen und aus Felsenlöchern hervor. Einige waren uns schon ganz nahe. Ich stand noch wie gebannt von dem außerordentlichen Anblick da, als ich eines der Tiere seine ungeheuren Klauen ausstrecken und dem ahnungslosen Good von hinten einen solchen Stoß versetzen sah, daß er mit lautem Geheul aufsprang und das wilde Echo diesmal wirklich im Ernst in Aufruhr brachte. In demselben Augenblick auch packte ein zweiter Krebs von riesiger Größe ein Bein von Alfons und wollte es nicht wieder fahren lassen. Den nun folgenden Auftritt kann man sich besser denken als beschreiben. Umslopogaas nahm seine Axt und schlug damit einem großen Krebs den Panzer ein, worauf das Tier ein schauriges, von dem Echo tausendfach wiederholtes Gekreisch hören ließ; gleichzeitig begann es an dem Maule zu schäumen und lockte dadurch noch viele Hunderte von seinen Freunden aus allen Ecken und Winkeln hervor. Schneller aber als diese herankriechen konnten, fielen die an Ort und Stelle über das verwundete Tier, wie Gläubiger über einen Schuldner, her, zerrissen es buchstäblich Stück für Stück mit ihren ungeheuren Scheren und verschlangen es, indem sie die Stücke mittelst ihrer Klauen dem Maule zuführten. Wir ergriffen die ersten besten Waffen, die uns zunächst lagen, als Steine, Ruder usw. und 169 fielen über die Ungeheuer her, deren Zahl in jedem Augenblick zunahm, und die einen überwältigenden Gestank von sich gaben. So schnell wir ihnen den Panzer aufschlugen, so schnell ergriffen andere die Verwundeten und verschlangen sie, dabei vor dem Maul schäumend und laut kreischend. Damit gaben sich die Tiere aber noch nicht zufrieden. Wenn sie nur konnten, zwickten sie unsere Gliedmaßen oder versuchten das Fleisch zu stehlen. Ein riesiger Bursche packte den von uns abgezogenen Schwan und begann ihn fortzuschleppen. Sofort warf sich ein ganzes Heer von andern auf die Beute und dann hob ein unheimliches abscheuliches Schauspiel an. Wie die Ungeheuer schäumten und kreischten und das Fleisch und einander zerrissen! Es war ein grausiger unnatürlicher Anblick, der alle, die ihn sahen, bis zu ihrem letzten Stündlein verfolgen wird. So sonderbar es auch klingen mag, so hatten diese unheimlichen Geschöpfe doch etwas abstoßend Menschenähnliches an sich, es war, als ob die schlimmsten Leidenschaften und Begierden des Menschen die Gestalt von Riesenkrebsen angenommen hätten, die wahnsinnig geworden wären. Sie waren so entsetzlich mutig und intelligent, und sahen aus, als ob sie mit menschlicher Vernunft begabt seien. Der ganze Auftritt hätte, wie Curtis sagte, Stoff zu einem weiteren Gesang in Dantes »Inferno« liefern können.

»Machen wir um Gottes willen, daß wir von hier fortkommen, wenn wir nicht alle den Verstand verlieren wollen!« rief Good uns zu, und wir beeilten uns, seiner Aufforderung nachzukommen. 170

Wir stießen das Kanu, um welches jetzt Hunderte von Tieren krochen, von dem Felsen ab, stiegen hinein und ruderten in die Mitte des Stromes, die Reste unseres Mahles und die kreischende, schäumende, stinkende Masse von Scheusalen als Herren des Platzes hinter uns zurücklassend.

»Das sind die Teufel, die hier wohnen,« sagte Umslopogaas mit der Miene eines Mannes, der eine schwierige Aufgabe gelöst hat, und auf mein Wort, fast fühlte ich mich versucht, ihm beizupflichten.

Umslopogaas' Bemerkungen waren wie seine Axt – sie trafen meist den Nagel auf den Kopf.

»Was tun wir jetzt?« fragte Sir Henry verzagt.

»Wir lassen uns weiter treiben,« antwortete ich, und so trieben wir denn weiter. Den ganzen Nachmittag bis tief in den Abend hinein schwammen wir in der Dämmerung unter dem fernen Himmelsblau dahin. Wir wußten fast nicht, wann der Tag aufhörte und die Nacht begann, bis Good endlich auf einen Stern deutete, der grade über uns hing, und den wir mit großem Interesse betrachteten, da wir nichts Besseres zu tun hatten. Plötzlich verschwand er, tiefe Dunkelheit umfing uns und ein bekanntes murmelndes Geräusch erfüllte die Luft.

»Wiederum unter der Erde,« stöhnte ich laut auf und hielt die Lampe empor. Ja, es unterlag keinem Zweifel, ich konnte noch grade die Decke erkennen. Die Felsenschlucht hatte ein Ende gefunden und der Tunnel aufs neue begonnen. Dann fing eine andere lange, lange Schreckensnacht an. Alle Vorfälle in ihr zu 171 beschreiben, würde zu langweilig sein, ich will deshalb nur erwähnen, daß wir um Mitternacht auf ein flaches Felsenriff mitten im Strom liefen und unser Boot beinahe umgestürzt wäre. Zum Glück war es uns jedoch nicht beschieden, dort unsern Tod zu finden. Wir kamen endlich wieder los und setzten unsere Reise dann wie zuvor fort. So vergingen die Stunden, bis es beinahe drei Uhr war. Sir Henry, Good und Alfons lagen gänzlich erschöpft im Boot und schliefen, Umslopogaas stand mit der Stange am Bug und ich am Steuer, als ich bemerkte, daß die Geschwindigkeit, mit der wir dahinfuhren, bedeutend zugenommen hatte. Dann plötzlich hörte ich Umslopogaas einen Ruf ausstoßen, in der nächsten Sekunde vernahm ich ein Geräusch, als ob wir zwischen Baumzweigen hindurchfuhren, und ich spürte, daß das Kanu sich zwischen herabhängenden Büschen hindurchdrängte. Noch eine Minute, und ein Hauch milder, offener Luft wehte mir entgegen; ich fühlte, daß wir den Tunnel verlassen hatten und jetzt auf freiem Wasser schwammen. Ich sage, ich fühlte, denn sehen konnte ich nichts, da die Dunkelheit völlig undurchdringlich war, wie sie es so häufig grade vor der Dämmerung ist. Selbst dieser Umstand aber konnte meine Freude kaum dämpfen. Wir waren aus jenem entsetzlichen Fluß heraus und hatten also, wohin wir auch verschlagen sein mochten, immerhin Grund zur Dankbarkeit. So machte ich es mir auf meinem Platz bequem, atmete die süße Nachtluft ein und erwartete mit Ungeduld die Dämmerung. 172

 


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