Friedrich von Hagedorn
Versuch in poetischen Fabeln und Erzehlungen
Friedrich von Hagedorn

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Ben Haly.

An Herrn C. P. Krieger.

        Gelehrter Kenner der Gesetze,
Bey dem im Herzen Recht, im Munde Wahrheit gilt;
Der nie mit müssigem Geschwätze
Hammoniens Gericht erfüllt!

    Nicht nur die Einsicht trüber Sachen;
Auch ein durch Ernst gemässigt Lachen,
Auch Witz und Dichtkunst steht Dir an.

    Erlaube mir, so gut ich kann,
Den rechtserfahrnen Muselmann,
Ben Haly, Dir bekannt zu machen.

Ein Türk, der nach Aleppo eilet,
Besuchet seinen alten Freund,
Den er getreu zu seyn vermeint,
Mit dem er Leid und Freude theilet.

    Er spricht: Mich hat mit dir die beste Wahl vereint.
Du weisst, wie viel ich schon durch Fleiß und Glück erworben;
Nur etwas ist dir unbekannt:
Mein Schwager Amurat, der in Algier gestorben,
Hat mir den feinsten Diamant
Durch ein Vermächtniß zugewandt.
Hier ist er! Ich bemerks, auch dich erfreut mein Glück.
Dir dank' ich für dieß Freundschaftszeichen.
Verwahr' ihn! dir allein darf ich ihn überreichen:
Nimm ihn für mich in Acht; ich komme bald zurück.

    Es sey! versetzt Orchan, mein Selim kann gebieten;
Orchan wird ieden Augenblick
Dieß Kleinod wie sein Auge hüten;
Er, dein Getreuer bis ins Grab.
Drauf folgt ein Abschiedskuß; der Reisende geht ab.

    Allein, wo soll man Selen finden,
Die nicht auf Eigennutz die Heuchlerdienste gründen?
Wo ist nicht Treu' und Glaube schwach?
Die Lust, wann wir die Zeit ersehen,
Den Nächsten schlau zu hintergehen,
Schleicht Bösen aller Orten nach:
Den Christen in ihr Betgemach;
Und Muselmännern in Moscheen.

    Der frohe Selim kömmt in PeraPera ist eine der Vorstädte von Constantinopel, wo der französische und andere Gesandten sich aufzuhalten pflegen. wieder an,
Und rennt, sein Kleinod abzuholen,
Das er, zu treuer Hut, dem falschen Freund' empfohlen;
Der aber lacht und spricht: Ist Selim nicht ein Mann,
Der unvergleichlich scherzen kann? – –
Was? Scherzen? Gab ich nicht? – – Ja, weil ichs rühmen soll;
Du gabst mir einen Kuß; der war recht Freundschaftsvoll. – –
Wo ist mein Diamant? – Dein Diamant! dir träumt. –
Hier sind nicht viele Reden nöthig.
Fort! mit zum Cadi! nicht gesäumt! – –
Ja, ja, mein Herr, ich bins erbötig.

    Sie eilen zum Ben Haly hin,
Das war des Cadi Nam'; und in des Sultans Reichen
War ihm an Billigkeit kein Haly zu vergleichen,
Dafern ich recht berichtet bin.
Der arme Selim sucht, dem Richter seine Klagen
Mit vielen Worten vorzutragen.
Er denkt, ein langer Satz scheint manchem Richter schön.
Orchan lärmt zehnmal mehr. Dem Kläger fehlen Zeugen.
Er giebt zum öftern zu verstehn,
Bey einem Baume seys geschehn.
Das hilft ihm wenig; Bäume schweigen.

    Beim Allah! schwört Orchan; der Kläger schwatzt im Traum:
Ich kenne beide nicht, kein Kleinod, keinen Baum.
Hört! spricht der Cadi drauf, noch ist hier kein Beweis.
Kennt Selim noch den Baum? – – Wie sollt ich den nicht kennen! – –
Verziehe nicht, dahin zu rennen,
Und hole mir sofort ein Reis.

    Er geht. Ben Haly setzt sich nieder;
Und endlich fragt er mit Verdruß:
Wie kömmts, daß man hier warten muß?
Kömmt denn dein Gegner noch nicht wieder?
Von Rechten hat er nichts gelernt.
Was will er, daß sein Baum beweise?
Ist dieser Baum so weit entfernt?
Brauchts, ihn zu finden, einer Reise?

    Nein; einer Reise braucht es nicht.
Der Baum ist nahe gnug. – – Verfluchter Bösewicht!
(Ruft Haly zürnend aus) vor einer halben Stunde
War weder Baum noch Diamant,
So wie du schwurest, dir bekannt;
Und nun verdammst du dich mit deinem eignen Munde.
Wolan! daß itzt, vor aller Welt,
Ein ieder das, was ihm gebührt, empfange!
Dem Selim werde flugs sein Kleinod zugestellt!
Orchan bereite sich zum Strange!

*
    Der Türk besaß die Klugheit nicht,
Die vielen Christen Häuser bauet,
Da mit so blinder Zuversicht
Kein Bruder hier dem andern trauet.
Der Irrthum alter deutscher Treu
Ist mit der alten Zeit vorbey.
Wir sind der höhern Kunst Exempel;
Die Einfalt nahm den Handschlag an.
Was fordert itzt ein kluger Mann?
Verschreibung, Zeugen, Pfand und Stempel.

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