Friedrich von Hagedorn
Versuch in poetischen Fabeln und Erzehlungen
Friedrich von Hagedorn

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Der schöne Kopf,

an ****

                      Ja, ja, es reizt auch mich dieß blühende Gesicht,
Auch ich empfinde selbst die Kraft von diesen Blicken.
Der Mund, das Auge kann entzücken,
Und wer verehrt den vollen Busen nicht,
Der alles das an Liebreiz übersteiget,
Was Paris ie gesehn und Venus ie gezeiget?

    Doch Phryne schwatzt und scherzt. Mein erster Trieb wird kalt.
Ihr lächerlicher Witz, ihr unerträglich Scherzen
Verliert die schon gefangnen Herzen:
Ich merke kaum die täuschende Gestalt.
Es wird ihr Sieg befördert und gestöret,
So oft man sie erblickt, so oft man sie gehöret.

    Mein Freund, dir ist gewiß Aesopus noch bekannt,
Der klügste Phrygier, der uns vom Fuchs erzehlet,
Daß er ein Bild, dem nichts gefehlet,
Den schönsten Kopf, bey einem Künstler fand.
Er rief: Wie schön ist Auge, Mund und Stirne!
Bewundernswerther Kopf, ach hättest du Gehirne!Mr. de la Motte ist mit dieser aesopischen Fabel nicht allerdings zufrieden. Er wünschet das bekannte: O quanta species, inquit, cerebrum non habet! in dem Munde eines andern Lehrers, als des Fuchsen, angetroffen zu haben:

La Fable ne veut rien de forcé, de bizarre.
Par exemple, je me déclare
Pour le Renard gascon qui renvoye aux Goujats
Des raisins mûrs qu'il n'atteint pas:
Mais, il n'a plus sa grâce naturelle
Avec la tête sans cervelle.
Son mot est excellent. D'accord:
Mais un autre devoit le dire.

Findet man aber Ursache, warum ein so witziges Thier, als der Fuchs ist, von dem Rechte, ungehirnter Köpfe zu spotten, mehr, als ein andres, ausgeschlossen seyn sollte?


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