Friedrich von Hagedorn
Versuch in poetischen Fabeln und Erzehlungen
Friedrich von Hagedorn

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Die Einbildung und das Glück.

              Die Einbildung ist in das Glück verliebt,
Das sie so oft gesucht, das ihr so oft entgangen:
Des Glückes Sprödigkeit, die ihren Fürwitz übt,
Reizt ihre Hoffnung stets und täuscht stets ihr Verlangen.

    Als sie noch jung und unerfahren war,
Ging sie ihm seufzend nach bis in das Reich der Liebe.
Doch hier entfernten es bald schlüpfrige Gefahr,
Bald leichter Wankelmuth, bald eifersüchtge Triebe.

    Die arme wächst, die Leidenschaft nimmt zu:
Sie wagt sich an den Hof, zu den geschmückten Höhen,
Wo Pracht und Ehrgeiz rauscht. Dort fehlen Treu und Ruh,
Und Titel lassen sich, an statt des Glückes, sehen.

    Sie eilt darauf ins Land der Ueppigkeit,
Dort mit dem Glücke sich durch Reichthum zu verbinden;
Dort war auch Ueberfluß, Gepränge, güldne Zeit,
Der bürgerliche Stolz, doch nicht das Glück, zu finden.

    Sie rennt zurück, und kömmt auf eine Bahn,
Die ihren müden Fuß in niedre Gründe führet.
Die stille Gegend ist der Schönen unterthan,
Die sich mit keinem Schmuck, als Zucht und Demuth, zieret.

    Die Gottesfurcht hat dort ihr Heiligthum,
Der Weisheit holdes Kind, die Lust der Ewigkeiten.
Der milde Himmel kennt und schützet ihren Ruhm,
Und Wahrheit, Lieb' und Recht weicht nie von ihrer Seiten.

    Die Einbildung fragt nach dem Glück allhier;
Die fromme Schöne spricht: Ich will dir Rath ertheilen.
Erwart' es; such es nicht; geselle dich zu mir:
So wird dir schon das Glück von selbst entgegen eilen.

    Ihr wird gefolgt; nichts konnte besser seyn.
Bald sieht man einen Glanz das Heiligthum verklären.
Es stellet sich das Glück mit offnen Armen ein,
Umfängt die Hoffende und sättigt ihr Begehren.


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