Friedrich von Hagedorn
Versuch in poetischen Fabeln und Erzehlungen
Friedrich von Hagedorn

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Stentor.

An Herrn J. J. D. Zimmermann.

                  Ein Zimmermann, zu dem die Musen eilen,
Die unereilt den wilden Strephon fliehn!
O lehre mich, durch wolgeprüfte Zeilen
Mein schüchtern Werk der Tadelsucht entziehn;
Der Tadelsucht, die, Neidern zu gefallen,
Nach Splittern sieht, nur fremde Fehler merkt,
In deren Ton hier auch oft Kinder lallen,
Die noch kein Mark der Wissenschaften stärkt.

    Sprich: Soll man nur, wie Du, die Wahrheit lieben,
(Der sich mein Herz und meine Fabeln weihn)
Dem Schmeicheln taub, und dem, was man geschrieben,
Mit allem Ernst ein strenger Richter seyn,
Durch weisen Fleiß von Fehlern sich entfernen,
Die Alten sich zu Mustern ausersehn,
Die Nachwelt scheun, und mit Horatz erlernen,
Wie Geist und Kunst wol zu verbinden stehn?

    Das war genug zu jenen edlen Zeiten,
Als den Quintil die Wahrheit lehren hieß,
Den Ehrenmann, der, ohne zu verleiten,
Dem römschen Witz die rechten Wege wies.
Sein edler Geist, der aller Falschheit fluchte,
Und Redlichkeit mit Wissenschaft verband,
Ersah mit Lust das Schöne, das er suchte,
Doch sucht' er nicht die Fehler, die er fand.

    Sitzt ein QuintilQuintilius, der würdige Freund des Virgils, scheinet der Patru der Römer gewesen zu seyn. Horatz hat nicht nur in seinem Gedicht an die Pisonen ihn als einen Gelehrten von seinem Geschmack, und als einen Rathgeber von scharfer Einsicht gepriesen; sondern auch durch die Ode auf dessen Tod höhere und solche Eigenschaften in ihm verewiget, die zu allen Zeiten auch einen Ungelehrten liebenswürdig machen müssen, und von der Gelehrsamkeit unzertrennlich seyn sollten.

Ergo Quintilium perpetuus sopor
Vrget! cui Pudor & Iustitiae soror
Incorrupta Fides nudaque Veritas
  Quando vllum inuenient parem?

So ist in ewge Todesnacht
Der ehrliche Quintil gebracht,
Wo wird man seines gleichen finden,
Bey dem sich Zucht, Gerechtigkeit,
Und Worte sonder Groll und Neid
Mit unverfälschter Treue binden?

G. F. Weidner.

Vom Patru, oder dem Quintil der Franzosen giebt Boileau Nachricht. (Art poët. Chant. II. v. 71-81.)

im Raht der kleinen Kenner,
Wo man so keck den frühen Machtspruch wagt?
Nein! ieder horcht im Schatten grössrer Männer,
Und wiederholt was man ihm vorgesagt.
Da richten sie nach Stimmen, nicht nach Gründen,
Wie Stentor that; man folgt dem stolzen Ton.
Fast iede Stadt wird einen Stentor finden,
Vielleicht noch mehr; und einen kennt man schon.

    Er hatte sich durch List und Händedrücken
Bey Grossen klein, bey Kleinen groß gemacht,
Und schien ein Mann, den, fast in allen Stücken,
Minervens Gunst mit klugem Salz bedacht.
Mit Celadon sang Thyrsis um die Wette;
Da sollte nun mein Stentor Schiedsmann seyn.
Der wuste nicht, wer hier den Vorzug hätte,
Doch fiel ihm bald ein rechtes Kunststück ein.
Sein starker Mund rief gegen Fels und Klüfte:
Ihr Kenner! sagts: Wer trägt den Preis davon?
Ists Celadon? So gleich drang durch die Lüfte,
Bey iedem Ruf, ein deutlich Celadon.
Drauf zeigt' er sich den Schäfern lächelnd wieder,
Und schrie: Vernehmt was keiner besser weiß,
Was ich entdeckt, und zweifelt nicht, ihr Brüder,
Für diesesmal hat Celadon den Preis!

    Sie dankten ihm, und Stentor blieb bey Ehren.
So gehet es anitzt noch überall;
Man glaubet oft, Orakel anzuhören,
Und höret nichts, als einen Wiederhall.


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