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46. Kapitel

In welchem der wahrheitliebende Autor nicht anders kann, als von Erichs Unglück zu berichten, sowie um Verzeihung zu bitten, wenn Kapitel und Buch nicht so schließen, wie es der geneigte Leser gewünscht oder vorhergesehen.

Indessen hatte die still waltende Gerechtigkeit schwer ihre Hand auf den armen Erich niederfallen lassen und sich bemüht, ein so gefährliches Mitglied der militärischen Gesellschaft für immer unschädlich zu machen und als Spreu von dem Weizen zu sondern. Daß dabei alles mit strenger Unparteilichkeit und gemäß wirklich vortrefflicher Militärgesetze gründlich und ohne Uebereilung, sogar in mancher Beziehung milde für den Angeklagten vor sich gegangen sei, möchten wir gern ganz besonders solchen versichern, die vielleicht achselzuckend ein militärisches Spruchgericht als ein Ding ansehen, dessen Resultat in den meisten Fällen mit den Wünschen oder der Ansicht des Vorsitzenden Präses in Einklang gebracht wird; dies ist aber durchaus nicht der Fall, und bei der Verurteilung eines Kameraden oder Untergebenen sind nicht nur die bestimmtesten, ja, schroffsten Meinungsäußerungen erlaubt, sondern es werden diese verlangt und den verschiedenen Klassen des Kriegsgerichtes bei den abgesonderten Beratungen über den vorliegenden Fall Zeit genug gegönnt, um in ihrer Ansicht einig zu werden. Ja, noch mehr; wenn eine solche Einigung der Klassen nicht erfolgt, so werden die Stimmen derselben einer andern Klasse zugeteilt, und zwar einer solchen, die sich am mildesten über das begangene Verbrechen ausgesprochen hat. Dabei ist es noch bemerkenswert, daß sich häufig der Fall ereignet, wo bei einem Kriegsgerichte über einen Unteroffizier oder Gemeinen die Klassen der Kameraden oder niedrigeren Chargen bei einem wirklichen schweren Falle auf strengere Bestrafung dringen, als die verschiedenen Klassen der Offiziere.

Was nun den armen Erich anbelangte, so war er wegen der Schwere seines Verbrechens der höheren Militärgerichtsbarkeit verfallen, wo anstatt des Brigadekommandeurs das Korpskommando seine Untersuchung einzuleiten hatte, die aber erst alsdann begann, nachdem der nächste Vorgesetzte des Bombardiers Freiberg, also der Hauptmann von Manderfeld, das species facti, eingereicht und den Thatbestand festgestellt hatte.

Daß dieses species facti aber in keiner Weise günstig für den Angeklagten lautete, braucht kaum erwähnt zu werden; ja, der Hauptmann von Manderfeld hatte mit Wahrheit und Dichtung einen erschreckenden Lebenslauf unseres Helden dargestellt, dabei sogar in frühere Jahre zurückgegriffen, seines Vagabundierens mit schlechten Zigeunern erwähnt, besonders aber jenen Fall von Wilddieberei hervorgehoben, bei dem, sowie schon vorher während des Manövers auf der Chaussee bei Zwingenberg, sich ein ganz begreiflicher Haß in dem Herzen des verdorbenen jungen Menschen gegen den Grafen Seefeld entwickelt, der dann, genährt und vergrößert durch einige zufällige Begegnungen bei dem verstockten und bösartigen Gemüte des Angeklagten fast notwendigerweise zu jenem schrecklichen Resultat führen mußte. Was nun die militärische Laufbahn Erich Freibergs anbelangte, so war es selbstredend genug, welch Geistes Kind dieser sein mußte, da man es ja für notwendig gefunden hatte, ihn wegen schlechter Streiche von der Brigadeschule zu entfernen, und was schließlich seine Führung bei der Batterie anbelangte, so bedurfte es wohl nichts weiter, als Erichs Strafverzeichnis beizufügen.

Dieses so kräftig gesalzene spezies facti hatte indessen dem Mitarbeiter an demselben, dem Wachtmeister Pinckel, einen so unbehaglichen Eindruck gemacht, daß er sich nicht enthalten konnte, dem Premierlieutenant Schaller darüber seine Bedenken mitzuteilen, worauf dieser Veranlassung nahm, ehrerbietig aber ernst dem Hauptmann von Manderfeld darüber Vorstellungen zu machen. Diese Unterredung war indessen sehr kurz, doch nicht ohne wichtige Folgen, obgleich ohne Nutzen für den armen Erich; denn das spezies facti wurde eingereicht, wie es geschrieben war, und wenn auch der Premierlieutenant Schaller durch seinen unmittelbaren Vorgesetzten, den Hauptmann von Manderfeld, sowie durch den Abteilungskommandanten die Erlaubnis erhielt, die Verhältnisse in der Batterie unmittelbar dem Brigadekommandeur vortragen zu dürfen, so ging das verhängnisvolle Aktenstück fast zu gleicher Zeit an das Korpskommando, von wo dann sogleich das Untersuchungsgericht bestellt und die fortdauernde Verhaftung Erichs anbefohlen wurde.

Das Untersuchungsgericht, aus dem betreffenden Auditor und, des schweren Falles wegen, aus zwei Lieutenants bestehend, trat dann auch alsbald zusammen und vernahm die vorgeladenen Zeugen, das Personal des betreffenden Posthauses, einen Diener des Grafen Seefeld sowie den Gensdarmerieunteroffizier und die Bombardiere Wibert und Schmoller, von denen der letztere allerdings der Wahrheit gemäß angab, daß er Erich ein doppelläufiges Terzerol geliehen, von dem aber nur der eine Lauf geladen gewesen sei ein günstiges Zeugnis, das aber durch die Aussage des langen Wibert sogleich wieder verwischt wurde, da dieser, und leider der Wahrheit gemäß, bezeugte, daß Erich an dem Nachmittage, ehe er seine letzte Stallwache bezog, eine Infanteriepatrone, da er sich im Zimmer allein geglaubt und nicht gewußt, daß er, Wibert, sich auf seinem Bette befunden, entzweigeschnitten und das Pulver aufbewahrt hatte. Leugnen konnte dies Erich nicht; er hatte diese Patrone bei dem Manöver gefunden und zu sich gesteckt. Wenn dies aber auch nicht der Fall gewesen wäre, so konnte er sich ja mit Leichtigkeit auch sonstwo Pulver und eine Kugel verschafft haben, um den zweiten Lauf des Terzerols wieder zu laden, und daß dies der Fall gewesen und der Lauf kurz vorher, ehe das Terzerol in die Hände des Gensdarmerieunteroffiziers gelangte, abgeschossen worden sei, dafür legte letzterer das vollgültigste Zeugnis dadurch ab, daß er aussagte, nicht nur das frisch abgeschossene Pulver gerochen, sondern sich auch seine Handschuhe geschwärzt zu haben.

So rätselhaft dies für Erich war und so sehr es ihn in Bestürzung versetzte, so leicht wäre es ihm gewesen, darüber eine Erklärung abzugeben, wenn er sich erinnert hätte, daß es wahrscheinlich Regentropfen gewesen seien, die bei dem Gewitter, vor dem er Blanda geschützt, während er sich selbst preisgegeben, in den Lauf des Terzerols gedrungen und dort das vertrocknete Pulver wieder angefeuchtet. Oft aber geschieht es uns in entscheidenden Augenblicken, daß wir an das ganz Natürliche nicht denken und einen Zusammenhang in der Ferne suchen, der uns doch so nahe liegt.

Den übrigen sehr erschwerenden Zeugenaussagen, daß Erich sich in großer Aufregung befunden, daß er das Terzerol hervorgezogen, daß hierauf aus nächster Nähe Blitz und Knall erfolgt sei und Graf Seefeld von der Kugel getroffen worden, konnte er nur die Behauptung entgegensetzen, daß er nicht geschossen habe, sondern die Pistole ohne jede sonstige Bewegung mit seiner rechten Hand gehalten. Wenn auch die Art, wie er diese Aussage machte, sowie seine ganze Erscheinung eines günstigen Eindrucks auf den Untersuchungsrichter nicht verfehlte, so konnte dies doch nicht verhindern, daß der Auditor mit einem leichten Achselzucken und sehr ungläubiger Miene diese Schlußerklärung des Angeklagten zu Protokoll nahm.

Nachdem solchergestalt die Untersuchung beendigt worden war, wurde von dem Gerichtshofe, hier der kommandierende General, das Spruchgericht bestellt, welches dann auch wenige Tage nachher mit der Feierlichkeit, welche die Würde eines solchen Aktes verlangt, zusammentrat; sämmtliche fünf Klassen des Kriegsgerichtes in großer und Paradeuniform, ein Major der Infanterie als Präses, zwei Rittmeister, zwei Lieutenants, drei Sergeanten und drei Unteroffiziere, denen der Angeschuldigte vorgeführt und ihm das Recht freigestellt wurde, gegen die Zusammensetzung des Gerichtes, die Persönlichkeiten desselben betreffend, Einwendungen zu machen eine Erlaubnis, die aber der Bombardier Freiberg begreiflicherweise unbenutzt ließ. Waren ihm doch sämtliche Anwesenden gänzlich unbekannt, mit Ausnahme des Präses, des Majors Klemmer, den er in jener Nacht nach dem Waldschlößchen geführt hatte und von dessen strenger Unparteilichkeit er vollkommen überzeugt war! Blickte er ihn doch aus seinen kleinen, schwarzen Augen nicht ohne Wohlwollen an, und lag doch etwas wie Wehmut auf der hageren Stirn des Offiziers, sowie in dem melancholisch herabhängenden, langen fuchsigen Schnurrbarte! Gewiß hatte er in Erich jenen tüchtigen Bombardier wieder erkannt, der ihn so vortrefflich geführt zur Gefangennahme der feindlichen Kavallerieoffiziere. Von diesen glaubte er allerdings einen in einem der Dragonerrittmeister zu erkennen und hatte sich nicht getäuscht, da es der selige Graf Horn war, dem er hier wieder, wie damals auf der Waldburg, in fast gleicher Eigenschaft gegenüberstand. Doch da ihm dies ebenso gleichgültig war, als er diesem seinem Richter hier erschien denn der junge Rittmeister war viel zu sehr beschäftigt, Gratulationen der Kameraden entgegenzunehmen und auf seine beiden neuen Epauletten zu schielen, um dem Delinquenten, der ja ohnedies nur ein ganz gemeiner Bombardier war, große Aufmerksamkeit zu schenken so erklärte er sich mit der Zusammensetzung des Kriegsgerichtes einverstanden, hörte mit großer Ruhe die Vorlesung der Akten durch den Auditor an, halte auch weiter nichts hinzuzufügen, als seine nochmalige Erklärung, daß er das Terzerol allerdings in großer Aufregung hervorgezogen, aber nicht geschossen habe, worauf er abgeführt wurde und die fünf Klassen des Kriegsgerichtes, jede besonders, zur Beratung zusammentraten.

Da saß nun der arme Erich in einer ziemlich leeren, kahlen Stube der großen Infanteriekaserne. Es befand sich nur ein kleiner Holztisch mit zwei Stühlen da, in einem düsteren Lokale mit stark vergitterten Fenstern, welches den Angeklagten während der kriegsgerichtlichen Verhandlungen stets zum Aufenthalte angewiesen wurde, und als man nun draußen die Riegel vorschob, war es ihm bei dem Geräusche geradeso zu Mute, als schnitte jemand den Strick entzwei, der sein Lebensschiffchen noch am Ufer festhielt, und ließe dieses treiben ohne Steuer und Kompaß auf stürmischem, nebelbedecktem Meere, wo die Flut dieses Meeres, die wilde Flut seiner Gedanken den zerbrechlichen Nachen seiner Hoffnung gänzlich zu zertrümmern drohte. Was war ihm geblieben von all den glänzenden Erwartungen, von der schönen Zukunft, die er geträumt und die zu erreichen er nach besten Kräften so sehr bemüht gewesen war, daß er jetzt, wo die vergangene Zeit rasch an seiner Seele vorüberflog, nicht vieles anders hätte machen können, als er es in der That gemacht hatte! Und wenn er der letzten, unglückseligen Katastrophe gedachte, so wallte sein Blut heiß auf wie in jener Nacht vor dem Posthause, und er ballte seine Finger zusammen, als faßte er die verhängnisvolle Waffe fester, als hätte er wirklich und wiederum die Absicht, von derselben Gebrauch zu machen.

Ja, er hatte die Absicht gehabt, seinen Feind, jenen Mann, den er so grimmig haßte und der ihm das Teuerste von der Seele riß, unschädlich zu machen, ihn an einem neuen Frevel gegen die heiß geliebte Blanda zu verhindern. Damals hätte er sterben mögen, untergehen in dem wahnsinnigen Schmerze seiner Seele, nicht mehr aufwachen aus der Erstarrung; die sich seiner auf Augenblicke bemächtigt hatte. Was war ihm noch das Leben, besonders nachdem er die Anklage vernommen, die auf ihm lastete und die nicht nur seiner militärischen Laufbahn, sondern auch jeder anderen bürgerlichen Existenz ein gebieterisches bis hierher und nicht weiter! zurief! {bild}

Und Blanda, Blanda? – Vielleicht, daß er sie später doch noch einmal wiedersah, vielleicht daß sie ihn dann erkannte, erkennen mochte vielleicht daß sie gefallen war, um scheinbar hoch zu steigen, und daß sie ihn alsdann mit einem verletzenden Mitleid betrachtete, sich auch wohl, verlegen lächelnd, der vergangenen Zeiten erinnerte vielleicht aber auch ... und das war dann wohl das Beste, sah er sie niemals wieder, und konnte sie dann um so besser in seinem Gedächtnis behalten, wie sie in jener Gewitternacht schön, hold und rein an seinem Herzen geruht.

Bei diesem letzten Gedanken legte er den Kopf in die Hände und fühlte es kaum, daß schwere Thränentropfen durch seine Finger drangen; ja, er hatte es nicht einmal bemerkt, daß der Unteroffizier der Infanterie, der ihn hierhergeführt, wieder eingetreten war, ihm nun die Hand auf die Schulter legte und in einem gutmütigen Tone sagte: »Mut gefaßt, Bombardier, es ist Zeit, halten Sie Ihren Kopf aufrecht, und die Sinne beisammen! man muß dem Unglück sogleich und recht fest ins Auge sehen, dann erschreckt es einen weniger und man gewöhnt sich rascher daran bringen Sie Ihr Haar in Ordnung und wischen Sie die Augen aus; man muß gefaßt scheinen, wenn man es auch nicht ist.«

Und Erich trat ziemlich gefaßt in den Saal ein, wo das Kriegsgericht wieder versammelt war, und verneigte sich militärisch vor dem Präses desselben, Major Klemmer, auf dessen hagerem und sonst so strengem Gesichte etwas Mildes, Wehmütiges zu sehen war und dessen gewöhnlich so harte und rauhe Stimme in einem ziemlich weichen Tone klang, als er dem Bombardier Erich Freiberg verkündete, daß derselbe durch Stimmenmehrheit des Kriegsgerichtes wegen thätlichen Angriffes mit der Waffe in der Hand gegen einen Offizier zur Degradation vor der Fronte der Batterie sowie zu einem zehnjährigen Festungsarrest verurteilt sei.

Daß die Strafe auf Festungsarrest, nicht auf die viel schärfere Festungsstrafe lautete, bei welch letzterer der Betreffende in die Festungsabteilung eingestellt, mit Festungs- und sonstigen Militärarbeiten beschäftigt und außer der Arbeitszeit eingeschlossen gehalten wird, war eine Milderung, zu der sich die Mehrzahl der Richterklassen vereinigt hatte und welche besonders dadurch gerechtfertigt war, daß Erich Freiberg auf Beförderung zum Offizier diente und weil sein Verbrechen nicht der Art war, um ihn in die zweite Klasse des Soldatenstandes zu versetzen.

Was Erichs Herz am schmerzlichsten schlagen ließ, war die Strafe der Degradation vor der versammelten Batterie, besonders da er wußte, daß ihm der Hauptmann von Manderfeld von dieser peinlichen Ceremonie auch nicht das Geringste schenken würde. Doch kam dies anders, als er es sich gedacht, und müssen wir hier nachholen, daß die Schritte, welche der Premierlieutenant Schaller frei und offen gegen den Batteriechef gethan, so viel zu Tage brachten, daß der Hauptmann von Manderfeld trotz Protektionen und Orden in aller Stille zur Disposition gestellt wurde und der Premierlieutenant in das Kommando der Batterie vorrückte. Daß dieser Erich, ehe derselbe seine Strafe antrat, nochmals zu sich kommen ließ, erwähnen wir nur deshalb, um hinzuzufügen, daß der letzte Bombardier den wohlwollenden und vortrefflichen Offizier getröstet verließ.

Dann kam der Tag der Degradation vor der Fronte der Batterie, und auch hier handelte der Premierlieutenant Schaller sowie der Wachtmeister Pinckel mit solcher Schonung für den unglücklichen Erich, daß die peinliche Handlung sich so gestaltete, als nehme ein geliebter Kamerad von seiner militärischen Familie einen herzlichen, wenngleich traurigen Abschied. Das Herunterreißen der Tressen wurde dadurch vermieden, daß Erich Freiberg vor der Fronte als Kanonier erschien, worauf der Wachtmeister in kurzen Worten die Strafe Erichs verlas; dann kommandierte der Premierlieutenant zum Auseinandertreten, nicht ohne absichtlich die Worte beizufügen, daß er durchaus nichts dagegen einzuwenden habe, wenn jeder von Freiberg recht freundschaftlichen Abschied nehme. Das thaten denn auch alle Kanoniere, Bombardiere und Unteroffiziere, sogar die ersten Feuerwerker und nicht minder der Wachtmeister Pinckel, wobei er seltsam grinsend seinen langen Schnurrbart strich und dann auf dem Absatze Kehrt machte. Nur der lange Wibert fehlte, was dem geneigten Leser aber auch selbst dann begreiflich erscheinen würde, wenn wir nicht der Wahrheit gemäß sagen müßten, daß der ehemalige Liebling des Hauptmanns von Manderfeld wegen fortgesetzter Malpropretät und Nachlässigkeit im Dienste für das letzte Halbjahr seiner Dienstzeit in die Batteriemenage kommandiert worden war. Rührenden Abschied von Erich aber nahmen der kleine Bombardier Weitberg sowie der schmächtige Schwarz, der mit dem schwachen Geheule eines jungen Hundes, dem man auf den Schwanz getreten, und mit feuchten Augen einmal über das andere rief: »O famos, o famos, du bist wirklich der echte und gerechte Bombardier, Freiberg! Denn ein Kerl wie du, der so wunderbare Streiche macht und dadurch dem Namen unserer Charge einen solchen Glanz verleiht, kommt niemals wieder niemals, niemals, niemals!«

Was nun die Abführung Erichs auf die kleine Festung anbelangt, wohin er bestimmt war, so hatte auch darin der Premierlieutenant Schaller aufs beste für ihn gesorgt, und statt als Gefangener transportiert zu werden, wurde ihm gestattet, den Weg nach seinem künftigen Bestimmungsorte mit der Kompagnie des Hauptmanns Walter zurückzulegen, der dorthin versetzt worden war; ja noch mehr, er war dabei der persönlichen Obhut seines Freundes, des zum Unteroffizier beförderten und den wichtigen Posten eines Feldwebels versehenden Unteroffiziers Schmoller übergeben, der sich seiner freundlich annahm und dem es auch während des Marsches hie und da gelang, ein leichtes Lächeln auf den bleichen Zügen Erichs hervorzubringen, besonders wenn er ihn an ihren gemeinschaftlichen Marsch von damals erinnerte, an die kleinen Erlebnisse auf dem Fort Maximilian, und ihm dabei seufzend versicherte, daß ihn die Erinnerung an die reizende Gräfin Haller immer noch verhindere, sein Herz gänzlich der vortrefflichen Mamsell Stöckel zuzuwenden, in deren Liebe er indessen große Fortschritte gemacht und welche, im Besitze eines kleinen Vermögens, nicht abgeneigt sei, die Frau des künftigen Feldwebels Schmoller zu werden.

»Glücklicher Freund,« entgegnete Erich mit traurigem Lächeln, »du schwimmst einem für dich behaglichen Hafen zu, während ich jahrelang zu einer trostlosen Unthätigkeit verdammt bin, um dann Gott weiß wohin geschleudert zu werden, aber hoffentlich weit, weit hinweg so weit als möglich, damit ich alles vergessen kann, was mir einst lieb und teuer war!«

Am dritten Tage erreichten sie ihren Bestimmungsort, die kleine Festung, welche in einer weiten, allerdings fruchtbaren Ebene lag, die aber mit ihren gewaltigen Mauern, tiefen Wassergräben und hohen, mächtigen Wällen um so mehr auf Erich den Eindruck eines großen Gefängnisses machte, als die menschenleeren Straßen so gar nichts von dem Leben und gewerblichen Treiben der großen Stadt zeigten, in der er bis jetzt gewesen, und doch war es noch ruhiger und stiller in der Citadelle, wohin er gebracht wurde und wo ihm ein schweigsamer Unteroffizier ein kleines Gemach in einer der Kasematten anwies, aufs dürftigste möbliert, das schmale Fenster mit einem schweren, eisernen Gitter versehen und mit der Aussicht auf einen feuchten Festungsgraben und auf die hohe, dunkle Mauer einer gegenüber liegenden Lunette.

An diesem Fenster lehnte er stumm und verstört; unwillkürlich war er an dasselbe getreten, wie nach Luft und Licht ringend, nachdem die schwere Thür der Halbdunkeln Zelle hinter seinem wieder davoneilenden Begleiter ins Schloß gefallen war. In der Hand hielt er das kleine Bündel, welches seine geringen Habseligkeiten enthielt, und in dem Gedanken, als müsse sein Aufenthalt hier ja doch nur ein kurz vorübergehender sein, umfaßte er es krampfhaft mit seinen Fingern, während er, tief unter allen lebenden Wesen, die sich droben im Sonnenscheine und linder Luft freuten, mit weiten, trockenen Augen auf die grauen Festungsmauern und den sumpfigen Graben blickte.

Die erste Viertelstunde von zehn Jahren, eine fürchterliche Zeit schrecklichen, regen Denkens, in der sich alles das zusammendrängt, was man sonst nur in Tagen, Wochen, Monaten zu erleben pflegt! Eine Quintessenz jahrelangen Elends, jede Sekunde eine Reihe schleppender Stunden, jede Minute eine Ewigkeit! Furchtbarer Gedanke, entsetzliches Gespenst, das uns noch jahrelang in stillen Augenblicken angrinst der düstere Geist der ersten Viertelstunde von zehn Jahren.

Erich glaubte wahnsinnig werden zu müssen, nachdem er das Fenster rasch geöffnet, um frische Luft herein zu lassen, als dabei das Bündel seinen Händen entfallen war, und als er hierauf mit den Fingern die schweren Eisengitter umfaßte und unwillkürlich daran rüttelte, als seine Blicke an den glatten, düstern Mauern vorüberglitten und sich seine Gedanken weite hinausschwangen um die nächste Ecke des Walles herum, dann um eine andere Ecke bis an ein Thor, das nun für ihn volle zehn Jahre verschlossen sein sollte. Volle zehn Jahre, der beste Teil seines Lebens, jene Zeit, wo man säet, um später zu ernten, die Zeit des Lernens und Strebens, die, wenn wir sie unbenutzt vorübergehen lassen, uns mit furchtbarer Sicherheit eine trostlose Zukunft in späteren Jahren vorhersagt! Und er mußte sie unbenutzt vorübergehen lassen, nicht weil es ihm an Lust und Liebe, an Kraft zum Lernen und zur Arbeit fehlte, sondern weil ein unglücklicher Zufall, ein Mißverständnis schuld daran waren, daß diese besten Jahre seiner Jugend nutzlos aus seinem Leben gestrichen werden sollten. Zehn Jahre, zehnmal zwölf Monate, zehnmal dreihundert Tage! Welche Ewigkeit, nachdem die erste Viertelstunde mit so entsetzlicher Langsamkeit an seinem Geiste vorübergeschlichen war!

Er setzte sich auf das schmale, ärmliche Bett nieder, er stützte die Arme auf die Kniee und legte den Kopf in die Hände; er dachte an die schöne, weite Welt draußen, an Berg und Thal, Feld und Wald, leuchtend im Sonnenscheine; er dachte an seine Kindheit, an die ärmlichen Verhältnisse in dem Hause seines Vaters, und was er bisher erlebt, stand vor ihm in hellem, strahlendem Lichte, während um ihn selbst her alles trostlos finster war, während er gefangen saß zwischen steinernen Mauern, tief unter der Erde, und mit seinen düsteren Gedanken immer tiefer hinabsank, so daß zuletzt von allem Lichtglanze, der durch seine Phantasie seine Seele aufs schmerzlichste erfüllte, nichts mehr übrig blieb als ein kleiner, zitternder Stern die Erinnerung an Blanda , dessen stiller, trauriger Glanz ihn aber dann mit neuem, wilderem Schmerze erfüllte.

So war er eine lange Zeit gesessen; er glaubte wohl, viele, viele Stunden, obgleich die Zeit ihm zuliebe nicht so freundlich gewesen war, mehr zu eilen. Da vernahm er, wie die Thür seiner Zelle geöffnet wurde und sich ihm jemand, ziemlich hart auftretend, näherte. Wer es war, konnte er bei der Dämmerung, die des sinkenden Tages wegen in der Zelle herrschte, nicht sogleich unterscheiden, blieb aber trotzdem und zu seiner größten Ueberraschung nicht länger im Zweifel, wer dieser Besuch sei, als eine laute, schallende Stimme zu ihm sprach: »Ha, ich verstehe, daß man sich so niedergedrückt und zerknirscht hier befinden kann, wohl daran denkend, seine Vergangenheit zu beweinen!«

Obgleich der arme Erich lieber jeden anderen vor sich gesehen hätte, als seinen ehemaligen Vorgesetzten, den Herrn Pfarrer Wendler von Zwingenberg, so war doch die schallende Stimme desselben so passend zu den Erinnerungen aus seiner Jugendzeit, denen er sich noch vor kurzem aufs lebhafteste hingegeben, daß er nicht anders konnte, als laut schluchzend die Hand des Pfarrers zu ergreifen und sie krampfhaft zu drücken.

»Ei, ei, mein Sohn,« sagte dieser mit einer etwas milderen Stimme, »ich hätte nicht geglaubt, wenigstens nicht gehofft, daß wir uns so wiedersehen würden, und wenn ich auch nicht befugt war , Sie werden mich in dem, was ich Ihnen sage, in meiner ganzen, natürlichen Offenheit wiedererkennen , wenn ich auch nicht befugt war, oder wenn schon eine größere Phantasie dazu gehörte, Sie mir als auf dem Wege des militärischen Avancements als weit vorgeschritten vor Augen zu bringen, so hätte ich doch nimmermehr gedacht, daß unser Wiedersehen ein derartiges sein werde.«

Erich wollte sprechen, wollte ihm in kurzen, überzeugenden Worten seine Unschuld versichern; doch wenn ihn auch die heftige Bewegung, in der er sich befand, nicht sogleich am Sprechen verhindert hätte, so würde er doch vor der Handbewegung des alten Geistlichen verstummt sein, sowie vor dessen rasch eingeworfenen Worten:

»Ha, ich verstehe, daß Sie auch mir jene seltsame Ausrede glaublich machen wollen, mit der Sie aber vor den würdigen Mitgliedern des Kriegsgerichtes nicht bestanden sind! Wir hier sind von Ihrem Falle durch die Akten aufs vollständigste unterrichtet, und wenn ich sage: wir, so meine ich damit den vortrefflichen Herrn Kommandanten der Festung, meinen speziellen Gönner, ich möchte sagen, Freund, den Sie morgen beim Appell der Gefangenen sehen werden und der, wie ich zu Ihrem Troste sagen kann, von irgend einer Seite für Sie eingenommen worden ist. Daß ich nichts gethan habe, diesen guten Eindruck abzuschwächen, beweist mein Besuch bei Ihnen, denn hier erhob der Pfarrer Wendler seine Stimme zum Kanzeltone als königlicher Garnisonprediger hiesiger Festung hätte ich meine Pflicht vollkommen erfüllt, wenn ich mir am nächsten Sonntag nach der Nachmittagspredigt Ihren Namen von dem betreffenden Unteroffizier hätte nennen lassen!«

»Wie danke ich Ihnen für Ihre Teilnahme, Herr Pfarrer,« sagte Erich mit Wärme, »und wenn Sie meiner in der That ohne ungünstige Rückerinnerungen gedenken, so hoffe ich, daß es mir doch noch gelingen wird, Sie, was den schwersten Teil meiner Anklage betrifft, von meiner Unschuld zu überzeugen!«

»Darüber sind die Akten geschlossen,« erwiderte der Garnisonprediger in trockenem Tone, und ich darf Ihnen leider nicht verschweigen, daß das Urteil höheren Ortes vollkommen bestätigt worden ist.«

»Zehn Jahre meines jungen Lebens!« rief Erich, aufs neue erschüttert, in klagendem Tone, indem er seine Hände an die Schläfen preßte »zehn Jahre!«

»Leider ist es so,« sprach der Geistliche und fuhr in jenem offiziell salbungsvoll tröstlichen Tone fort: »Und ich verstehe es vollkommen, mein junger Freund, daß dieser allerdings lange Zeitraum, besonders heute, am ersten Tage Ihres Strafantrittes, wie mit Keulenschlägen auf Ihre Seele fällt aber Mut gefaßt und zuversichtlich aufwärts geblickt zu dem, der unsere Lose abwägt und unsere Geschicke lenkt, zu ihm, von dem wir mit christlichem Vertrauen sagen, daß er die ganz besonders liebt, welche er züchtigt und nun,« fuhr er in seinem gewöhnlichen Tone fort, »will ich Ihnen mitteilen, daß ich heute abend schon zu Ihnen gekommen bin, um einen kleinen Lichtstrahl in Ihre Seele zu tragen, indem ich Ihnen sage, daß der Herr Kommandant gnädigst genehmigt hat, Sie hier auf der Festung mit schriftlichen Arbeiten zu beschäftigen, und daß, in der Hoffnung auf ein künftiges, streng geregeltes Betragen, ich Ihnen auch wohl gestatten könnte, zuweilen von nützlichen Büchern meiner Bibliothek Gebrauch zu machen und Sie hie und da in meinem Hause zu sehen.« Er sagte dies in einem ziemlich trockenen Tone, wie wenn das, was er sagte, ihm gerade kein besonderes Vergnügen machte. »Ja, in meinem Hause wollen wir Sie zuweilen sehen in meinem Hause, welches leider das eines Witwers ist, da es dem Herrn gefallen hat, die treue Lebensgefährtin von meiner Seite zu reißen; stehe aber deshalb doch nicht ganz allein, da meine Tochter, die ebenfalls vom gleichen, harten Schicksal betroffen wurde, die Stelle der Hausfrau versieht.«

»Aaaah, Selma! Wie würde ich mich freuen, sie wieder zu sehen!«

»Allerdings Selma, die jetzige verwitwete Frau Doktorin Schwarzer, die ebenfalls noch zuweilen an Jugenderinnerungen leidet und mich in ihrer Herzensgüte ersucht hat, Ihnen den ersten Abend Ihrer Gefangenschaft minder schmerzlich zu machen, daß ich Sie zu einem Besuche in meinem kleinen Familienkreise einlade kommen Sie also.«

Erich verließ wie im Traume die jetzt fast schon ganz dunkle Zelle und schritt unter eigentümlichen Gedanken neben dem Garnisonprediger durch die stillen, düsteren Kasemattengänge, dann eine Treppe hinauf, und als ihn droben die warme Luft des Sommerabends so wohlthätig anfächelte, erschien ihm das milde Licht des scheidenden Tages wie eine glänzende Beleuchtung und ihm war zu Mute, als steige er nach jahrelangem Aufenthalt in finstrer Zelle wieder zu lebendigen Wesen empor. Da war die Kirche und neben derselben das kleine Haus des Garnisonpredigers. Eine alte Magd öffnete die Hausthür, worauf Erich tief aufatmend hinter dem Pfarrer eine Treppe hinanstieg und dann von diesem in ein behagliches Zimmer geführt wurde, dessen breites Fenster einen freien Blick ließ über den Wall hinaus auf die weite Ebene, auf ferne, tiefdunkle Berge, die scharf auf dem goldglühenden Abendhimmel abgezeichnet erschienen.

Dann trat Selma auf ihn zu, das schöne, üppig volle Weib in einem eng anschließenden, einfach grauen Kleide, ihr hochblondes Haar leicht gelöst und gelockt über den Nacken hinabfallend, reichte ihm ihre beiden Hände und sagte in einem innigen Tone: »Wenn ich Sie trotz alledem hier aufs herzlichste willkommen heiße, so können Sie mir glauben, daß dieses Wort aus einem Herzen kommt, welches vergangener Zeiten gern gedenkt und dem es Vergnügen macht, seine Freunde wieder zu sehen.«

Erich fürchtete sich fast vor dem heißen Drucke ihrer Hand, vor dem leuchtenden Blicke ihrer schönen Augen. War er doch in einer Stimmung, um von allem dem mehr als je berührt und bewegt zu werden. Der plötzliche Wechsel aus der dumpfen, finsteren Kasemattenzelle in dieses behaglich eingerichtete Gemach, erfüllt vom zauberischen Reflexlichte des prächtig glühenden Abendhimmels und von dem Glanze dieser verführerischen Augen, er mußte gewaltsam alle Erinnerungen hervorrufen aus seiner und ihrer Jugendzeit; ja, er zwang sich, und nicht ohne gehässige Farben die nächtliche Scene auf dem Posthofe, wo er Selma zum letztenmale gesehen, in seinem Innern auszumalen, um so eine Scheidewand zwischen ihr und sich aufzuführen.

Bald aber, als sie eine Zeitlang um den runden Tisch beisammen gesessen, bei nun geschlossenen und verhüllten Fenstern, beim traulichen Scheine der Lampe, da glaubte er zu sehen, daß Selma so gar anders geworden sei, als sie in seiner Erinnerung gelebt und als sie auch früher gewesen war. Sie erzählte, gänzlich unbefangen in Gegenwart ihres Vaters, aus ihrem früheren Leben, aus ihrer freudelosen Ehe, wobei sie indessen weit entfernt war, sich von aller Schuld loszusprechen, wogegen sie aber ihre ganze, verfehlte Existenz dahin zurückführte, daß es ihr in ihrer Jugend versagt gewesen sei, sich ihr Glück selbst zu suchen, zu wählen und zu nehmen.

Erich wurde in diesem Augenblicke durch einen Einwurf des Garnisonpredigers vollkommen in Anspruch genommen, so daß er den Blitz aus Selmas Augen sowie ihr tiefes Atmen nicht bemerkte, was beides ihre letzten Worte begleitete.

»Ha, ich verstehe,« rief Selmas Vater, und muß leider bekennen, daß der starke unbeugsame Wille deiner Mutter nicht immer das richtige traf! Doch lassen wir die vergangenen Zeiten ruhen und freuen uns des Daseins im rosigen Lichte!«

»Das wollen wir.«

Nach ein paar Stunden, welche dem jungen Gefangenen von einem Tage, rasch wie Minuten verflogen waren, dankte er aufs herzlichste für die freundliche Aufnahme und bat um Erlaubnis, sich zurückziehen zu dürfen, wobei ihm der Pfarrer trotz aller Weigerung das Geleite gab, indem er, wie er sagte, so lange für ihn verantwortlich sei, bis er morgen einer Abteilung zugewiesen werde. Im nächsten Augenblicke war denn auch das freundliche Zimmer des Pfarrhauses und die schöne Selma, die ihm mit sinnendem Blicke nachschaute, hinter ihm verschwunden und Erich hatte seine finstere Zelle wieder erreicht. Von allem Erlebten der letzten Tage wie betäubt, warf er sich auf das dürftige Lager und träumte, eingeschlafen, was er im Wachen gedacht, daß er nämlich soeben erst das Pfarrhaus in Zwingenberg verlassen und, an die schöne Selma denkend, wieder in dem engen Verschlage des Schulmeisters Wacker ruhe. Aber es waren das finstere, beängstigende Träume, die ihn unruhig umherwarfen, und erst verschwanden, als er, mitten in der Nacht aufwachend und von seinem niederen Lager emporblickend, über dem dunkeln Rande des Walles einen hell leuchtenden, weiß glänzenden Stern stehen sah Blandas Stern.

Der zweite Tag seiner Gefangenschaft ging Erich scheinbar rascher vorüber, als die erste Minute, welche er gestern in seiner Zelle zugebracht; hatte ihm dieser Tag doch auch vieles, und gerade nichts Unangenehmes gebracht. Er war einer der Strafabteilungen zugewiesen und zu vielleicht zehn anderen in einem hellen Räume untergebracht worden; und wer diese anderen waren, er erfuhr es nicht sogleich. Ein gegenseitiges Vorstellen war hier nicht Gebrauch, und die meisten schienen es zu vermeiden, ohne besondere Notwendigkeit von ihrer Vergangenheit zu reden.

Beim Appell wurde er dem Festungskommandanten vorgestellt, einem Generalmajor der Infanterie, von einer ganz außerordentlichen Körperlänge, mit einem roten, wilden Gesichte und schon ergrautem Barte; trotzdem aber hätte man sich wundern können, diesen Offizier mit dem Rufe eines tüchtigen Soldaten und im kräftigsten Mannesalter auf einem solchen Ruheposten zu sehen, denn die kleine Festung war sehr unbedeutend, wenn man nicht gewußt hätte, daß der Gouverneur derselben, früher Kommandeur einer Gardebrigade und aus einem alten, vornehmen Hause eigentlich nichts mehr und weniger war, als sein eigener vornehmster Gefangener, wozu ihn eine maßlose Heftigkeit gegen Untergebene und auch gegen Vorgesetzte gemacht. Bei der geringsten Dienstwidrigkeit, mehr aber noch bei einer Miene, die nur im entferntesten verriet, als habe der Betreffende die Absicht, selbst nur im Innern zu räsonnieren, schwoll ihm die Zornader auf der Stirn, sein Bart sträubte sich wie der eines wilden Katers, und wenn der Ausbruch des Gewitters nicht noch glücklich durch irgend etwas vermieden wurde, so folgten sich häufig Blitz und Schlag in sehr unangenehmer Weise.

Im übrigen war der General Graf Semmering, wie schon früher bemerkt, ein vortrefflicher Offizier, dabei {bild} bei jovial, heiter, ein aufopferungsfähiger Freund, einer der besten Kameraden und Vorgesetzten.

Da stand er, mit auseinander gespreizten Beinen, die Hände auf dem Rücken, in einem langen Militärüberrocke, ohne Epauletten, inmitten des kleinen Exerzierplatzes, der auf einer Seite von der Kommandantur, auf der anderen von der Garnisonkirche mit der Pfarrerswohnung begrenzt wurde, und lachte heiter mit dem Hauptmanne von Walter, der sich soeben bei ihm gemeldet hatte; dann, nach einer Reihe verschiedener Meldungen und Anfragen der betreffenden Offiziere, kam die Reihe an Erich, und für einen Augenblick verfinsterte sich des Lachenden Gesicht.

»Ah,« rief er mit einer dröhnenden Stimme »das ist ja wohl der berühmte letzte Bombardier, den wir das Vergnügen haben, hier unter unsere Aufsicht zu bekommen! Ein kecker Bursche, sieht aus, wie wenn er nie ein Wasser getrübt hätte; nun, wir werden schon sehen, was an ihm ist. Gerechtigkeit vor allen Dingen, mein Sohn, und in der Gerechtigkeit suche ich meinesgleichen. Führst du dich auf, wie es sich für einen vernünftigen und reumütigen Menschen schickt, gut, so werden wir dir in Gnaden gewogen sein; machst du aber auch hier deine Sprünge, so sollst du die Bekanntschaft eines guten Freundes machen, der dich schon zahm kriegen wird!«

Da der General bei den letzten Worten eine Bewegung mit seiner Reitpeitsche machte, daß diese einen zischenden Laut von sich gab, so war nicht schwer einzusehen, wen er mit dem angedrohten Freunde eigentlich gemeint wissen wollte.

Erich, welcher von dem wohlwollenden Unteroffizier seiner Abteilung, den General und Festungsgouverneur betreffend, aufs beste instruiert worden war, hatte bei dieser Empfangsfeierlichkeit auch nicht in Gedanken mit einer Muskel seines Gesichtes gezuckt und regungslos dagestanden, wie eine Statue, der Vorschrift gemäß, kein Auge von dem Gesichte seines Vorgesetzten abwendend, wobei es ihm eigentümlich vorgekommen war, daß der General trotz der strengen Worte, die er an ihn richtete, ihn höchst selten anblickte, sondern seine Augen meistens etwas zu fixieren schienen, was sich seitwärts von Erich und viel höher befand; ja, trotz der ernsten Worte lächelten nicht selten Augen und Mund des gestrengen Offiziers, und schließlich nahm er sein Taschentuch hervor und wischte sich auffallend und sehr langsam den langen, grauen Schnurrbart. Erich wurde durch eine Handbewegung entlassen, und als er hierauf nach der Vorschrift linksumkehrt machte, streiften seine Blicke die Garnisonkirche und das Pfarrhaus, in welch letzterem er die schöne Selma, an einem Fenster lehnend, sah.

Was seine Festungsarbeiten anbelangte, so wurde er zu Schreibereien auf das Bureau der Kommandantur befohlen, und fand hier, wie auf allen dergleichen Kanzleien, keine besonders angestrengte Thätigkeit. So weit wäre er auch mit seinem Lose zufrieden gewesen, wenn er nicht begreiflicherweise gar zu häufig Stunden gehabt hätte, wo ihn in Erinnerung an seine Vergangenheit und besonders an Blanda die trostlosesten Gedanken, völlige Verzweiflung erfaßten. Was war aus ihr geworden? Er wußte es nicht. Vergeblich schrieb Schmoller für ihn an den Doktor Burbus und an Mamsell Stöckel; er hatte von ersterem keine Antwort, von der letzteren, Blanda betreffend, keine Auskunft erhalten. Mit Selma darüber zu sprechen, wagte er nicht; vermied diese es doch, so wohlwollend sie und ihr Vater sich auch sonst gegen ihn bewiesen, über Vergangenes mit ihm zu reden, besonders über Dinge, welche Zwingenberg betrafen oder gar die Bewohner der Waldburg, welche Erich auf Umwegen schon häufig in die Unterhaltung zu ziehen versucht hatte.

Wenn Selma sich überhaupt stets freundlich gegen ihn benahm, so war doch in ihrem Betragen eine Zurückhaltung unverkennbar, und nicht nur in Gegenwart ihres Vaters, sondern auch, wenn sie, was häufig genug vorkam, mit dem jungen Manne allein war.

Da saß dieser an einem stillen Sonntagnachmittage in seinem Schreibzimmer auf der Kommandantur, die Glocken der Garnisonkirche hatten eben ausgeklungen, und bei der tiefen Stille, die ringsum herrschte, sowie bei den offenstehenden Fenstern vernahm Erich hie und da deutlich eines der laut tönenden Worte aus der Predigt, welche der Herr Pfarrer Wendler hielt. Erich hatte einen Brief an den Doktor Burbus angefangen, in welchem er ihm sein ganzes Inneres darlegte und ihn beschwor, doch noch so viel Freundlichkeit für ihn zu haben, um ihm ein tröstliches Wort über Blandas Schicksal zu sagen. Mitten im Schreiben aber hatte ihn begreiflicherweise seine Empfindung überwältigt; er hatte das Papier mit seinen Thränen benetzt und war dann, seine Augen trocknend, aufgesprungen, um durch Hin- und Herschreiten wieder ruhiger zu werden. Dabei blickte er unwillkürlich auf den Platz hinaus und sah dort den Festungskommandanten mit einem sehr roten Gesichte und etwas hastigen Bewegungen das Pfarrhaus verlassen sowie mit langen und eiligen Schritten gegen die Kommandantur gehen. Drüben waren wegen des grellen Sonnenscheines die weißen Vorhänge niedergelassen und es regte sich auch nichts in dem Hause, was wohl begreiflich war, da sich sämtliche Bewohner in der Nachmittagspredigt befanden.

›Was aber hatte der General drüben zu thun gehabt? Erich vermochte nicht, darüber nachzudenken, da er die gereizte Stimme des Generals auf der Treppe vernahm, der bei allen zehntausend Teufeln fluchte und polternd befahl, daß der Posten vor dem Gewehre augenblicklich abgelöst und auf drei Tage in strengen Arrest gebracht werde. »Ein Kerl,« rief er, »der bei hellem Tage mit halbgeschlossenen Augen dasteht, wie ein Murmeltier!« Dann verlangte er nach seinem Reitpferde, und Erich sah ihn kurze Zeit darauf über den Platz davonsprengen.

Was mochte das alles bedeuten? Diese Frage stellte sich Erich und wiederholte sie noch erstaunter, als er jetzt bemerkte, wie sich drüben im Pfarrhause einer der weißen Vorhänge erhob und Selma dort erschien, ihm hastig winkend, herüber zu kommen.

Sie hatte das zwar schon öfter gethan, doch hatte er noch nie dieser Einladung unter einem so eigentümlichen Gefühle Folge geleistet, wie gerade jetzt; drunten auf den breiten Steinen des Platzes brannte die sengende Nachmittagssonne, und als Erich aus dem Hause trat, sagte der Posten vor dem Gewehr:

»Wenn der Alte nicht einen Sonnenstich gekriegt hat, so soll mich der Teufel holen! Dort kam er mit einem wilden Gesichte um die Ecke und glotzte mich an, wie wenn er mich beißen wollte; da habe ich vielleicht auch die Augen geschlossen, das ist möglich nun, mir ist es gleichviel, im Arrest in der kühlen Kasematte ist es besser als hier im Sonnenscheine!«

Es war aber auch eine drückende Hitze auf dem Platze zwischen den heißen Mauern, und rings nichts Lebendiges zu sehen, als unzählige summende Bienen, schwärmend um die mächtige Linde, die still träumend vor der Kirche stand und vielleicht der Stimme des Herrn Pfarrers Wendler lauschte, dessen Worte man deutlich vernahm: »Ha, ich verstehe daß es euch schwer wird, daran zu glauben, um wieviel leichter ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe als Reicher will sagen, Gottloser Himmel komme.«

»Kommst du, Erich?« fragte Selma oben an der Treppe, als der junge Mann in dem kühlen Hause stand und die Thür hinter sich ins Schloß gedrückt hatte. »Hänge die Kette vor und komme herauf.«

Stärker klopfte ihm das Herz, als er die Treppe hinanstieg und nun in das verdunkelte Zimmer trat, wo Selma, leicht und weiß gekleidet, mit heftigen Schritten auf und ab ging.

»Es ist ein Glück,« rief sie ihm entgegen, ohne ihren Spaziergang zu unterbrechen, »daß Sie gerade drüben waren, daß ich Sie rufen konnte und daß Sie gekommen sind ach was, Sie, warum soll ich Sie sagen, setzte sie leidenschaftlich hinzu, indem sie vor ihm stehen blieb, ihre beiden Arme auf seine Schultern legte und die Finger in seinem Nacken mit einer krampfhaften Bewegung zusammenflocht warum soll ich Sie zu dir sagen, da wir uns doch so lange und so gut kennen, auch, wenn ich nicht irre, früher einmal wenigstens Du zu einander gesagt haben ist's nicht so, mein Erich?« Sie legte ihr Haupt an seine Brust, und es war ihm, als hörte er sie schluchzen. »Und wenn es auch nicht gewesen wäre, so müßte ich doch zu dir Du sagen, um mit dir zu sprechen, wie ich will, und weil ich dich einmal herzlich geliebt habe und noch liebe! Du dagegen hattest mich wohl ganz vergessen,« fuhr sie fort, nachdem sie ihr Haupt emporgehoben und ihn mit thränengefüllten Augen ein paar Sekunden lang angesehen »ja du hattest mich vergessen, bei anderen vergessen, und ich nehme dir das nicht übel, denn die Zigeunerin war schön und wußte nicht nur Knabenherzen, sondern auch die Herzen gereifter Männer anzuziehen und die andere, o, die andere ist noch viel schöner und gefährlicher, weil sie feiner war und reiner!«

»Aber, Selma, sagte er mit erregter Stimme, während er sanft versuchte, ihre Finger in seinem Nacken zu lösen, was ihm auch gelang »was soll das alles? Haben Sie mich deshalb herüber gerufen, um mir das zu sagen?«

»Ja, ja und um dir noch mehr zu sagen, um mit dir zu reden, Erich, wie ich mit dir reden muß, weil ich nicht anders kann; aber ich will es ruhig thun, nicht leidenschaftlich. Deshalb setze dich dort in die Ecke des Sofas, während ich mich in die andere setze, weit genug von dir entfernt, um nicht einmal meine Hand in die deine legen zu können so nun höre mich ruhig an, nachdem ich dir noch einmal wiederholt, daß ich dich innig, herzlich, glühend, leidenschaftlich liebe, und daß ich unglücklich sein werde, gänzlich verloren, wenn ich fühlen muß, daß du mich ganz vergessen hast! Vor dir, soeben, war ein anderer Besuch bei mir hier in diesem Zimmer.«

»Ich weiß es,« sagte Erich ruhig; »ich sah den Herrn General, kurz zuvor, als Sie mich riefen, das Haus verlassen.«

»Du sagst das in sehr ruhigem Tone.«

»Weil weil der Herr General mir nichts weniger als ruhig erschien, vielmehr sehr unangenehm erregt.«

»Aaaah so,« entgegnete Selma, wobei ein freudiger Strahl in ihren Augen zuckte »er hatte Ursache dazu, mich unzufrieden zu verlassen und daß er mich so verließ, daran trägst du die Schuld, Erich, und es liegt in deiner Macht, ihn unzufrieden zu erhalten, mich aber zufrieden und glücklich zu machen zufrieden, glückselig, wenn du mich lieben, wenn du mein sein willst höre mich ruhig an, ich verlange ja nichts Unrechtes von dir; durch den Tod meines Gatten bin ich frei, wie du es ja auch bist.«

»Ich, Selma?« fragte er mit einem traurigen Lächeln »ja frei, vielleicht nach zehnjähriger, zerstörender Festungshaft!«

»Ja, ja, daran denke wohl,« erwiderte sie mit leuchtenden Augen, indem sie sich, ohne ihren Platz zu verlassen, gegen ihn neigte »daran denke wohl und sei überzeugt, daß man dir nach dem, was du begangen, von diesen zehn Jahren auch nicht eine Stunde schenken wird. Denke, Erich, zehn lange Jahre deiner schönsten Jugendzeit, zehn Jahre in diesen trostlosen Mauern, die mehr als hinreichend sind, um tiefe Furchen in dein schönes, liebes Gesicht zu graben, vielleicht dein krauses Haar zu bleichen; ich habe Aehnliches gehört aus den Erzählungen meines Vaters, wie die Langeweile, die Hoffnungslosigkeit, die Sehnsucht nach der schönen Welt draußen bis zum Lebensüberdruß sich steigern und fast wahnsinnig machen kann das könnte, das müßte auch deine Zukunft sein, wenn ich dir keine andere böte!« »Du, Selma?« fragte er verwundert, aufmerksam werdend, und dabei erregt durch den heißen Atem ihres Mundes, den er deutlich fühlte, wenn sie sprach, da sie sich immer mehr gegen ihn geneigt hatte und ihr dichtes Haar schon an seiner Schulter ruhte.

»Ja, ich will dich frei machen, hoffentlich auch glücklich, wenn du mir folgen und dein Schicksal unauflöslich an das meinige schließen willst ich bin vollkommen selbständig,« fuhr sie hastig fort, indem sie ihre Blicke in die seinigen versenkte »und ich liebe dich das Vermögen meiner Mutter sowie das sowie seines ist unbestritten in meinen Händen meinem Vater bin ich eine Last, und ich sehne mich nach Freiheit mit dir!«

»Verstehe ich dich recht, Selma?«

»O, du mußt mich verstehen zwei Stunden von hier ist die Grenze; für deine ungehinderte Flucht bin ich zu sorgen imstande, und dann soll es uns ein Leichtes sein, in ein freies, unabhängiges Land zu gelangen, wo wir vereint unserer Liebe und unserem Glücke leben können!«

»Glück, Selma, und Liebe?« erwiderte er, sie erschreckt und starr anblickend. »Ja, allerdings, ohne Liebe wäre kein Glück möglich und gerade das fühle ich schmerzlich!«

»O, Erich, du hast mich einstens geliebt, ich weiß das genau, und auch du kannst es nicht vergessen haben und darfst es nicht vergessen wohl aber anderes, was für dich unerreichbar ist! Wenn die Mitteilung, die ich dir zu machen habe, grausam klingt, so ist sie doch zu deinem Glücke, so zerstört sie eine Hoffnung, um dich vielleicht der Freiheit rascher entgegen zu treiben du forschtest bei uns schon öfters nach dem Schicksale Blandas, nicht direkt, aber durch Umwege und Anspielungen.«

»Und was weißt du von ihr?« fragte Erich mit bebenden Lippen.

»Ich weiß von ihr, daß sie glücklicher ist, als du, und daß sie sich willig und zufrieden in ihr Glück findet; ich weiß, daß sie auf der Waldburg ist, geliebt und hochgeehrt, weil ein Zusammentreffen seltsamer Umstände sie erkannt werden ließ als die Enkelin des Grafen Seefeld.« Blanda Blanda!«

»Ich weiß, daß sie dem Wunsche des alten Grafen nachgeben wird, um die Frau von dessen Neffen Dagobert zu werden.«

»Blanda Blanda!«

Dieses Mal klang dieser Ausruf, statt freudig erregt, wie soeben, schmerzlich traurig, während Erich seine beiden Hände vor das Gesicht preßte und tief erschüttert dasaß. »Verloren verloren!«

Tiefer Orgelton, der von der Kirche herüberdrang, war wohl schuld daran, daß sich sein Schmerz um Blanda in linde Wehmut und Thränen auflöste, wirkte aber auf Selma in ganz anderer Art; sie näherte sich Erich, sie schlang ihren Arm um seinen Hals, sie küßte ihn sanft auf das krause Haar und sagte zart, aber doch dringend:

»Entschließe dich, Erich, entschließe dich zu deinem Glücke, und was geschehen soll, muß bald geschehen; entschließe dich, statt in zehnjähriger Gefangenschaft dein junges Leben hoffnungslos zu vergeuden, in meinen Armen frei und glücklich zu sein!«

»O, Selma entschlossen bin ich und kann nicht anders!« rief er, hastig aufspringend. »Laß Blanda geliebt und hochgeehrt, ja, glücklich als Gattin des Mannes leben, der mich so grenzenlos unglücklich gemacht, laß es wahr sein, daß die zehnjährige Haft meine besten Kräfte verzehrt und mich früh alt werden läßt, ich will doch aushalten, was über mich verhängt ist, und wäre es auch nur, um den guten, fleckenlosen Namen meines Vaters in Ehren zu halten, da ich doch sonst nichts mehr thun kann, um seinen heißesten Wunsch zu erfüllen!«

»Erich, du bist grausam und undankbar!«

»Gewiß nicht, Selma!« antwortete er, ihr näher tretend und sanft ihre beiden Hände ergreifend. Ich sage dir heißen, heißen Dank für deine Teilnahme und will dir diese Dankbarkeit Zeit meines Lebens, so viel in meinen Kräften steht, beweisen; aber ich kann nicht zu meinen anderen Vergehen noch das schimpflichste der Desertion fügen ich kann und will nicht!« Das schöne, vor Aufregung glühende Weib hatte seine beiden Arme umklammert und rankte sich langsam bis zu seiner Brust empor, wo sie ihren schwer atmenden Busen fest auf sein Herz drückte und mit zitternden Lippen und halb geschlossenen Augen {bild} sagte: »Wenn du nicht mit mir fliehen willst, Erich, so liebe mich und sei es auch nur aus Barmherzigkeit!«

»Ich habe nur einmal geliebt, Selma, und kann trotz alledem dieser Liebe nicht entsagen!«

»Du liebst Blanda!«

»Ja, ich liebe sie und werde sie lieben, obgleich ich weiß, welch tiefe Kluft mich für immer von ihr trennt!«

»Amen!« klang es deutlich von der Kirche herüber, wie Erich wenigstens glaubte, aber so klar und hörbar, daß Selma erschreckt aufblickte, um gleich darauf mit einem lauten Schrei in das Sofa zurückzusinken. Es stand jemand unter der Thür, der mit einem eigentümlichen Lächeln sagte, er habe ein paarmal vergeblich angeklopft und müsse schon dieser unwillkommenen Störung wegen um Verzeihung bitten.«

»Herr Doktor Burbus!«

»Ja, mein Junge, ich bin es,« sagte der alte Mann gerührt, obgleich er sich durch einige Grimassen Mühe gab, diese Rührung nicht merken zu lassen »ich bin es und gekommen, um dich aufzusuchen; schon am Thore dieser kleinen Festung, die so still und öde ist, wie ein verwunschenes Schloß, forschte ich nach dir und erfuhr, daß du wahrscheinlich auf einem der Bureaux der Kommandantur sein würdest, von dort aber habe man dich in dieses Haus eintreten sehen, und da versuchte ich mein Glück und kam auch richtig zum Ziele, dich zu finden und zugleich unsere Bekanntschaft aus früherer Zeit zu erneuern. Nichts für ungut,« wandte er sich an Selma, indem er ihr treuherzig die Hand reichte; »wir Aerzte sind wie die Geistlichen, welch letztere ich sehr genau kenne, wir sehen und hören je nach Bedürfnis, und hier, kann ich Ihnen versichern, hörte ich nur sehr Erfreuliches, weshalb ich mir denn auch erlaubte, so recht von Herzen Amen zu sagen.«

»Mein Vater wird sich recht freuen, Sie zu sehen, Herr Doktor,« sagte Selma, nachdem sie nur sehr kurze Zeit gebraucht, sich vollständig zu fassen und zu sammeln »wie oft sprechen wir von den Bekannten auf Zwingenberg er kommt soeben aus der Kirche,« fuhr sie fort, indem sie ans Fenster eilte und dort die kalten Scheiben benutzte, um ihre heiße Stirn etwas daran zu kühlen.

Gleich darauf trat der Garnisonprediger in seinem langen, schwarzen Predigerrocke in das Zimmer und hob beim Anblicke des Doktors Burbus seine Hände erstaunt in die Höhe, wobei er sich ziemlich unlogisch seines Lieblingsausdruckes: Ha, ich verstehe! bediente, denn er verstand in Wahrheit durchaus nichts von der Anwesenheit Erichs sowie des Doktors Burbus. Letzterer aber bemühte sich alsbald, ihm seine Ankunft als eine glückbringende für den jungen Gefangenen zu erklären, und übergab ihm Papiere, aus denen der Pfarrer deutlich sah, daß Erich Freiberg infolge weiterer Aufklärungen, die dem hohen Corpskommando übermittelt worden, auf ganz besonderen Befehl Sr. Königlichen Majestät begnadigt worden und sogleich in Freiheit zu setzen sei. Es ist dies eine zuweilen vorkommende Art, einen begangenen Justizfehler wieder gut zu machen, ohne diesen Fehler eingestehen zu müssen. »Ha, ich verstehe!« rief der Pfarrer, jetzt mit etwas größerem Rechte, obgleich er das Vorgefallene mit seinen Folgen noch immer nicht so gut verstand, als seine Tochter Selma, welche Erichs Hand ergriff und ihm mit bewegter Stimme sagte: »Ich freue mich, daß Sie frei geworden sind; leben Sie wohl und denken Sie mit Freundschaft an mich!«

Damit verschwand sie aus dem Zimmer, welches auch Doktor Burbus und Erich bald darauf verließen, um sich zum Festungsgouverneur zu begeben, der soeben in langsamem Schritte beim Pfarrhause vorüber von seinem Spazierritte kam und, nachdem er dort einen Augenblick gehalten und mit Selma ein paar flüchtige Worte gewechselt, viel besser, ja, heiter gelaunt erschien. Er empfing die notwendigen Papiere aus den Händen des Doktors Burbus und war wohlwollend genug, seine Freude über die glückliche Wendung von Erichs Schicksal auszusprechen, worauf er lachend hinzufügte:

»Und da Sie nun nichts mehr bei uns zurückhält, so werden Sie diesem unheimlichen Orte so bald als möglich den Rücken kehren. Viel Glück auf die Reise!«

Nur einen einzigen Besuch hatte Erich noch zu machen, nachdem er seine wenigen Habseligkeiten zusammengebunden und mit sich genommen, und zwar bei seinem Freunde Schmoller, der drunten in der Festung in der Artilleriekaserne wohnte und wohin ihn Doktor Burbus gern begleitete. Doch hatten sie kaum ein Drittel des Weges zurückgelegt, als ihnen der Unteroffizier schon mit langen, hastigen Schritten entgegen kam, das Gesicht gerötet und vor Freude strahlend. »Da bist du ja,« rief er schon von weitem »und weißt schon alles?«

»Alles, alles, und du kannst dir denken, wie glücklich ich bin!«

»Du weißt, daß du frei bist?«

»O, gewiß!«

»Auch, auf welche Alt deine Unschuld an den Tag gekommen ist?«

Erich schaute fragend auf den Doktor Burbus, der, mit den Achseln zuckend, lächelnd sagte: »Ich hätte dir das alles nachher umständlich erzählt, doch will ich deinem Freunde die Freude nicht verderben.«

»Man fand nämlich,« rief Schmoller mit einem vor Entzücken fast weinerlich grinsenden Gesichte, daß die Kugel, welche auf den Grafen Seefeld abgefeuert wurde, viel zu groß war für den Lauf meines, deines, unseres Terzerols o jeh, o jeh, Erich, ich möchte wie ein Kind weinen!«

Erich drückte ihm stumm die Hand, worauf der brave Schmoller nun mit wirklich nassen Augen fortfuhr:

»Also mußte jemand anders den Schuß abgefeuert haben und wer das gewesen ist, weiß ich auch.«

»Sie?« fragte der Doktor verwundert.

»Ich ich bis jetzt hier noch ganz allein, aber bald werden es alle wissen, denn es soll kein Geheimnis bleiben wie mir hier meine Braut, wie mir Fräulein Stöckel schreibt, ihr Bruder, der Förster vom Jagdschlößchen, hat es selbst beim Auditeur angegeben; sein Sohn, der arme Joseph, ist euch in jener Nacht nachgeschlichen, und als er hinter dem Posthause versteckt, mit ansah, wie Blanda mit Gewalt in den Wagen gehoben wurde, schoß er auf den Grafen Seefeld.«

»Gott sei gelobt,« sagte Doktor Burbus erschüttert, »daß alles dadurch so vollkommen klar geworden! Mich dauert nur der Unglückliche!«

»Mich dauert der Vater, denn den Sohn haben die Aerzte für gänzlich irrsinnig und deshalb für unzurechnungsfähig erklärt. Du aber,« fuhr Schmoller, heiter gegen Erich gewandt und dessen kleines Bündel betrachtend, fort, »hast dich in aller Schnelle reisefertig gemacht, und das kann ich dir nicht übelnehmen.«

»Mein Wagen hält vor dem Wirtshause drunten,« sprach der Doktor, »und nach einem Abschiedstrunke, wozu ich den Herrn Unteroffizier Schmoller freundlichst einlade, wollen wir unsere Fahrt antreten.«

»Der Herr Unteroffizier« Schmoller sagte dies mit einem pfiffigen Lächeln »bedauert sehr, diese Einladung nicht annehmen zu können; doch wird« hier machte er eine auffallende Schwenkung nach rechts und ließ den geraden Degen mit dem neuen, glänzenden Offiziersportepee sehen der Herr Feldwebel Schmoller mit großem Vergnügen die Ehre haben, dieser Einladung zu folgen.«

»Zugleich mit unserem herzlichsten Glückwunsche!«

Wie schmeckte unter der kleinen Laube im Hofe des Posthauses der kühle Wein in den kalten, dunstig angelaufenen Gläsern, mindestens dem Doktor Burbus und dem jungen Feldwebel, während Erich, von einer ihm selbst unerklärlichen, anderen aber, sehr begreiflichen Unruhe getrieben, kaum von dem Weine genoß, um sich gleich darauf wieder von dem Tische zu entfernen, an dem er sich soeben erst niedergelassen; dann betrachtete er, tief aufatmend und mit einem Blicke voll Sehnsucht, durch die wehenden Ranken der Laube hindurch den tiefblauen Himmel, um gleich darauf den Wagen, der Doktor Burbus hierher gebracht hatte, zu umkreisen, ein solides, aber trotzdem elegantes Fahrzeug, das mitten im Hofe stand, frischer Postpferde gewärtig. Erich faßte mit den Händen die Räder, ließ seine Finger über das glänzend lackierte Leder gleiten und hätte gern seine heißen Wangen daran gekühlt, um alsdann den Wagenkasten selbst auf seinen Federn leicht schaukeln zu lassen und jetzt mit einem wahrhaft kindischen Entzücken das kleine, zierliche S mit der Grafenkrone darüber an dem Schlage zu entdecken.

»Mir pressiert es eigentlich nicht so sehr,« lachte der Doktor auf eine Frage Schmollers herüber, »und wenn Erich es vorzieht, die Nacht hier zu bleiben, so habe ich nichts dagegen einzuwenden.«

»Ich?« erwiderte der junge Mann fast bestürzt. »O nein, ich ziehe es gewiß nicht vor, da zu bleiben, und wenn Sie erlauben, sehe ich, wo der Postillon so sehr lange steckt!«

Darauf verschwand er eilig, um gleich nachher in Begleitung des Gesuchten und der Pferde zurückzukehren, aber als diese angespannt wurden, verließ Erich seine Unruhe nicht, und er trat zuweilen an das Hofthor, um sich mit großer Zufriedenheit in der gänzlich menschenleeren Straße umzuschauen.

Endlich saß der Doktor im Wagen und endlich durfte Erich folgen, nachdem er noch vorher den guten Schmoller stürmisch an sein Herz gedrückt; dann rollte der Wagen zum Hofe hinaus, an den stillen Häusern vorüber, wo nur hie und da, von dem Tone des Posthorns angelockt, sich ein gelangweiltes Sommersonntagnachmittagsgesicht sehen ließ. Draußen zwischen den Festungswerken war es schon lebendiger und teilnehmender; wie klang der dumpfe Widerhall unter den gewölbten Thoren, wie geheimnisvoll klirrten die Ketten der Zugbrücken und welch gutmütig polternden Gruß riefen die zitternden Bohlen der langen Brücken dem enteilenden Flüchtlinge nach und draußen in der weiten Landschaft, beleuchtet vom Abendscheine war es erst so schön und herrlich, daß Erich nicht anders konnte, als die Hand des Doktors ergreifen, um heiße Thränen darauf zu weinen.

Dann erzählte dieser, als sie auf einer geraden Straße durch die endlos scheinende Fläche rollten, einiges von dem, was sich in den letzten Wochen zugetragen manches verschwieg er auch, und schließlich sagte er zu Erich: »Und so bist du denn einer der freiesten und hoffentlich auch glücklichsten Menschen, welche es auf dieser Welt gibt, verschiedene Wege stehen dir offen, um etwas Tüchtiges zu werden. Da ist dir zum Beispiel von dem Brigadekommando gnädigst gestattet worden, sogleich wieder in die Schule einzutreten, um deine Studien zu vollenden.«

»Nein, nein!« rief Erich mit einer abwehrenden Handbewegung. »Man ist aufmerksam auf dich geworden, man will dir wohl, und du kannst versichert sein, daß dir der Weg zu den Epauletten thunlichst abgekürzt wird.«

»O nein, o nein, ich will lieber alles andere ergreifen, ich will auf einem Bauernhofe arbeiten oder zu einem Förster in die Lehre gehen!«

»Wenn du aber Offizier würdest, teurer letzter Bombardier, so hast du mächtige Freunde, die dich in jeder Hinsicht unterstützen und für dein rasches Fortkommen sorgen würden.«

»O, nein, auch unter diesen Aussichten nicht!«

»Du weißt,« fuhr der Doktor achselzuckend fort, »daß deine ehemalige Freundin jetzt eine sehr reiche und vornehme Dame geworden ist; vielleicht daß es ihr später weniger hart sein würde, sich deiner Freundschaftlichkeit zu erinnern, wenn du durch Degen und Epauletten auch so etwas wie ein halb vornehmer Mann geworden wärest.«

»Wenn mich Blanda später, wenn wir uns vielleicht einmal wieder sehen sollten, nicht wiedererkennen würde, weil ich den Arbeitsrock oder die graue Joppe trüge, so wäre auch nichts daran verloren.«

»Gut denn, so gehen wir zum Bauernhofe und zum Walde über.«

»Zu meinem Heile, zu meinem Glücke,« gab Erich eifrig zur Antwort und hörte mit stiller Seligkeit zu, wie ihm alsdann sein väterlicher Freund einen wohl überdachten Studienplan in der ruhigen Art und Weise, die ihm eigen war, entwickelte. Er sollte während eines oder zweier Jahre eine der großen landwirtschaftlichen Akademien besuchen, und sich auch praktisch mit den Forstwissenschaften bekannt machen, dann irgendwo, wenn er etwas Tüchtiges gelernt habe, die Verwaltung großer Güter, vielleicht später einmal einen Teil der gräflich Seefeldschen übernehmen denn dem alten Grafen, Herrn Christian Kurt, bist du großen Dank schuldig, da dieser es ist, der aufs reichlichste die Mittel zu deiner Ausbildung angewiesen hat.«

»O, wie dankbar werde ich ihm sein,« rief Erich in schwärmerischer Begeisterung »und vor allen Dingen Ihnen, mein edler, teurer Freund, ohne den sich alles das nicht so glücklich gefügt hätte! O übermitteln Sie vorläufig dem Herrn Grafen meinen heißen Dank und sagen ihm, wie fest ich entschlossen bin, mich seiner Güte würdig zu erweisen! Vielleicht darf ich es ihm später selbst wiederholen, und dann dann vielleicht auch Blanda wiedersehen, wenn sie in ihren neuen Verhältnissen, an der Seite eines hoffentlich geliebten Gatten mich nicht ganz vergessen hat.«

»Hm,« machte der Doktor mit hoch emporgezogenen Augenbrauen, indem er Erich von der Seite ansah, von einem Gatten Blandas ist mir vorläufig nichts bekannt, und möchte wohl erfahren, woher du diese Wissenschaft hast.«

»Selma sprach mir davon.«

»Sie sagte, Blanda würde sich verheiraten?«

»Ja, mit ihrem Vetter, dem Grafen Dagobert Seefeld.«

»Dummes Zeug,« brummte der Doktor »eher noch mit mir! Das allein Wahre an der ganzen Geschichte ist, daß sich Graf Dagobert Seefeld zu verheiraten gedenkt, aber nicht mit Blanda, sondern mit einer Gräfin Klothilde Haller.«

Darauf drückte sich der Doktor in eine Ecke des Wagens und lächelte in sich hinein, wie man zu lachen pflegt, wenn man über eine Idee, über ein Projekt nachdenkt, das uns außerordentlich viel Vergnügen verspricht.

Ach, es war ein herrlicher Abend, durch den der glückliche Erich fuhr, Konzert im Grase, Konzert in den Büschen; lustig singende Vögel und schrillende Cikaden wurden durch den melodisch zusammenstimmenden Ruf der Frösche in entfernten Teichen abgelöst, und diese verstummten dann später wieder aus Ehrfurcht und Zuneigung vor der süßen Stimme der schluchzenden, klagenden Nachtigall.

Dabei träumt es sich so süß, wenn man aufwärts blickt an den nach und nach dunkler werdenden Nachthimmel, wo, wie unseren lebhaften Gedanken folgend, immer wieder neue Sternbilder hervorspringen und so unsere Phantasien aufs glänzendste verwirklichen.

Erich träumte von einer glücklichen Zukunft, die er sich aber selbst begründet hatte durch einen ungeheuren Fleiß, durch eine so riesenhafte Ausdauer im Lernen und Arbeiten, daß er nach kaum beendigter Lehrzeit von mindestens einem Dutzend reicher Gutsbesitzer, mit deren Söhnen er studiert, unter allen ihm beliebigen Bedingungen gewonnen werden wollte. Doch war es nur das Gefühl der Dankbarkeit, welches ihn antrieb, seine Zeugnisse und diese Schreiben dem guten Doktor Burbus einzusenden, ihn für sich wählen zu lassen oder sich ihm sonst gänzlich zur Verfügung zu stellen.

Natürlich wurde er hierauf für die Seefeldschen Güter erworben, und da konnte es dann nicht fehlen, daß er an einem schönen, duftigen Morgen, während er die Waldungen besichtigte, und merkwürdigerweise gerade an der Stelle, wo er damals von dem gräflichen Jäger gefangen genommen worden war, Blanda begegnete, die, schöner und lieblicher geworden, als sie selbst vor seiner treuen Seele gestanden, ihm entgegenstürzte, seine beiden Hände ergriff, um gleich darauf willenlos an seiner Brust zu ruhen und ihm zuzuflüstern, daß sie ihn jetzt nimmer, nimmer von sich lasse.

Man erlebt oft merkwürdige Dinge im wirklichen sowie im wachen Traume, und hier, am Schlusse unserer Erzählung vom letzten Bombardier angekommen, dürfen wir den geneigten Leserinnen, die sich für dergleichen ganz besonders interessieren, die Versicherung geben, daß Erichs Traum nicht nur beinahe buchstäblich in Erfüllung gegangen ist, sondern auch zu seinem und Blandas Glück und Heil.

Für solche unserer geneigten Leser aber, die sich nicht begnügen wollen, an Träume zu glauben, deren Erfüllung wir auch noch so feierlich garantieren können, für Leser, die gern alles Schwarz auf Weiß besitzen, wollen wir noch ein paar Bruchstücke mitteilen aus Briefen der Gräfin Klothilde Seefeld an ihre Freundin Blanda sowie aus einer Antwort von Blanda Freiberg an die Gräfin Klothilde Seefeld, zwei Bruchstücke von Briefen, welche eigentümlicherweise im Anfange und am Ende von einer merkwürdigen Aehnlichkeit sind, obgleich der Inhalt gänzlich verschieden ist.

›Meine teure, inniggeliebte Genoveva‹ schrieb die Gräfin Seefeld, ich habe es denn in diesem Frühjahre trotz alledem wieder durchgesetzt, das reizende Baden-Baden zu besuchen warum auch nicht? Was kann ich dafür, daß Dagobert diesen lieblichen Ort mit seinen angenehmen gesellschaftlichen Verhältnissen unleidlich findet! Ich zwinge ihn ja nicht, mich zu begleiten, lasse ihm überhaupt seinen freien Willen so largement, als er es von einer vernünftigen Frau nur verlangen kann. Ob es für ihn behaglich ist, daß gerade ich seine Frau geworden bin, will ich nicht behaupten, verschweige ihm das auch nicht bei den häufigen peinlichen Scenen, die er mir macht, und nahm noch bei meiner Abreise vor ein paar Tagen Veranlassung, von ihm mit dem großen Worte zu scheiden: Tu l'as voulu, Georges Dandin

Blanda Freiberg aber schrieb an ihre Freundin:

›Ich habe es in diesem Frühjahre trotz alledem durchgesetzt, daß mich Erich mit auf das alte Försterhaus nehmen mußte, in dessen Nähe er großartige Sägemühlen anlegt, ja, ich habe nicht eine meiner Frauen mitgenommen, um so recht mit ihm den stillen Aufenthalt, in unserem herrlichen heiligen Walde genießen zu können. Dabei ist er wahrhaft komisch in seiner rührenden Sorgfalt, wenn ich mit ihm durch Dick und Dünn reite, auch bei beschwerlichen Wanderungen durch unwegsame Gründe, die er zu machen hat und wobei ich ihn so gerne begleite, oder wenn uns ein trüber Regentag in die engen Zimmer bannt, und ich mir alsdann ein Vergnügen daraus mache, für unseren kleinen Mittagstisch selbst zu sorgen. Könntest Du von Deinem eleganten Baden das nur einmal mit ansehen, gewiß, Du würdest lachen, wenn Du die ernste Miene sähest, mit der Erich meine feinen, weißen Hände betrachtet, oder ihn hören, wenn er so recht kummervoll mit einem tiefen Seufzer sagt: Du hast es gewollt, mein liebes Herz!

›Ja, ich habe es gewollt, ich sehe dadurch meine süßesten Wünsche in Erfüllung gehen und bin so glücklich geworden, wie ich nie, nie hoffe»konnte, es zu werden!

 


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