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43. Kapitel

Erinnerungen und Erklärungen bei Sturm und Regen, und obgleich Blanda totmüde ist, begeht Erich ein Verbrechen, weil ihr ein bequemer Wagen angeboten wird.

Da hatte Erich die Stelle erreicht. Aus dem Dunkel, welches ringsum herrschte, schimmerte ihm das helle Holz der beschlagenen Bäume, entgegen, und jetzt, wo er horchend stehen blieb, hörte er auch zu seinem großen Entzücken leise seinen Namen nennen. Es war Blanda, die nun an seine Seite trat und ihm freundlich die Hand bot. »Du hast mich erwartet, und ich hatte mich so darauf gefreut, vor dir da zu sein!«

»Du hattest den weiteren Weg, lieber Erich, und ich mußte den günstigen Augenblick abpassen.« »Gott sei Dank, daß du da bist! Du hattest keine Schwierigkeiten?«

»Nicht die geringsten; alles glaubte mich auf meinem Zimmer, während ich, im Garten versteckt, hörte, wie der Förster die kleine Thür an der Wendeltreppe verschloß und verriegelte. Joseph allein erregte mir einige Besorgnis, denn als ich aus dem Garten in den Wald schlich, meinte ich, seine Schritte noch in den Gartenwegen vernommen zu haben; doch ist das nicht auffallend, da er sich dort häufig bis tief in die Nacht aufhält.«

»Wenn es dir jetzt recht ist, Blanda, so treten wir unseren Weg an; es ist eine ziemlich weite Tour, die wir vor uns haben, und ich fürchte, du wirst müde werden. Gib mir dein Päckchen, und glaube mir, es wird mir das größte Vergnügen machen, wenn du dich jetzt schon auf meinen Arm stützen willst.«

»Wo denkst du hin, Erich,« entgegnete das junge Mädchen heiter »ich freue mich so sehr darauf, wieder einmal einen weiten Weg machen zu können, und sollte mich führen lassen? Später vielleicht; aber sage mir, hat es dir Mühe gemacht, drunten loszukommen, und brauchst du nicht zu fürchten, wenn man deine Abwesenheit erfährt?«

»Pah, wer wird sich überhaupt fürchten, besonders ein Soldat! Und was die Bewilligung meiner Vorgesetzten anbelangt, so habe ich allerdings keine; aber es gilt auch bei uns noch in manchen Dingen die alte Regel: »Was nicht verboten ist, ist erlaubt! Gehen wir nicht zu rasch für dich, Blanda?«

»O nein, o nein, es drängt mich, aus dem Walde auf die Höhe zu kommen! Dort, auf der Hochebene, haben wir am wenigsten zu befürchten, einem von den Jägern zu begegnen.«

»Sind welche unterwegs?«

»O, beinahe jede Nacht, der Wild- und Holzdiebe wegen.«

»So wollen wir nicht mehr reden, Blanda, bis wir droben sind; es ist besser!«

Damit stiegen sie rüstig aufwärts und hatten in kurzem die Stelle erreicht, wo Erich gestern Abend hinabgestiegen war. Er zeigte ihr die Stelle, auch wo seine Haubitzen gestanden, und knüpfte daran die Erzählung, wie man den Grafen Dagobert Seefeld gefangen genommen und hierher ins feindliche Lager geführt. Das aber wußte Blanda schon von Joseph, der ihr darüber berichtet, wobei er seine mühsame Art, zu sprechen, durch Pantomimen unterstützte, wie er häufig zu thun pflegte.

»Dabei fiel es mir auf,« sagte das junge Mädchen, »daß er mit einem bösen, wilden Gesichtsausdrucke oft so that, als ziele er mit einem Gewehr, und er schien mir darüber etwas sagen zu wollen, als die Stöckel herbeikam und ihn wegschickte.«

»Hast du ihr von dem Grafen Seefeld gesprochen?« fragte Erich.

»Nein wozu auch?« antwortete Blanda kurz. »Hatte ich ihr doch früher schon häufig von seinen Zudringlichkeiten und seltsamen Reden erzählt, was sie mit Achselzucken angehört und keinen großen Wert darauf zu legen schien. Doch das liegt jetzt glücklicherweise alles hinter mir, und ich habe mir Gewalt angethan, um von der Stöckel mit einer guten Meinung zu scheiden sie hatte mich früher so lieb!« setzte das junge Mädchen mit einem tiefen Atemzuge hinzu und sagte dann lebhaft: »Lassen wir die Vergangenheit und denken an die Zukunft, wozu vor allen Dingen gehört, daß du mich genau unterrichtest über den Weg, den ich später einzuschlagen habe.«

»O, könnte ich mit dir gehen, Blanda, bis dorthin, wo du in völliger Sicherheit bist; leider aber ist das unmöglich, weniger wegen meiner, als wegen deiner! Es wäre nicht gut, wenn ich dort mit dir gesehen würde doch kannst du auch so deine Reise mit Sicherheit fortsetzen. Ich führe dich nach Nordheim; das ist ein kleines Dorf, allerdings noch zwei Stunden von hier, wo wir den Eilwagen finden, der dich glücklich ans Ziel bringen wird. Dort, in dem kleinen Städtchen, nicht weit von der Waldburg, läßt du dir ein Zimmer auf der Post geben und wartest, bis der Freund, von dem ich dir neulich schon sagte, zu dir kommt, was gewiß alsbald geschehen wird, und dir rät, was du weiter thun sollst. Vertraue ihm vollkommen, ja gerade so, wie du deinem Vater vertrauen würdest.«

Dann gingen sie eine Zeit lang schweigend über die Hochebene dahin, dem Dörfchen zu, welches Erich gestern abend auf der Höhe hatte liegen sehen und längs welchem hinab ihr Weg führte. Warum sie plötzlich schwiegen, das hatte eine ganz eigentümliche Ursache. Als sie so dicht nebeneinander gingen, berührten sich ein paarmal leicht ihre Hände, und dann wagte es Erich schüchtern, ihren kleinen Finger festzuhalten, was sie nicht nur geschehen ließ, sondern voll ihre Hand in die seinige legte.

Noch glücklicher wären sie dabei gewesen, wenn der Himmel nicht gar so drohend und finster auf sie herabgeblickt hätte aber kein einziger Stern ließ sich sehen. Der scharfe Wind schien die Wolken immer dichter zusammen zu wehen, und als Erich besorgt zur Seite blickte, sah er, allerdings noch fern am Horizonte, Wetterleuchten, ja ein paarmal kam es ihm vor, als hörte er schon leise grollenden Donner.

Bald hatten sie das Dorf hinter sich gelassen, dessen Turmuhr in langsamen Schlägen die Mitternachtsstunde anzeigte, und nachdem sich Erich auf einem Kreuzwege orientiert, schritten sie wieder abwärts gegen das Thal durch eine Schlucht, in welcher tief unter ihnen ein Wildwasser brauste.

»Wenn das da auch recht unheimlich klingt,« sagte Erich zu dem jungen Mädchen, das sich jetzt dichter an ihn schmiegte, »so hat es doch für uns das Gute, daß ich weiß, wir sind auf dem rechten Wege. Dem Wasser folgend, erreichen wir endlich Fruchtfelder und Wiesengründe, folgen dann dem Fußwege durch ein langgestrecktes Thal bis zur einer zweiten, dieser ähnlichen Schlucht und treten hierauf bei einer Mühle auf die große Landstraße, vermittels welcher wir dann in kurzer Zeit Nordheim erreichen. Bist du recht müde, Blanda?«

»O nein, obgleich ich wohl fühle, daß ich des Wanderns, besonders in dunkler Nacht, nicht mehr so gewohnt bin, wie früher.«

»Willst du einen Augenblick ausruhen? Hier unter dem überhangenden Felsen bemerke ich einen Baumstamm zu einer allerdings sehr kunstlosen Bank hergerichtet.«

»Wenn es dir recht ist und die Zeit nicht drängt, möchte ich wohl eine Viertelstunde sitzen.«

»O, Zeit haben wir genug, wir werden noch lange in Nordheim warten müssen!«

Er legte Blandas Plaid, den er auf der Schulter trug, für sie auf dem Baumstamme zusammen; dann setzte sich Blanda und legte ihren Kopf an seine Schulter, worauf er sie mit seinem Arme umschlang und sanft an sich drückte. »Du frierst doch nicht, Blanda?«

»O nein, aber das Ausruhen erregt mir ein so behagliches Gefühl, daß es mich leicht durchschauert!«

So saßen sie still nebeneinander, ohne zusammen zu sprechen, wie ein paar harmlose Kinder, und fühlten sich so glücklich, wie sie in ihrem Leben nicht gewesen waren. Zu ihren Füßen rauschte und toste das Wildwasser, vor ihnen fegte der Wind die Schlucht hinab, nicht nur dünne Buchen und Birken beugend, sondern selbst hohe, schlanke Tannen bewegend, und schien recht zornig zu sein, daß er den beiden nichts anhaben konnte, welche, von der muldenförmigen, ausgehöhlten Steinwand geschützt, wie in einem kleinen Häuschen saßen. Hoch oben zogen die Wolken und wurden jetzt durch die stark leuchtenden Blitze in ihren einzelnen Schichten sichtbar; dazu rollte der Donner über ihren Häuptern und klang um so majestätischer, da ihn ein vielfaches Echo aus den Felswänden nachbrüllte und wiederholte.

»Dabei fällt mir meine Jugendzeit ein,« sagte der glückliche Erich, wenn ich mir in der Nähe unseres Dorfes mitten im Walde ein kleines Hüttchen gebaut hatte von Baumstämmen, Zweigen und Moos und darin saß, wenn, wie jetzt, ein schweres Gewitter über den Wald zog; aber so glücklich, wie heute, war ich doch nie nie!«

»Meine arme Mutter fürchtete sich so sehr vor dem Donner und Blitze, und auch die Zigeuner, selbst der kühne Marechal und der wilde Zaregg; auch Kolma konnte nicht begreifen, wie ich so aufmerksam und furchtlos zuschauen mochte, wenn die ganze Welt in Feuer gehüllt erschien. O, ich fürchtete mich damals nicht, und heute, da ich bei dir bin, noch weniger!«

»Bei mir, bei mir, du bei mir und ich bei dir! Wie das so selig klingt, Blanda! Ach, wenn mir nur nicht so oft der traurige Gedanke käme, daß ich dich vielleicht niemals wiedersehen werde!«

Den Gedanken habe ich nicht, Erich; o, ich weiß ganz genau, daß wir uns wiedersehen werden und uns dann oft, sehr oft sehen!«

»Glaubst du das wirklich, Blanda? O, wenn wir uns wiedersehen, wollen wir an die heutige Nacht denken, wenn dich alsdann das Wiedersehen ebenso glücklich und selig macht, wie mich!«

»Das wird es, Erich, denn ich habe dich lieb, das weißt du ebenso genau, als ich dasselbe von dir weiß und wenn es dir recht ist, so will ich dir hier beteuern, ja, ich will dir feierlich schwören, daß ich niemals von dir lassen werde, nie, nie und dasselbe wirst auch du mir sagen!«

»O, meine Blanda, womit kann ich dir es begreiflich machen, wie selig ich mich jetzt fühle! Auch ohne daß du es mir versprochen, hätte ich dich doch niemals vergessen können, hätte dich wieder aufgesucht, und wenn es mir je gelungen wäre, etwas in der Welt zu erstreben, so würde mir das nur mit dem Gedanken an dich gelungen sein!«

Dazu stürmte und sauste der Wind immer heftiger, das Wildwasser brauste toller als je, und das schwere Gewitter schien sich mit ganzer Wucht in die Schlucht hineinzudrücken, als wolle es den Versuch machen, die Felswände auseinanderzusprengen; auch mischte sich der Regen in den Aufruhr der Elemente und jagte seine schweren Tropfen mit solcher Gewalt durch die Schlucht hinab, daß sie prasselnd über die zitternden Baumblätter herfielen aber den beiden hinter ihrem Felsvorsprunge ebensowenig etwas anhaben konnten, als der grimmige Wind.

Sie rückten näher zusammen, selig in dem Bewußtsein des Geständnisses ihrer reinen, unschuldsvollen Liebe, Hand in Hand geschlungen fest aneinander geschmiegt, und als Blanda jetzt ihr Haupt erhob, ihn mit einem glücklichen Blicke anschauend, da lächelte sie mild und freundlich, als er Miene machte, seinen Mund auf ihre leicht geöffneten Lippen zu drücken, und litt es gern und willig, daß er sie küßte.

»Bist du doch mein und ich dein,« sagte sie dann, sich aufrichtend »und der Himmel hat es gehört und zürnt uns nicht, denn der Donner rollt nur noch schwach dahin und der Wind ist kaum mehr imstande, mein Haar zu bewegen sieh'!« Blanda war aufgestanden und vor ihn hingetreten. »Deshalb komm', Erich, und laß uns weiter gehen die Stelle hier wird in meiner Erinnerung stehen wie ein geheiligter Ort, und um ihn nicht durch ein anderes Gespräch zu entweihen, wollen wir nicht eine Minute länger bleiben!«

Er stand rasch an ihrer Seite, nahm ihren Plaid und das Päckchen wieder auf und sie hängte sich in seinen Arm, da der Weg hier recht steil und schlüpfrig war. Doch schritten sie munter abwärts, und es schien, als habe das Gewitter, welches die schwere dunstige Frühlingsluft erfrischt und elastisch gemacht, auch ebenso auf die Spannung in ihrer Brust eingewirkt. Sie plauderten heiter und scherzend miteinander und machten die wunderlichsten Plane für die Zukunft.

»Es fällt mir ja nicht ein,« sagte Blanda, »wieder um das Wohlwollen und die Gnade der Gräfin Seefeld zu bitten, nachdem sie mich ihrer Güte für unwürdig gehalten. Sie soll nur aus meinem Munde die Wahrheit hören und wenn ich sie um etwas bitte, ja, flehe, so ist es nur, um von ihr zu hören, was sie damals über meine arme Mutter erfahren hat, und ob es vielleicht auf der weiten Welt noch jemanden gibt, der durch die Bande des Bluts mit mir verwandt ist; aber ich glaube es nicht. Und dann will ich deinen Freund um einen vernünftigen Rat für die Zukunft bitten. O, ich habe etwas gelernt und bin sicher, mir durch die Welt zu helfen!«

»Bis auch ich etwas gelernt habe,« sagte Erich rasch »und das will ich, bei Gott, ich schwöre es dir, Blanda! Ich will nicht beim Militär bleiben und weiß schon, was ich treibe. Ich will die Landwirtschaft erlernen, ich will Bauer werden und nicht eher rasten und ruhen, bis ich mir ein Stück Land und ein kleines Häuschen verdient habe!«

»Aber es muß in einer schönen Gegend liegen und eine prachtvolle Aussicht haben, denn ich liebe die weiten prachtvollen Aussichten!«

»Ach, Blanda, Blanda, wie hätte ich gedacht, heute noch so glücklich zu werden!«

Unter solchen Gesprächen hatten sie das langgestreckte Wiesenthal durchschritten, und nun kam die Schlucht mit der Mühle und hinter derselben die große Landstraße, wie Erich vorausgesagt. Die Räder der Mühle standen still und das Wasser unter denselben floß so ruhig und geräuschlos ab, daß man deutlich hörte, wie eine Kuckucksuhr in der Mühle die zweite Stunde nach Mitternacht verkündete.

»Bist du jetzt recht müde?« fragte Erich.

»Ich fange an, es zu werden, und freue mich nun in der That, wenn ich bald irgendwo ausruhen kann. Ich will dir nur gestehen, daß ich einen leichten Schmerz an meinem Fuße habe; meine Stiefelchen waren zu dünn für diesen Nachtmarsch.«

»Daran hätte ich denken sollen,« antwortete Erich in recht traurigem Tone und wenn ich dich auch glücklich hierher geführt, so bin ich recht besorgt, ob wir um diese Stunde ein Obdach finden, wo wir bis zur Ankunft des Eilwagens verweilen können. Hoffentlich ist das Posthaus in Nordheim zugleich ein Gasthof, und dann will ich sie schon herausklopfen.«

Leider aber ging diese Voraussetzung nicht in Erfüllung, und als sie auf der breiten und guten Landstraße allerdings bequemer gehend, das Dorf erreicht hatten, erfuhren sie dort von einem schlaftrunkenen Nachtwächter, daß sich das Posthaus noch eine Viertelstunde weiter, dort auf der Höhe befände, wo sich zwei Wege kreuzten und allerdings ein großer Wagen- und Pferdeverkehr, aber kein Wirtshaus sei.

Es schnitt ihm ins Herz, da er Blanda bei dieser Nachricht leicht aufseufzen hörte, und als er ihren Arm fest in den seinigen zog, fühlte er wohl, daß ihr Körper zuweilen erbebte, wie unter einem Frostschauer.

»Du frierst, Blanda?« fragte er besorgt.

»Ein wenig es ist die kühle Morgenluft.«

»So nimm deinen Plaid um. Doch doch ich will es, Blanda; dann wollen wir recht langsam gehen und haben nach einer Viertelstunde unser Ziel erreicht, wo ich überzeugt bin, daß man uns bereitwillig für ein paar Stunden Obdach gibt, wenn es auch kein Wirtshaus ist. Es wird doch da oben etwas wie eine Stallwache geben.« Er dachte dabei unwillkürlich an den warmen, behaglichen Raum, den er am Abende verlassen und wo der Bombardier Schwarz, in Erichs Mantel gehüllt, gewiß einen festen und gesunden Schlaf that. Mit einem solchen Orte wäre er sogar für das ermüdete junge Mädchen von seiner Seite zufrieden gewesen.

Da lagen die Postgebäude vor ihnen an der Kreuzung der beiden Landstraßen, ein hübsches, stattliches Haus auf drei Seiten von Stallungen umgeben, wo Erich zu seiner größten Freude bemerkte, daß eine der Thüren offen stand und Lichtschimmer in die Nacht hinausdringen ließ. Sollte es später sein, als er geglaubt, oder sollte der Eilwagen früher kommen, als man ihm gesagt? Er trat mit Banda näher und sah beim Scheine der Laterne einen Postillon, beschäftigt, sein Horn über die Uniform zu werfen, vor seinen vier vollständig aufgeschirrten Pferden stehen. »Kommt der Eilwagen schon so bald?«

»O nein, das braucht noch zwei gute Stunden; ich führe eine Extrapost, für welche die Pferde bestellt worden sind.«

»Hier auf der Station ist wohl kein Passagierzimmer, wo man sich bis zur Ankunft des Eilwagens aufhalten könnte?«

»Ne, das gibt's nich; am Tage ist wohl so ein Gelaß drüben im Hause, wo die Reisenden während des Umspannens unterstehen können, aber bei Nacht wird da drüben niemand nich aufstehen, um euch einzulassen.«

»So können wir hier vielleicht im Stalle warten,« sagte Erich seufzend, »bis der Eilwagen weiter geht?«

»Wird auch nicht gut gehen, Herr Unteroffizier, so gerne ich Ihnen das erlauben möchte, da auch ich bei der Artillerie gedient; aber sehen Sie, wir haben hier keine Stallwache, wie dazumal bei der Artillerie, und wenn ich und meine Pferde hinaus sind, dann schließt der andere, der den Vierspänner bringt, den Stall zu, sobald er seine Ross' abgeschirrt; bis dahin kann sich aber das Jüngferchen wohl im Stalle wärmen und sich hier auf die kleine Futterkiste setzen so und wenn der Herr Unteroffizier den Versuch machen will, ob man ihn drüben einläßt, so könnte das am Ende nichts schaden. Ich sah vorhin Licht droben im Zimmer des Schreibers und vermute fast, er fertigt die vornehme Extrapost selber ab.«

»Ich will wenigstens versuchen, nicht wahr, Blanda, das erlaubst du? Denn du kannst unmöglich noch zwei Stunden in der kalten, scharfen Morgenluft bleiben.«

Das junge Mädchen sah ihn mit einem freundlich dankenden Blicke an und nickte ein wenig mit dem Kopfe, weshalb Erich rasch in das Haus eilte, um dort ein Obdach für sie zu finden.

Da hörte man aber auch schon das lustige Klingen des Posthorns durch die stille Nacht, gleich darauf das Stampfen der munter dahertrabenden Pferde und dann das dumpfe Rollen eines schweren Reisewagens. Jetzt bog er mit seinen blendenden Laternen um die Ecke des Hauses und fuhr dann mit einer scharfen Kurve dicht an die geöffnete Stallthür vor, worauf zwei Bediente, die draußen am Rücksitze saßen, rasch herabsprangen, um das Wechseln der Pferde zu beschleunigen.

»Gelt,« rief der Postillon, der sich von den dampfenden Pferden schwang, dem anderen zu, »so rasch hättest du mich nicht erwartet?«

»Und hättest eine Freude gehabt, wenn du mich aus dem Bette hättest klopfen müssen! Aber wenn man bei der Artillerie gedient hat, läßt man sich von einem ganz gewöhnlichen Dragoner nicht fangen hüh, Bläß!«

Dieser Ausruf galt einem der Vorderpferde, worauf sich alle vier langsam gegen die Stallthür in Bewegung setzten. Blanda erhob sich rasch, aus Furcht, von den Tieren gestreift zu werden, und trat ins Freie.

Da stand der Reisewagen dicht vor ihr, und das strahlende Licht der einen Laterne beleuchtete hell ihr bleiches Gesicht, während sie zu ihrer Verwunderung sah, daß das Fenster des ihr zugekehrten Wagenschlages rasch herabgelassen wurde, dann die Thür aufgestoßen und ein Mann eiligst heraussprang. Doch wie erstarrte sie jetzt vor Schrecken, als sie in dem Reisenden, der dicht vor sie hintrat, den Grafen Dagobert Seefeld erkannte.

»Ei,« rief dieser erstaunt und erfreut, »das ist ja ein ganz merkwürdiges Zusammentreffen, Kleine! Du wirst mir immer rätselhafter! Ich glaube wahrhaftig, die Kraft meiner Gedanken habe dich hierher gezaubert, denn auf dem ganzen Wege hierher träumte ich von nichts, als von dir, du kleines, trotziges Geschöpf!« Er wollte ihre Hand ergreifen, doch riß sie sich heftig los und war im Begriffe, davonzueilen, als er sie fest am Arm faßte und ihr zuflüsterte: »Keine weitere Ziererei, Kleine! Trotzdem es einigermaßen verdächtig ist, dich hier in der Nacht allein auf der Straße zu finden, so will ich mich doch darüber hinwegsetzen und biete dir zum bequemeren Fortkommen die Hälfte meines Wagens an.«

»Ich bin aber nicht allein,« rief Blanda heftig, indem sie sich loszureißen versuchte, »mein Begleiter, den ich dort kommen höre, wird mich auch heute wieder vor Ihnen zu schützen wissen!«

»Dein Begleiter auch heute wieder?« rief Graf Seefeld, indem sich sein unangenehmes Gesicht häßlich verzerrte. »Sollte das möglich sein? Bei Gott, er ist es schon wieder!«

Dieser Ausruf, wild und zornig ausgestoßen, galt Erich, der, rasch vom Hause herkommend, jetzt in den Schein des Lichterkreises trat, die Hände krampfhaft geballt, bleich, mit weit aufgerissenen Augen.

»Ha, Bursche,« rief ihm der Husarenoffizier entgegen, »diesmal sind wir hier nicht auf neutralem Boden! Diesmal soll es Ihnen nicht gelingen, unter dem Deckmantel eines Manöverspielers anmaßend und unverschämt zu sein! Woher kommen Sie?« herrschte er ihn in einem strengen Tone an. »Wer gab Ihnen die Erlaubnis, stundenweit von Ihrer Garnison entfernt sich hier in der Nacht herumzutreiben? Wo sind Ihre Ausweispapiere?«

Dergleichen hatte Erich nun allerdings nicht und fühlte die ganze Schwere der Lage, in der er sich hier auf einmal befand; vor ihm stand ein Offizier und um diesen her Zeugen genug, die jedenfalls Partei nahmen für jenen wohlbekannten, angesehenen und vornehmen Herrn. Ja, dies drückte der ebenfalls herbeigeeilte Posthalter mit trockenen Worten aus, indem er sagte: »Euer Erlaucht haben ganz recht, diesen Menschen da zurechtzuweisen, der in meinem Hause fast mit Gewalt Einlaß verlangte, trotzdem ich ihm sagte, daß hier weder Wirtshaus noch Herberge sei.«

»Darum handelt es sich jetzt nicht,« gab Erich mit dumpfer Stimme zur Antwort, und aus dem Beben derselben klang deutlich die Gewalt hervor, die er sich anthat, um ruhig zu bleiben »ich will ja auch dem Herrn Rittmeister ruhig aus dem Wege gehen, ja, dankbar sein für die Gnade, die Sie mir erweisen, indem Sie mir gestatten, hier mit meiner ermüdeten Begleiterin auf die Ankunft des Eilwagens zu warten.«

»Wie ihn das böse Gewissen andere Saiten aufziehen läßt,« entgegnete ihm achselzuckend Graf Dagobert Seefeld. »Danken Sie Gott, wenn ich Ihnen erlaube, allein Ihres Weges zu ziehen, und seien Sie versichert, daß ich bei der geringsten Widersetzlichkeit Sorge dafür tragen werde, daß man Sie auf sehr gezwungene Art zu Ihrem Regiment einliefert!«

»Es ist ein Gendarmerieposten im Dorfe,« flüsterte der Posthalter.

»Braucht's vorderhand nicht; Sie kennen mich genügend, Herr Posthalter, um überzeugt zu sein, daß ich jede Verantwortlichkeit auf mich nehme. Ich kenne das junge Mädchen dort und bin überzeugt, daß dieser Bursche sie zu einem thörichten Schritte verleitet hat.« »Nein, nein!« rief Blanda, die vor Schreck und Ermüdung einer Ohnmacht nahe war und gewaltsame Anstrengungen machte, um sich Erich zu nähern.

Diesem leuchte der Atem in der Brust; seine Finger öffneten und schlossen sich krampfhaft, und unwillkürlich senkte er seine Rechte in die Tasche, welche das geladene Terzerol enthielt.

»Und was dich anbelangt,« wandte sich Graf Seefeld in kaltem, rauhem Tone zu Blanda, »so weißt du ganz genau, daß ich ebensogut dich kenne als auch angesehene Personen, die sich bisher um dein Schicksal bekümmerten und denen es heute noch nicht gleichgültig sein kann, wenn du mit Soldaten auf der Straße umherläufst!«

Blanda warf einen trostlosen, verzweifelten Blick gen Himmel, dann preßte sie mit einem unbeschreiblich schmerzlichen Wehlaute ihre Hände vor die thränenerfüllten Augen.

»Endigen wir diese Komödie!« sagte Graf Seefeld barsch. »Jenen Personen, die Sie wohl kennen, bin ich es schuldig, Sie hier nicht auf der Straße zu lassen! François, Joseph, führt die Dame nach meinem Wagen und Ihnen,« wandte er sich drohend gegen den Bombardier der reitenden Artillerie, »rate ich wohlmeinend, jetzt noch ungehindert Ihres Weges zu gehen!«

Beinahe willenlos wurde das junge Mädchen in den Wagen gehoben, und Erich, zurückgehalten, zurückgeschreckt durch die strengen, eisernen Regeln der Subordination, vermochte nichts zu thun, als mit starren Augen zuzuschauen, wie sich nun der, den er am meisten auf dieser Welt haßte, dem Wagen näherte, welcher alles umschloß, was ihm auf dieser Welt teuer und heilig war

Da krachte ein Schuß, und Graf Dagobert Seefeld, der eben den Fuß auf den Tritt des Wagens gesetzt hatte, zuckte zusammen, schwankte und fiel dann unter dem Ausrufe: »Verflucht, ich bin getroffen!« in die Arme eines der Diener, die neben ihm am Schlage standen.

Erich aber fühlte sich im gleichen Augenblicke von einem der Postillone sowie von dem Posthalter ergriffen, welch letzterer ihm das Terzerol aus den krampfhaft geschlossenen Fingern wand.

Eine Scene unbeschreiblicher Verwirrung und Bestürzung folgte; so etwas Unerhörtes hatte sich seit Menschengedenken nicht {bild} begeben. Der neue Postillon, der schon auf seinem Sattelpferde saß, wäre vor Bestürzung fast auf die Erde gefallen, wenn er sich nicht gewaltsam hätte zusammennehmen müssen, um seine vier Pferde zurückzuhalten, die, von dem Schuß erschreckt, einen gewaltigen Riß nach vorwärts thaten, eine Bewegung, welche Blanda es unmöglich machte, dem Wagen zu entspringen, und welche den Grafen Seefeld mehr, als es die erhaltene Wunde gethan, in die Arme seines Dieners warf, denn diese zeigte sich bei rascher Besichtigung ziemlich ungefährlich; die Kugel hatte seinen linken Arm allerdings heftig gestreift und war dann durch die Vorderwand des Coupés in einen dort aufgeschnallten Koffer gedrungen.

»Das ist noch ziemlich gut abgelaufen!« sagte Graf Seefeld mit einer seltsam tief klingenden Stimme, während ihm sein Kammerdiener mit kundiger Hand rasch einen Verband anlegte. »Es hat in der That nichts zu bedeuten, Herr Posthalter,« wandte er sich an diesen, der herbeigeeilt war, nachdem er den unglücklichen Erich unter den Händen des einen Postillons und einiger handfester Stallknechte gelassen hatte, die auf den Lärm herbeigeeilt waren. »Der Wille war gut,« fuhr er zähneknirschend fort, »aber ich kann meinen Arm bewegen, es ist also kein Knochen verletzt, und obgleich ich teufelmäßig Schmerzen habe, bin ich doch im Stande, meinen Weg fortzusetzen! Was den Burschen da anbelangt, so werden Sie dafür sorgen, daß er in die Residenz abgeliefert wird!«

Ein schmerzlicher Aufschrei Blandas ließ ihn jetzt an das junge Mädchen denken, die fast besinnungslos in der Ecke des Wagens lag. Er biß heftig seine Zähne aufeinander, teils in dem Gedanken an sie, teils auch durch den Schmerz, den ihm das Anziehen des Mantels verursachte; er zauderte, einzusteigen, er schien sich zu besinnen, dann aber warf er den Kopf heftig in die Höhe und stieg rasch in das Coupé, dessen Thür sogleich hinter ihm geschlossen wurde.

»Fort!«

Postillon und Bediente schwangen sich auf, und in vollem Galopp der unruhig gewordenen Pferde flog der Wagen dahin, in kurzem nur noch erkennbar an dem zitternden Scheine der Wagenlaternen, welcher über Steinhaufen und an Bäumen vorüberhuschend, von Erichs starren, verzweiflungsvollen Blicken wie ein auf ewig entschwindendes Glück verfolgt wurde.

»Uff,« rief der zurückgebliebene Postillon nach einer längeren Pause, »wer einem das vor einer halben Stunde gesagt hätte oder dem hier prophezeit, als er mit dem Jüngferchen davonlief!«

»Ja, ja,« meinte der Posthalter, »so weiß man nie, was die nächste Viertelstunde bringt, und ich bin nur froh, daß es so gut abgelaufen ist! Peitschenelement, wenn ich bedenke, daß wir jetzt Seine Erlaucht hier steif und starr vor uns liegen haben könnten! Mich gruselt's hast du das Pistol, Matthies?«

»Fest, Herr Posthalter, aber mir graut's ordentlich vor dem Ding da, wenn ich bedenke, daß es soeben beinahe einem Menschen das Lebenslicht ausgeblasen, und noch dazu einem Menschen, der auf jeder Station zwei Thaler über die Taxe Trinkgeld gibt 's ist fürchterlich! Aber wart', Bürschlein, dich wird man warm setzen!«

Diese letzten Worte, von einem gelinden Puff begleitet, galten dem teilnahmlos vor sich hinstarrenden Erich; doch empfand er in seinem tiefen Unglücke nichts davon, ebensowenig hörte er, was um ihn gesprochen wurde; ja, als man ihn jetzt unter einem derben Stoße aufforderte, nach dem Dorfe zurückzumarschieren, setzte er, zwischen den Stallknechten gehend, nur ganz mechanisch einen Fuß vor den anderen.

»Aha,« rief der Postillon Matthies, als sie eine kurze Strecke zurückgelegt hatten, »die Gendarmen haben den Schuß gehört und sind schon auf den Beinen das Volk hat einen geheimen Instinkt und schläft nur mit einem Auge!«

»Nein, sie haben's im Geruch wie die Krähen!« lachte einer der Stallknechte.

Der unglückliche Erich seufzte tief auf, als er diese Worte und, sich rasch nähernd, das Traben von Pferden hörte. Sein Bewußtsein tauchte plötzlich aus einer Flut wilder, unheimlicher Gedanken klar empor; ja, das Schreckliche, was in den letzten Minuten mit ihm vorgegangen war, hatte er nicht nur geträumt, nein, es war alles so vorgefallen, wie es der Posthalter jetzt dem Gendarmerieunteroffizier ausführlich erzählte und doch konnte er es selbst nicht glauben, daß er auf den Grafen Seefeld geschossen habe. Nein, nein, das war ja nicht möglich! Auch wenn er nicht die Uniform getragen hätte; ja wenn er ihm gegenübergetreten wäre, eine gleiche Waffe in der Hand oder den blanken Säbel in der Faust, so würde er mit einer wilden Freude Gang um Gang mit ihm gemacht haben! Aber auf einen wehrlosen Menschen schießen nie, nie!

Und doch ließ sich von der Erzählung des Posthalters kein Jota ableugnen, und doch begriff Erich zu seinem Entsetzen, daß es so geschehen sein mußte, wie jener sagte und wie die Stallleute auf die ruhigen Fragen des Gendarmerieunteroffiziers bezeugten.

Dieser hatte das Terzerol in der Hand und untersuchte es beim Scheine der Laterne genau. »Der linke Lauf ist abgeschossen, der rechte aber noch geladen,« sagte er.

»O, Gott sei gelobt und gedankt!« rief Erich nun plötzlich und mit dem Ausdrucke unbeschreiblichen Glückes in seiner Stimme, daß alle ihn verwundert anschauten. »Wenn der eine Lauf noch geladen ist, so ist es ja klar, daß ich nicht geschossen habe!«

Auf das hin zuckte der Gendarmerieunteroffizier leicht mit den Achseln und sagte: »O ja, junger Mensch, wir kennen dergleichen Einreden! Aber der linke war ebenfalls geladen und der ist abgeschossen worden, das riecht man deutlich; doch wird sich, alles das später finden. Es entsteht nur noch die Frage, ob Sie anständig und gescheit genug sind, um auf dem Wege nach der Residenz keine Geschichten zu machen. Verstehen Sie mich recht, junger Mensch auch ich habe gedient, und ich möchte es der Uniform, die Sie tragen, nicht zu leid thun, Ihnen Handfesseln anzulegen.«

Erich schauderte. So war er vielleicht doch der Verbrecher, für den man ihn hielt! So hatte er vielleicht doch den Schuß gethan! Aber nein, nein, das war ja unmöglich, trotz des wilden Kampfes, den er mit sich selbst gekämpft, als man Blanda in den Wagen hob! Wußte er doch zu genau, daß er seine Rechte, deren Finger allerdings krampfhaft das Terzerol umspannten, nicht erhoben hatte!

»Nun, wie ist's,« fragte der Gendarmerieunteroffizier, »wollen wir uns selbst keine gegenseitige Ungelegenheit machen und wollen Sie ruhig mit uns gehen, ohne den thörichten und vergeblichen Versuch zu machen, irgendwo zu entwischen?«

»Gewiß ich gebe Ihnen mein Wort darauf!«

»Und denken das auch hoffentlich zu halten es sollte mir leid thun, wenn ich Ihnen eine Kugel nachschicken müßte.« Bei diesen Worten wickelte der Gendarmerieunteroffizier das Terzerol sorgfältig in sein Schnupftuch und verwahrte es in der Satteltasche. »Und nun, Herr Posthalter,« wandte er sich an diesen, »könnte es nicht schaden, wenn Sie den Vorfall heute Morgen noch recht pünktlich und ausführlich zu Papier brächten, auch von Ihren Leuten, als Zeugen, unterschreiben ließen; man vergißt so leicht dies und das, und es erleichtert später das Verhör.«

»Daran soll's nicht fehlen, Herr Wachtmeister.« »Also denn auf Wiedersehen, wahrscheinlich heute abend! Und nun vorwärts, junger Mensch! Wenn wir tapfer ausschreiten, so können wir die Stadt erreichen, ehe es noch gar zu lebendig auf den Straßen ist, was Ihnen auch recht sein muß.«

Doch war dem Unglücklichen in diesem Augenblicke alles vollkommen gleichgültig. Es hatte sich seiner eine förmliche Gefühllosigkeit bemeistert; die furchtbare Anspannung seiner Nerven ließ mit einem Male nach, und da sich jetzt auch die Ermüdung durch die beiden schlaflosen Nächte und den gestrigen Manövertag geltend zu machen anfing, so schritt er mit gesenktem Haupte, beinahe schwankend auf der Chaussee dahin, achtete nicht auf den langsam aufdämmernden Tag, auch nicht auf einzelne Begegnende, die ihn und seine Begleitung verwunderungsvoll anschauten, und erst als er nach zweistündigem Marsche die Stadt im Glanze der Morgensonne vor sich liegen sah, drüben Fort Maximilian erkannte und links die bewaldeten Berge erblickte, wo das Jagdschlößchen lag, da schluchzte er laut, aber schmerzlos auf, unter einem erleichternden Strome von Thränen.

In den Straßen der Stadt war zu so früher Morgenstunde glücklicherweise noch nicht viel Verkehr, und die Gendarmen, welche an der ganzen Haltung ihres Gefangenen wohl bemerkt hatten, daß es nicht in seiner Absicht lag, irgend welche Seitensprünge zu machen, hatten nichts dagegen, daß Erich auf dem Trottoir längs den Häusern ging, während sie in der Mitte der Straße ritten. Beim Betreten des Kasernenhofes war allerdings ein großes Aufsehen nicht zu vermeiden; der Posten unter dem Gewehr blickte erschreckt auf, als sehe er Gespenster, und einige Kanoniere, die an dem Brunnen beschäftigt waren, eilten, so rasch es ihre Pantoffel und Wasserkrüge erlaubten, die Treppe hinan, um die unerhörte Neuigkeit so schnell als möglich zu verbreiten.

Der Wachtmeister Pinckel, zu welchem nun Erich von dem Gendarmerieunteroffizier geführt wurde, saß in seinem rot karierten Schlafrocke behaglich beim Kaffee, und es fehlte nicht viel, so wäre der dicke Mann vor Alteration vom Stuhle gefallen. Ein Bombardier seiner Batterie des mörderischen Attentats auf einen Offizier angeschuldigt, ja überführt, von Gendarmen eingebracht! So etwas war noch niemals vorgekommen, und der Wachtmeister faßte in Verzweiflung rechts und links seinen großen Schnurrbart, als wolle er seinen Kopf und sich selbst gewaltsam aufrecht erhalten. War doch nach dem Berichte, des

Gendarmerieunteroffiziers die Sache zu klar, als daß irgend ein Zweifel hätte obwalten können! Der Wachtmeister sagte sechsmal hintereinander: Gräßlich, gräßlich! während er mit zitternder Hand über den Empfang des Verbrechers quittierte.

»Und nun, wissen Sie, unglücklicher junger Mensch,« sagte der Wachtmeister Pinckel tief erschüttert, »wohin Sie das führen wird? Zwanzig Jahre Ketten, das ist so sicher als der Weck auf dem Laden!« Das Terzerol hatte der Gendarmerieunteroffizier auf den Schreibtisch gelegt, ehe er das Zimmer verlassen, und der Wachtmeister Pinckel betrachtete das Mordinstrument mit scheuem Blicke, während er recht ungläubig lächelte bei der klaren und wahren Erzählung Erichs.

»Ja, das ist alles recht schön und gut,« jammerte er alsdann, »aber das glaubt Ihnen ja niemand!«

»Das wäre ja schrecklich, Herr Wachtmeister!«

»Freilich schrecklich gräßlich, haarsträubend, entsetzlich!«

»So könnte man wirklich glauben, ich hätte diese That begangen?«

»Glauben? Nach so klaren Zeugenaussagen, wie der Gendarmerieunteroffizier berichtet? Wahrhaftig, ich bedaure Sie, Freiberg, aber machen Sie sich auf das Allerschlimmste gefaßt!«

Im Stalle der Batterie, wo beinahe die ganze Mannschaft beim Putzen beschäftigt war, hatte sich die Nachricht, daß der Bombardier Freiberg durch Gendarmerie, und zwar geschlossen eingeliefert worden sei, wie ein Lauffeuer verbreitet, und als bald nachher der Bombardier Schwarz von der Stallwache abgelöst wurde, um ebenfalls in Untersuchung und Arrest gebracht zu werden, blieb ihm sein Lieblingswort: »O, famos!« halb in der Kehle stecken.

Hauptmann von Manderfeld aber rieb sich bei der Meldung die Hände und sagte zu Wachtmeister Pinckel: »Ich hätte bei alledem nicht gedacht, daß es ein so rasches und glänzendes Ende nehmen würde mit dem letzten Bombardier.« {bild}


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