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37. Kapitel

Erscheint etwas märchenhaft, zeigt uns eine verwunschene Prinzessin auf einsamem Jagdschlosse, erzählt von Zitherklängen, von Wiederfinden und Trennung.

Kolma fragte den Kutscher, ob er den Weg nach dem sogenannten Jagdschlößchen wisse, wie derselbe beschaffen sei und wie weit es dorthin wäre, worauf sie die befriedigendsten Antworten erhielt und den Befehl gab, dorthin zu fahren.

Erich hatte sich vorhin in die Ecke des Wagens gedrückt, von wo aus er das stille, dunkle Haus vor sich, sowie nach einer leichten Neigung des Kopfes droben das Fort Maximilian sah. Was mochte wohl Schmoller gedacht haben, wenn dieser bei seinen Beobachtungen durch den Tubus das Leben des Hauses hier unten so langsam abnehmen und verschwinden sah, Wagen um Wagen anfahrend, um irgend eine der jungen Damen mit ihrem Gepäcke zurückzunehmen, wie ja wahrscheinlich in diesen Tagen geschehen war! Oder was würde er da droben sagen, wenn er Erich jetzt hier unten sehen könnte, vor dem Hause, welches Schmollers thörichte Wünsche einschloß, in einem prachtvollen Wagen und im Begriffe, von einer schönen, eleganten Dame Nachrichten über das Innere jenes einsamen, fast gänzlich menschenleeren Hauses zu erhalten!

Kolma stieg langsam in den Wagen, nachdem sie dem Bedienten ein paar Worte gesagt, der hierauf den Schlag schloß und, anstatt sich wieder zum Kutscher auf den Bock zu begeben, zu Fuß nach der Stadt zurückging. Der Wagen aber setzte seinen Weg fort, und zu Erichs großer Freude auf demselben Wege, den vor ein paar Tagen die blaue Droschke mit den roten Rädern genommen hatte. Da war schon die Mauer, neben welcher er so unglücklich gewesen war, zwischen die Offiziere zu rennen. Was für ein Kontrast zwischen damals und jetzt! Er in dem weichen, sanft schaukelnden Wagen, Kolma gegenüber, dem einzigen Wesen, das von allen auf dieser weiten Welt so inniges Interesse an ihm nahm, das ihm herzlich zugethan war, das ihn liebte, wie man nur einen Bruder zu lieben vermag! Und dazu auf demselben Wege zu fahren, wohin ihm Blanda entschwunden war! Sie, das liebliche und doch so eigentümliche Mädchen, die er sich, wenn er recht innig an sie denken wollte, stets in dem Augenblicke vergegenwärtigte, wo sie nachts auf der Wiese bei Zwingenberg an dem lodernden Feuer der lagernden Zigeuner mit ihren kleinen Händen die seinigen ergriff, sich an ihn schmiegte und ihn küßte!

Kolma war gegen früher recht schweigsam geworden, aber sie lächelte ihm freundlich, fast heiter zu, als sie ihm beim Einsteigen die Hand auf die Schulter legte und dabei sagte: »Hoffentlich werden wir Blanda in kurzem finden aber wo und wie!«

»Wie innig freue ich mich darauf, das Kind wieder zu sehen!«

»Das Kind wie so? Ach, ich verstehe, es sind einige Jahre her, daß du nicht mehr in ihre Nähe kamst gib acht, meine Puppe, du wirst sie gerade so verändert finden nur auf ganz andere Art, wie mich!« Dann drückte sie sich fest in ihre Ecke und blickte in das dämmerige Licht hinaus, welches die weite Landschaft erfüllte und dadurch entstanden war, daß leichte, feine Nebel aufstiegen, vom Boden emporziehend, sich durch die kahlen Aeste der Bäume schlangen, hoch an den Himmel hinauf, wo der Mond nun gleichfalls tief verschleiert einsam seiner Wege ging, aber, äußerst geschäftig, stets in einer gewissen Entfernung dem rasch dahin rollenden Wagen voraus, und gerade so aussah, als habe er etwas sehr Geheimnisvolles zu vollbringen, vielleicht droben in dem alten Jagdschlosse die Ankunft der beiden anzukündigen, wobei er sich außerordentlich in acht nahm, mit langgestreckten Wolkenmassen, die ihn neugierig umgaben, in keine Berührung zu kommen. Dazu klangen die Hufschläge der Pferde auf der harten Landstraße so gleichförmig und taktgemäß, wie die Begleitung zu einem Wiegenliede und schienen auf Kolma so einzuwirken, denn sie hatte die Augen geschlossen, als wenn sie schliefe.

Jetzt bog der Wagen von der breiten Straße ab und es ging einen Waldweg ziemlich steil hinauf; dann vernahm man Hundegebell, sah hierauf Lichter durch die Zweige blinken, und nun hielten die dampfenden Pferde vor einem alten, hölzernen Thore, das sich in einer von Epheu überwachsenen Umfassungsmauer befand und hinter welchem die Hunde heftig anschlugen. Man hörte gleich darauf, wie sie von einer kräftigen Stimme zur Ruhe verwiesen wurden, worauf sich langsam das Thor öffnete und ein Mann in einer grauen Juppe sichtbar wurde, der den Kutscher fragte, ob der Besuch dem Jagdschlößchen gelte oder ob er vielleicht irre gefahren sei.

»Wenn hier der Förster Stöcke! wohnt, so haben wir uns nicht geirrt,« gab Kolma zur Antwort.

»Der wohnt allerdings hier, ist aber noch im Revier draußen.«

»So ist vielleicht seine Schwester zu sprechen, oder das fremde Fräulein, welches hier oben wohnt?«

»Ah so, nun versteh' ich,« sagte der Mann in freundlichem Tone; »das fremde Fräulein wußte vielleicht darum, daß Sie kommen würden, denn sie sagte vorhin zur Schwester des Herrn: Gib acht, wir bekommen heute abend noch Besuch!«

»Kann ich in den Hof hineinfahren?« fragte der Kutscher.

»Bei der Dunkelheit nicht ganz gut, das Thor ist ein bißchen eng.«

»So bleibe ich hier draußen,« sagte der Kutscher. »Und da es vielleicht etwas länger dauert,« setzte er, gegen Kolma, welche mit Erich ausgestiegen war, gewendet hinzu, »so will ich den warm gewordenen Pferden die Decken überhängen.«

Kolma, Erich und der Mann, der das Thor vorhin geöffnet und jetzt wieder verschlossen hatte, gingen über den Hof, dem am Ende desselben liegenden Jagdschlößchen zu, das sich mit seinem Turme und den scharf zugespitzten Dächern deutlich von dem hier oben noch klar gebliebenen Nachthimmel abhob.

»Die Nebel sind drunten im Thale geblieben,« meinte Kolma nach einem tiefen Atemzuge »ich wollte, sie wären es in jeder Beziehung! Ist es nicht schön hier oben in dieser herrlichen Mondnacht?« sagte sie zu Erich.

»O, über alle Beschreibung schön,« gab dieser zur Antwort, »und es kommt mir wie ein Traum vor, daß wir aus dem Dunste und dem Gewühle der Stadt so wie mit einem Male hier oben sind! Es ist mir gerade, als läse ich das in einem Märchenbuche, oder als wäre ich gerade im Begriffe, hier selbst ein Märchen zu erleben.«

»Wer weiß doch horch, was ist das?«

Es waren leise, weiche Zitherklänge, die von dem Jagdschlößchen herüber drangen, doch so unbestimmt, daß man sie für das melodische Säuseln der Nachtluft durch die kahlen Zweige der mächtigen Buchen hätte halten können, die vor dem Eingange standen. Dort hinein eilte der Mann in der grauen Juppe, und da es hier auf dem Vorplatze ziemlich dunkel war, so öffnete er geschäftig eine große Flügelthür, wodurch es Kolma und Erich ermöglicht wurde, sogleich mit einem Blicke die ziemlich große und hell erleuchtete Halle des Schlößchens, welche zugleich als Wohnzimmer des Försters diente, zu überschauen, ohne selbst gesehen und erkannt zu werden; und was sie hier sahen, war so überraschend und eigentümlich schön, daß Erich mit hochklopfendem Herzen alles Ernstes glaubte, es thue sich nun in Wirklichkeit ein hübsches Stück Märchenwelt vor ihm auf.

Im Hintergründe des altertümlichen Gemaches, dessen Wände mit riesenhaften Geweihen, mit Jagdemblemen und Waffen aller Art verziert waren, loderten mächtige Holzklötze in einem hohen und weiten Kamine, deren spielende Flammen zugleich mit einer von der Decke hängenden Ampel nicht nur ein eigentümlich wechselndes Licht gaben, sondern auch mit rötlicher Glut alles ringsumher auf die wunderbarste Art bestrahlten, wozu noch von der einen Seite das kalte, weiße Mondlicht kam, welches durch das einzige Fenster der Halle, ein breites Bogenfenster, herein fiel und in so eigentümlichem Kontraste stand mit der eben erwähnten dunklen Glut der Holzflamme. Neben dem Kamine war die Wand bis hoch hinauf mit dichtem, grünem Epheu bedeckt, jetzt ein mächtiger Stamm, hundertfach verzweigt, welcher vor langen Jahren als winziges Pflänzchen durch eine Mauerspalte ins Innere gekrochen war, sich hier neugierig in der Behausung der Menschen umschauend, wo der junge Epheu es vielleicht behaglich fand und deshalb beschloß, sich hier anzusiedeln, zu eigenem Wohlbehagen und zum Vergnügen der Menschen, die hier vor und unter ihm saßen, wie in einer prächtigen Laube. Heute abend aber war diese Laube ganz besonders lieblich anzusehen, denn in ihr neben dem Kaminfeuer saß auf einem schweren, altmodischen Lehnsessel ein junges Mädchen mit prächtig lockigem, hellblondem Haar, das Gesicht der Glut zugekehrt und von dieser rosig geküßt, während in den aufwärts gerichteten, träumerisch blickenden, großen, schönen Augen ein Strahl des weißen Mondlichtes schimmerte; ein schöner Jagdhund mit langem, weichem, glänzendem Haar kauerte vor ihr und hatte seinen Kopf zutraulich auf ihr Knie gelegt. Vor dem Kamine saß ein junges Mädchen und spann, und die Töne der Zither kamen aus der fernsten Ecke des Gemaches, wo es indessen zu dunkel war, um den Spielmann erkennen zu können. Dies alles war aber auch nur Nebensache und wirkte alles, die Glut des Herdfeuers, das weiße Mondlicht, das Surren des Spinnrades, die sehnsuchtsvollen Zitherklänge, zusammen, um das Bild des jungen Mädchens noch lieblicher, märchen-, ja zauberhafter zu machen.

Dann trat Kolma langsam in den Lichtkreis ein, und zuerst ruhten die Augen Blandas ein paar Sekunden lang mit Erstaunen, ja mit Erschrecken auf deren bleichen, ihr beinahe fremd gewordenen und doch wieder so bekannten Gesichtszügen; dann sprang sie auf und warf sich leidenschaftlich an den Hals ihrer ehemaligen Freundin und Gefährtin.

»O, Kolma, Kolma, wie unendlich glücklich bin ich, dich endlich wiederzusehen!«

Erich stand noch im Schatten und blickte entzückt auf Blanda, die er sich doch nicht so schön, so ganz anders geworden vorgestellt hatte. Wohl fand man in ihrem Gesichte noch die edlen, lieben Züge des jungen Mädchens von damals, noch war dies derselbe schöne und tiefe Blick; doch war sonst alles an ihr ganz anders geworden, und der junge Mensch, der wie im Traume drein blickte, stand, wie schon mancher vor ihm, hier wieder einmal dem Wunder der Rose gegenüber der Knospe, die er so unscheinbar verlassen und die er jetzt wiedersah, schwellend und glühend!

»Und Erich,« sagte Kolma, indem sie ein wenig auf die Seite trat »kennst du ihn nicht wieder?«

»O doch, o doch,« entgegnete das junge reizende Wesen, indem sie ihre Arme ausstreckte, um ihre beiden Hände in die seinigen zu legen, worauf sie ihn einen Augenblick mit glücklich leuchtenden Augen betrachtete, um sich dann rasch gegen ihn zu neigen, ihm ihre Stirn zum Kusse darbietend, während sie sagte: »Begrüße mich heute, nach Jahren, wieder, wie ich damals, in jener Nacht, an dem lodernden Feuer von dir Abschied nahm!«

Die Klänge der Zither waren plötzlich verstummt, wie es schien, abgerissen mitten in der Melodie, und das Spinnrad hatte zu surren aufgehört, aber nicht mit einem Male, sondern langsam und behaglich, ganz passend zu dem wohlwollend lächelnden Gesichte der Spinnerin, die, aufwärts blickend und dann aufstehend, jetzt von Blanda sogleich in den Kreis ihrer vertrautesten Freunde gezogen wurde.

»Sieh doch,« sagte sie zu ihr, »das ist meine liebste Freundin und Beschützerin, soweit ich in den Jahren zurückdenken kann, und dies ist mein lieber Freund und Beschützer, zugleich aber auch mein Schützling, allerdings noch nicht von so lange her, aber mir wert sehr wert und dies, Kolma,« fuhr sie hierauf fort, indem sie einen Arm um den Leib der Spinnerin schlang »dies ist meine liebe, gute Stöckel, auch wieder eine gute, treue Beschützerin aus der letzten, etwas traurigen Zeit her auch meine Lehrerin, der ich so vieles verdanke, und namentlich dieses schützende Asyl, wo ich mich so wohl und behaglich fühle.«

Als Mamsell Stöcke! nach einer freundlichen Begrüßung Kolmas den jungen, hübschen Soldaten aufmerksam betrachtete, sagte Blanda lachend:

»Ja, es ist derselbe, um den Fräulein von Quadde gegen Sie so unangenehm wurde, als ich auf dem Spaziergange plötzlich stehen blieb, während er mit den anderen vorüberritt.«

»Ohne Sie zu kennen, Blanda, das heißt, ohne Sie sicher zu erkennen, da ich ja keine Ahnung davon hatte, daß Sie sich in jenem Hause hier in der Stadt befänden, nicht die geringste Ahnung, bis ich Sie neulich sah, als Sie in den Wagen stiegen.«

»Da sahst du mich und wo das? Bemerkte ich doch weit und breit niemand, und ich habe vortreffliche Augen!«

»Dazu hätten auch die besten Augen nicht ausgereicht, denn ich sah Sie von der kleinen Festung herab, die vor eurem Hause liegt.«

»Von dort herab?« fragte sie, indem sich ihre so klaren und freundlichen Blicke verdüsterten. »So lebtest du dort oben und sahst von dort häufig auf uns herab?«

»O nein, Blanda, ich besuchte nur einen Freund, der auf der Festung wohnt, und es geschah ganz zufällig, daß ich auf seine Veranlassung zu euch hinunter blickte.«

»Ah so,« gab sie mit einem tiefen Atemzuge zur Antwort, wobei wieder ein lichter, herzlicher Strahl in ihren Blicken schimmerte »so, du warst nicht da oben?«

»Nur sehr selten.«

Dann lachte sie laut und herzlich und rief: »Später, später mehr davon; jetzt wollen wir nichts von fremden Leuten wissen, auch nichts von der Vergangenheit und nicht einmal etwas von der Zukunft, sondern, uns gegenüber sitzend, nur von dem Glücke der Gegenwart plaudern! Kommt dein Bruder bald zurück?« fragte sie, worauf Mamsell Stöckel zur Antwort gab:

»Ich glaube, wir können ihn jeden Augenblick erwarten. Was meinst du, Joseph?«

Diese Frage war an einen jungen Menschen gerichtet, welcher in einer Ecke des Gemaches saß und der vorhin auf der Zither gespielt hatte. Jetzt lehnte er in dem Winkel zurück und betrachtete mit einem etwas finsteren Blicke die plaudernde Gruppe am Kaminfeuer.

»Kommen Sie her, Joseph,« sagte Blanda, »damit ich Sie mit meinen Freunden bekannt mache.«

»Es ist meines Bruders einziger Sohn, ja, sein einziges Kind,« bemerkte Mamsell Stöckel dazu, als sich nun der Angeredete langsam näherte und in den hellen Feuerschein trat; »seine Mutter starb infolge eines großen Schreckens, kurz nachdem er geboren worden war, und von diesem Schrecken,« setzte sie leiser hinzu, »blieben auch ihm traurige Spuren.«

Joseph war ein großer, ziemlich gut gewachsener, junger Mensch von vielleicht neunzehn Jahren, mit einem eigentümlichen Zuge des Schmerzes oder eines, ihm vielleicht am allerbesten bekannten Leidens in dem sonst wohl geformten Gesichte. Er verbeugte sich etwas unbehilflich vor den Fremden, und als er hierauf ein paar freundliche Worte Blandas, die seinem hübschen Zitherspiele galten, beantworten wollte, gelang ihm dies nur unvollkommen, trotz unverkennbar mühsamer Anstrengungen seines Gesichtes, die sich bis zu heftigen Nervenzuckungen steigerten, und als er hierauf nach einem kurzen Kopfnicken gegen seine Ecke zurückschlich, bemerkte man deutlich, wie er das linke Bein etwas kraftlos nachschleppte.

Wenige Minuten darauf trat der Förster rasch in das Zimmer und war sichtbar erstaunt über die seltene Gesellschaft, welche sich in seinem Hause eingefunden. Daß dieses Erstaunen ein freudiges war, können wir gerade nicht behaupten, denn seine Worte: »Ich hatte wahrhaftig schon geglaubt, draußen halte bei so später Nacht der Wagen des Oberjägermeisters!« klangen etwas hart und rauh, und als er hierauf sein Gewehr unter einem der Hirschgeweihe aufgehängt, trat er, ohne weiter etwas zu sagen, vor den lodernden Kamin, stellte seine Füße mit den schweren Stiefeln abwechselnd auf die eiserne Stange vor dem Roste und schaute alsdann mit einem sehr gleichgültigen Blicke über die Gruppe der nun schweigend um den Tisch Sitzenden hinweg.

Mamsell Stöckel ließ eine Minute oder so etwas vorüber gehen, ehe sie sich an ihn wandte: »Hier ist eine fremde Dame, die gekommen ist, Blanda zu sehen.«

»Recht spät am Abend!« war die kurze Antwort. »Und was will die Dame sonst noch?« »Mit Ihnen ein Wort reden, Herr Förster, wenn Sie vielleicht Zeit und Lust hätten, mich anzuhören,« sagte Kolma, indem sie aufstand und zu ihm ans Feuer trat.

»Warum nicht? Ein gescheites Wort zu hören, habe ich gern die Laune und gerade jetzt auch ein wenig Zeit, bis das Nachtessen kommt, worauf ich nicht gern noch lange warten möchte.«

Die letzten Worte galten seiner Schwester, die sich augenblicklich erhob und die Halle verließ, gefolgt von Blanda, welche auch Erich aufforderte, mitzugehen.

»Sie waren so freundlich, zu erlauben,« sprach Kolma hierauf, »daß das junge Mädchen, das ich wie eine Schwester, wie eine Tochter liebe, für eine kurze Zeit hier oben in Ihrem Hause sein könne, wofür ich Ihnen sehr dankbar bin und Ihnen meinen Dank gern in jeder Richtung beweisen möchte.«

»Meine Schwester hat mich darum gebeten, und da es nicht gar zu lange dauern soll, so will ich es in Geduld abwarten, bis beide wieder ihrer Wege gehen. Sie müssen mich recht verstehen, Madame,« fuhr er nach einer Pause fort, als er gesehen, daß bei seinen Worten ein Schatten über die Züge der Dame flog »es ist hier oben so recht kein Aufenthalt für Frauenzimmer, das heißt, es könnte mir anders ausgelegt oder von oben herab nicht gern gesehen werden, wenn sich hier bei mir Fremde aufhielten, ohne daß man darüber ein langes und breites gefragt oder gesprochen hätte. Ich bin eben nur der Förster dieses Waldes und der Aufseher in diesem herrschaftlichen Jagdschlößchen; das alles habe ich bereits der Schwester gesagt, die mich verstanden und nicht gar zu lange hier oben zu bleiben gedenkt. Was dann aus der anderen wird, weiß ich nicht.«

»Deshalb bin ich gerade gekommen, um das junge Mädchen, das mir sehr nahe steht, zu mir zu nehmen, und wenn Ihnen so viel daran liegt, daß dies baldigst geschieht, so könnte es auch schon heute abend sein, oder in den nächsten Tagen.«

Kolma sagte dies hörbar aufgeregt, wobei sie etwas mühsam atmete und sich eine plötzliche Röte auf ihrem Gesicht zeigte, die aber ebenso rasch wieder verschwand.

»So pressiert's gerade nicht,« gab der Förster zur Antwort, indem er einen finsteren, fast unwilligen Blick nach der Ecke des Gemaches sandte, wo sein Sohn Joseph saß und, scheinbar unbekümmert um das Gespräch der beiden, wieder angefangen hatte, seinem Instrumente leise, klagende, zitternde Accorde zu entlocken. »He,« rief er alsdann unwirsch hinüber, »weißt du denn gar nichts Gescheites mehr aufzuspielen, oder meinst du vielleicht, wenn man so stundenlang allein in dem schweigenden Walde umhergelaufen ist, es mache einem ein besonderes Vergnügen, solches Zeug da zu hören, welches gerade so klingt wie der Gesang der Unken drunten im Teiche oder wie das Klagen des Nachtwindes zwischen den Bäumen? Wie gesagt,« fuhr er hierauf gegen Kolma gewendet, mit etwas milderer Stimme fort, »so arg pressiert's nun gerade, nicht; auch habe ich es meiner Schwester versprochen, das junge Mädchen so lange hier oben zu behalten, bis sie selber wieder geht besser wäre es freilich gewesen,« murmelte er zwischen den Zähnen, indem er sich zu dem Kaminfeuer hinabbeugte und in die Flamme spuckte, »sie wären beide geblieben, wo sie waren!«

»Da es mir heute abend oder morgen, oder in den allernächsten Tagen allerdings fast unmöglich wäre, das junge Mädchen mit mir und gänzlich zu mir zu nehmen, wie natürlich geschehen wird, sobald ich einige notwendige Arrangements getroffen habe, so bin ich Ihnen sehr dankbar, daß es für diese Zeit unter der Aufsicht Ihrer vortrefflichen Schwester, die ja schon seit Jahren mit Blanda bekannt und befreundet ist, hier bleiben kann und Sie werden überzeugt sein, Herr Förster, daß Sie diesen großen Dienst keiner Undankbaren erzeigen.«

»Pah,« sagte der Förster, »der Dienst ist eben so groß nicht, und Sie brauchen kein solch Aufhebens davon zu machen! Vielleicht,« setzte er mit einem düsteren Blick hinzu, »wäre mir die Gegenwart des jungen Mädchens hier oben in der Einsamkeit selbst ein Vergnügen, wenn manches bei mir anders wäre aber so ist es besser, wir hausen selbander hier oben ganz allein, so kommen wir auch nicht auf andere Gedanken, die, wie die Sache nun einmal liegt, von großem Uebel wären und,« fuhr er leiser fort, indem er, die buschigen Augenbrauen tief herabgedrückt, in die Glut des Feuers schaute, »man kommt hier oben in der Einsamkeit gern auf dergleichen seltsame Gedanken, wenn man sonst beinahe nichts thun kann, als Zither spielen und träumend an den Himmel hinauf blicken es ist das eben ein Unglück!«

Kolma verstand wohl, was er damit meinte, konnte sich aber nicht enthalten, mit einem leichten Kopfschütteln nach der Ecke zu blicken, wo der Sohn des Försters saß, immer noch scheinbar mit seinem Instrumente beschäftigt, obgleich man nach den harten Worten des Vaters keinen Ton mehr vernommen.

»Ja,« fuhr der Förster kopfnickend und so leise sprechend fort, daß nur Kolma seine Worte verstehen konnte, »seine Mutter war auch so eine Schwärmerin, zusammengesetzt aus unfruchtbaren Phantasien und schwachen Nerven, weshalb denn auch ein jäher Schrecken das zarte Gebäude zusammenwarf. Sie hatte eben kein Gemüt für das Weib eines Jägers, und als man mich eines Abends blutend nach Hause brachte ein Wilderer hatte mich schwer an der Seite verwundet da war das doppelte Unglück fertig!«

»Und seit jener Zeit ist er leidend?«

»Wie Sie ihn da sehen, ziemlich klar bei Verstand, schwächlich am Körper und beinahe unfähig, fünf oder sechs Worte hintereinander ruhig auszusprechen das alles verkümmert mir das Leben und läßt mich verdrießlicher erscheinen, als ich es eigentlich bin; deshalb nehmen Sie meine Worte von vorhin nicht so schwer und lassen mich Ihnen wenigstens für heute abend bieten, was dieses kleine, einsame Haus vermag. Ich weiß aber in der That nicht, wo sie so lange bleiben,« setzte er, nach der Thür blickend, hinzu. »Ich will nach ihnen sehen,« erwiderte Kolma rasch, da es ihr nicht unlieb war, hier das Gespräch mit dem Förster abbrechen zu können, und ehe er sie zurückzuhalten vermochte, wenn das auch in seiner Absicht gelegen hätte, war sie durch dieselbe Thür verschwunden, die sich vorhin hinter den anderen geschlossen.

Der Förster nahm eine schwere eiserne Zange, die neben dem Kamine an einem Nagel hing, und wandte damit die halb verkohlten Klötze um. Als er mit dieser Arbeit zu Ende war und aufblickte, sah er seinen Sohn Joseph dicht vor sich stehen und bemerkte wohl, wie ihn dieser mit einem lebhaften, unruhigen Blicke betrachtete.

»Nun, was soll's, Joseph?« fragte er in einem weicheren Tone, als wohl zu diesen Worten paßte.

Der junge Mensch, dessen leidendes Gesicht nicht ohne Intelligenz war und dessen regelmäßige, angenehme Züge selbst durch das häufige, schmerzliche Zucken des Mundes nichts Abstoßendes erhielten, blickte einen Augenblick nach der Thür, dann wieder auf seinen Vater, welcher Bewegung der Augen er mit seinem Zeigefinger folgte, dann mit demselben leicht die Brust seines Vaters berührte und hierauf nach einigen vergeblichen Anstrengungen mühsam das Wort »gesprochen« hervorbrachte.

»Allerdings habe ich gesprochen mit der fremden Dame klar und deutlich, wie es sein muß.«

»Hier bleiben.«

»Wer soll hier bleiben? Jene fremde Dame?«

Joseph schüttelte mit dem Kopfe und zuckte die Achseln, wodurch er ausdrücken wollte, daß es ihm wohl gleichgültig sei, ob jene bleibe oder gehe.

»So meinst du deine Tante Katharine?«

»Ja und ...«

»Ei, Joseph, mir scheint, du hast gehört, was ich jener fremden Dame sagte.«

Der junge Mensch nickte mit dem Kopfe, während er den Zeigefinger der rechten Hand quer an den der linken legte. »So, halb hast du es gehört es ist immer schlimm, wenn man etwas halb hört, besonders etwas, das man gar nicht hören sollte! Ja, ja, ich glaube es schon, daß du deine Ohren nicht zugehalten hast, und ich habe dir auch angeraten, dein Zitherspiel zu unterbrechen, was ich hätte bleiben lassen können doch da du so willst, so muß ich dir ohne weiteres wiederholen, was ich jener fremden Dame gesagt. Ich sagte ihr nämlich, es sei mir lieb, wenn sie je eher, je lieber jene andere junge Dame von hier fortnähme, da ich sie hier oben nicht gebrauchen kann. Hast du vielleicht etwas dagegen?«

Bei dieser Frage zuckte es schmerzlich über das bleiche Gesicht des jungen Menschen, und nachdem unter heftigen Bemühungen, einen längeren Satz deutlich auszusprechen, eine fliegende Röte auf seinen Zügen erschienen und wieder verschwunden war, brachte er mühsam die Worte hervor: »Glücklich sein.«

»Ei der Tausend, Joseph,« erwiderte der Förster mit einem lauten Lachen, das ihm aber nicht frisch weg vom Herzen kam, »du möchtest glücklich sein? Wie bringst du denn das zusammen mit jenem jungen Mädchen, welches deine Tante da heraufgeführt hat? Sei doch gescheit! Das ist vor ein paar Tagen gekommen, unverhofft und wird uns nach ein paar Tagen wieder verlassen, ebenso unverhofft und auf Nimmerwiedersehen! Was schüttelst du mit dem Kopfe? Kam sie nicht gänzlich unverhofft?«

»Nein nein,« sagte Joseph rascher und deutlicher, als er bis jetzt etwas hervorbrachte.

»Wie versteh' ich denn das? Wußtest du vielleicht, daß sie kommen würde, oder hast du sie früher schon gesehen?«

»Ja, ja.«

»Der Tausend, und wo denn?«

Zur Antwort strich sich der junge Mensch leicht mit der Hand über die Stirn, wobei sein Gesicht einen so heiteren Ausdruck annahm und seine jetzt gänzlich ruhigen Lippen so glückselig lächelten, daß sich der Förster mit traurigem Blicke rasch gegen das Feuer wandte, um in den spielenden Flammen eine Erinnerung vergehen zu lassen, die ihm schmerzlich auf die Seele drückte die Erinnerung an die Urheberin jenes glückseligen Lächelns.

»Und wo hast du sie denn früher gesehen?«

Joseph trat an das Fenster und nahm von dort ein Buch, das er aufgeschlagen seinem Vater vor Augen hielt. Es waren deutsche, künstlerisch schön illustrierte Märchen, und auf dem Blatte, welches er ihm zeigte, sah man Dornröschen im Lehnstuhle vor der spinnenden Alten sitzen, wobei ein schlanker Jagdhund den schönen Kopf schmeichelnd auf die Knie des jungen Mädchens gelegt hatte, und dabei war eine so unverkennbare Aehnlichkeit zwischen Dornröschen und Blanda, daß man hätte glauben können, diese habe dem Zeichner dazu gesessen.

Der Förster gab das Buch, nachdem er das Blatt aufmerksam betrachtet, mit einem leichten Achselzucken zurück, wobei er sagte: »Das hier bleibt dir ja immer, und was das andere anbelangt, so scheint es mir auch nicht viel anderes zu sein, als das Bild aus einem Märchen, von dem ich übrigens wünschte, es hätte sich anderswo gezeigt, als gerade hier und deshalb ...«

»Deshalb ...«

Da flog die Flügelthür auf, durch welche die anderen verschwunden waren, und alle kamen wieder herein, irgend etwas tragend, Blanda voran mit einem Henkelkruge und Gläsern, und ganz eigentümlich, ja, wunderbar lieblich aussehend, da ihr Erich eine Epheuranke um die blonden Locken gewunden hatte und da ihr feines Gesicht leicht gerötet war und ihre schönen Augen heiter und glückselig glänzten. Der helle Jagdhund schritt stolz an ihrer Seite, dann folgte Kolma mit Brot, die Stöckel mit einer dampfenden Schüssel und zuletzt kam Erich mit Tellern und Tischgeräte auf dem Arme.

Zuerst hatten sich die Augenbrauen des Försters finster zusammengezogen, dann aber brach ein freundlicher Blick unter ihnen hervor wie ein Sonnenstrahl zwischen Regenwolken, worauf er sich hoch aufrichtete und mit freundlichem Kopfnicken zusah, wie die lustige Gesellschaft den Tisch deckte und besorgte.

Joseph, der wie geblendet nach dem jungen Mädchen hingestarrt hatte, zog sich dann rasch nach seiner Ecke zurück, und auf der Zither ertönte eine jener eigentümlich melancholischen Liedermelodien, die geradeso klingen als aus einem schmerzlich bewegten Herzen kommend, das sich über sich selbst lustig macht oder das sich im tiefen Leide doch immer wieder mit einer Hoffnung zu trösten vermag.

Bald darauf saßen alle um den Tisch, und wer, wie Kolma und Joseph, keine Lust zum Essen bezeigte, der mußte sich doch den Wünschen und Befehlen Blandas fügen, die es über sich genommen hatte, für alle zu sorgen, und das mit einer so lieblichen Geschäftigkeit that, daß trotz alledem nicht nur Joseph und Erich Essen und Trinken darüber vergaßen, sondern daß selbst der Förster häufig und unverwandt auf dieses reizende Wesen blicken und dabei des Märchenbildes gedenken mußte, welches ihm sein Sohn vorhin gezeigt.

Der Kuckuck in der alten Uhr kam hervor und meldete die zehnte Stunde; dann erhob sich Kolma und reichte dem Förster dankend ihre Hand.

»Schon jetzt gehst du?« fragte Blanda, indem sie sich an ihre Freundin drängte, die ihr die Arme um den Hals schlang und das Gesicht auf ihrer Brust verbarg »schon jetzt?«

»Um baldigst wiederzukommen, vielleicht morgen früh.«

»Jedenfalls, und doch ist es schade, daß wir uns jetzt schon trennen sollen! Ich war so glücklich wie nie in meinem Leben, da ich dich wieder gesehen und auch Erich nicht wahr, auch du kommst morgen zu uns?« wandte sie sich an ihn und blickte ihn sehr erstaunt an, als er, den Kopf schüttelnd, sagte: »Morgen werde ich wohl nicht kommen können, aber so bald als möglich.«

Joseph stand an dem Kaminfeuer und schaute mit düsterem Auge zu, wie Blanda beide Hände des jungen Soldaten nahm und dieser sie dann abwechselnd an seine Lippen drückte. Der Förster hatte schweigend seine Mütze genommen, um die fremde Dame an ihren Wagen zu begleiten, während Mamsell Stöckel nun, Blanda herzlich an sich ziehend, zu Kolma mit leiser Stimme sagte: »O ja, kommen Sie recht bald wieder, aber nicht, um sie mit fortzunehmen ich wüßte nicht, wie ich es anfangen sollte, ohne sie zu sein!«

Zu diesen Worten nickte Joseph mehreremal heftig mit dem Kopfe; doch achtete niemand auf ihn und auch niemand schien es zu bemerken, daß er mit hinausging in die klare, mondbeglänzte Nacht und daß er sich an der Mauer in einem Winkel aufstellte, um unverwandt in Blandas hell erleuchtetes Gesicht zu schauen.

Der Kutscher fuhr langsam und vorsichtig den steilen Waldweg hinab und erst auf der breiten Landstraße angekommen, ließ er seine Pferde rascher laufen. Kolma ruhte schweigend in ihrer Ecke, und selbst als Erich nach einiger Zeit von dem mächtigen und doch wieder so lieblichen Eindrucke sprach, den alles da droben auf sein Herz gemacht, nickte sie stumm mit dem Kopfe und brach dann plötzlich, nachdem er noch eine Zeitlang mit Begeisterung von Blanda gesprochen, in heftiges Weinen aus.

»Was ist Ihnen, Kolma? Ich bitte, reden Sie mit mir, wenn es Ihnen möglich ist!«

Doch gab sie darauf lange keine Antwort, und erst als Erich dringender und schmeichelnder zu ihr sagte, ihm doch nicht so weh zu thun durch diesen Ausdruck ihres Schmerzes, zugleich mit diesem trostlosen Stillschweigen, raffte sie sich aus ihrer Ecke empor, lehnte den Kopf an seine Schulter, da er jetzt neben ihr saß, und sagte, häufig unterbrochen durch tiefes Aufschluchzen: »Das gilt ja nicht dir, meine süße Puppe, auch nicht meiner guten Blanda eigentlich gilt es niemand von allen mir bekannten Wesen, nicht einmal ihm, den du wohl kennst und der die Schuld trägt, daß der Schmerz um ein zerknicktes Leben die heißen Thränen aus meinen Augen preßte aber nicht wegen dieses Lebens selbst, was liegt daran, ob ich es fortführe, zehn, zwanzig, dreißig Jahre länger, oder ob ich es in der nächsten Stunde endigte! Ich habe mich nie glücklich gefühlt, und wenn ich früher du weißt, zu der Zeit, als du in jener Nacht bei mir warst die Leute zu mir aufblicken sah mit bleichen, angsterfüllten Gesichtern, jeden Augenblick einen Sturz zum Tode fürchtend, der auch beim geringsten Fehltritte wohl hätte kommen müssen, so beunruhigte mich das wenig; nicht weil ich die Gefahr nicht kannte, sondern weil mir auch das Schrecklichste gleichgültig war, und darin lag der Reiz, der damals Tausende hinriß.«

»Aber warum gerade jetzt diese trüben Gedanken, Kolma jetzt, wo wir uns alle auf so glückliche Art wieder gefunden haben? Ich kann wohl sagen: »Wir«, denn ich gehöre zu euch. War es doch ein armer, eltern- und heimatloser junger Mensch, der sich damals gedrungen fühlte, euch zu helfen, was ihm in eurer Dankbarkeit einen so schönen und reichen Lohn brachte!«

»Gerade dieses glückliche Wiederfinden jetzt, und wie ich Blanda und dich wiedergefunden, ist es, was mich mit so tiefem Schmerze erfüllt. Ich fürchte, ich fürchte, Erich,« sagte sie mit einem so tiefen Weh, daß es ihn förmlich durchschauerte, »es ist ein Wiedersehen vor langer, vielleicht ewiger Trennung!«

»Kolma, wie können Sie so reden!«

»Weil ich nur zu richtig fühle. Du wirst mir gestehen, Erich, daß du heute abend bei meinem Anblicke erschrocken warst, und doch sahst du mich, wie ich zufällig war, lebhaft aufgeregt infolge eines Gespräches.«

»Mit jenem Offizier, dem Grafen Seefeld?« fiel er rasch ins Wort.

»Mit ihm; dann aber freudiger bewegt durch dein Erscheinen auf so seltsame, eigentümliche Art, welches mir als Beweis galt, daß uns ein freundliches Schicksal absichtlich zusammengeführt, dann Blandas Wiederfinden noch zittern diese freudigen Aufregungen in meiner kranken Brust wieder und halten mich aufrecht, zugleich mit meinem Willen, der noch ebenso fest ist wie damals, aber später, vielleicht in wenig Stunden, morgen früh jedenfalls, werde ich wieder, wie so oft, in mich zusammensinken und mein flatterndes Leben dann nichts mehr sein wie das Gaukeln des Schmetterlings um die ihn nährende Blüte; er kann sich wieder mit ihr, wenn auch nur auf kurze Zeit, vereinigen, er kann aber auch davonfliegen ins unbestimmte, unbekannte Blaue hinaus auf Nimmerwiedersehen. Vielleicht klingt das rätselhaft für dich, lieber Erich, aber ich wollte dir damit nur das Gefühl ausdrücken, welches mich faßt, welches mich peinigt, wenn ich morgen in meinem Sessel ruhe, schwer und mühsam nach Atem ringend, dem gaukelnden Schmetterlinge meines Lebens ängstlich mit den müden Augen folgend, jede Sekunde fürchtend, daß er sich in dem weiten, öden Räume verliere.«

»Schrecklich, Kolma, wenn ich Sie recht verstanden habe!«

»Es ist nicht so unbegreiflich für dich, der du mich vor Jahren gekannt und jetzt wiedergesehen ach, und jetzt, wo mich dieses Wiedersehen und das meiner guten Blanda mit so tiefem Schmerze erfüllt, da ich fühle, welch Glück es für mich wäre und wie notwendig, mit Rat und That in euer Leben einzugreifen!«

Er hatte ihre Hand erfaßt, welche heiß und feucht unter dem Handschuh anzufühlen war; er hatte sie innig gedrückt und versucht, sie an seine Lippen zu führen, doch hatte sie das nicht gelitten, ihn vielmehr hastig an sich gezogen und ihr glühendes Gesicht gegen sein kühles, krauses Haar gepreßt; ja, so blieb sie eine kurze Weile, während er sagte: »Fort mit diesen finsteren Gedanken, Kolma! Wenn ich auch Ihre Worte verstehe, so kann ich es doch nicht begreifen, ja, ich halte es für unmöglich, daß wir uns nur sollten wiedergefunden haben, um uns zu verlieren. Das sind nichts als quälende Aufregungen Ihrer Phantasie beruhigen Sie sich, Kolma.«

»Es wäre allerdings entsetzlich, wenn meine Befürchtungen wahr würden!« sagte sie nach einer Pause. »Und wenn ich auch, an Blandas Wiederfinden denkend, ausrufen müßte: Zu spät, zu spät! so dürfte ich es doch thun, ohne im Tone des Vorwurfes gegen mich selber. War ich doch damals durch die dritte Hand davon unterrichtet worden, daß die Gräfin Seefeld die Sorge für Blanda übernommen, wobei sie aber zur Bedingung mache, daß besonders ich mich gänzlich enthalte, je nach dem jungen Mädchen zu forschen, mich ihr zu nähern, sei es unter welchem Vorwande es wolle. Ihr Glück hing an dieser Bedingung, das Glück meiner Blanda, und du kannst dir denken, Erich, daß ich sie nicht erkannt haben würde, und wenn ich dicht an ihr vorüber gegangen wäre. Da kam vor wenig Tagen eine Botschaft an mich, ganz anders lautend, mich tief erschreckend, worin man von Täuschungen jeder Art sprach, in denen man über jenes junge Mädchen befangen gewesen sei, worin man mich aufforderte, mich um Blandas Zukunft zu bekümmern, wenn ich noch irgend ein Interesse daran habe, und wie du siehst, raffte ich mich auf aus tiefem Leiden, Erich, und eilte hierher. Laß mich dir noch etwas sagen, da ich im gegenwärtigen Augenblicke noch die Kraft zum Reden habe: Du sahst mich heute abend aus dem Gasthofe treten, in Begleitung jenes Mannes, der so unheilvoll, so verderbend in mein Leben trat. Ihn suchte ich bei meiner Ankunft in der Residenz auf, das heißt, ich ersuchte ihn um eine Unterredung auf jenem neutralen Grund und Boden. Er kam, ohne zu wissen, wer ihn zu sprechen verlangte er kam, Erich, und als ich ihm plötzlich gegenüber trat, ihm nach jener furchtbaren Stunde zum erstenmal wieder in die Augen schaute, da, als er mich erkannte, kaum erkannte, erhielt ich Genugthuung für einen Teil dessen, was ich um ihn gelitten, furchtbar in jeder Beziehung um ihn gelitten, weil um einen Mann, den ich unwillkürlich gehaßt, als ich ihn zum erstenmal sah. Er stand mir, schreckhaft erbleichend, gegenüber; von ihm herabgeglitten waren im jähen Schrecken all die erleichternden gesellschaftlichen Manieren, welche jenes Volk wie einen Mantel um seine Laster und Verbrechen wirft, und was ihn vollends niederschmetterte, war, daß ich ihm wie eine gänzlich Fremde gegenübertrat, ohne ein Wort, ohne ein Zeichen des Wiedererkennens, mich nur danach erkundigend, ob er, als Verwandter der Gräfin Seefeld, in irgend einer Beziehung zu Blanda stehe. Er schien nichts von ihr zu wissen, schien nur, da er wohl von ihr wußte, obgleich er mir versicherte, daß er Ursache habe, sich um das Thun und Lassen seiner Tante nicht zu bekümmern.«

»Ob er von Blanda wußte!« rief Erich, der in höchster Spannung gehört. »Er wußte von ihr und durch mich!«

»Durch dich, Erich? Welches Rätsel!«

Nun erzählte dieser mit geflügelten Worten, wie er in jener schrecklichen Nacht vor dem kleinen Hause, in welchem Kolma gewohnt, jene Papiere gefunden, Briefe des Geschäftsmannes des alten Grafen Seefeld an den Grafen Dagobert, deren Inhalt Erich so gut im Kopfe hatte, daß er ihn fast wörtlich wiedergeben konnte. »Diese Briefe,« fuhr er alsdann fort, »über welche ich nie mehr Gelegenheit hatte, mit Ihnen zu reden, Kolma, ließ ich vor kurzem durch einen meiner Bekannten dem Grafen Dagobert Seefeld zustellen, behielt aber ein versiegeltes Couvert, das bei den Briefen lag, zurück, weil es keine Aufschrift trug und weil ich darin Wichtiges für Blanda vermutete. That ich darin unrecht?«

»Jenem Menschen gegenüber und im Interesse Blandas handeltest du klug und richtig, das Couvert zu behalten, und hättest noch klüger gehandelt, wenn du auch die Briefe nicht zurückgegeben hättest. O, mein Gott,« flüsterte sie dann nach einem schmerzlichen Ausrufe, »gib mir nur noch kurze Zeit und vollkommene Kraft, um durch Blandas Glück seines zu begründen!« Dann sprach sie in unruhig hastiger Weise weiter, während sie zuweilen Pausen zwischen ihren Worten machte: »Wir haben in kurzem die Stadt erreicht, wo wir uns trennen müssen, aber, so Gott will, nur für ganz kurze Zeit.«

»Kann ich Sie morgen nicht wiedersehen, Kolma?« »Leider unmöglich, lieber Erich; nach all meinen Aufregungen von heute abend, die gewaltig in meinem Herzen nachzittern, würde ich doch keine Sekunde Ruhe finden. Auch drängt's mich, nach Hause zu kommen, um dort meine Sachen zu ordnen und dann so rasch als möglich zurückzukehren, um mit Treue und Liebe für Blanda zu sorgen. O, wie ich mich darauf freue wie ich mich darauf freue wie ich mich darauf freue! Ich werde deshalb sogleich weiterfahren!«

»Allein, in der Nacht, Kolma? Und bei Ihrem Leiden?«

»Im Gasthofe erwartet mich eine treue Dienerin, die in jeder Hinsicht für mich sorgt.«

»Marechal ist nicht mehr bei Ihnen, Kolma?« warf Erich plötzlich ein.

»Er ist tot, sonst würde er mich nicht verlassen haben ich fahre dann die Nacht hindurch und ruhe bequem im Wagen aus bald, bald, mein lieber Erich, wirst du wieder von mir hören sieh nach Blanda, sobald es deine Zeit erlaubt, und nun laß uns hier Abschied nehmen, Erich; es ist besser, als wenn du mich zurück an den Gasthof begleitetest, wo dadurch nach dir und mir unnötiges Gefrage entstünde. Ja, hier laß uns scheiden, im Angesichte des klaren Nachthimmels, unter dem Gefunkel meiner lieben, lieben Sterne! O, Genossen meiner Kindheit, flammende Welten dort oben, mein Spielzeug, meine Bilderbücher! Wie glückverheißend blickt ihr mich an! Gewiß, Erich, wir sehen uns baldigst wieder!«

Sie schaute ihn an mit thränenglänzenden Augen, dann hielt der Wagen, da sie es so befohlen. Erich sprang hinaus, und nun dicht vor ihr stehend, schlang sie die Arme um seinen Hals und küßte ihn bedächtig zuerst auf die Augen, dann wiederholt auf die Stirn und zuletzt auf den Mund. »Und das that ich nicht ohne Absicht gerade so,« sagte sie heiter lächelnd, »es war ein glückbringendes Zeichen, das ich so mit Küssen auf deinem Gesichte bildete dort steht es, dort am Horizont, mein treuer Begleiter in mancher Nacht der herrliche Orion! Und nun leb wohl, meine Puppe leb wohl, Erich auf Wiedersehen!« Da stand er in der stillen Nacht allein; weithin rollte schon der Wagen, ehe er seine Blicke von dem Sternbilde des Orions abwenden konnte, das auch ihm lieb und wert war. Doch neigte es sich schon zum Untergange, und der geharnischte Ritter, endlich ermüdet, schien auch zur Ruhe gehen zu wollen. Das alles stimmte ihn so weich, so traurig, auch der Ort, wo er sich befand, gerade wieder an jener Gartenmauer, wie vor wenig Tagen! Dort in der Höhe lag das Fort Maximilian, vor ihm das dunkle Haus der Pension, und ihm war gerade zu Mute, als sähe er Blanda, wie damals gegen jene Höhen ziehend, verschwinden, Kolma aber ihn in der entgegengesetzten Richtung verlassend, während er einsam und traurig zurückbleiben mußte.


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