Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

42. Kapitel

Worin das Gelage der Kavallerieoffiziere einen unvorhergesehenen Abschluß findet und worin der letzte Bombardier, nachdem er sich vortrefflich benommen, den dümmsten Streich seines Lebens macht.

Joseph hatte indessen den Ruf des Käuzchens sehr natürlich und in den angegebenen Zwischenräumen erschallen lassen, worauf der Gefreite Huber sogleich dieses Zeichen gegen die Höhe hinauf weiter gab und den Unteroffizier Raffleur veranlaßte, den kommandierenden Lieutenant des Wachtpostens sogleich aus festem Schlafe zu erwecken und ihm zu melden, daß drunten etwas ganz Absonderliches vorfallen müsse, da der Bombardier der reitenden Artillerie das verabredete Zeichen gegeben. Augenblicklich war der Infanterielieutenant munter und auf den Füßen, zog Schärpe und Säbel fester um den Leib, warf seine Pickelhaube auf den Kopf, schaute aber alsdann seinen Untergebenen, einen altgedienten Unteroffizier, fragend an: »Das ist alles recht schön und gut, Raffleur, aber was nun weiter? Eine Streifpatrouille da hinabzuschicken, ist so eine Sache; denn statt daß wir damit etwas ausrichteten, könnten unsere Leute selbst in die Patsche kommen, und doch darf man den Bombardier nicht im Stiche lassen. Wissen Sie was, eilen Sie zur Compagnie, die ja nicht tausend Schritte von hier lagert, und melden die ganze Geschichte dem Herrn Hauptmann.«

Schon war der Unteroffizier ein paar Schritte davongelaufen, als er plötzlich stehen blieb und sich tief bückte, wie man in der Nacht zu thun pflegt, wenn man irgend etwas erkennen will, das in der Dunkelheit auf uns zukommt und sich alsdann von dem helleren Himmel besser abzeichnet. Rasch eilte er hierauf mit der Meldung zurück, daß ein Trupp Reiter nahe, wahrscheinlich der Major du jour, zum Visitieren der Wachtposten. Und so war es auch; nur kam der diensthabende Major nicht allein, sondern in Gesellschaft des kommandierenden Brigadegenerals, sowie eines ganzen Schwarmes von Adjutanten, Ordonnanzen und anderen Offizieren.

Statt nach dem eingenommenen vortrefflichen Souper sein Lager zu suchen, hatte es der Brigadegeneral bei der schönen Nacht vorgezogen, nochmals sämtliche Positionen abzureiten. War es doch das erste kombinierte Manöver, welches er unter den Augen des Allerhöchstkommandierenden zu leiten hatte, und hatte er auch sonst noch verschiedene Ursachen, auf keiner unrichtigen oder falschen Fährte ertappt zu werden!

Der Brigadegeneral nämlich, einer unserer Bekannten dieser wahrhaftigen Geschichte, der frühere Dragoneroberst von Schwenkenberg, war bei seiner Beförderung zum General mit einer Infanteriebrigade betraut worden, worüber seine ehemaligen Kameraden von der Kavallerie einigermaßen die Achseln gezuckt hatten und worüber seine jetzigen Kameraden von der Infanterie noch immer fortfuhren, bedeutsam die Achseln zu zucken. Jene behaupteten, als echter Kavallerist hätte er lieber seinen Abschied nehmen, als sich solchergestalt zurückdienen sollen, und die vom Fußvolk waren überzeugt, daß so ein Reiteroberst sich nie zu den Feinheiten der Infanterietaktik aufschwingen könne. Und so werden wir es denn begreiflich finden, daß sich der General von Schwenkenberg die erstaunlichste Mühe gab, um bei dem Manöver glänzend zu bestehen, wobei er sich noch fest vorgenommen hatte, seinen ehemaligen Kameraden, die jetzt Miene machten, ihn etwas von oben herunter anzuschauen, dieser übermütigen Kavallerie, womöglich tüchtig eins auszuwischen.

Dies war der Mann, der gegen den Wachtposten des Infanterieoffiziers ritt und von diesem Meldung erhielt über das, was zwischen ihm und dem Bombardier der reitenden Artillerie vorgefallen, und hinzusetzte, das Erschallen des verabredeten Zeichens müsse jedenfalls etwas Außergewöhnliches zu bedeuten haben.

»Welche feindliche Truppenteile glauben Sie da unten vor sich zu haben?«

»Kavallerie, Herr General, Husaren und Dragoner, wie wir ganz genau wissen; denn die Patrouillen derselben streifen dicht an der Nase unserer Vorposten vorüber, ohne sich um die bezeichnete Demarkationslinie im geringsten zu kümmern.«

»Ah, das sieht ihnen ähnlich! Ich kenne diese Dragoner, und es würde ihnen durchaus nicht schaden, wenn es möglich wäre, ihnen ein bißchen Respekt vor dem Bajonett einzuflößen! Was glauben Sie, Herr Lieutenant, wenn wir ein ziemlich starkes Detachement da hinabschickten, um zu sehen, was es gäbe? Wie stark ist Ihr Vorposten hier?«

»Achtzig Mann, Herr General.«

»Und Ihre Postenkette drunten läßt in der Sicherheit für unser Bivouac nichts zu wünschen übrig?«

»Ich bin überzeugt, daß sich kein Fuchs durchschleichen könnte.«

»So wollen wir denn mit Ihren achtzig Mann einen Handstreich versuchen, wenigstens genau rekognoszieren, was es drunten eigentlich gibt. Herr Major Klemmer,« wandte er sich an einen der ihn begleitenden Stabsoffiziere, »Sie hätten wohl die Freundlichkeit, dieses allerdings kleine, aber nicht unwichtige Kommando zu übernehmen; ich möchte dabei gern einen umsichtigen Offizier haben, auf den ich mich unter allen Umständen verlassen kann.«

»Zu Befehl, Herr General; ich werde das aber mit Ihrer Erlaubnis zu Fuß abmachen.«

»Gewiß, mein lieber Herr Major, und Sie, Herr Lieutenant, lassen Sie Ihre Leute antreten wir, meine Herren,« wandte er sich an seine Suite, »bleiben indessen hier oben hübsch beisammen, bis wir erfahren, was sich drunten begeben.«

Die Leute waren augenblicklich zusammengetreten und freuten sich sichtlich auf die kleine Expedition, weshalb sie auch unter Anführung des Majors Klemmer so geräuschlos und vorsichtig als möglich den Waldweg hinabgingen und gleich darauf im Schatten der Nacht verschwunden waren.

Major Klemmer war ein Mann, der von der Pike auf gedient hatte, und dem es erst nach manchem vergeblichen Anlaufe gelungen war, über die Scheidewand hinwegzusetzen, welche den Unteroffizier von den Epauletten trennt, streng in und außer dem Dienste, ehrgeizig und diensteifrig; einer armen und sehr bescheidenen Familie entstammend, hatte er sich von jeher ohne die geringste Zulage behelfen müssen, was alles seinem Charakter viel Härte und Schroffheit beigemischt hatte, die auch sein äußeres Benehmen sehr rauh und schartig machten, wobei er, hauptsächlich ein scharfes Augenmerk den jungen Offizieren seines Bataillons zuwendend, es unbegreiflich fand, wie sich diese jungen Herren so nichtigen Dingen, als Spazierengehen, Kaffeehäuser, Gesellschaften, Bälle besuchen, Trinken und Spielen, hingeben mochten.

Vielleicht daß er dabei nicht ganz ohne Neid war, wenn er in Erfahrung brachte, daß da oft in einer Nacht in Austern und Champagner Summen verschlampampt wurden, mit welchen er selbst Monate gelebt hätte. Genug, ein Tiger konnte nicht leichter seine Beute gieriger packen und festhalten, als er, wenn es sich um leichtsinnige Dienstvergehen oder gar um Schuldenmacherei handelte. Zu allem dem hatte Major Klemmer eine ältere Jungfrau von etwas Vermögen zu seiner Gemahlin gemacht, und diese, ein wahres Kratzeisen, äußerlich und innerlich, stand mit allen bösen Eigenschaften eines keifenden Weibes zu ihrem Gemahl in gleichem Verhältnis wie der Stahl zum Messer und schliff durch ihr ewiges Gezänk seine ohnedies schon harten und schneidigen Eigenschaften zu einer sehr gefährlichen Schärfe. Groß, lang und hager von Gestalt, hatte Major Klemmer eine gewaltige, scharfe Habichtsnase, kleine, finsterblickende Augen und einen langen fuchsigen Schnurrbart, der, gerade herabgekämmt, Mund und Kinn fast gänzlich verbarg, und so war innerlich und äußerlich der Mann beschaffen, der sich jetzt an der Spitze von achtzig Mann so geräuschlos als möglich dem Jagdschlößchen näherte und an der hinteren Gartenmauer von dem rasch herbeigeeilten Bombardier der reitenden Artillerie empfangen und von der Gegenwart der feindlichen Kavallerieoffiziere in Kenntnis gesetzt wurde. Mit einem raschen Blicke, der durch eilige Erläuterungen Erichs unterstützt wurde, übersah Major Klemmer hier die Lokalität, besetzte den hinteren Ausgang des Gartens mit einem tüchtigen Posten und umkreiste hierauf die Mauer bis zum Eingangsthore des Hofes, welches er ebenfalls stark besetzte, die Offiziersburschen mit ihren Pferden zu Gefangenen erklärte und dann dem Hause zuschritt.

Hier hatte das lustige Leben und Treiben der Offiziere seinen Höhepunkt erreicht, und waren es besonders die teils versteckten, teils offenen Anspielungen und Neckereien gegen den Grafen Seefeld, was die Lust zu wahrer Ausgelassenheit gesteigert; doch bemühte sich der von allen Seiten Angegriffene längere Zeit, als einzige Abwehr und Entgegnung eine behaglich lächelnde Miene anzunehmen und sich den Schein zu geben, als könne er, im Bewußtsein eines glücklich zu Ende geführten Abenteuers, recht gut die von Neid erfüllten Bemerkungen der Kameraden ertragen.

»Aber das mußt du zugeben, Seefeld,« sagte Graf Horn, »daß du nicht vollkommen siegreich aus jener Affaire zurückgekehrt bist und daß die tüchtige Schramme an deiner Hand ebensogut einen abgeschlagenen Sturm bedeuten kann als das Aufziehen der weißen Fahne.«

»O, es gibt auch welche, die aus Liebe beißen,« lachte Baring, »und damit laßt's für jetzt genug sein! Seefeld hat sich uns als Sieger vorgestellt, und warum sollten wir ihm nicht glauben? Seid nicht undankbar für alles, was er heute abend für uns gethan, und trinkt auf die glückliche Beendigung des morgenden oder vielmehr heutigen, gewiß sehr langweiligen Manövers!«

»Wenn ich nur mit meiner Schwadron vor den Augen des Prinzen zu einer recht flotten Attaque komme, über ein paar tüchtige Gräben und Verhaue hinweg du, Seefeld, kannst, wenn sich eine solche Gelegenheit bietet, mir zuliebe schon um ein paar Pferdelängen zurückbleiben!«

»Und dir als Relief dienen recht gern! Was du erwartest, habe ich erreicht, und mich freut ohnedies schon lange die ganze, friedliche Soldatenspielerei nicht mehr!«

»So wär' es doch am Ende wahr, was man sagt, daß du quittieren wolltest?«

»Und heiraten?« lachte ein Anderer.

»Das erste vielleicht, doch was das zweite anbelangt, so hat's damit noch gute Wege!«

»Das würdest du nicht in Gegenwart der kleinen, reizenden Gräfin Haller sagen!« erwiderte Graf Horn und sang dann nach der bekannten Melodie aus Teil: »Klothilde, ach Klothi-ilde!«

Ohne dieses letztere einer Beachtung zu würdigen, fuhr Graf Seefeld fort: »Mein verehrter Oheim, der alte Herr Christian Kurt, fällt rasch zusammen, und wenn sich da etwas ereignet, so daß ich die Güter übernehmen muß, ist es wohl selbstverständlich, daß ich alsdann nicht mehr fortdienen kann!«

»Und wirst als Major à la suite zur Disposition gestellt, glücklicher Kerl, mit dem Bewußtsein, vom Soldatenleben den lustigen Schaum getrunken zu haben!«

»Ein volles Glas auf dieses Avancement, denn es ist jedenfalls das beste alleweg!«

»Mir ist darum auch dieses langweilige Manöver, wobei wir doch nur die Handlanger der Infanterie spielen,« bemerkte Seefeld nach einer Pause, »unangenehm in die Quere gekommen! Ich wollte heute früh schon nach der Waldburg abreisen, und muß nun warten bis morgen nacht, bis nach dem großen Souper, das der Prinz dem kommandierenden General gibt; da kann es spät werden, oder vielmehr sehr früh, und daher war' es mein Rat, jetzt zum Bivouac zurückzukehren und sich dort noch ein paar Stunden, in den Mantel gehüllt, niederzulegen!«

»Ei was,« meinte Graf Horn, »zum schlafen hat man immer noch Zeit! Ich finde es hier viel behaglicher, oder, wenn ihr je eine Veränderung wollt, so sitzen wir auf und rekognoszieren zu unserem Privatvergnügen die feindlichen Vorposten! Wir haben nur Infanterie vor uns, und ich bin überzeugt, daß wir manchen finden, der, an irgend einem Baume lehnend, eingenickt ist!«

»Es wäre doch ein Hauptspaß,« rief der ganz junge Dragoneroffizier derselbe hatte noch nicht alle Eierschalen abgestreift , »wenn wir gänzlich unbeachtet bis auf die Höhe kommen könnten und auf einmal wie Geister der Nacht in ihrem Bivouac erschienen der Schrecken!«

Da klang es draußen auf dem Vorplatze, als wenn sämtliche Offizierburschen und Ordonnanzen, die im Hofe die Pferde hielten, in ziemlich regelmäßigem Schritte herankämen, um irgend etwas zu melden da öffnete sich langsam die Thür der Halle, und auf der Schwelle erschien, schauerlich anzusehen, wie eines jener Gespenster, dessen der junge Dragoneroffizier soeben erwähnt, ein langer, hagerer Major der Infanterie, mit der Schärpe um den Leib, gezogenem Säbel und auf dem Kopfe den Helm, der ihn als von den feindlichen Truppen kennzeichnete, und hinter diesem düster blickenden Major blitzten zahlreiche Gewehrläufe und Bajonette.

»Bei allem dem, was im Exerzier- und Dienstreglement steht,« sagte der finster blickende Major nach einer peinlichen Pause, »das ist eine sehr kuriose Geschichte! Die Herren von der Kavallerie sind, soviel ich sehe, aus dem feindlichen Bivouac, haben es sich hier mit Nichtachtung der Demarkationslinie äußerst bequem und behaglich gemacht« hier streifte sein düsterer Blick die zahlreichen Champagnerflaschen, welche auf dem Tische standen »und die Herren von der Kavallerie,« fuhr er mit erhobener Stimme fort, »haben nicht einmal Wachen ausgestellt, um zu verhüten, daß sie vom Feinde überrascht und zu Gefangenen gemacht würden!«

»Herr Oberstwachtmeister,« entgegnete ihm Graf Seefeld, der nach dieser allerdings sehr unangenehmen Ueberraschung zuerst wieder seine volle Fassung erlangt hatte, »Sie scheinen unsere harmlose Unterhaltung hier ver ... sehr ernst nehmen zu wollen?«

»Nicht ernster als notwendig, Herr Rittmeister; ich habe ein feindliches Detachement hier glücklich aufgehoben, mache es zu unseren Gefangenen und muß Sie als solche ersuchen, mich nach unserem Lager zu begleiten!«

»Ah, Sie werden doch nicht den Teufel auch! Das ist ja gegen alle Kameradschaft bei einem Manöver!« riefen die Offiziere aufspringend und nach ihren Mützen und Säbeln greifend, während Graf Seefeld ruhig sagte: »Setzen Sie sich lieber zu uns, Herr Oberstwachtmeister, und acceptieren ein Glas Champagner!«

»So etwas wäre doch in der That unerhört, bei einem Manöver, unter Truppen desselben Armeecorps!«

»Was ist ein Manöver, meine Herren von der Kavallerie?« erwiderte der Major mit großer Würde. »Eine möglichst genaue Nachahmung des Kriegs und Sie werden mir doch zugeben, daß man im Kriege in einem solchen Falle gerade so handeln würde, wie ich hier thue und die Herren Offiziere von der Kavallerie zu Gefangenen mache.«

»Gerade vielleicht deshalb, weil es Offiziere von der Kavallerie sind!« rief Graf Horn mit Bitterkeit.

»So, es läge wirklich in Ihrer Absicht, Herr Oberstwachtmeister, es in diesem Falle so genau zu nehmen?« sagte Graf Seefeld, indem er die Kameraden mit der Hand zur Ruhe winkte.

»So genau, als möglich!« antwortete der unbeugsame Major der Infanterie.

»So will ich Ihnen einen Vorschlag machen: Sie entlassen meine Kameraden ungehindert zu ihren Truppenteilen, während ich mir eine Ehre daraus mache, Sie bis zu Ihrem kommandierenden Herrn General zu begleiten, um demselben auf Verlangen die Namen der sämtlichen hier Anwesenden mitzuteilen.«

»Das nehmen wir nicht an, Seefeld, gewiß nicht eine solche Aufopferung zum Teufel, wenn der Herr Major ein Manöver ernstlich nehmen will, so können wir auch den Versuch wagen, uns durchzuschlagen!«

Das riefen die Kavallerieoffiziere halblaut durcheinander, indem sie Seefeld umringten und während sich zu gleicher Zeit der Unteroffizier Raffleur durch die Reihen der Infanteristen bis zu dem Major durchdrängte: »Herr Oberstwachtmeister, es lassen sich dicht am Hause Kavalleriepatrouillen sehen, welche beim Anblicke der Infanterie am Thore Reiter in vollem Galopp rückwärts sandten; ich glaube, wir haben hier keine Zeit zu verlieren!«

Diese Meldung geschah auf Erichs Veranlassung, der mit Joseph das Jagdschlößchen rings umspäht hatte, und die Husaren und Dragoner entdeckte.

»Gut dann, ich nehme Ihren Vorschlag an, Herr Rittmeister, bitte aber, mir sogleich zu folgen!«

»Sie werden mir doch wenigstens gestatten, mein Pferd zu besteigen?«

»Es thut mir sehr leid, Ihnen das abschlagen zu müssen! Droben wird der Herr General bestimmen, wie es später damit gehalten werden soll, zu welchem Zwecke Ihre Pferde nachgeführt werden sollen verstehen Sie, Unteroffizier Raffleur? Und das kann unter Aufsicht des Bombardiers von der reitenden Artillerie geschehen, der uns so vortrefflich geführt hat!«

Bei Erwähnung des Bombardiers von der reitenden Artillerie verdüsterten sich plötzlich die Blicke des Grafen Seefeld; er erbleichte furchtbar, preßte heftig die Lippen aufeinander und rief alsdann mit rauher Stimme: »Gut, Herr Oberstwachtmeister, ich folge dem Zwange! Vorwärts also, wenn es Ihnen gefällig ist!«

Er drückte die Kameraden, die ihn umringen wollten, leicht auseinander, indem er, sich gewaltsam zu einem leichten Lächeln zwingend, sagte: »Man muß jedem sein Vergnügen lassen! Auf Wiedersehen morgen früh und du, Baring, melde dem Major, ich hätte mich an der Hand verletzt, deshalb seien wir hier heraufgeritten auf neutralen Grund und Boden und von der feindlichen Infanterie überrascht worden, welche indessen ebensowenig als wir die Demarkationslinie geachtet hätte!« Dann mit einer sehr kalten Begrüßung an dem Major vorübergehend, verließ Graf Seefeld scheinbar ruhig, aber innerlich kochend vor Wut und Ingrimm, inmitten des Infanteriepiquets das Haus und den Hof. Erich folgte mit dem Husaren, welcher die Pferde des Grafen Seefeld führte.

In der That hatten die zurückgekehrten Kavalleriepatrouillen, durch die feindliche Infanterie im Hofe aufmerksam gemacht, Reiter mit der Meldung davon ins Bivouac geschickt, und kaum hatte Major Klemmer die Stelle erreicht, wo die geschlagenen Baumstämme den Waldweg verengten, als eine halbe Schwadron Husaren in den Hof des Jagdschlößchens sprengte, um die Offiziere dort aufzunehmen und vielleicht auch dem Feinde seine Beute wieder abzujagen. Doch hatte der Bombardier der reitenden Artillerie den Major Klemmer darauf aufmerksam gemacht, wie mit einigen wenigen weiter herabgerollten Baumstämmen der Weg gänzlich zu versperren sei, worauf dies sogleich geschah und die Truppe alsdann ihren Weg ungehindert die Anhöhe hinauf fortsetzte, auch deshalb, weil die Husaren, durch die Barriere stutzig gemacht, die Verfolgung bei der finsteren Nacht aufgaben. Droben angekommen, erstattete der Major dem General von Schwenkenberg Bericht über die Expedition und ließ dann seinen Gefangenen vortreten, der von dem Kommandierenden augenblicklich erkannt und mit einem lauten Lachen bewillkommt wurde.

»Ah, Major Klemmer,« rief er alsdann, »Sie haben einen guten Fang gemacht, und wenn sich der Graf Seefeld ranzionieren muß, so können Sie zufrieden sein!« Worauf der Major mit ernster Stimme entgegnete: »Herr General, ich habe nur meine Schuldigkeit gethan und würde derselben im wirklichen Kriegsfalle noch kräftiger und ausgiebiger nachgekommen sein!« Ihn hatte das Lachen des Generals verdrossen, sowie auch der Händedruck, den jener mit dem Gefangenen wechselte, und indem er nach seinen Pferden ging, murmelte er zwischen den Zähnen: »Es ist und bleibt ein wahres Sprüchwort: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus und zu einem tüchtigen Infanteristen muß man geboren sein, sonst bleibt man allerweg ein Stümper!«

»Uebrigens, Major Klemmer,« rief der General von Schwenkenberg, »danke ich Ihnen sehr für die umsichtige Führung dieser Expedition und werde sie betreffenden Ortes zu rühmen wissen! Wo ist der Bombardier der reitenden Artillerie?«

Erich trat vor.

»Auch mit Ihnen bin ich zufrieden, mein Lieber; von welcher Batterie sind Sie?«

»Von der vierten reitenden.«

»Ah, Kapitän von Manderfeld! Melden Sie ihrem Batteriechef, daß ich Sie belobt hätte, und nun, mein lieber Graf Seefeld,« wandte er sich an diesen, »steigen Sie zu Pferde und nehmen Sie bei mir eine Tasse Kaffee, ehe Sie zu Ihrer Schwadron zurückkehren.«

Daß Erich nicht im entferntesten daran dachte, später das ihm vom General gespendete Lob seinem Batteriechef zu wiederholen, bedarf kaum der Erwähnung; doch erzählte er die ganze Geschichte sogleich dem Premierlieutenant Schaller, dabei meldend, daß der Waldweg, um den es sich gehandelt, wie er auch schon früher gesagt, für Geschütze und Fahrzeuge nicht zu passieren sei. Der Tag der Schlacht brach an und unter dem Schleier der Dämmerung formierten sich Compagnien und Bataillone, Schwadronen und Batterien; Adjutanten und Ordonnanzen schossen wie die Schwalben hin und her. Der Kommandierende befand sich mit seiner Suite auf einem Hügel, von wo er die Hochebene übersehen konnte, umgeben von Offizieren aller Waffen und Grade, von denen mancher, wenn auch nur pro forma eine Landkarte vor sich auf dem Sattelknopfe hatte. Wohlgenährte Stabsoffiziere der Infanterie pätschelten freundlich die Hälse ihrer Pferde, um sich deren Wohlwollen zu versichern, strenge Hauptleute, den gezogenen Säbel in beiden Händen auf den Rücken haltend, schritten vor ihrer Compagnie auf und ab, wobei sie vermittels einzelner Redebrocken den Eifer ihrer Untergebenen zu entflammen suchten, während diese Untergebenen heimlich an ihrem Morgenbrote kauten und ihre Rührung mit dem letzten Schlucke Schnaps hinunter in den Magen spülten.

Am Rande der Höhe sah man, ungewiß durch den Schleier der Morgennebel, Artilleriemassen dahinziehen und hier und da Position nehmen, wobei jede Batterie zuerst einen unordentlichen Knäuel von Menschen, Pferden und Fahrzeugen, dann acht einzelne, in gleichen Intervallen von einander abstehende Punkte bildete, welche nun beim Beginne des großen Schauspiels vom rechten Flügel an zu blitzen fingen und sich schon eine Sekunde lang in dichten, weihen Rauch gehüllt hatten, ehe der Schall des krachenden Schusses die Tausende von Männerherzen erschütterte, die erwartungsvoll dem bevorstehenden Kampfe entgegensahen.

Dieser entspann sich nun und nahm seinen Fortgang nicht gerade nach dem Willen des Lenkers der Schlachten, sondern wie es auf dem Papiere vorgezeichnet war, und die Batterien, nachdem sie eine gute Portion von dem Pulver Sr. Majestät verpufft hatten, protzten auf und gingen in gleichem Maße vorwärts, wie sich die feindliche Artillerie zurückzog. Daß es dabei den einzelnen Batteriechefs, Zugskommandanten, ja, glücklichen Geschützführern vergönnt war, durch eine vortreffliche Aufstellung oder Deckung ihr Licht leuchten zu lassen, versteht sich von selbst, wobei es sich ganz besonders angenehm für den Premierlieutenant Schaller traf, daß Se. Excellenz der Generalinspecteur der Artillerie, welcher mehrmals sämtliche Artilleriepositionen abritt, dazu kam, wie sich der Haubitzenzug des eben genannten Offiziers, wobei sich auch Erich befand, neben dem Jagdschlößchen so prachtvoll aufgestellt hatte, daß ihre Granaten, die seitwärts zum Angriffe vorgehenden feindlichen Husarenschwadronen mit Stumpf und Stiel vom Erdboden vertilgt hätten, wenn es Ernst gewesen wäre, was den Betreffenden eine wohlwollende und sehr gnädige Bemerkung eintrug.

Dicht oberhalb der Stadt nahm die Artillerie eine dritte und letzte Position, um unter ihrem Schutze die Infanterie und Kavallerie vorgehen zu lassen und die Feinde über einen kleinen Fluß zurück und in die Vorstädte hineinzuwerfen, womit das Manöver beendigt war und worauf die Truppen, welche von auswärts gekommen waren, in ihre Kantonierungen, die Garnison der Residenz aber in ihre Kasernen zurückkehrte. Unter der letzteren befand sich auch die vierte reitende Batterie, die sich auf einem vorher bestimmten Platze gesammelt hatte und nun unter Führung des Hauptmanns von Manderfeld selbst heimwärts zog, und während alle Leute, im Bewußtsein, einen schweren Tag glücklich hinter sich zu haben, lustig und guter Dinge waren, ritt der Batteriechef mit einem sehr finsteren Gesichte an der Spitze. Es war ihm nämlich gelungen, seine sechs Kanonen gleich zu Anfang der Schlacht in ein sumpfiges Terrain zu führen, und das leider unter den Augen des Generalinspecteurs, welcher denn auch nicht ermangelte, ihm durch einen seiner Adjutanten etwas wenig Schmeichelhaftes sagen zu lassen.

So gelangte man in den Kasernenhof. Die Batterie fuhr auf, und der Hauptmann schien gute Lust zu haben, noch eine kleine Parade abzuhalten, um nachträglich vielleicht noch etwas zu finden, wo eine Strafe zu verhängen sei; doch kam ihm ein anderer Gedanke und er fragte den Premierlieutenant mit sehr lauter Stimme, wer denn eigentlich der Bombardier gewesen sei, der es heute nacht gewagt, sein Geschütz zu verlassen, um in der Welt herumzufahren.

»Man hat mir das berichtet,« setzte er hinzu »und wenn das den Herren von der Infanterie auch als ein höchst gelungenes Stücklein erscheint, so denke ich doch, anders und will einmal sehen, ob man so mir nichts dir nichts ein Recht hat, sein Geschütz zu verlassen! Wer war es?«

Daß er das ganz genau wußte, sah man deutlich an dem finsteren Blicke, den er aus den zusammengekniffenen Augen gegen Erich sandte; auch lächelte er vergnüglich, als dieser nun aus der Linie herausritt und sich meldete.

Doch sprengte zu gleicher Zeit von der anderen Seite der Premierlieutenant herbei, legte die Hand an den Helm und sagte: »Das geschah alles auf meinen Befehl, Herr Hauptmann.« »Alles auf Ihren Befehl, Herr Premierlieutenant? Und wie lautete Ihr Befehl?«

»Nachzuforschen, ob ein Waldweg, der ins Thal hinabführte, passierbar sei oder mit Holzstämmen verbarrikadiert, wie man mir gemeldet.«

»Schön, aber Sie gaben doch wohl diesem jungen Menschen keinen Befehl, bis beinahe in das feindliche Bivouac zu laufen, unterwegs in ein Haus einzufallen und ruhige Bewohner Bewohnerinnen sollte ich eigentlich sagen im Schlafe zu stören?«

»Ob das geschehen ist, weiß ich nicht, wenn aber, so geschah es vielleicht im Drange der Notwendigkeit, um zu erfahren, ob sich feindliche Kavallerie in jenem Hause festgesetzt habe, und auch dazu habe ich dem Bombardier Freiberg speziellen Befehl gegeben.« Dies sagte der Premierlieutenant in einem etwas barschen Tone, während ihm die Röte des Zornes ins Gesicht stieg, und setzte hinzu: »Sollte also jemand zu tadeln sein, so wäre ich es, Herr Hauptmann, und nicht der Bombardier!«

»Gestatten Sie mir, Herr Premierlieutenant, darüber anderer Ansicht zu sein, und wenn ich auch in Anbetracht Ihres vielleicht nicht ganz bestimmt ausgesprochenen Befehles mildernde Umstände annehmen will, so werden Sie mir doch erlauben, diesem Manne den ich genügend zu kennen die Ehre habe meine Unzufriedenheit dadurch zu erkennen zu geben, daß ich ihn bis morgen abend auf die Strafwache schicke.«

Ein Donnerschlag für den armen Erich; denn eine Strafwache während der bevorstehenden Nacht war ihm ebenso gleichbedeutend, wie vierzehn Tage Arrest zu jeder anderen Zeit. Er schaute mit einem flehenden Blicke auf den Premierlieutenant, der sein Pferd rasch herumwarf, dem davonreitenden Batteriechef folgte und, allerdings zu entfernt von der Mannschaft, um diese ein Wort verstehen zu lassen, eine kurze, aber heftige Unterredung mit dem Hauptmann von Manderfeld hielt, worauf dieser achselzuckend den Kasernenhof verließ, der Premierlieutenant aber mit sehr bleichen Gesichtszügen zur Batterie zurückkehrte, die Mannschaft absitzen und auseinandertreten ließ, worauf er den Bombardier Freiberg zu sich rief und ihm in bedauerndem Tone sagte:

»Die Strafwache kann ich Ihnen leider nicht abnehmen doch das übrige wird sich finden!«

Erich mußte sich Gewalt anthun, um in seinem tiefen Schmerze nicht kindisch vor dem wohlwollenden Offizier zu erscheinen; ihn nochmals um Erlassung der Strafe zu ersuchen, wäre fruchtlos gewesen. Auch entfernte sich der Premierlieutenant rasch, nachdem er Erich nochmals freundlich mit der Hand gewinkt, weshalb dieser, außer sich vor Schmerz und Zorn, nach dem Stalle eilte, sein Pferd im Ständer anhing, und dann so that, als beaufsichtigte er das Absatteln der Bedienungsmannschaft der Haubitze. In Wirklichkeit aber dachte er ganz was anderes, als er in der Stallgasse auf und ab schritt, und die heftigen Zornesworte, welche er hie und da murmelnd von sich stieß, galten gewiß keinem ungeschickten oder fahrlässigen Kanonier.

»Das unangenehmste bei allem dem ist noch,« sagte Bombardier Schwarz, als er auf ihn zutrat, »daß du den langen Wibert ablösen mußt! Dieser faule Schlingel hat sich unter dem Vorgeben eines bösen Fußes vom Bivouac und vom Manöver gedrückt und soll nun auch durch dich noch obendrein von der Stallwache erlöst werden.«

»Hol' ihn der Teufel und die ganze Wirtschaft miteinander!« rief Erich die Zähne zusammenbeißend und indem er sich die größte Gewalt anthat, den Kameraden keinen unmännlichen Ausdruck des Schmerzes sehen zu lassen. Doch hätte er viel darum gegeben, wenn er ganz, ganz allein gewesen wäre und wenn er hätte wüten und toben, ja, heimlich ein paar Thränen vergießen dürfen, die er kaum zurückdrängen konnte, deren Last ihm aber förmlich die Kehle zuschnürte, so daß er ein leichtes Schluchzen unmöglich unterdrücken konnte. »Du weißt, ich mache mir aus einem Arreste oder einer Strafwache für gewöhnlich nicht so viel, aber heute bringt es mich zur Verzweiflung, und wenn ich wirklich da bleiben muß, so stehe ich nicht dafür ein, ob ich nicht mit dem Kopfe gegen die Wand renne!«

»Ein herrliches Mittel und was hast du denn eigentlich vor?«

»Ich kann es dir nicht sagen, aber wenn ich auf der Wache bleiben muß, so bin ich der unglückseligste Mensch von der Welt!«

»Nun, wenn das ist,« sagte der gutmütige Schwarz, »so will ich nach eingebrochener Dunkelheit kommen und dich ablösen; früher fangen deine wichtigen Geschäfte doch wohl nicht an. Sei aber jetzt so gut und schneide ein anderes Gesicht; der lange Wibert lauert wie ein Fuchs herüber, und ich möchte ihm nicht das Vergnügen machen, ihm zu zeigen, daß dir die Strafwache so unangenehm sei!«

»Darin hast du recht, und deinen Freundschaftsdienst will ich dir wahrhaftig nicht vergessen!«

»Nun, was ist weiter dabei, eine Nacht auf Stroh schlafen und vor Entdeckung sind wir ziemlich sicher; der Hauptmann kommt vormittags nie in den Stall, oder wenn ihn doch der Teufel dahinführte, so müßte man ihm melden, du seist an einer heftigen Kolik erkrankt und ich hätte dich abgelöst. Jetzt geh' und mache deine Wachtoilette und löse mir alsdann den Wibert mit einem freundlichen Gesichte ab!«

Erich ging auf sein Zimmer, wo er sogar von dem Unteroffizier Wenkheim mit einigen bedauernden Worten empfangen wurde, jetzt aber so that, als mache er sich durchaus nichts aus der Strafstallwache, ja, um derselben alle Ehre anzuthun, wie er scherzend sagte, zog er nicht seinen alten Exerzieranzug, sondern seine eigene Uniform an, steckte alsdann alles Geld, welches er besaß, sowie ungesehen von den andern ein kleines, doppelläufiges Terzerol zu sich, welches eigentlich Schmoller gehörte und das der faule Schreiber seinem Freunde mit der Bitte gegeben hatte, den einen ausgeschossenen Lauf reinigen zu lassen und. dann wieder zu laden.

Der Bombardier Schwarz, welcher vorausgelaufen war, hatte für einen soliden Kaffee mit Butter und Brot gesorgt und auch für Erich Schreibmaterialien hergerichtet, um die er gebeten hatte. Mußte Erich doch einen sehr wichtigen Brief an Doktor Burbus verfassen, worin er ihn in möglichster Kürze und doch wieder so dringlich als möglich von den Schicksalen Blandas in Kenntnis setzte und ihn bat, sich des armen, verlassenen Mädchens anzunehmen. Klugerweise hatte der Bombardier heute morgen während des Manövers und besonders beim Heimreiten sorgfältig diesen Brief im Kopfe concipiert und brauchte ihn nur niederzuschreiben, sah sich aber doch währenddessen noch zu bedeutenden Aenderungen veranlaßt, da Worte und Redewendungen über Blanda, welche ihm heute morgen ganz unverfänglich erschienen, sich auf dem Papiere ganz anders ausnahmen und gegenüber einem so klugen alten Herrn wie der Doktor war, unmöglich gebraucht werden konnten, ohne den Briefschreiber und sein brüderliches Interesse an dem jungen, schönen Mädchen arg zu kompromittieren ja, Erich sah den alten Herrn mit dem forschenden Blicke in den hellen, klaren Augen deutlich vor sich und hörte ihn sagen: »Die Schale, so appetitlich und reinlich sie auch aussieht, wollen wir doch vorsichtig anfassen, ehe wir wissen, wie der Kern beschaffen ist!« Und wer konnte wissen, ob der Doktor durch die Gräfin Seefeld nicht gegen Blanda eingenommen war. Aber gleichviel, das mußte gewagt werden, und Erich wußte wohl, daß der Doktor selbst dann noch vorurteilsfrei prüfen und mit seinem klaren und gesunden Verstande das Richtige treffen würde. Deshalb beendigte Erich getrost seinen Brief, und sagte am Schlusse noch, er sei sehr glücklich gewesen, durch seinen ihm wohlwollenden Vorgesetzten, den Premierlieutenant Schaller, zu erfahren, daß der Herr Doktor Burbus ihm bis jetzt ein freundliches Andenken erhalten, und daß er hoffe, desselben auch für die Zukunft würdig zu bleiben. Dieser Brief wurde gesiegelt, überschrieben und dann dem jungen Schwarz anvertraut, der damit augenblicklich zur Post flog.

Als Erich hierauf den langen Wibert im Stalle ablöste, konnte dieser in jenes Mienen auch nicht die Spur von Mißmut entdecken, ja, der letztere warf leicht hin, die Ruhe im Stalle werde ihm wohl thun nach dem aufregenden Leben des letzten Tages, und setzte dann boshaft hinzu: »Wogegen Sie, Herr Bombardier Wibert, die Bivouac- und Manöverscenen recht bald aus den Erzählungen der anderen kennenlernen können!« Dann übernahm er die Wachmannschaft, gesunde und kranke Pferde, und hätte sich gern für ein paar Stunden auf die Pritsche geworfen, wenn er nicht gefühlt hätte, daß die Aufregung, in der er sich befand, ihn doch nicht zum Schlafe werde kommen lassen und wie langsam schlich die Zeit vorüber! Er hatte ein Buch mitgebracht und versuchte zu lesen. Umsonst zwischen jeder Zeile erschien ihm Blandas Name, oder die Worte gestalteten sich unwillkürlich zu Sätzen, welche von dem Zusammentreffen heute abend handelten. Er schritt in der Stallgasse auf und ab und gab sich Mühe, etwas anderes zu denken. Alles vergeblich jeder seiner Gedanken, mochte er auch noch so fern von ihr zu liegen scheinen, kam alsbald, wenn auch auf dem größten Umwege, in Zusammenhang mit ihr, und Erich that dadurch mit ängstlicher Scheu nach einem tiefen Atemzuge einen Blick in sein Inneres, vor dem er anfänglich zurückbebte.

Wie war das so rasch gekommen! Wie hatte er sich in seinen Gesinnungen seit gestern nacht so gänzlich gegen Blanda verändert! Wie war es möglich, daß er das junge Mädchen, das er bisher mit den Gefühlen einer herzlich lieben Schwester oder Freundin betrachtet, jetzt mit einemmale so unsäglich, so leidenschaftlich liebte? Waren die Worte des anderen zündend in sein empfindliches Herz gefallen, oder hatte ihr Pulsschlag, als Blanda an seiner Brust ruhte, seinem heiß entgegenklopfenden Herzen allerlei wilde und gefährliche Mitteilungen gemacht? Etwas derart mußte geschehen sein, denn er kannte sich in seinen Träumereien, in seinem Verlangen nicht wieder. Er hätte sein Leben darum gegeben, wenn er das geliebte Mädchen jetzt noch einmal sogleich wieder an sein Herz hätte drücken können. Er warf, da er sich in dem halbdunklen Räume ungesehen wußte, seine Arme in die Höhe und rief unzähligemal ihren Namen.

Dann trieb er ein anderes Spiel; es überfiel ihn eine unbeschreibliche Furcht, daß irgend etwas ihn verhindern könne, mit Blanda zusammen zu treffen und um sich einigermaßen zu beruhigen, befragte er auf seine Art das Schicksal, ob er Blanda heute abend sehen werde oder nicht; er zählte die Knöpfe seiner Uniform, mit Ja anfangend, und der letzte Knopf sagte ebenfalls Ja. Er machte es ebenso mit den Pferden im Stalle, mit den Fenstern desselben, mit den Gliedern an einer der Aufhaltsketten, alles sagte Ja, und so lächerlich das auch war, so beruhigte es ihn doch.

Endlich kam der Abend, und dann dauerte es auch nicht mehr gar zu lange, bis man den Zapfenstreich auf verschiedenen Seiten trommeln und blasen hörte. Das Abendfutter war den Pferden längst gereicht worden, und hatte Erich ganz besonders dafür gesorgt, daß die Nachtstreu so reichlich herbeigeholt und so hoch aufgelockert wurde, daß die Pferde bis an den Bauch in weichem, reinlichem Stroh standen und der Stall auf diese Art so wie auch mit seiner behaglichen Wärme und dem gedämpften Scheine der Laterne ein gar angenehmes Bild der Ruhe bot.

Das meinte auch der Bombardier Schwarz, der jetzt langsam herein schlich, um Erich abzulösen, und welcher ihm sagte: »O, famos, wenn du nicht einem ganz bequemen Vergnügen entgegen gehst, so beneide ich dich gar nicht! Es weht draußen ein verdächtiger Wind, und ich glaube nicht, daß das Wetter sich günstig anläßt zu einer Stehpartie an einem Ecksteine oder unter irgend einem Fenster. Wann gedenkst du zurückzukommen?«

»Ich kann das leider nicht so genau sagen.«

»Brauchst dich auch gar nicht zu genieren, wenn du nur morgen vor der Ablösung, also gegen elf Uhr da bist.«

»Das hoffe ich sehr und sage dir nochmals meinen herzlichsten Dank, lieber Schwarz!«

Damit händigte Erich dem Kameraden seinen Säbel ein, verließ den Stall und schlich um die Gebäude desselben so wie um den Geschützschuppen, so ungesehen das Kasernenhofthor erreichend. Einmal draußen und in der Stadt, war er vorläufig vor Entdeckung ziemlich sicher, vermied aber dennoch die breiten, belebten Straßen und eilte durch lauter kleine Gäßchen, die Stadt hinter sich zu bekommen, was ihm auch in kurzer Zeit gelang. Dort rechts sah er schon das Fort Maximilian über sich, in der Tiefe die Pension, wo Blanda gewohnt, und ging nun mit raschen Schritten die Landstraße aufwärts. Was er hier allein hätte fürchten können, wäre ein wißbegieriger Gendarm gewesen, der Lust gehabt, sich nach dem Zwecke seiner nächtlichen Expedition oder nach einem Legitimationspapier, seinem Vorzeiger dieses zu erkundigen; doch erschien vorderhand nichts dergleichen, und Erich konnte mit freierem Geiste seinen Träumereien nachhangen, wobei Blanda augenblicklich etwas in den Hintergrund trat, indem er sich genau die Wege nach dem kleinen Dörfchen Nordheim ins Gedächtnis zurückrief, wie er sie heute morgen auf der Spezialkarte des Premierlieutenants Schaller genau studiert und wie ihm Unteroffizier Wenkheim, der als heimisch hier der Gegend vollkommen kundig war, auf seine Frage erklärt hatte. Nordheim war vermittels Wald- und Feldwegen vom Jagdschlößchen droben in ungefähr drei Stunden zu erreichen und dort kam um fünf Uhr in der Frühe der Eilwagen vorbei, den Blanda benutzen sollte, um nach einer allerdings recht langen Fahrt in dem kleinen Städtchen Königsbronn einzutreffen, welches in der Nähe von Zwingenberg lag und das auch nicht sehr entfernt von der Waldburg war. Dort angekommen, konnte Blanda so lange bleiben, bis der Doktor Burbus, der alsdann Erichs Brief ebenfalls erhalten hatte, gewiß das that, was für das arme Mädchen das beste und klügste war.

Zwischen diesen Gedanken schaute der Bombardier zuweilen besorgt zu dem tiefdunkeln Nachthimmel empor, an welchem schwere Wolken, von scharfen Windstößen gejagt, dahinzogen. Hier und da war es ihm auch, als flögen einzelne Regentropfen gegen sein Gesicht, und diese Ungunst der Witterung, an die er früher nicht gedacht, erregte in ihm jetzt ein recht peinliches Gefühl. Wie konnte er die arme Blanda vor durchnässenden Regengüssen bewahren und wie konnte er sie vor allzu großer Ermüdung schützen, wenn er sie auch noch so sorgfältig führte auf den schlüpfrigen und gewiß oft recht steilen Waldwegen, denn sie hatten tüchtige Berge zu überschreiten! Dazu kam noch die finstere Nacht und seine Besorgnis über die Richtigkeit der Karte sowie der eingeholten Erkundigungen. Zum Glück war's nicht kalt, vielmehr umgab ihn eine dunstig schwere Luft, wie sie einem Gewitter vorauszugehen pflegt. Der Himmel wird uns gnädig sein, dachte Erich, als er nun von der Landstraße abbog und geräuschlos den steilen Waldweg zum Jagdschlößchen hinaufschritt. Wie ruhig war es hier oben im Vergleich mit gestern! Alles schien in tiefem Schlafe begraben, und selbst der Hund im Hofe schlug nur leicht und träumerisch an, als Erich, das Thor ziemlich weit zur Rechten lassend, längs der Umfassungsmauer dahin schlich, um den hinteren Teil des Gartens und dann den Waldweg zu gewinnen, welcher zu der Stelle führte, wo er sie erwarten wollte. Das Fenster von Blandas Zimmer war völlig dunkel, und sein Herz schlug heftiger bei dem Gedanken, ob es ihr auch wohl gelingen werde, das Haus ungesehen zu verlassen.


 << zurück weiter >>