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31. Kapitel

Besprechungen sehr unangenehmer Art über Blanda in Gegenwart eines fremden Herrn werden unterbrochen durch eine Deputation, welche zum Ausbruche der Empörung führt.

Die Direktorin des adligen Damenstifts hatte Besuch bei sich, und zwar den Besuch eines fein, ja elegant gekleideten Mannes, der vor ihr saß und sie aufmerksam anhörte, wobei er nur zuweilen sein glattes, ruhig lächelndes Gesicht gegen Fräulein von Quadde erhob, die in dem ziemlich großen Gemache mit hastigen Schritten eine Kometenbahn beschrieb und, so oft sie dabei in die Nähe der Frau von Welmer und jenes Herrn kam, ein mehr oder minder leidenschaftliches Wort in die Unterhaltung warf.

So sagte jetzt die Direktorin: »Sie können sich denken, mein verehrter Herr Renaud, daß wir aus Rücksicht gegen eine so vortreffliche und liebenswürdige Dame, wie die Gräfin Seefeld ist, alles anwandten, um mit Güte und Milde auf das etwas verwilderte Gemüt dieses jungen Mädchens einzuwirken.« »Ohne allen und jeden glücklichen Erfolg!« schnaubte die erste Lehrerin im Vorübersausen, worauf der Sekretär des Herrn Grafen Christian Kurt still vor sich hinlächelte.

»Und wenn es nur allein das gewesen wäre,« fuhr Frau von Welmer fort, »daß unsere so vortreffliche Erziehungs- und Lehrmethode an diesen harten Steinen beständig ohnmächtig abglitt! Aber es begab sich viel Schlimmeres, und es hat dieses früher gewiß sehr verwahrloste Geschöpf ...«

»Ein ganz richtiger Ausdruck!« lächelte Herr Renaud.

»Aufs nachteiligste gegenüber den anderen jungen Damen gewirkt.«

»So verderblich,« warf Fräulein von Quadde mit dem schrillen Tone einer Wetterfahne dazwischen, »daß sich jetzt das ganze Damenstift in einer förmlichen Rebellion befindet!«

»Unerhört, meine Damen!«

»Allerdings unerhört!« vernahm man jetzt die Quadde aus der Ecke des Gemachs, wohin sie gesaust war. »Und deshalb, mein verehrter Herr Renaud, können wir uns, so leid es uns auch thut, nicht dazu entschließen, jenes ...« Hier schwieg Frau von Welmer achselzuckend einen Augenblick, und erst als Herr Renaud sie freundlich ersuchte, sich durchaus nicht zu genieren, vollendete die Dame ihren Satz durch die heftig hervorgestoßenen Worte: »jenes widerspenstige, verdorbene Geschöpf noch länger in der Gesellschaft von Töchtern aus den angesehensten Familien des Landes zu lassen! In der That, ich bedaure das mit Rücksicht auf die verehrte Gräfin Seefeld, und es thut mir leid, daß in dieser Richtung Ihr Besuch kein günstiges Resultat haben kann.«

Herr Renaud hatte bei diesen Worten so freundlich vor sich hingelächelt, daß Frau von Welmer nicht umhin konnte, einen verwunderungsvollen Blick mit ihrer vorüberstürmenden ersten Lehrerin zu wechseln, einen Blick, der sich aber in den Ausdruck höchster Befriedigung verwandelte, als der Sekretär des Grafen nun sagte:

»Weit entfernt, mit Ihrer vorhin gethanen Aeußerung unzufrieden zu sein, stimme ich für meine Person derselben nicht nur vollkommen bei, sondern bin auch von der Gräfin Seefeld beauftragt, Ihnen deren ganz gleiche Meinung auszudrücken war das auch anders möglich, nachdem wir Ihr so klares, allerdings strenges und ernstes, aber dabei gewiß liebevoll unparteiisches Schreiben gelesen und beraten? Gewiß nicht! Man würde Ihnen, verehrte Frau, auch vollkommen alles ganz allein überlassen haben, wenn ich nicht zufällig hier zu thun gehabt hätte und deshalb beauftragt wurde, Ihnen persönlich den Dank der Frau Gräfin zu bringen und zugleich im allgemeinen über das Weitere zu reden.«

»Gott lohne Ihrer Erlaucht diese Einsicht und diese Gerechtigkeit!«

»Wobei Sie uns vielleicht eine indiskrete Frage erlauben?« hörte man die Quadde fragen, während sie herbeischoß.

»Mit großem Vergnügen!«

»Ist dieses Mädchen in irgend welcher Weise, sei es noch so weitläufig, mit dem gräflich Seefeldschen Hause verwandt?«

»Gott sei Dank nein!« »Aaaah, wie mir das die Brust erleichtert!« hörte man die Direktorin sagen.

»Wahrscheinlich aber sind ihre Eltern auf irgend eine Weise mit jenem erlauchten Hause eng befreundet?« fragte die Quadde in einem Tone, daß es klang, als spräche sie vorsichtig aus einer Thürspalte heraus.

»Eltern?« sagte Herr Renaud mit einem nicht zu verkennenden Achselzucken. »Es ist das ein sehr schöner, ehrwürdiger, ja, ich möchte sagen, heiliger Begriff, um so trauriger es auch also für jemand ist, der von diesem Begriffe sich so recht keinen Begriff machen kann.«

»Herr Renaud, ich will hoffen, daß es diesem jungen Mädchen, welches die Ehre hatte, in ein Stift adliger junger Damen aufgenommen zu werden, das unter dem Protektorate Ihrer königlichen Hoheit der Frau Herzogin Henriette steht, und dessen Vorsteherin zu sein ich die Ehre habe, nicht an dem sehr notwendigen Begriffe fehlt, was man unter Eltern versteht!«

»Vielleicht, daß sie diesen Begriff nur zur Hälfte hat ...«

»Ah, empörend!«

»Daß sie ihre Mutter kennt Vater dagegen vor der Hand gänzlich unbekannt!« vollendete Herr Renaud seinen Satz, worauf er behaglich seinen Mund spitzte und sich dann mit der Hand um das glatt rasierte Kinn strich.

Frau von Welmer hatte heftig ihr Taschentuch vor die Lippen gepreßt, wie um einen Aufschrei des Entsetzens zu unterdrücken; doch wurde derselbe pantomimisch durch einen fragenden Blick gen Himmel ausgedrückt, worauf sie ihre Augen gegen die Quadde richtete, die aber nicht imstande war, ihrer Vorgesetzten durch ein linderndes Wort zu Hilfe zu kommen. Ja, beide Damen schienen von einer Art von Starrsucht befallen zu sein, welche durch die nun folgenden Worte des Sekretärs, die er mit großer Ruhe sprach, eher gesteigert, als vermindert wurde.

»Es thut mir leid,« sagte er, »daß ich mich durch mein Gewissen genötigt sehe, der Wahrheit vollkommen die Ehre zu geben; vielleicht gegen den Willen Ihrer Erlaucht, der Frau Gräfin Seefeld, die in ihrer außerordentlichen Herzensgüte so gern vergleicht und vermittelt, und die auch hier, trotz alledem, was vorgefallen ist, die Zukunft dieses jungen Mädchens mit einem freundlichen Fürworte noch ferner in Ihre Hand zu legen versuchen würde, wogegen ich, als ruhiger, parteiloser Geschäftsmann, diese Angelegenheit auch in Ihrem Interesse als ein allerdings undankbares Geschäft behandeln möchte. Stellen wir also Thatsachen einander gegenüber. Dieses junge Mädchen von mehr als zweifelhafter Herkunft ...«

»Mehr als zweifelhafter Herkunft!« wiederholte die Quadde in einem Tone, als wenn ein Scharfrichter zu seinem Opfer sagen würde: »Machen Sie es sich auf diesem Stühlchen recht bequem!«

»Von Ihnen mit Liebe und Herzlichkeit aufgenommen, vergalt sie alles, was Sie an ihr gethan, mit Widerspenstigkeit, Trotz und Ungehorsam, und kann diesem Betragen nicht einmal den Namen erlaubter oder achtbarer Eltern oder Anverwandten gegenüberstellen, in welchem Falle allerdings Nachsicht zu üben wäre; ja, ein Freund, der es mit Ihrer berühmten Anstalt gut meint, macht Ihnen die ganz vertrauliche Mitteilung« die drei letzten Worte sprach Herr Renaud mit einem besonderen Nachdrucke »daß Sie es hier mit einem Wesen zu thun haben, welches durch ein angenehmes Aeußere eine vornehme Dame zu bestechen wußte, darauf aber genau das hielt, was sie ihrem Herkommen gemäß zu halten versprochen. Soviel, wie gesagt, im engsten Vertrauen; dann aber muß der Geschäftsmann, der die Ehre hat, Ihnen gegenüber zu sitzen, dem erhaltenen Befehle gemäß an Ihr gutes Herz appellieren und Sie bitten, die kindlich kindischen Vergehungen des jungen Mädchens mit Ihrer bekannten Milde und Herzensgute zu beurteilen und im Notfalle zu bestrafen.«

Nachdem Herr Renaud also gesprochen, klopfte er mit der rechten Hand ein paar Stäubchen von dem Aermel seines schwarzen Rockes, wobei er angelegentlich dorthin schaute und so nichts sehen konnte von dem schrecklich großartigen Mienenspiele der beiden Damen, welche indessen in kurzem über die schwebende Frage vollkommen im reinen zu sein schienen, denn als hierauf die Direktorin sprach, nickte ihre erste Hilfslehrerin nach jedem Satze bedeutsam mit dem Kopfe.

»Nachdem wir Ihren Auftrag gehört, Herr Renaud,« sprach Frau von Welmer, »so werden wir thun, was die Ehre der Anstalt erheischt und für alle Zeiten ein Beispiel statuieren, welche gerechte Strafe jede erwarte, die unsere Milde und Herzensgüte, unsere mehr als mütterliche Sorgfalt auf ähnliche Weise vergilt!«

»Auf ähnliche Weise vergilt!« wiederholte die Quadde wie tief aus einem Folterturme heraus.

»Haben Sie Befehle oder Anweisungen in betreff der Zukunft dieses jungen Mädchens?«

»Nur sehr unbestimmte,« antwortete der Sekretär achselzuckend, »da man eine Katastrophe als noch nicht so nahe bevorstehend ansah.«

»Die Katastrophe klopft schon an die Pforten meines sonst so versöhnlichen Herzens,« sagte die Direktorin mit großer Würde, »und da der gerechte Pförtner »Verstand« sie nicht abzuweisen vermag, wird sie in kurzem eintreten und dann mag geschehen, was da will, wir waschen unsere Hände in Unschuld!«

»Eine Wäsche, der ich mich mit großem Vergnügen anschließe!« sagte Herr Renaud geschmeidig. »Doch bleibt mir immerhin ein kleines Bedenken, das ich auf eigene Gefahr hin zu lösen versuchen muß. Schon die Ehre und der Ruf der Anstalt erfordern es, daß man sich vor einem Schritte hüte, der Aufsehen erregen müßte, und werde ich mich deshalb bemühen, eine notdürftige Unterkunft für das junge Mädchen zu finden, bis Ihre Erlaucht die Frau Gräfin Seefeld nach meinem getreuen Vortrage endgültig zu entscheiden geruht.«

»Wir danken Ihnen für Ihre freundliche Beihilfe, Herr Renaud, und seien Sie überzeugt, daß wir Ihr Vertrauen aufs vollkommenste rechtfertigen werden und auch mit keiner Miene...«

Hier wurde die Direktorin durch den mehr als hastigen Eintritt der jungen Baronin Welten unterbrochen, die sich in solcher Aufregung befand, daß ihr an sich unreiner Gesichtsteint förmlich getupft und getigert erschien, und daß sie, noch ganz besonders verwirrt durch den Anblick eines fremden Herrn, kaum die Worte hervorbringen konnte: »Verzeihen Sie, Frau von Welmer, daß ich so ungerufen und unangemeldet bei Ihnen eintrete; aber ich erfuhr es soeben erst, daß sie zu Ihnen kommen wollen als eine Art von Deputation, um Klage gegen Fräulein von Quadde zu führen!«

»Wer sie? Was soll das heißen, Baronin Welten?« fragte die Direktorin der Anstalt mit angenommener Ruhe und einer etwas künstlichen Gravität.

»Ihrer sechs oder acht, darunter die Gräfin Haller, die Waldow und vor allem Miß Price, haben beschlossen, sich über die Härte der Fräulein von Quadde, wie sie es nennen, über die wir anderen doch gewiß nicht klagen können, zu beschweren.«

»Das grenzt ja an Rebellion!« rief die Direktorin, während Fräulein von Quadde unter einem großartigen Lächeln sich in majestätisches Stillschweigen hüllte.

»Sie gestatten mir wohl, daß ich mich wieder entferne?« fragte die Baronin Welten etwas ängstlich. »Sie können jeden Augenblick erscheinen.«

»Gehen Sie dort ins Kabinett, mein Kind, und ich danke Ihnen und was meinen Sie, Fräulein von Quadde? Sollen wir dieser sauberen Gesellschaft zuvorkommen und ihnen eine exemplarische Strafe diktieren?«

»Ich glaube, wir sollten sie hören,« war die erhabene Ansicht der ersten Hilfslehrerin, welche aber etwas verkleinert wurde durch den Nachsatz: »Sie werden ihre Worte nicht auf die Wagschale legen, namentlich diese Price, und uns so Veranlassung geben, gegen sie vorzugehen.«

»Und Sie, Herr Renaud?«

»Wenn Sie mir erlauben wollten, als Zuhörer ebenfalls dort in Ihrem kleinen Kabinette zu bleiben, würde ich Ihnen um der guten Sache willen zu Dank verpflichtet sein.«

»Gewiß; bitte, treten Sie nur dort ein, und ich hoffe, später Ihre Ansicht zu hören über einen Vorfall, der noch nie dagewesen ist, solange ich die Ehre habe, Vorsteherin dieser Anstalt zu sein, und der sich auch hoffentlich niemals wiederholen wird ah, da sind sie schon!«

Ja, sie waren es, acht junge, mehr oder minder schöne, mehr oder minder entschlossene Mädchen, unter Anführung Blandas, dicht an deren Seite sich die Gräfin Haller hielt, während die anderen etwas zurückblieben, ja, ein paar Schüchterne unter der Thür, als sie nicht nur die Direktorin sahen, sondern, neben ihr stehend, auch Fräulein von Quadde.

Das Erstaunen auf dem Gesichte der Frau von Welmer war außerordentlich natürlich und ebensosehr die Steigerung desselben, welche in der Frage lag: »Was bedeutet dieser Aufzug? Wer hat Sie zu mir gerufen oder, wenn dies nicht der Fall ist, wer hat Ihnen die Erlaubnis gegeben, so ohne weiteres zu mir einzutreten?«

Blanda war einen Schritt vorgetreten und erwiderte nach einer ehrerbietigen Verbeugung: »Wir würden diese Erlaubnis schwerlich erhalten haben, fühlen deshalb auch unser Unrecht, so unangemeldet hierher zu kommen, konnten aber nicht anders, da wir uns vorgenommen hatten, Klage über Fräulein von Quadde zu führen, die uns mit unverdienter Härte behandelt.«

Miß Price, die nicht bleicher als gewöhnlich aussah, wogegen ihre leuchtenden Augen einen ruhigen, festen Ausdruck hatten, sprach diese Worte ehrerbietig, aber bestimmt und ohne sich durch den mehr als zerschmetternden Blick der Quadde einschüchtern zu lassen. Doch fuhr die Direktorin heftig empor und sagte mit bebender Stimme:

»Wissen Sie auch, Mademoiselle, daß das, was Sie hier unternehmen, die sträflichste Empörung ist, und daß ich mich gegenüber unserer hohen Protektorin zu Ihrer Mitschuldigen machen würde, wenn ich noch ein weiteres Wort anhörte besonders von Ihnen anhörte? Deshalb keine Silbe mehr, die Sie auf sich beziehen möchten, Mamsell mit Ihnen ist man fertig! Aber noch einige Worte zu jenen anderen, die, von Ihnen verführt, hoffentlich jetzt schon einsehen werden, welch grenzenloses Vergehen sie sich zu schulden kommen ließen!«

»Das werden wir alles anhören, Madame,« sagte hierauf die Gräfin Haller heftig erregt, indem sie rasch vortrat, »aber erst, nachdem Sie gehört, weshalb wir uns endlich zu diesem allerdings eigentümlichen Schritte entschließen mußten.«

»Schweigen Sie, Gräfin Haller!«

Doch warf diese trotzig den Kopf in die Höhe und sagte mit lauter Stimme, wobei ihre schönen Augen funkelten: »Wir führen Klage über die unverdient harte, ja, unwürdige Behandlung, die wir in der letzten Zeit erduldeten! Wir sind keine kleinen Kinder mehr, die man nach Belieben einsperrt, denen man Luft und Sonne entzieht, weil sie unartig waren, die man zu gänzlich ungewohnter Stunde ohne Licht zu Bette gehen läßt und ihnen sogar das Sprechen verbietet, die man an ihrem ohnehin schon kargen Essen verkürzt und die man gar auf Wasser und Brot setzen, sowie mit der Rute bedrohen würde wenn das möglich wäre!«

»Und das ist alles möglich,« rief die Direktorin, indem sie heftig erregt aufsprang »nach einer solchen Sprache, wie Sie sich soeben erlaubt! Wir haben Vollmacht von der hohen Protektorin dieser Anstalt, sowie auch von Ihren achtbaren Eltern und Verwandten, Ihren Ungehorsam, Trotz und Widersetzlichkeit mit den härtesten Strafen zu belegen und noch ein Wort, Gräfin Haller, und ich mache bei Ihnen den Anfang!«

»Nein, Frau von Welmer,« rief jetzt Blanda, indem sie rasch vor ihre Freundin trat, »lassen Sie es bei mir zu einem solchen Anfange kommen oder zu einem Ende, wie Sie es für gut finden, denn ich wage es, Ihnen noch ein Wort zu sagen: Sie haben das Recht, uns zu bestrafen, hart zu bestrafen, aber weder Sie, noch die hohe Protektorin, noch viel weniger aber Fräulein von Quadde hat das Recht, Strafen über uns zu verhängen, wie bei mir geschehen!« Sie schüttelte bei diesen Worten heftig ihr Haupt, so daß die kurzen, blonden Locken desselben um ihr erhitztes Gesicht flogen. »Und selbst, wenn Sie sich das Recht anmaßen, uns für kleine Vergehen auf solche Art zu bestrafen, so wird es doch weder in dem Willen der hohen Protektorin liegen, noch in dem Ihrigen, Frau von Welmer, alle diese Strafen durch kleinlichen Hohn, durch boshafte Härte zu verschärfen, wie es Fräulein von Quadde bei jeder Veranlassung thut!«

»Genug, genug es ist mehr als genug!« rief die Direktorin in höchster Aufregung. »Fräulein von Quadde, rufen Sie sämtliche Lehrerinnen, rufen Sie das Hauspersonal Gott im Himmel, ich bin gezwungen, zum Aeußersten zu schreiten!«

Wir dürfen hierbei nicht unerwähnt lassen, daß sämtliche junge Damen, während Blanda, allerdings erregt, aber mit ebenso großer Festigkeit als Ruhe sprach, ihren Platz an der Thür verlassen und sich dicht um ihre mutvolle Freundin geschart hatten, während Klothilde diese mit den Armen umschlang und alsdann mit blitzenden Augen der Direktorin zurief, wobei ein fast wildes Lächeln um ihre Lippen spielte:

»O, es braucht noch nicht solcher Entfaltung der öffentlichen Macht gegen uns; noch stehen wir hier nur als Bittende und werden die uns wohlbekannten Schranken nicht überschreiten, wenn Sie es etwa nicht vorziehen, uns durch die eben angedeuteten Maßregeln in die der offenen Widersetzlichkeit zu treiben. Sie haben unsere Klagen und Wünsche gehört,« setzte sie stolz und mit aufgeworfenem Kopfe hinzu, »und wir sind dagegen bereit, in geziemender Demut und Unterwürfigkeit Ihren Entscheid darauf in unseren Zimmern zu erwarten!«

Ihre Arme um Blandas schlanken Leib lösten sich, und ohne weiter durch ein Wort, einen Blick oder nur den leisesten Gruß ihre Demut und Unterwürfigkeit anzuzeigen, verließ sie an der Spitze sämtlicher jungen Damen die sprachlos, wie erstarrt dastehende Direktorin des Damenstiftes.

Fräulein von Quadde faßte sich zuerst wieder, indem sie laut lachend um sich schaute. Doch hatte dieses Lachen etwas sehr Erkünsteltes und klang wie das Kreischen einer halb eingerosteten Windfahne, wogegen Frau von Welmer den eben ohne Scheu vor ihrer Hilfslehrerin stattgehabten Auftritt weit ernster nahm, ihr Taschentuch vor die Augen hielt und wirkliche Thränen weinte.

Herr Renaud trat leise aus dem Kabinette hervor und zuckte bedeutsam mit den Achseln, ehe er sagte: »Unter Ihren jungen und liebenswürdigen Zöglingen ist allerdings eine tüchtige Portion Unkraut gesäet worden und wucherisch aufgegangen, was mich indessen nicht wunder nimmt, nachdem ich gehört, wie vortrefflich jene junge Dame, von der ich vorhin die Ehre hatte, mit Ihnen zu reden, in ihrer Entwickelung vorgeschritten ist.«

»Ja, nur sie nur sie ganz allein!« rief Fräulein von Quadde. »Sie ist es, welche unter der Maske der Sanftmut und Ruhe alles das verschuldet, und ich hoffe, Frau von Welmer, daß Sie unerbittlich sein werden und an ihr ein strenges Beispiel statuieren.«

»Gewiß, liebe Quadde,« erwiderte die Direktorin, nachdem sie sich auf ihren Stuhl niedergelassen und mit gefalteten Händen vor sich niedergeblickt, »glaube aber nicht, daß es heute möglich sein wird, ein derartiges Beispiel zu geben. Sie sehen selbst, wie aufgeregt diese jungen Mädchen waren, besonders die excentrische Haller; wollen wir es erleben, daß die Widersetzlichkeit einiger in offene Empörung beinahe der ganzen Klasse ausartet? Nein, nein, wir müssen vorsichtig zu Werke gehen, und erst, wenn es uns gelungen, jene junge Landstreicherin sowie die Gräfin Haller von den übrigen zu trennen, dann erst haben wir es in der Hand, diese beiden exemplarisch zu bestrafen, um mit den übrigen leicht fertig zu werden. Was meinen Sie, Herr Renaud?«

»Ich kann Ihnen nur vollkommen beipflichten und freue mich, daß wir insofern ohne Schwierigkeit auf den Ihnen vorhin angedeuteten Weg gelangen; denn die richtige Fortsetzung einer Bestrafung dieser sogenannten Miß Price kann nur ihre schleunige Entfernung aus dieser höchst achtbaren Erziehungsanstalt sein, und nach dem, was ich staunend soeben gehört und der Gräfin Seefeld zu berichten habe, wird man auch diesen Schritt vollkommen gerechtfertigt finden.«

»Wie dankbar werden wir Ihnen für diese Freundlichkeit sein und wie sehr werden auch wir uns dagegen bemühen, in unserem Berichte an die Gräfin Seefeld ganz in Ihre Ansicht einzugehen!«

»Eine Ansicht, die sich ganz von selbst ergibt,« sagte Herr Renaud in gleichgültigem Tone und setzte dann mit einem eigentümlichen Lächeln hinzu: »Daß man ein junges Mädchen, für welche sich eine so vornehme Dame wie die Gräfin Seefeld nun einmal interessiert, nicht ohne weiteres wieder zurück auf die Landstraße versetzen kann, ist sehr begreiflich.«

»Wieder zurück auf die Landstraße,« sagte die Quadde in einem Tone, als heulte der Wind um eine scharfe Hausecke; »ich habe nie etwas Aehnliches gedacht.«

»Leider kann ich meinen Ausdruck nicht mildern, und deshalb Vorsicht, meine Damen, aber dann Energie! «

Während so in dem Zimmer der Frau Direktorin der Feldzugsplan gegen die jungen Damen und besonders gegen die beiden Rädelsführer festgestellt wurde, waren letztere auch nicht müßig, über ihre Sendung zu berichten, und weitere Entschlüsse zu fassen, wobei man denn sah, wie außerordentlich gut organisiert, geleitet und bis ins kleinste Detail vorbereitet diese Mädchenempörung war; denn so sehr sich auch die Unterlehrerinnen Mühe gaben, ein allgemeines Gespräch über diesen gefährlichen Gegenstand zu verhindern, so konnten sie es doch nicht verhüten, daß von der nach dem großen Arbeitssaal zurückgekehrten Deputation ein recht aufgeregter Bericht gegeben wurde, und daß alsdann durch für sie unverständliche Worte, gesprochene und geschriebene, unter ihren Augen weiter konspiriert wurde, ohne daß sie dem Laufe dieser Konspiration zu folgen vermochten. Was hätten sie zum Beispiel aus den Worten eines Zettels entnehmen wollen, der unter den jungen Mädchen von Hand zu Hand lief und welcher lautete: »Nur unmöglich machen ist das einzige Mögliche, was möglich ist;« aus einem anderen, worin es hieß: »Wer nicht in die Wellen stürzt, kann auch das andere Ufer nicht erreichen;« oder einem dritten mit den Worten: »Wenn es dunkelt, geht der Mond auf, und wenn der Mond aufgeht, soll es dunkel werden« wobei sie es obendrein nicht zu verhindern vermochten, daß eine der anderen erläuternde Worte ins Ohr flüsterte. So ging dann die Zeit vorüber, wie an jedem anderen Tage, und unter den gleichen Beschäftigungen, nur daß nicht spazieren gegangen wurde, nicht einmal in dem abgeschlossenen Garten. Doch lag hiervon die Schuld an dem außerordentlich ungünstigen Wetter; denn es stürmte und schneite, und konnte deshalb auch kein Verdacht entstehen, als sei es von oben herab beschlossene Sache, die jungen Damen in ihren Zimmern zu halten. Das Abendessen verlief ganz wie gewöhnlich und unter keinerlei Einschränkungen; ja, die Unterlehrerinnen hielten sich auffallenderweise entfernter als gewöhnlich und schienen nicht einmal darauf zu achten, daß die Gräfin Haller bald hier, bald dort eifrig flüsternd in einer Gruppe gesehen wurde. Diese aber sowie Blanda, wenn sie auch überzeugt waren, daß morgen der große Tag des Gerichts anbrechen würde, hatten doch keine Ahnung von der heute abend schon im stillen heranschleichenden Gerechtigkeit und daß im gleichen Augenblicke, wo sie sich dazu anschickten, das Werk ihrer Empörung durch ein Attentat auf die verhaßte Quadde zu krönen, diese würdige Dame sorgsam beschäftigt war, zwei abgesonderte Zimmerchen für Blanda und die Gräfin Haller einzurichten, um dann morgen, nach Absonderung dieser beiden Gefährlichen, mit den übrigen leicht fertig zu werden, auch dadurch einen öffentlichen Eklat zu vermeiden, der notwendig nach einer gefürchteten, vielleicht tumultuarischen Scene unter Anführung der eben Genannten erfolgen müßte.

Ja, selbst die sonst so energische und rücksichtslose Quadde hatte eine solche Scheu, eine weitere Scene herbeizuführen, daß sie sich herabließ, nach dem allgemeinen Nachtessen im Saale zu erscheinen, um der Gräfin Haller und Blanda mit einigen nicht ungütigen Worten zu sagen, daß Frau von Welmer sie heute noch bei sich sehen wolle, um ihnen in freundlich mütterlicher Weise ihr Vergehen von heute morgen ans Herz zu legen, und daß man sie, sobald die anderen sich in ihren Schlafsälen befänden, abholen werde.

Klothilde, obgleich lebhaft und heftig, aber auch arglos wie sie war, hatte bei diesen Worten nichts Verdachterregendes gefunden und auch nichts Aehnliches in den scharfen Blicken der ersten Lehrerin zu lesen vermocht; wohl aber Blanda, der es nicht entgangen war, daß Fräulein von Quadde mühsam Atem schöpfte, ehe diese sich in ihrer Rede an sie wandte, und daß dabei ihre grauen Augen eigentümlich flimmerten und sich das wohlwollende Lächeln um ihre Mundwinkel etwas gar zu auffallend sehen ließ. Blanda hatte deshalb später Gelegenheit gefunden, mit der sicheren Gewandtheit, die ihr in allen Bewegungen eigen war, den Saal zu verlassen, um draußen, in einen dunkeln Winkel neben der Treppe geschmiegt, einem glücklichen Zufalle zu vertrauen, um die gute Mamsell Stöckel, die, wie wir bereits wissen, nicht mehr zu den Pensionärinnen gelassen wurde, einen Augenblick zu sehen oder zu sprechen, wenn sie von den unten befindlichen Haushaltungsräumen, wo sie noch bis zu ihrem Austritte beschäftigt wurde, nach ihrem kleinen, unter dem Dache befindlichen Zimmer ging. Das Glück war Blanda in der That günstig, und nachdem sie eine kleine Viertelstunde gewartet und gelauscht, sah sie Mamsell Stöckel, aber nicht, wie sie erwartet hatte, die Treppe hinaufsteigend, sondern von oben herabkommend, in Mantel und Hut, ein kleines, tragbares Köfferchen in der Hand. Zuweilen blieb sie lauschend stehen, und es erschien alsdann dem jungen Mädchen, als erwarte sie, jemand aus einer der im zweiten Stocke befindlichen Thüren hervorkommen zu sehen.

»Bst!« sagte Blanda so leise als möglich und setzte dann flüsternd hinzu: »Ich bin es Blanda die Sie gar zu gern ein paar Augenblicke sprechen möchte!«

»Dem Himmel sei Dank, daß ich Sie hier noch sehe!« entgegnete ebenso leise die frühere Unterlehrerin. »Folgen Sie mir auf mein Zimmer, und wenn uns das Glück günstig ist, wird Sie niemand sehen!«

Nach diesen Worten kehrte sie rasch zurück, und Blanda huschte leicht und geräuschlos wie ein Schatten an ihr vorüber, um sie droben am Eingange ihres kleinen Zimmerchens zu empfangen.

»Ach, was ihr für böse Sachen macht!« sagte Mamsell Stöckel mit trauriger Stimme. »Mir thut es in der Seele weh, daß ihr so gerechte Veranlassung zu Klagen gehabt ja, senken Sie nur Ihren Kopf, Blanda, Sie sind doch immerhin noch die Klügste und Besonnenste von allen, und haben sich doch mit fortreißen lassen ja, ja, ich weiß wohl,« fuhr die gute Person nach einer kleinen Pause und nachdem sie die ernsten, ja, düsteren Blicke Blandas bemerkt hatte, fort, »daß Manches geschehen ist, was Ihnen weh that und besser unterblieben wäre. Aber trotz allem dem ist es viel heilsamer, Unrecht leiden, als Unrecht thun. Doch haben wir jetzt keine Zeit, darüber zu reden, meine liebe Blanda,« fuhr sie fort, nachdem sie ängstlich nach der Thür geblickt »ich danke dem Himmel, daß es mir vergönnt war, Sie nochmals zu sehen, ehe ich dieses Haus verlasse!«

»Wie, Sie verlassen das Haus?« fragte Blanda mit einer tiefen Bewegung in der Stimme.

»Noch diesen Abend sogleich auf Befehl der Frau von Welmer, welche durch Fräulein von Quadde aufmerksam gemacht wurde, daß ich bei allem dem, was heute vorgefallen ist, wahrscheinlich die Hand im Spiele habe.«

Blanda stampfte heftig mit dem Fuße auf den Boden und biß die Zähne fest aufeinander.

»Ach, und es war mir deshalb so lieb, Sie, meine teure Blanda, nochmals unverhofft zu sehen!«

Sie zog bei diesen Worten das junge Mädchen an sich und legte ihr Gesicht auf deren blondes Haar, wobei Blanda deutlich fühlte, daß heiße Thränen ihre Stirn benetzten: doch weinte sie nicht mit ihr, sie starrte mit ihren großen glänzenden Augen in eine Ecke des Zimmers, sie biß ihre Zähne fest auf die Lippen, während sie ihre Hände krampfhaft ballte.

»Und auch für Sie ist es gut, daß ich Sie noch gesehen. Heute war jener Herr bei Frau von Welmer, der sich schon früher einmal nach Ihnen erkundigte.«

»Ah, Herr Renaud!« »Derselbe, und ich habe erfahren, daß man Sie Ihrer Wohlthäterin, der Gräfin Seefeld, von einer sehr schlimmen Seite geschildert. Dann erschienen Sie selbst mit den anderen, und er wohnte im Nebenzimmer dem ganzen Auftritte bei, fand auch infolge davon alles gerechtfertigt, was über Sie und die anderen, besonders über die Gräfin Haller, verhängt werden soll, und wird Sie in seinem Berichte an die Gräfin Seefeld nicht schonen.«

»Das erwarte ich von ihm. Wissen Sie, welche Strafe über uns verhängt worden?«

»Nicht genau; aber man beschloß, Sie und die Gräfin Haller heute abend noch von den übrigen zu trennen, um so mit den anderen leichter fertig zu werden.«

»Aaaah, so las ich doch richtig in den Augen des Fräuleins von Quadde!«

»Und nun behüte Sie Gott, mein liebes, teures Kind!« sagte Mamsell Stöckel mit ängstlicher Stimme, nachdem sie einen Augenblick gelauscht, da Tritte auf der Treppe hörbar wurden, die sich aber wieder verloren. »Vergessen Sie mich nicht und seien Sie überzeugt, daß ich herzlich an Sie denken werde. Sollte ich Ihnen je nützlich werden können, so lassen Sie es mich wissen; hier ist meine Adresse, unter der ich zu finden sein werde und nun leben Sie recht wohl, teure Blanda!«

Das junge Mädchen schlang in diesem Augenblicke in lebhafter Erregung ihre Arme um den Hals der guten, freundlichen Lehrerin, drückte sie heftig an sich und stieß dabei einen kurzen Weheruf aus, der wie ein schmerzhaftes Aufschluchzen klang; dann war sie aus dem Zimmer verschwunden und glitt die Treppe hinab, rasch, unhörbar, um gleich darauf wieder in den Arbeitssaal zu treten, wo ihre Abwesenheit um so weniger bemerkt worden war, da sämtliche junge Damen ihre Arbeit, womit sie beschäftigt gewesen, zusammenräumten, um sich in die Schlafzimmer zu begeben.

»Und wir?« fragte Klothilde leise, wobei sie Blanda mit dem Ellbogen anstieß. »Du bist doch nicht der Ansicht, daß wir hier allein im Saale warten sollen, um alsdann wie arme Sünderinnen durch die Quadde vor Frau von Welmer geschleppt zu werden? Mir kommt das überhaupt verdächtig vor, und deshalb habe ich für heute alles geordnet und alle sind bereit, wenn du nicht widerstrebst, wie du schon ein paarmal gethan hast!«

»Ich widerstrebe nicht mehr.«

»Dank dafür!« flüsterte Klothilde. »Mir ahnt, daß sie die ganze Geschichte totschweigen wollen, nachdem sie auf uns beide, als die Anstifterinnen, alle Schuld gewälzt, worauf dann die Sache nach wie vor ihren Weg gehen wird also heute gehandelt!« »Du siehst mich zu allem bereit.«

»Gut denn; so gehe ins Schlafzimmer und wünsche jeder eine angenehme Nacht so habe ich's mit ihnen abgeredet.«

»Und du?«

»Ich lege mich in den Kleidern unter meine Decke, wie du es auch machen wirst, und dann soll die Quadde nur kommen, um uns zu holen!«

Nach dieser Verabredung geschah es denn auch, und die jungen Mädchen gingen mit einer Eilfertigkeit zu Bette, wobei sich die wenigsten, wie sonst immer zu geschehen pflegte, auszogen und ihre Nachtkleider anlegten, daß das jedenfalls die Aufmerksamkeit der beaufsichtigenden Unterlehrerinnen erregt haben würde, wenn diese nicht bei Frau von Welmer versammelt gewesen wären, um dem vorhabenden Strafakte gegen Klothilde und Blanda die größtmögliche Feierlichkeit zu verleihen. In der Mitte des Schlafzimmers, in dem sich achtzehn der ältesten unter den jungen Damen befanden, hing eine Lampe, die so lange hell brennend erhalten wurde, bis Fräulein von Quadde ihre Runde gemacht und die letzte Strafpredigt des betreffenden Tages über allenfallsiges Plaudern oder unordentlich zusammengelegte Garderobestücke gehalten hatte, eine Strafpredigt, die heute sehr verschärft ausgefallen sein würde, wenn die erste Lehrerin fast auf sämtlichen Stühlen vor den Betten den gänzlichen Mangel an Unterkleidern bemerkt hätte; denn wie oben schon angedeutet, hatten fast sämtliche junge Damen nur ihre grauen Oberkleider abgestreift, und obgleich alle diese mutig und kampfbereit waren, wollen wir doch nicht verschweigen, daß unter den festgeschnürten Leibchen manches Herz heftiger klopfte, als gewöhnlich.

»Wer hat das Licht auszulöschen?« fragte Blanda.

»Ich habe es der Waldow aufgetragen,« entgegnete Klothilde, die damit beschäftigt war, einen langen Bettteppich wenige Schritte vor der Eingangsthür auf den Fußboden auszubreiten. Dann sprang sie in ihr Bett, lauschte, nachdem sie allen ein Zeichen gegeben hatte, still zu sein, gegen die Thür und sagte nun: »Es ist Zeit, hurtig, Waldow!«

Kaum war die Lampe erloschen, so vernahm man Schritte auf dem Gange, dann wurde die Thür geöffnet. Es trat jemand mit raschen Schritten in das Zimmer, dann hörte man die wohlbekannte Stimme der Ouadde, welche in einem sehr erstaunten Tone fragte: »Wer hat sich unterstanden, gegen den ausdrücklichen Befehl die Lampe des Schlafsaales auszulöschen?«

Es erfolgte keine Antwort, doch vernahm man das leise Krachen einiger Betten, dann das Schließen der Thür sowie das Umdrehen des Schlüssels im Schlosse.

»Gut, gut,« hörte man Fräulein von Quadde, in einem Tone sagen, als spräche sie aus einem leeren Fasse heraus, wobei aber ihre Stimme nicht so fest wie gewöhnlich klang, denn ihr scharfes Ohr hatte wohl das Zuschließen der Thür vernommen »gut das wird sich morgen durch eine Untersuchung herausstellen lassen. Wo ist die Gräfin Haller und Miß Price? Die Antwort, welche aber die verhaßte Lehrerin auf diese Frage erhielt, war wohl die überraschendste und niederschlagendste, die in einem ähnlichen Falle je gegeben worden ist; denn Fräulein von Quadde, die sonst sehr fest auf ihren Füßen zu stehen pflegte, fühlte plötzlich mit einem heftigen Rucke den Boden dahingleiten und stürzte der Länge nach auf das Gesicht nieder, wobei es ihr nicht einmal gelingen konnte, ihre Nase vor einem sehr heftigen Aufschlagen zu bewahren. Daß sie dabei einen lauten Schrei ausstieß, finden wir ebenso durch ihren unverhofften Fall motiviert, als dadurch, daß nun plötzlich von allen Seiten die verschiedensten Gegenstände: Fußschemel, Stühle, Bücher, Stiefelchen und Schuhe auf sie niederhagelten und sich dann sogar nach einer augenblicklichen Pause, in welcher man ein geschäftiges Umherschleichen gehört, Wasserströme in solchen Massen über sie ergossen, daß sie ein paar Sekunden lang mühsam nach Atem schnappte, ehe sie imstande war, einen lauten Hilferuf erschallen zu lassen.

Dann war plötzlich im Inneren des Zimmers alles still, während draußen auf dem Gange sich um so größere Aufregung und Lärm kundgab. Nicht nur Frau von Welmer war auf das vernommene Geschrei und den Spektakel mit ihren Unterlehrerinnen herbeigeeilt, sondern auch das Haus- und Küchenpersonal raste unter Anführung des handfesten Gärtners die Treppen herauf, in Erwartung furchtbarer Dinge, denn es hatten sich im Laufe des Tages und Abends durch das ganze Haus unbestimmte Gerüchte verbreitet von einer bevorstehenden furchtbaren Exekution und sich infolge davon in dem Küchendepartement eine starke Partei contra Quadde gebildet, die entschlossen war, nötigenfalls für ihre Lieblinge einzustehen.

Diese standen nun alle erwartungsvoll vor der verschlossenen Thür des Schlafzimmers, hinter welcher dem wilden Tumulte eine so beängstigende, tiefe Stille gefolgt war, daß Frau von Welmer mit bleichen, bebenden Lippen nach dem Hauptschlüssel verlangte, den der Gärtner dann auch augenblicklich herbeiholte und die Thür damit öffnete.

Welcher Anblick zeigte sich den erstaunten und vor Schrecken fast erstarrten Blicken, nachdem zwei der beherztesten Dienstmädchen eingetreten waren, und die grause Scene mit ihren Lichtern beleuchteten, da erhob sich vom Boden aus einem Chaos aller möglichen Gegenstände hervor eine von Wasser triefende Gestalt, anzuschauen wie ein vorsündflutliches, graues Ungeheuer, eben im Begriffe, aus dem angeschwemmten Boden ans trockene Land zu steigen; gerade so anzuschauen war die Quadde, nachdem sie sich mit aufgestütztem Arme halb erhoben hatte und sich durch Schütteln einiger der auf ihr lastenden Gegenstände zu entledigen suchte.

Nie gab es einen kürzeren Schritt vom Erhabenen oder vom Schrecklichen zum Lächerlichen. Da aber bei diesem Anblicke Frau von Welmer mit einem lauten Aufschrei in Ohnmacht fiel, so war für diesmal das Erhabene gerettet, und die minder Beherzten der Uebelthäterinnen zitterten unter ihren Bettdecken, wohin sie sich schleunig gerettet hatten, um sich, als im tiefen Schlafe befangen, wie ebenso viele Bilder der Unschuld darzustellen.

Aber Fräulein von Quadde sah fürchterlich und doch wieder höchst lächerlich aus, als sie nun, durch Hilfe der Dienstboten aufgerichtet, zwischen diesem Hügel der verschiedenartigsten Dinge mit ihrer langen, hageren Gestalt, mit schlaff herabhängenden Locken dastand, die rechte Hand drohend erhoben, und als sie sich hierauf durch einen großen Schritt aus den Hindernissen befreite und unter der Thür verschwand, in Begleitung der Direktorin, welche, ratlos über das unerhörte Geschehene, das Schlachtfeld mit seinen Trümmern den verwegenen Siegerinnen überließ.


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