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32. Kapitel

Handelt vom Kasernenleben. Dem langen Wibert wird eine Grube gegraben.

Wenn der schmächtige Bombardier Schwarz von der vierten reitenden Batterie häufig mit einem Anfluge von Bewunderung und Rührung zu seinen Kameraden sagte: »Gebt nur Achtung, der letzte Bombardier wird doch noch mit allen, selbst mit Manderfeld fertig!« so schien er vollkommen recht zu haben, wenn dieses Fertigwerden auch nicht so zu verstehen war, als trete Erich Freiberg seinen Vorgesetzten, einschließlich dem Batteriechef, schroff oder gar trotzig entgegen; im Gegenteil, er hatte sich selbst das Versprechen gegeben, durch Fleiß, Ordnung und Pünktlichkeit in jeder Beziehung sich auszuzeichnen, und er hielt dieses Versprechen auf eine Art, daß er darin, wenn auch in anderer Richtung, die Erwartung seiner Kameraden als etwas ganz Famoses rechtfertigte.

Da er es für unnötig hielt, dem Unteroffizier Wenkheim zu sagen, daß er mit Pferden sehr gut umzugehen wisse und des Reitens nicht unkundig sei, so mußte es dieser strenge Vorgesetzte als einen Beweis seines außerordentlichen Lehrtalentes ansehen, daß Erich nach den ersten Anleitungen von seinem Pferde die verlangten zehn dicken Staubstriche mit Leichtigkeit abputzte, daß er das Auflegen und Festgurten der Decke sogleich begriff, ebenso das Aufzäumen mit Trense und Kandare, daß er das Aufsitzen mit einer unbegreiflichen Schnelligkeit lernte, und daß er die Erwartungen seiner Kameraden, ihn beim erstmaligen Antraben baldmöglichst nach der Mähne greifen zu sehen, aufs wunderbarste täuschte.

Ja, nach einigen Reitstunden sagte der Unteroffizier Wenkheim, als er mit den anderen Bombardieren seines Beritts bei einem Frühschoppen zusammenkam: »Dieser Freiberg hat den Teufel im Leibe, und wenn er vier Wochen so fortmacht, so gibt er jedem von euch etwas zu raten auf, besonders Ihnen, Bombardier Wibert, der Sie sich mit Ihrem Reiten so viel zu gute gethan und heute noch auf dem Gaul hängen wie der Mehlsack auf dem Esel!«

»O, famos!« lachte der kleine Schwarz, was ihm aber keinen freundlichen Blick von Wibert eintrug.

Dieser war von einer ziemlich langen, etwas schlottrigen Gestalt und als Freiwilliger zu einer reitenden Batterie gegangen, um mit blank gewichster Lederhose, klingenden Sporen und klirrendem Säbel recht durch die Straßen fegen zu können. Da er früher ein paar Semester auf einer Universität zugebracht, eigentlich ausschließlich auf der Kneipe und dem Fechtboden, da er den Hörsaal fast nur vom Hörensagen kannte, so hatte er bei den Kameraden eine etwas bevorzugte Stellung eingenommen, indem er, wie eben schon erwähnt, mit seiner Reitkunst viel renommierte, sowie mit seiner Sicherheit auf der Mensur, für welch letztere er ein allerdings etwas zweideutiges Zeichen in Gestalt einer tüchtigen Schramme auf der rechten Wange trug. Doch war es gefährlich, besonders für die jüngeren und schwächeren unter den Kameraden, seinen Mut oder seine Geschicklichkeit in Führung der Waffen zu bezweifeln. Gefährlich insofern, weil er alsdann mit einem Ueberflusse grober und polternder Redensarten Händel suchte, um diese aber nie zu einem erwünschten Ende zu bringen, was, wie er bedauernd behauptete, gegen die Kasernenvorschriften und gegen das Dienstreglement sei und ihm, als einem erfahrenen Raufbolde und Fechtbodenkönig, durchaus keine Ehre eintragen könne. Gegen Erich Freiberg allein betrug er sich etwas zurückhaltender, und wenn er es auch nicht unterließ, ihn den älteren Kameraden und wahrscheinlich baldigen Vorgesetzten, da er nächstens Unteroffizier zu werden hoffte, fühlen zu lassen, so hatte er es doch sorgfältig vermieden, in einen Streit mit dem letzten Bombardier zu geraten, da, wie Wibert hochmütig sagte, man nicht genau wisse, wes Geistes Kind dieser sei, und da man sich in dieser Stellung hüten müsse, Pech anzugreifen, um sich nicht zu besudeln. Da aber der ehemalige Student, wenn sich Erich gerade nicht in der Nähe befand, über diesen kein Blatt vor den Mund nahm, so zuckte er mit einer verächtlichen Miene die Achseln über die Bemerkung des Unteroffiziers und ließ über den letzten Bombardier, wie besonders er Erich gern zu benennen pflegte, die Aeußerung fallen, daß man es mit einem allerdings schlauen Burschen zu thun habe, der sich in Hinsicht dessen, was er bereits auf der Konduitenliste führe, sehr zusammennehme, der aber jedenfalls hier bei der Batterie nicht seinen ersten Reitunterricht erhalten habe, was man wohl aus dem spöttischen Lächeln sehen könne, mit dem er auf der Reitbahn jedesmal die Anleitungen des Unteroffiziers Wenkheim zu beantworten pflege.

Nun war der Letztgenannte sehr mißtrauischer Natur und runzelte die Stirn, als er den langen Wibert so reden hörte.

»Glaubt mir nur,« fuhr der Bombardier fort, »dieser Freiberg ist eine verschlagene Katze und dabei ein feiger Gesell, der unverdienterweise zu einem Renommee als verfluchter Kerl gekommen und der hier seine Krallen vorsichtig einzieht, da er wohl fühlt, daß er es mit Männern zu thun hat und nicht mit Schulbuben!« eine Bemerkung, welche ein paar jüngere und sehr leibarme Bombardiere mit einem beifälligen Lächeln aufnahmen; denn Erich hatte allerdings in gewisser Beziehung das nicht gehalten, was er versprochen, und nicht den Ruf gerechtfertigt, der ihm von der Brigadeschule vorausgeeilt war. Man hatte allermindestens geglaubt, er werde, ehe acht Tage vergingen, Veranlassung nehmen, dem dicken Wachtmeister auf die Hühneraugen zu treten, vielleicht sogar dem Premierlieutenant Krummstiefel Opposition zu machen oder sonst etwas zu thun, was dem Hauptmann von Manderfeld gegründete Ursache gegeben hätte, ein Species facti über ihn aufnehmen zu lassen, und das langweilige Kasernenleben auf eine angenehme Art unterbrochen hätte.

»Ich versichere euch, Burschen,« fuhr Wibert mit tiefer Stimme in spottender Art zu sprechen fort, »daß man sehr unrecht gethan hat, diesen Freiberg als etwas Außerordentliches zu beschielen; das ist eine ganz gewöhnliche Natur, die vielleicht auf solche Knaben, wie sie auf der Brigadeschule hinter den Büchern sitzen, irgend einen Eindruck hervorbringen kann, die aber zusammenschmilzt, wie Schnee bei einem Frühlingsregen, wenn tüchtige Kerle sie mit einem festen Blicke anschauen!«

Dabei blickte der Sprecher unter seinen buschigen Augenbrauen herausfordernd um sich her, und wenn man ihn so sah mit dem großen fuchsroten Schnurrbarte, den er behaglich drehte, mit der langen, obgleich schlaffen Gestalt, freilich etwas unproper in seinem ganzen Aeußeren, und wenn man vernahm, mit welcher Herablassung und Sicherheit er den genossenen Schnaps und das Brötchen mit Wurst ankreiden ließ, so konnte man nicht anders, als auf die Vermutung kommen, daß er sich selbst für einen der tüchtigsten Kerle hielt, wohl geeignet, jedermann den Daumen auf das Auge zu drücken.

Trotzdem er niemals korrekt war, weder in seinem Dienste noch in seinem Anzuge, und stets wie ein ungeleckter Bär aussah, so war er doch vielleicht gerade durch den Gegensatz ein Liebling des zierlichen und geschniegelten Hauptmanns von Manderfeld, der ihm nicht nur manches hingehen ließ, sondern ihn auch in Schutz nahm vor dem Premierlieutenant, der den langen Bombardier, diesen »schlappen Labander«, wie er ihn zu nennen pflegte, bedeutend auf dem Striche hatte. Besser Unterrichtete aber wollten wissen, daß die Zuneigung des Hauptmanns einen ganz anderen Grund hatte und daß er diesem als eine Art von Spion diente, um über alles, was sich in der Batterie begab, besonders aber über Reden, die dem gestrengen Chef galten, unterrichtet zu sein, wobei dem Freiherrn von Manderfeld bloß daran gelegen war, allenfallsige Aeußerungen des Premierlieutenants, mit welchen dieser in seiner offenen, geraden, etwas rücksichtslosen Art zuweilen nicht sparsam war, zu erfahren. Der Kapitän war gewaltig eifersüchtig auf seine Untergebenen, da er wohl selbst am besten wußte, auf welche Art er Kommandeur einer so schönen Batterie geworden war, bei welcher er von seinen Vorgesetzten nur als eine unnötige, allerdings hübsche und schillernde Verzierung betrachtet wurde.

Hatte ihm doch der alte Oberst in seiner barschen Art bei Inspizierung der Batterie einmal gesagt: »So, Herr Hauptmann von Manderfeld, ick danke Ihnen bestens für Ihren schönen Rapport; nun lassen Se mir aber einmal durch Ihren Premierlieutenant zeigen, wat die Batterie eigentlich kann!«

Daß sich der Bombardier Wibert infolge dieser Protektion gegen die Unteroffiziere und Feuerwerker, ja, selbst gegen den Wachtmeister manches herausnahm, dürfen wir ebensowenig verschweigen, als daß er grob und rücksichtslos gegen die übrigen Bombardiere, sowie ein unausstehlicher, kleinlicher Tyrann beim Exerzieren der Gemeinen, beim Stall- und Wachtdienst war. Der Hauptmann von Manderfeld hatte ihn anfänglich dazu bestimmt, dem Bombardier Freiberg im Exerzieren am Geschütze nachzuhelfen; doch hatte der Premierlieutenant das als unpassend gefunden, da beide in der Charge gleichstehend seien, und den ältesten Feuerwerker, einen strengen, aber ruhigen Mann, mit Erichs Ausbildung beauftragt. Gern hätte er ihn auch dem Beritt dieses Feuerwerkers zugeteilt; doch bestand der Hauptmann streng darauf, daß er auf der Stube des Unteroffiziers Wenkheim bleibe, wo sich neben ein paar anderen Bombardieren auch Wibert befand.

Wie sich Erich auf der Reitbahn hervorthat, so war dies auch der Fall beim Exerzieren an den verschiedenen Geschützen, bei der Munitionsfertigung und Verpackung, besonders aber beim Vortrag in den Artilleriewissenschaften, wo ihm das, was er auf der Brigadeschule gelernt, sehr zu statten kam. Und hier war es einmal, wo ihm der Premierlieutenant mit einem wohlwollenden Lächeln sagte: »Lassen Sie sich den Namen eines letzten Bombardiers nicht anfechten; wenn Sie so fortmachen, so wird man doch noch genötigt sein, Ihnen den eines ersten Bombardiers beizulegen.«

Als sie hierauf beisammen in ihrer Stube waren, gab diese Aeußerung dem langen Wibert Veranlassung, seine hämischen, verdeckten Witze und Anspielungen zu machen und indirekt seinem Unmute darüber freien Lauf zu lassen, daß ihn der Premierlieutenant, und zwar mit vollem Rechte, eine faule Seele sowie einen verschossenen Charakter genannt, der viel besser in ein Zeughausdepot passe, als in eine so schöne reitende Batterie. »Hol mich der Teufel,« rief der lange Wibert, als er mit auf die Hüfte gestemmten Armen mitten im Zimmer stand, »wenn ich begreife, was Krummstiefel mit seinem verschossenen Charakter sagen wollte! Soll verschossener Charakter so viel heißen als ein zweifelhafter Charakter, so lache ich darüber, denn jedermann kennt meinen festen, entschlossenen Charakter, und wer ihn kennen zu lernen wünscht, der soll nur seine Nase gegen mich aufheben!« Bei diesen Worten ging er mit dröhnenden Schritten an sein Waffengerüst und streifte dabei so derb an den Schemel, auf welchem Freiberg, in einem Buche lesend, saß, daß dieser unwillkürlich zu ihm aufblicken mußte, um sich aber gleich darauf wieder ruhig in seine Lektüre zu vertiefen.

»Immerhin aber,« fuhr Wibert fort, indem er sich ein Stück Brot herunterschnitt, um es mit Butter zu bestreichen, die ihm, von dem Stubenkalfakter auf einem Stück Papier serviert worden war, »ist es besser, einen verschossenen Charakter zu haben, als gar keinen; und alle solche Weichlinge, die sich durch Scherwenzeln und Augendienerei zum Schaden ihrer Kameraden in die Gunst ihrer Vorgesetzten einzuschleichen wissen, haben keinen Charakter, sind charakterlose Kerls, mögen sie nun die ersten oder die letzten sein! Weg da, Sie junger Mensch,« herrschte er hierauf den Nachbar Erichs an, einen jungen und sehr dünnen Bombardier, »Sie wissen wohl, daß an dieser Seite des Tisches mein Platz ist!«

Der Angerufene, welcher Weitberg hieß, rückte auch eilig beiseite, worauf der Bombardier Schwarz lachend rief: »Oh, famos, so haben wir wohl heute ausnahmsweise die Ehre Ihrer Gesellschaft, Wibert? Ich dachte, Sie würden wie gewöhnlich bei irgend einer Gräfin zu Nacht speisen!«

»Es ist besser, wenn Sie Ihr loses Maul halten,« lautete die giftige Antwort des langen Bombardiers, »und nichts über Sachen reden, von denen Sie keine Ahnung haben!«

»Oh, was das anbelangt, so kann ich Ihnen schon dienen! Ich habe sogar eine herzogliche Bekanntschaft allerdings ist diese Frau Herzog nur eine brave Wäscherin, hat aber, wie jeder von uns weiß, nicht nur eine niedliche Tochter, sondern auch ausgiebige Seifenlauge!«

Darüber lachten alle am Tische; denn man kannte eine Geschichte, wo der Bombardier Wibert eines Abends ganz durchnäßt nach Hause gekommen war, und nicht von einem Regenwasser, wie er behauptet, sondern von einer Flüssigkeit, die stark nach schwarzer Seife roch.

Für heute abend genügte diese launige, keck hingeworfene Bemerkung des kleinen, aber mutvollen Schwarz, um Wibert zu veranlassen, nicht einmal gründlich mit Erich Freiberg anzubinden, wie er vorgehabt, oder wenigstens den Versuch zu machen, ihn ein für allemal einzuschüchtern und so die Oberhand in der betreffenden Stube wieder zu gewinnen, eine Herrschaft, die seit Erichs Erscheinen zweifelhaft geworden; denn wenn dieser auch noch nicht ein einziges Mal gegen den übermütigen Wibert direkt aufgetreten war, so bildete er doch jetzt schon für die Kleineren und Schwächeren eine Alt Bollwerk, hinter welchem sie sich, wenn auch vorderhand noch im Geiste, bei den oft unmotivierten Angriffen des ungeschlachten Wibert zurückzogen.

»Hören Sie, mein Bürschlein,« sagte dieser jetzt, indem er an den Tisch herantrat, seine mächtige Rechte aufstützte und den kleinen Schwarz mit einem durchbohrenden Blicke anschaute, »wenn Sie sich noch einmal eine solche naseweise Bemerkung oder sein sollende geringe Anspielung erlauben, so muß ich wieder einmal etwas zu Ihrer Dressur beitragen, Sie junger Hund, und Sie windelweich durchklopfen, selbst auf die Gefahr hin,« fuhr er mit einem Seitenblicke auf Erich fort, »anderer Leute Gefühle dadurch zu verletzen!«

»Worüber Sie sich weniger zu beunruhigen brauchten,« rief der kleine Schwarz, »als über meine Versicherung, die ich halten werde, darauf können Sie sich als gewiß verlassen, meine Versicherung nämlich, daß es mir gar nicht darauf ankommen soll, Sie mit meinem Säbel über die Nase zu hauen, wenn Sie mir noch einmal auf eine so brutale Art kommen, wie Sie es schon einmal versucht Sie Charakterspieler!«

Hätte der kleine Schwarz die letzte Benennung nicht gebraucht, so würde der lange Wibert sich wahrscheinlich begnügt haben, hohnlachend seinen langen Schnurrbart zu drehen, während es jetzt zornig durch seine Lippen zuckte, er den anderen am Kragen nahm und so tüchtig schüttelte, daß sich der Tisch stark bewegte und hierdurch eine Portion sehr dünnen Kaffees, mit welchem sich der arme Weitberg gerade laben wollte, über den Tisch ausgegossen wurde, in einem zierlichen Bächlein dicht am Buche Erichs vorbeifließend, der mit einem ernsten Blicke aufschaute und sich Ruhe ausbat.

Wer weiß, wie lange die Scene noch gespielt hätte, wenn nicht Unteroffizier Wenkheim, der in der Ecke auf seinem Bette ausgestreckt lag, mit einem »Kreuzmillionendonnerwetter« dazwischengefahren wäre und der ganzen Bande befohlen hätte, endlich einmal Frieden zu halten. »Sollte man doch glauben,« rief er, »ihr wäret statt königlicher Bombardiere ein Rudel bissiger Köter, unter welche ein fetter Knochen gefallen! Und Sie, Wibert, obgleich der älteste, sind stets der, welcher die Stänkereien anfängt ja, schauen Sie nur herüber! Wenn Sie Lust haben, noch ein Wort zu verlieren, so melde ich Sie augenblicklich dem Wachtmeister, und es soll mir ein wahrer Genuß sein, Sie heute abend noch nach Nummer Sicher zu bringen! Weiß der Teufel,« fuhr er hierauf brummend fort, »was ich für Sünden begangen habe, um mit diesen Freiwilligen bestraft zu sein!«

Wibert mochte indessen den Unteroffizier genugsam kennen, um kein Wort weiter zu verlieren, und nachdem er vor einem handgroßen Spiegel sein Haar und seinen Bart in Ordnung gebracht, schnallte er seinen Säbel um und verließ das Zimmer, während er im Weggehen seine Toilette durch ein Paar frisch gewaschene Handschuhe vervollständigte.

»Das ist ein arger Kerl,« sagte der Bombardier Schwarz, Wibert nachblickend, »Und es gibt doch nicht eher Ruhe, bis wir uns einmal zusammenthun und ihn tüchtig durchklopfen was Sie, Freiberg, allerdings schon allein hätten besorgen können und wozu er Ihnen schon Ursache genug gegeben hat.«

»Ich hasse alle dergleichen Prügeleien,« entgegnete Freiberg; »weiß aber wohl, daß er auch mit mir beständig Händel sucht, und wenn er es mir einmal gar zu arg macht, so werde ich ihm doch mit dem Säbel in der Faust entgegentreten müssen.«

'»Thun Sie das um Gottes willen nicht,« ermahnte der kleine Schwarz, »das ist ein gefährlich Ding und bringt das Unglück! Da heißt es gleich von Species facti wegen Duells, und wenn sie einem von oben herab nicht wohl wollen, da kann man ein Jahr zur Strafcompagnie versetzt werden. Es ist bei diesem Säbelhauen auch kein Verhältnis zwischen Zweck und Mittel, und wenn ich mir Genugthuung verschaffen kann, indem ich einem so unverschämten Burschen tüchtig die Nase zerklopfe, so ist es doch besser, als wenn ich ihn mit einem scharfen Säbel verwunde; ja, wenn wir das nach Art der Studenten machen könnten, die bei ihren Paukereien kaum etwas freigeben, als ihr Gesicht, um dann später mit einer tüchtigen Schramme paradieren zu können, das ließe ich mir noch gefallen!«

»Nutzt aber auch nichts, wie man an Wibert deutlich sieht,« sagte Weitberg, »denn er hat eine solche Schmarre im Gesicht, daß er wohl zufrieden sein könnte ach, wenn ich stark genug wäre, diesen unverschämten Kerl einmal durchzuhauen!«

»Schade, daß es keine Banditen gibt, welche das Durchhauen für fünf Silbergroschen besorgen!« lachte der kleine Schwarz.

»O, was das anbelangt,« meinte Weitberg mit leiser Stimme, indem er sich vornüber beugte, den Finger auf den Mund legte und sehr geheimnisvoll that, »so wüßte ich schon ein Mittel, um ihm die schönsten Schläge umsonst zu verschaffen!«

»Wie so? Laß hören.«

»Was der Schwarz vorhin erzählte von der Wäscherstochter und dem Seifenschaum hat insofern seine Richtigkeit, als er vom letzteren erhalten hat, ohne von der ersten etwas erhalten zu können; denn das schlaue und allerdings sehr hübsche Mädchen trieb mit seinen Fensterparaden und sehnsuchtsvollen Blicken, wenn er ihr auf der Promenade oder in der Kirche begegnete, so lange ihren Scherz, bis er sich näher ans Haus wagte, ja, sogar bis ins Haus hinein, unter dem Vorwande, ein paar alte Hemdkragen, die er noch obendrein geliehen hatte, waschen zu lassen. Da machte ihm die Kleine bei seinen Salbadereien ein sehr ernstes Gesicht und gab ihm eine recht schnippische Antwort, ohne ihn aber abzuschrecken; denn er versuchte es darauf häufig, sie abends an der Thür oder am Fenster zu sehen und zu sprechen, bis er dann einmal auf Veranlassung des mutwilligen Mädchens den durchnässenden Guß von Seifenwasser erhielt.«

»Doch es war ihm zum Heil, es riß ihn nach oben!« lachte der kleine Schwarz. »Wieso?« fragte Erich, der, aufmerksam geworden, sein Buch hingelegt hatte.

»Nun Mutter Herzog war doch nicht ganz einverstanden, und als Wibert mörderisch zu fluchen und zu wettern anfing, ließ sie ihn durch eines ihrer Waschmädchen ins Haus einladen, um sich einigermaßen putzen und trocknen zu lassen, wobei sich dann zwischen Wibert und der jugendlichen, strammen Wäscherin im stillen, verschwiegenen Raume der Waschküche, an dem sanft wärmenden Herdfeuer ein kleines, trautes Verhältnis anspann, welches der lange Wibert fortan kultivierte.«

»Das ist alles richtig,« sagte Schwarz; »aber du holst verdammt weit aus, um auf besagte Prügel zu kommen!«

»Nichts einfacher als das; man muß nur die Lokalität kennen, um die Sache leicht ausführbar zu finden, und muß vor allen Dingen wissen, daß das junge Wäschermädchen einen früher Begünstigten in ihrer Nähe wohnen hat, der in glühender Eifersucht schon häufig dem langen Wibert aufpaßte, ohne ihn je erwischen zu können, da er die Vorsicht gebraucht, nur in dunklen Nächten, wie die heutige, und zu der späten Stunde mit seinen langen Beinen über die Zäune der verschiedenen Gärten zu steigen, an denen die Häuser liegen, das der Frau Herzog und das, in dem dicht daneben jener junge, handfeste Gärtnersknecht wohnt.«

»Nun, und wie wolltest du ihm jene Prügelsuppe einbrocken?«

»Auf die einfachste Art von der Welt; ich will es jedesmal wissen, wenn er hinausschleicht, denn nachdem er, hier bei uns gewaltig mit dem Säbel rasselnd, das Zimmer verlassen hat, so geht er auf Nummer 4, stellt dort seinen Säbel ab und leiht sich den Mantel des Einjährig-Freiwilligen, den er exerzieren läßt, mißbraucht auch noch dessen Kredit zu einer halben Flasche Rotwein, den er sich bei der Markedenterin holt, und dann erst zieht er zu seinem Liebesabenteuer aus, wodurch man Zeit genug hätte, ihm vorauszukommen.«

»Nun, und dann?« fragte der kleine Schwarz begierig.

»Was gäb' es dann Einfacheres und Unbefangeneres? Man brauchte nur seinen Säbel umzuschnallen und dort, wo sie wohnt, ein paarmal mit etwas Geklapper an den Gärten und Häusern vorüber zu gehen, um den armen Gärtnersknecht zur größten Aufmerksamkeit zu veranlassen und seid gewiß, das übrige würde sich von selbst machen!«

»Stille Wasser sind tief!« sagte der Bombardier Schwarz lachend; »das sieht man wieder einmal bei dir, Weitberg. Aber der Plan ist vortrefflich und soll unter allen Umständen ausgeführt werden.«

»Wird auch geschehen beim nächsten Male, wo er sich wieder unverschämt gegen mich benimmt!« versprach Weitberg, indem er den kleinen Rest übriggebliebenen Kaffees mit seinem Kommißbrot austunkte. »Und wenn sie ihm alsdann, wie ich hoffe, seine dicke Nase recht zerschlagen, so kann er dem Kapitän vorlügen, wie man von jenem Rekruten erzählt, der bei einer ähnlichen Veranlassung vorgab, sich selbst in die Nase gebissen zu haben und, als man ihm sagte, es sei das ja unmöglich, hinzusetzte, er sei zu diesem Zwecke auf einen Stuhl gestiegen.«

»Nicht ganz schlecht,« sagte Erich, »Ihre Geschichte nämlich, denn was das andere anbelangt,« setzte er in seiner Gutmütigkeit hinzu, »so wäre doch zu überlegen, ob man dem Wibert, ein so unausstehlicher Kerl er auch ist, nicht eine gar zu starke Suppe einbrockte.«

»Das nehme ich auf mich,« versicherte Weitberg; »doch werde ich ihn vorher noch großmütig warnen, und wenn er mich noch einmal einen unmündigen, nackten Wurm schimpft, ihm sagen: er solle sich in acht nehmen, denn auch der Wurm krümme sich, wenn er getreten werde!«

Eine Gelegenheit, die Rache Weitbergs zu beschleunigen, fand sich indessen schon in den nächsten Tagen, wenn auch durch eine ganz andere Veranlassung; denn es fügte sich, daß fünf Bombardiere wegen groben Fehlern bei der Geschützbedienung von dem Premierlieutenant zu einem kleinen Nachmittagsvergnügen eingeladen wurden, welches darin bestand, von zwei bis vier Uhr bei vielleicht acht Grad unter Null auf dem Kasernenhofe an einer der Haubitzen nachzuexerzieren. Zur Gesellschaft gehörten: der lange Wibert, Weitberg, Schwarz und noch ein paar andere, zu denen der Kapitän nach dem Grundsatze: schlägst du meinen Wibert, so schlage ich deinen Freiberg, den letzteren ohne alle Veranlassung, nur um ihn möglichst rasch auszubilden, wie er sagte, zugesellte, was der Premierlieutenant achselzuckend zugeben mußte.

Unteroffizier Wenkheim, der, statt in der warmen Kasernenstube zu sitzen und in einem Romane von Spieß oder Kramer zu lesen, das Glück hatte, die sechs Bombardierlappen striegeln zu dürfen, that das mit raffiniertester Bosheit und beteuerte schon beim Herabsteigen der Treppe: an ihm solle es wahrhaftig nicht liegen, wenn nicht alle sechse den Himmel für einen Dudelsack und den Abendstern für ein himmlisches Nachtlicht ansehen.

»Still gestanden! Gott straf mich, Wibert, wenn Sie noch einmal seitwärts schielen, sowie ich Still gestanden kommandiert habe, und ich lasse Sie nicht so lange in die Sonne schauen, bis Sie darauf schwören, daß es in Strömen regne, Thränen nämlich aus Ihren duckmäuserischen Augen!«

»Zum Avancieren!«

»Schlecht gemacht richt' euch! Es wäre ja kein Unglück, wenn sechs Bombardiere von der reitenden Artillerie vielleicht schon wüßten, daß sie auf das Kommando: Zum Avancieren wie ein siediges Donnerwetter an das Geschütz stürzen müssen, vier an den Lafettenschwanz, zwei an die Räder und dabei fest anpacken, wissen Sie, mein lieber Herr von Schwarz, fest anpacken, nicht nur so thun, als kriegte man schmutzige Finger, wenn man in die Speichen greift! Sie werden keine schmutzigen Finger kriegen, Herr Bombardier Freiberg es sind das propere königliche Räder und ein properer königlicher Lafettenschwanz und Sie, Weitberg, passen Sie mir auf, daß die Kette nur so herunter fliegt, oder ich lasse Sie extra vierundzwanzigtausendmal die Kette lösen!«

»Zum Avancieren richt' euch! Sollte man nicht glauben, man hätte es mit sechs Rekruten zu thun! Oder regiert vielleicht wieder einmal der Bosheitsteufel? Schockschwerenot, seit wann tritt man mit dem rechten Fuße an? Wenn unser angenehmes Exerzieren so fortgeht, wie es angefangen hat, so werden wir den Mond aufgehen sehen, ehe wir noch einen einzigen richtigen Granatenschuß zustande gebracht, wobei ihr wenigstens das Glück habt, nicht frieren zu dürfen, denn ich will euch herumtreiben, daß die Brühe an euch herunterläuft!«

»Zum Avancieren!«

Dieses Mal flogen die sechs Bombardiere an das Geschütz, daß es eine wahre Freude war, und sie würden endlich glücklich zum Abprotzen gekommen sein, wenn die Kette des Protzkastens nicht so verflucht eigensinnig gewesen wäre, um sich erst nach zwei Sekunden lösen zu lassen, wogegen sie aus dem Ringe hätte fliegen müssen, wie der Blitz aus den Wolken. Deshalb nochmals: »Richt' euch!« um wieder eine donnernde Rede des erbosten Unteroffiziers Wenkheim auszuhalten, zu welcher sich ein kräftiges Echo, allerdings unhörbar für den Geschützführer, in den Reihen der Bombardiere fand; denn der lange Wibert, ohne das Gesicht zu verziehen oder auch nur die Lippen zu bewegen, flüsterte vernehmlich genug für seinen Nachbar Weitberg, der dieses Mal allerdings schuld an dem »Richt' euch« war: »Wenn Sie, junger Hund, nicht , aufpassen, so renne ich Sie das nächste Mal in den Dreck, daß Sie die Beine in die Luft kehren!« Und als der Betreffende nach dem nächsten Kommando wiederholt, aber ohne seine Schuld nicht zur rechten Zeit seine Stelle am Lafettenschwanz einnahm, denn er glitt auf dem hartgefrorenen Boden aus, so machte der lange Wibert seine Drohung zur Wahrheit und rannte beim nächsten Male mit seinem Kopfe so gewaltig gegen Weitberg an, daß dieser rücklings hinstürzte, den kleinen Schwarz mit sich riß und so Veranlassung zu einem allerdings sehr eigentümlichen Anblicke wurde. Ja, es hätte ein Unglück geben können, da der Lafettenschwanz schon vom Protznagel abgehoben war, wenn Erich mit großer Anstrengung diesen nicht allein festgehalten hätte.

Neben einer speciellen Einladung des im höchsten Grade zornigen Wenkheim an irgend einen beliebigen Donner, dieser Schwefelbande auf die Köpfe zu fahren, hatte Weitberg bei dem Anpralle noch eine tüchtige Beule davongetragen und sagte zähneknirschend: »Geben Sie Achtung, Sie langer, feiger Kerl, wie ich Ihnen das heimgeben werde!«

Für den geneigten Leser würde es nur langweilig sein, diesem Strafexercitium durch fast drei Stunden zu folgen, können ihm aber die Versicherung geben, daß es die sechs Bombardiere gerade so arg mitnahm, als hätten sie auf einem frisch geackertem Felde nach Zählen »rechts- und linksum kehrt« gemacht, was auch eine höchst angenehme Gegend ist und vor welcher das Haubitz-Exerzieren bei acht Grad Kälte vielleicht nur noch den Vorteil der höchst schmerzhaft frierenden Finger hat, wenn nämlich der Kommandierende so freundlich ist, das Einheben der Granate ein paar dutzendmal wiederholen zu lassen, oder die Erhöhung durch den Quadranten recht sorgfältig vorzunehmen. Der Abendstern hatte sich schon recht glänzend erhoben und die weißblinkende Mondsichel lugte eben hinter einem der Kasernenschornsteine hervor, als der Premierlieutenant über den Hof schritt und das Einstellen des Exerzierens befahl, auch, nähertretend, hinzufügte, daß der Bombardier Freiberg nachher zu ihm kommen solle, worauf denn das Geschütz zur Ruhe und in den Schuppen gebracht wurde und alle in sehr mißmutiger Stimmung ihre Stube betraten, mit Ausnahme des Unteroffiziers Wenkheim, welcher sich direkt in die Kasernenrestauration begab, um durch ein Gemisch von heißem Wasser, Branntwein und Zucker einer Erkältung vorzubeugen, dessen es bei den jungen Leuten indes nicht bedurfte, denn diese glühten, sobald sie die warme Stube betraten, wetteifernd mit dem glühenden Ofen.

»Mich freut es nur,« sagte der lange Wibert, nachdem er sich an einer Ecke des Tisches niedergelassen und mit seinen langen Beinen und seinem hingerekelten Oberkörper zwei Seiten desselben völlig in Beschlag nahm, »daß der brave Weitberg aus diesem Haubitzenfeldzuge mit der Tapferkeitsmedaille zurückgekommen ist, die er aber eigentümlicherweise statt auf der Brust an seiner Stirn trägt und die ihn recht gut kleidet ja, ja, mein Bürschlein,« fuhr er lachend fort, »wenn man die Ehre hat, mit älteren Leuten zu exerzieren, so muß man sich donnermäßig zusammennehmen!«

»Das habe ich mir auch vorgenommen, zu thun,« entgegnete Weitberg mit einer so ausfallenden Freundlichkeit, daß der andere, welcher eine heftige Erwiderung erwartet hatte, ihn fast erstaunt betrachtete, während der kleine Schwarz, pfiffig lächelnd, mit einer Brotkruste seinen dünnen Kaffee umrührte.

»Hören Sie, Wibert,« sagte Bombardier Weitberg alsdann, »man muß sich in einem fort Ihre Grobheiten gefallen lassen, und thut auch hin und wieder geduldig, weil Sie ein himmellanger, bösartiger Kerl sind; was aber den Zusammenstoß von vorhin und meine Beine anbetrifft, so will ich das als zufällig geschehen annehmen und Ihnen keine Schuld beimessen!«

»O, Sie sind ein guter, vortrefflicher Kerl!« höhnte der andere.

»Gewiß und so milde, daß es mich häufig selber wundert und es mir nur leid thut, wenn andere Leute sich um mich Sorge machen. Thun Sie das ja nicht, mein lieber Herr Wibert, damit auch ich nicht in den Fall komme, Sie in einem ähnlichen Falle bedauern zu müssen!«

»Trösten Sie sich darüber; wer mit mir zusammenstößt, um mich zu verletzen, der muß einen verflucht dicken Schädel haben!«

»Davon bin ich überzeugt,« entgegnete der andere, seine Beule befühlend, »aber da es trotzdem doch einmal passieren könnte, so nehmen Sie mein herzlichstes Bedauern im voraus an!«

»Recht gern, wenn Ihnen damit ein Gefallen geschieht, Sie milder junger Mensch! Thun mir aber vielleicht einen anderen Gefallen dagegen, indem Sie den Kalfakter rufen, damit er mir einen Schoppen Bittern hole; ich brauche Stärkung für heute abend.« Der schmächtige Schwarz hatte eine alte Guitarre aus der Ecke hervor geholt, und während er, dem Gespräche der beiden lauschend, so gut als möglich die Saiten stimmte, kicherte er in sich hinein und sprach leise vor sich hin: O, famos, famos, famos! Dann trat er ans Fenster und besang das glänzende Abendgestirn, welches sich, eine haarscharfe, leuchtende Sichel, schon hoch über die Häuserreihen empor geschwungen hatte.

Guter Mond, du gehst so stille
Durch die Abendwolke hinne,
Stichst mit deiner weißen Spille
Mir in meine Fenster rinne.

»Er hat aber heute abend ein kurzes Vergnügen, denn in einer Stunde geht er schon wieder unter, und dann ist es stockfinster,« meinte Weitberg, worauf der lange Wibert nach dem Himmel hinauf schaute, und sich alsdann erkundigte, wieviel Uhr es sei. {bild}


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