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30. Kapitel

In welchem ein Opfer fällt und die Verschwörung bis zum »Bund der Rache« wächst. Gräfin Haller treibt Gefühlsaustausch sehr gefährlicher Art und macht Fortschritte in der Lehre der Telegraphie.

Nach dem im vorigen Kapitel geschilderten Vorfalle herrschte unter den jungen Damen des adligen Stifts eine dumpfe Gärung, die sich von Tag zu Tag vermehrte, indem alle von Fräulein von Quadde angedrohten Strafen in richtiger Wechselwirkung und auf einen scharfen schriftlichen Befehl der hohen Protektorin pünktlich in Erfüllung gebracht wurden. Ja, es war dafür gesorgt worden, daß für alle die, deren Führungsliste mit schlechten Noten versehen war, Briefe der betreffenden Eltern oder sonstigen Angehörigen einliefen, worin die heilsamen Maßregeln der hochgeachteten Vorsteherin aufs entschiedenste gebilligt wurden, Briefe, zwischen deren Zeilen man lesen konnte, daß man vollkommen überzeugt sei von der Zweckmäßigkeit jener Maßregeln gegen die böse Rotte jugendlicher Verbrecherinnen.

Daß die Gräfin Haller dabei nicht zu kurz kam, brauchen wir kaum zu erwähnen, und wohl am wenigsten unverdient; hatte sie es doch durch trotziges Betragen und Widersetzlichkeit zuerst zu einem Tage Dunkelarrest gebracht, sowie auch dazu, daß sie von Fräulein von Quadde fast mit demselben Abscheu betrachtet wurde, wie die weit unschuldigere Blanda!

Diese erhielt allerdings keine Briefe von Angehörigen, hatte ja auch nie dergleichen erhalten, und das war es wohl, was sie am tiefsten schmerzte: denn wenn sich auch die Gräfin ihrer Erziehung und Ausbildung angenommen hatte, so war das Interesse derselben doch nie so weit gegangen, um ihr hier und da durch ein paar liebevolle Zeilen einen wirklichen frohen Augenblick zu machen. Alles, was für sie geschah, ging durch die Hände des Herrn Renaud, des Sekretärs des alten Grafen Seefeld, der sich auch ein einziges Mal während Blandas Aufenthalt im Damenstifte persönlich nach ihr erkundigte. Doch war gerade die Unterredung mit diesem Geschäftsmanne in seiner glatten, kalten, teilnahmlosen Weise gegen sie Ursache gewesen, daß sie alles, was für sie geschah, mit einem schmerzlichen, ja mit einem bitteren Gefühle hinnahm und sie fast unwillkürlich zwang, mit einer sehnsuchtsvollen Wehmut an ihre früheren ärmlichen, kummervollen Verhältnisse zu denken, an ihr freies Leben in Wald und Feld und in Gemeinschaft mit Menschen, die dem kleinen Mädchen durch jedes Wort, durch jede Miene die unbegrenzteste Liebe und Verehrung an den Tag legten.

Daß man ihrer Wohlthäterin, der Gräfin Seefeld, ihre Aufführung in den schwärzesten Farben geschildert hatte, davon war sie ebensosehr überzeugt, als daß Herr Renaud nichts thun würde, um der Gräfin diese Berichte in schonender Weise für sie vorzutragen.

Mamsell Stöckel war allerdings noch im Hause, wurde aber bis zum Ablauf ihres Termines nur zu untergeordneten Geschäften verwandt und hatte mit Beaufsichtigung der jungen Damen in den Schlafzimmern oder den Arbeitssälen nichts mehr zu thun. Dieses Geschäft besorgte Fräulein von Quadde selbst und führte auch hier ihr Regiment mit eiserner Strenge. Da konnte keine Rede mehr sein von dem früheren harmlosen Lachen und Plaudern während der Arbeitsstunden, und noch weniger von jenen kindlichen, oft kindischen Unterhaltungen zur Zeit des Schlafengehens. Mit dem Schlage der Uhr mußten die Pensionärinnen jetzt ihr Lager aufsuchen, und nachdem die erste Lehrerin eigenhändig die Lichter ausgelöscht, war jeder Scherz, jedes Geplauder bei Strafe verboten. Daß mit wenigen Ausnahmen alle jungen Damen der höheren Klassen geduldig und gleichmäßig, ohne Murren und Klagen, unter dieser verschärften Zucht litten, müssen wir zur Ehre derselben sagen; doch gab es allerdings auch Ausnahmen, die sich bei der ersten Lehrerin dadurch verdient zu machen suchten, daß sie jede Übertretung der verschärften Vorschriften hinterbrachten und so die erste Lehrerin häufig veranlaßten, später, nachdem die Lichter in den Schlafsälen längst gelöscht waren, plötzlich noch einmal zu erscheinen, um kleine Unordnungen, als Plaudern und Lachen, sowie ein Wiederanzünden der Lichter, aufs strengste zu rügen oder zu bestrafen.

Begreiflich ist es, daß durch alles dies der einmal entstandene Unmut in den Herzen der lebhaften jungen Mädchen stets wieder neue Nahrung erhielt, sich zu einem bedenklichen Hasse gegen ihre Quälerin steigerte und beinahe seinen Gipfelpunkt erreicht hatte, als, nachdem schon acht Tage seit dem Besuche der hohen Protektorin verflossen waren, die Kürzung von Blandas schönem Haar, und zwar in Gegenwart der jungen Damen ihrer Klasse, mit der Feierlichkeit einer Exekution vor sich ging, wobei selbst der Henker, in Gestalt des Hoffriseurs, tiefes Mitleid mit dem armen Schlachtopfer menschlicher Grausamkeit an den Tag legte und mit einem tiefen Seufzer eine der schweren Locken um die andere abschnitt und vor sich hinlegte. Sämtliche junge Damen zeigten sich so tief erschüttert, als wenn sie einer wirklichen Hinrichtung beigewohnt hätten, mit alleiniger Ausnahme der Betreffenden selbst, die, sobald der Augenblick wirklich gekommen war, eine bewunderungswürdige Fassung zeigte und, obgleich etwas bleich, doch lächelnd um sich schaute und nachher versicherte, es sei ihr so wohlthätig leicht um den Kopf wie noch nie, und wenn sie eine Ahnung davon gehabt hätte, wie schwer sie an ihrem Haar tragen müsse, so würde sie es schon früher haben abschneiden lassen.

Ganz außer sich dagegen war die Gräfin Haller, und so oft der scharfe Schnitt der Schere eine Partie des prächtigen blonden Haares ihrer heiß geliebten Freundin abtrennte, stürzten reiche Thränenströme aus ihren Augen, und obgleich sie ihre Lippen fest zusammenpreßte, vernahm man doch jedesmal einen sich immer mehr verstärkenden schmerzlichen Ausruf tiefen Leides, bis sie endlich, ehe noch alles vorüber war, mit einem lauten Aufschrei besinnungslos in die Arme der Umstehenden sank.

Man war sehr besorgt um sie, brachte sie sogleich zu Bette und fürchtete, daß sie in eine schwere Krankheit verfalle. Doch so heftig die momentanen Eindrücke bei dem so leicht empfänglichen und leicht reizbaren Gemüte dieses jungen Mädchens zu sein pflegten, so rasch verschwanden sie auch wieder, um irgend einer anderen Erregtheit Platz zu machen, welche diesmal darin bestand, daß Klothilde, sobald sie wieder wohl war, allen Ernstes verlangte, man solle auch ihr Haar abschneiden, und zwar nach den Befehlen der Frau Herzogin, die ihr vor allen jungen Damen damit gedroht, worauf sie in ihrer übermütigen Laune hinzusetzte: »Und damit wir beide, Blanda und ich, auch äußerlich durch etwas ausgezeichnet sind.«

Bei fast sämtlichen von den älteren jungen Damen hatte die gegen Blanda begangene rücksichtslose Grausamkeit weniger einen heilsamen Schrecken verbreitet, wie man geglaubt, als vielmehr die schon bestehende Erbitterung gesteigert, welche sich hauptsächlich gegen Fräulein von Quadde richtete, von der man wußte, daß sie es war, welche die gutmütigere Direktorin dazu veranlaßt hatte, den Befehl der Frau Herzogin in betreff Blandas endlich auszuführen. Ja, die jungen Damen hatten es sehr gut bemerkt, mit welch wohlgefälliger Miene sie jene Exekution geleitet, und hatten es nicht vergessen, daß sie am Schlusse sehr bestimmt gesagt, so könne es noch mancher von den übrigen ergehen, welche durch Trotz, ja durch Widersetzlichkeit fortwährend Ursache zu Klagen gäben. Und wenn man bis zu jener Scene seinem Hasse gegen die erste Lehrerin durch häufig und plötzlich ausbrechenden lärmenden Mutwillen einer ganzen Klasse oder der sämtlichen Bewohnerinnen eines Schlafzimmers hier und da auf ungefährliche Weise Luft gemacht hatte, so änderten die Betreffenden jetzt ihr Betragen insofern, als sie auf Verabredung alles vermieden, was zu einer Klage gegen sie hätte Veranlassung geben können, wobei sie aber wiederum ungeniert alles thaten, um durch einen bösen Blick oder ein schneidendes Wort ihren Haß gegen die erste Lehrerin an den Tag zu legen. Aus der stillschweigenden Empörung war ein Komplott geworden, dessen Seele die Gräfin Haller war, und die dabei aufs eifrigste unterstützt wurde von einigen fast gleich lebhaften Damen des Stifts, während sich die Masse der übrigen, wie das in ähnlichen Fällen gewöhnlich zu geschehen pflegt, mit fortreißen ließ, und zwar unter steter Wiederholung der ganz unnötigen Härte, sowie der schreienden Ungerechtigkeit, mit der sie von der ersten Lehrerin behandelt würden, sie, junge Damen aus den besten und reichsten Familien, die mit noch größerem Rechte als der französische König sein bekanntes Wort » l'état c'est moi« hier sagen konnten: das Damenstift sind wir und es hätte unfehlbar geschlossen werden müssen, ja, die Direktorin und auch die Quadde wären vielleicht vor Kummer ins Wasser gesprungen, wenn sämtliche junge Damen es bei ihren Eltern durchgesetzt hätten, aus der Anstalt zurückgenommen zu werden, was aber seine Schwierigkeiten hatte, wie man verschiedenen unter ihnen auf schüchterne Anfragen unverhohlen zu verstehen gegeben hatte.

»Deshalb müssen wir uns selbst Recht verschaffen,« sagte Gräfin Klothilde Haller, und um die Verschwörung für die lebhafte Phantasie der jungen Damen recht anziehend zu machen, hatte Klothilde einen geheimen Bund der Rache gestiftet, in welchen man nur nach einem furchtbaren Schwur aufgenommen wurde, der so strenge Vorschriften und Gesetze hatte, auch eine eigene Sprache durch Worte und geheimnisvolle Zeichen, zu deren Erlernung und Vervollkommnung sich die Pensionärinnen leider viel mehr Mühe gaben als beim Studium der französischen oder englischen Sprache.

Aber zu ihrem Zwecke war dieser Geheimbund mit seiner Gaunersprache von großer Wichtigkeit; denn es gab allerdings perfide Seelen unter ihnen, die alles, was sie erlauschen konnten, der ersten Lehrerin hinterbrachten, und wenn diese auch nicht zu erfahren vermochte, welchen Zweck man eigentlich verfolge, so fühlte sie wohl den Haß der jungen Damen gegen sich und vergalt ihn aufs reichlichste und vorderhand mit besserem Erfolge.

Der Zweck der ganzen Verschwörung ging dahin, Fräulein von Quadde aus dem Damenstift zu entfernen, und hier war es Blanda, welche wie gewöhnlich mit ruhiger Überlegung zum Vernünftigeren riet und die Gräfin Haller veranlaßte, statt des ursprünglich gefaßten, sehr gewaltthätigen Planes, den wir später erfahren werden, zuerst den Versuch zu machen, durch eine Deputation der jungen Mädchen bei der Direktorin ihren unbezwinglichen Haß gegen Fräulein von Quadde auszusprechen und um deren Entfernung zu bitten.

»Das ist allerdings ein Vorschlag, der sich hören läßt,« sagte Klothilde, »und werde ich bei dieser Deputation die Sprecherin sein.«

Blanda schüttelte ihren Kopf, indem sie sagte: »Das möchte ich widerraten, denn ich fürchte, daß du dich von deiner Heftigkeit fortreißen läßt, Worte zu sprechen, die von vornherein alles verderben müßten.«

»Wer von den anderen würde den Mut dazu haben, Blanda? O, du kennst sie ja alle so gut wie ich! Nicht einmal bis zur Thüre des Zimmers würden sie ohne uns gehen, geschweige denn ein freies Wort vor der Direktorin zu sagen wagen! Und entscheiden muß sich etwas, so oder so,« rief sie heftig aus, »denn ich habe es satt, daß wir wie Gefangene stundenlang hinter den hohen Mauern des Gartens hin und her getrieben werden! Und trotzdem,« setzte sie flüsternd hinzu, »habe ich dir heute nacht viel, viel mitzuteilen doch jetzt rate mir, wer soll vor der Direktorin reden?«

»Das würde ich selbst übernehmen,« erwiderte Blanda mit großer Ruhe.

»Du, mein Herz,« rief Klothilde verwundert, »du, meine arme, still duldende Genoveva, du, mit deiner Bescheidenheit, deiner Ruhe?«

»Ich, mit meiner Bescheidenheit, meiner Ruhe, und gerade deshalb! Mich schüchtert weder die hochmütige Art ein, mit der mich Frau von Welmer seit kurzem behandelt, und noch viel weniger die feindseligen Blicke des Fräuleins Quadde und ihre barschen Worte. Auch habe ich,« setzte sie mit einem traurigen Lächeln hinzu, »von euch allen am wenigsten zu wagen, was ich ganz genau weiß.«

»Ja, ja, ich habe es schon längst gefühlt, wie feindselig man dich behandelt; aber gerade deshalb wäre es Sünde, dich dem Wolf in den Rachen zu jagen. Nein, nein, ich will sprechen ich will,« rief Klothilde mit großer Entschiedenheit, »oder ich mache eine Kabinettsfrage daraus, wie Papa zu sagen pflegt!«

»Sei doch gescheit, Klothilde, und spare deinen Mut und deine Energie für eine andere Gelegenheit, die gewiß kommen wird, denn, aufrichtig gesagt, ich verspreche mir nicht viel von unserer Unterredung mit Frau von Welmer, doch muß der Versuch gemacht werden, ehe ...«

»Ehe wir anders handeln.«

»Ganz richtig, ehe wir anders handeln, und wenn es dann dazu kommt, so lasse ich dir den Vortritt. Thue alsdann streng nach deiner Anordnung, und auch da wirst du mit meiner Energie und mit meinem Mute zufrieden sein.«

»Daran habe ich nie gezweifelt und es zweifelt niemand daran, mein Herz, auch die Quadde nicht, wie ich neulich ganz unter der Hand erfahren; es war bei der Direktorin die Rede von uns beiden, und da sagte die Quadde von mir, ich sei wie ein unschädliches Pulverfeuer, das flamme allerdings heftig auf, verpuffe aber im nächsten Augenblicke ohne alle Gefahr o, sie kennt mich nicht!«

»Und was sagte sie von mir?«

»Nun von dir sagte sie ...«

»Sei ehrlich, Klothilde!«

»Gewiß, mein Herz, obgleich es mir weh thut, ihre Worte zu wiederholen sie sagte, es sei die höchste Zeit, dich aus dem Stift zu entfernen, sie hielte dich zu allem fähig.« Ein eigentümlicher Blitz leuchtete in den Augen Blandas, während sie die Zähne aufeinander biß, langsam mit der Hand über ihr kurzes, lockiges Haar fuhr und dann sagte: »Nun, bei dieser Meinung, die sie doch einmal von mir hat, schadet es nichts, wenn sie mich auch an der Spitze derer sieht, die gekommen sind, die Entfernung des Fräuleins Quadde zu verlangen; das geht dann in einem hin, und sie treiben mich noch rascher fort, als sonst geschehen würde.«

»Sie sollen dich aber nicht forttreiben!« rief Klothilde heftig. »Wir wollen alle, daß du bleibst, wenigstens die meisten wollen es, und wenn du doch gehen müßtest, so gehe ich mit dir, darauf kannst du dich verlassen!«

»Aber wohin, Klothilde?«

»Nun, wohin du selbst gehst!«

»Weiß ich doch wahrlich nicht, wohin ich in dem Falle gehen müßte!« sagte Blanda mit einem kurzen, harten Lächeln und setzte dann mit weicher Stimme hinzu: »Und doch habe ich so unendlich viel Platz, wohin ich gehen kann, so weit der Himmel blau ist und so weit nachts die Sterne funkeln; ach, und sie glänzen so schön, wenn man nichts über sich hat als den Himmel selbst!«

»Hast du das schon erlebt? Ach, das muß schön sein!«

»O, ich habe das oft, sehr oft erlebt! So glaube ich wenigstens, vielleicht aber hat es mir auch nur geträumt von herrlichen Frühlings- und Sommernächten, wenn Gras und Blumen duften, wenn die Leuchtkäfer so geheimnisvoll auf den Rasen und in den Büschen schimmern, schöner als die schönsten Brillanten; wenn dann weitab die stillen Feuer lodern und einer zur Mandoline singt ach, das waren schöne Träume, wenn man aufwärts blickte an den dunkeln Nachthimmel und droben dem geharnischten Manne, dem Orion, zuschaute, wie er mit seinem Schwerte nach Süden weist!«

»Das hast du geträumt oder erlebt?«

,Vielleicht beides; und dabei denke ich so gern an eine wilde Nacht, wo ich mit meinen tollen kleinen Pferden über das Feld fuhr und wo ich immer nach dem sehen mußte, der die Pferde lenkte.«

»Siehst du, Närrchen, du hast auch deine kleinen Geheimnisse,« sagte die Gräfin Haller, die, sich an ihre Freundin schmiegend, aufmerksam zugelauscht hatte; »nur bist du so erschrecklich verschwiegen! Wer war denn der, welcher die Pferde an deiner Seite lenkte?«

»Er sah aus wie ein Jäger, und war es auch vielleicht.«

»Und wo blieb er zuletzt?«

»Er verschwand in der Nacht, als wir all das schöne Getümmel hinter uns hatten.«

»Welches Getümmel?«

»O, es war sehr arg und doch schön! Reiter, die dahersprengten in hellen Mänteln mit blanken Säbeln, andere, die schossen, und dann fuhren Kanonen an uns vorüber mit einem Spektakel, der das Herz so angenehm erbeben machte!«

»Das war ja wie im Kriege.«

»Nein, im Kriege bleiben die Menschen tot, aber hier geschah keinem ein Leides, und deshalb war es auch so herrlich, mit anzusehen, wie alles drunter und drüber ging, und zu hören, wie die Hörner klangen und wie die Schüsse krachten!«

»Ach, ein Feldmanöver?«

»So etwas; ich werde es nie vergessen,« sagte Blanda, träumerisch vor sich niederblickend; »besonders nicht, als einmal eine Reihe Kanonen an uns vorüberrasselte und unseren kleinen Wagen beinahe überfahren hätte; aber, Gott sei Dank, es ging gut! Doch so oft ich heute noch die Geschütze umherfahren sehe, so denke ich daran, wie prächtig mir damals die nächtlichen dunkeln Gestalten auf ihren schnaubenden Pferden erschienen und wie die Kanonen so dumpf dröhnten, als sie dicht an uns vorüberfuhren!«

»Ach, deshalb bliebst du auch neulich wie festgebannt stehen, als die Artillerie an uns vorüberfuhr, was dir einen tüchtigen Verweis von der Quadde eintrug!« »Ja, deshalb blieb ich stehen; aber ich hatte noch eine andere Ursache, denn es war mir gerade, als hätte ich in einem der Reiter den jungen Jäger wiedererkannt, der damals in der Nacht meine Pferde führte.«

»Ei, mein Herz, das wäre allerliebst und gerade so, wie man in den schönen Büchern liest davon hast du mir nie etwas erzählt! Wie fällt dir das jetzt auf einmal wieder ein?«

»Weil mir jener Jäger damals und auch später, als ich ihn wiedersah, wie ein guter Freund erschien.«

»So, du hast ihn wiedergesehen?«

»Ja, aber es war trauriger: ich erzähle dir das später einmal jetzt sage ich es nur flüchtig, weil ich fast glaube, daß ich in kurzem den Rat eines guten Freundes gebrauchen kann.«

»Mache dir keine Grillen, Blanda, sie werden sich schon hüten, dich von hier weg und nach Hause zu schicken!«

»Nach Hause wo bin ich zu Hause?«

»Oder zur Gräfin Seefeld; man hat mir auch schon mit Aehnlichem gedroht.«

»Wird sich aber bei mir nicht scheuen, Wort zu halten.«

»Pah, die Gräfin Seefeld wird für dich eintreten!«

»Vielleicht auch nicht, da man nicht ermangeln wird, mich als ein böses Geschöpf, als verdorben und undankbar zu schildern; denke doch daran, was Fräulein von Quadde über mich gesagt!«

»Ah, dem muß man zuvorkommen! Glaubst du denn, Närrchen, daß man über mich Besseres nach Hause berichtet? Aber ich habe dagegen einen sehr ausführlichen Brief geschrieben und ihn glücklich hinausspediert; das mußt du ebenso machen.«

»An wen sollte ich schreiben?«

»An die Gräfin Seefeld.«

»Weiß ich doch nicht einmal genau, wohin ich den Brief zu richten hätte, und wenn er wirklich abginge und auch in ihr Haus käme, so fürchte ich doch nein, ich bin davon überzeugt, daß er dort in die Hände von jemand fiele, der ihn gar nicht vor die Gräfin kommen ließe.« »Das wäre abscheulich, das wäre ja Betrug, Unterschlagung aber versuche es, schreibe immerhin!«

»Ich habe kein Recht dazu, ich bin weder Tochter der Gräfin Seefeld noch ihre Anverwandte!«

»Aber wer bist du denn?«

»Das weiß ich selbst nicht!«

»So will ich dir's sagen,« rief Klothilde in herzlichem Tone, indem sie ihren Arm um Blandas Hals schlang; »du bist ein liebes, gutes Mädchen! Du bist mein kleines Herz und meine Seele, und wenn sie uns beide fortschicken, so gehst du mit mir nach Hause, denn ich lasse dich nicht, das schwöre ich dir zu! Aber bei allem dem,« fuhr sie nach einer Pause mit einem leichten, etwas koketten Seufzer fort, »bist du doch viel glücklicher als ich mit dem, was du mir da von dem jungen, hübschen Jäger erzählt hast!«

»Habe ich gesagt, daß er jung und hübsch war?«

»Nein, nein, aber es ist das nicht anders möglich! O, ich bitte dich, Blanda, laß ihn jung und hübsch sein, es ist das ein so reizendes Abenteuer und für dich so glücklich! Er saß an deiner Seite, e« sprach mit dir, du nahmst einen gewiß herzlichen Abschied von ihm, während ich ...«

»Nun, während du?«

»Ach, während ich mich nur aus sehr weiter Entfernung für ihn interessieren kann!«

»Ah, für deinen verkleideten Prinzen auf der Festung droben?«

Sie nickte mit dem Kopfe und sagte dann mit leiserer Stimme: »Und doch ist ein kleiner Schritt weiter geschehen!«

»Nimm dich in acht, Klothilde, du erschreckst mich! Ich meine auch, du hättest Ursache, gerade im gegenwärtigen Augenblicke mit doppelter Vorsicht zu Werke zu gehen!«

»Und ich sage dir, ängstliches Närrchen, es ist vollkommen rührend, wie ich vorsichtig bin und wie zart er sich mir zu nähern wußte!«

»Er selbst das hätte er gewagt?« »Ach, nicht doch; nur durch ein geschriebenes Blatt, wie solche Geschichten beständig auf ganz richtige Art anzufangen pflegen und wie es in allen guten und lehrreichen Büchern über diesen Gegenstand heißt. Neulich gingen wir im Garten spazieren, es lag ein wenig Schnee auf dem Boden vom Tage vorher; denn der Himmel war wieder goldig klar geworden, und zu ihm hinauf blickte ich, auch zuweilen auf das Festungswerk droben schauend, von dem man noch eine kleine Spur über unsere langweilige Mauer entdecken kann, und da dachte ich, wie sehnsuchtsvoll er jetzt droben wohl stehen würde und sich, wie im Märchen, einen geflügelten Drachen wünschen oder einen Luftballon, um irgend ein Zeichen seiner Zuneigung auf mich herabflattern zu lassen, wobei ich dann zuletzt an eine solch reizende Botschaft auch auf natürlichem Wege dachte und dabei ganz zufällig auf dem Boden spähte und mit meinem scharfen Blicke nach wenigen Schritten links an unserem Wege etwas bemerkte, was genau so aussah wie ein Papier, das um einen Stein herumgewickelt war. Doch wie es erlangen, da die Quadde beständig neben uns her spazierte, auf drei Schritte Distanz, mit ihren schärfsten Brillen bewaffnet. Dreimal spazierten wir so an der verhängnisvollen Stelle vorüber, ohne daß es mir möglich war, mich dem Papier zu nähern, ohne auffallend zu werden, bis endlich beim viertenmal eine dichte Schar lärmender Krähen über den Garten dahinzog und alle veranlaßte, nicht nur in die Höhe zu sehen, sondern auch weiter in den Garten hineinzugehen, um ihnen nachzuschauen, wobei es sich glücklich traf, daß ich mit meinem Fuße dicht neben das Papier treten und dann, ohne Aufsehen zu erregen, mein Taschentuch darüber fallen lassen konnte hier ist es, lies, Blanda, lies!«

Und Blanda las, was auf dem kleinen Papier geschrieben stand:

»Wir träumten voneinander
Und sind davon erwacht,
Wir leben, um uns zu lieben,
Und sinken zurück in die Nacht.

Du tratst aus meinem Traume,
Aus deinem trat ich hervor,
Wir sterben, wenn sich eines
Im andern ganz verlor.

Auf einer Lilie zittern
Zwei Tropfen, rein und rund,
Zerfließen in eins und rollen
Hinab in des Kelches Grund.«

»Nun was denkst du darüber, Blanda?«

»Sage mir zuerst, was du darüber gedacht hast.«

»Ich erschrak doch ein klein wenig darüber und mußte gestehen, es war bei allem dem ein wenig keck, solche Verse zu schreiben, und um ihm dies zu sagen, antwortete ich mit ein paar anderen Versen, die ihm deutlich zu verstehen geben sollen, daß man doch nicht so rasch zu Werke geht und was von Träumen eigentlich zu halten ist; übrigens ein paar Verse, die sehr im allgemeinen gehalten sind, eigentlich auf nichts eingehen und besonders am Schlusse sehr hoffnungslos klingen, was ich für nötig fand, ihm auszudrücken: es ist das Gedicht von Heine:

Sie liebten sich beide, doch keiner
Wollt' es dem andern gestehn;
Sie sahen sich an so feindlich
Und wollten vor Liebe vergehn.

Sie trennten sich endlich und sah'n sich
Nur noch zuweilen im Traum,
Sie waren längst gestorben
Und wußten es selber kaum.«

»Nun, etwas sagst du ihm doch darin!« meinte Blanda lächelnd.

»Aber nur im Anfange und ganz im allgemeinen,« versetzte Klothilde sehr ernsthaft, »wogegen das:

Sie trennten sich endlich und sah'n sich
Nur noch zuweilen im Traum

ihm doch deutlich genug sagt, daß es nicht so leicht sei, meine Liebe zu erringen.«

»Und das hast du ihm gesandt?«

»Ja, auf die gleiche Weise und um denselben Stein gewickelt, warf ich es an der Seite über die Mauer, wo er sein Gedicht wahrscheinlich hereingeworfen und er hat es gefunden und gelesen.«

»Und woher weißt du das?«

»Ich sah ihn ein paar Tage nachher droben auf der kleinen Festung, wie er die Arme dreimal nacheinander in die Höhe hob und die Hände an seine Augen legte, dann gegen das Herz drückte. Das heißt doch deutlich: er dankt dem Himmel für die erhaltene Antwort, er hat sie mit den Augen gelesen und in sein Herz aufgenommen. Weißt du auch wohl,« fuhr sie nach einer längeren Pause fort, während Blanda gedankenvoll vor sich niederblickte, »daß ich immer denke, es könnte bei den gegenwärtigen Verhältnissen für uns von großem Nutzen sein, draußen einen Ritter zu wissen wenn ich mich dieses poetischen Ausdruckes bedienen darf , der bereit ist, für seine Dame jedes Wagestück zu unternehmen? Ich habe schon daran gedacht, ihn aufzufordern, die Quadde, wenn sie an einem Abende wieder ausgeht, zu entführen und droben bei Wasser und Brot in einem der Turme einzuschließen; wenn er sie nur drei Tage festhielte bei Wasser und Brot, so könnte sie sich bei uns nicht mehr mit Ehren sehen lassen.«

»Du hast ganz merkwürdige Ideen,« sagte Blanda lächelnd, »aber schwer auszuführen, und man würde wenig damit erreichen. So gefällt mir auch, ehrlich gesagt, der Gedanke nicht, mit der Frau von Welmer förmlich zu unterhandeln, und es würde auch nichts dabei herauskommen; ich wäre sogleich für das andere gewesen.«

»Das bleibt uns immer noch und ist gut vorbereitet.«

»Hoffentlich!« gab Blanda in einem dumpfen Tone zur Antwort, während sie dabei, wie zur Erleichterung, heftig den Atem von sich stieß.

»Aber wir versuchen es doch mit der Deputation?«

»Wenn ihr denn nun einmal wollt, ja; aber unter der Bedingung, daß ich vor Frau von Welmer rede!«


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