Anastasius Grün
Volkslieder aus Krain
Anastasius Grün

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Sankt Ulrich.Das Lied von H. Ulrich gehört unter die Zahl der einst so beliebten Rätsellieder, einer Form, die in der Poesie der verschiedensten Völker eine bedeutende Rolle spielt und sich nach ihren einzelnen Erzeugnissen als ebenso alt, vielgestaltig und mannigfaltig darstellt, wie ihr unerschöpflicher Erfinder, der menschliche Scharfsinn. Von Interesse dürfte die Vergleichung der dritten Rätselfrage unseres Liedes mit der nachfolgenden Stelle sein. welche den altdeutschen »Rätselfragen aus einem alten Passional« (in Mones Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit, 1839) entnommen ist:
»Biten, daz er mich laze,
sprach er, wissen noch ein dinc
wie verre von des himels rinc
si untz uf den hellegrunt?
ist im die meisterschaft wol kunt
so lat die maze mir in sagen.
Die Botschaft wart hin in getragen
vur den meister der ouch sprach:
»deiswar mein kunst ist zu swach,
Daz ich die maze icht schowe.«
Die tuvelische juncfrowe
sprach do vor in allen:
»ei fecht, nu muz ich vallen
von hinnen in der hellegrunt,
mir ist wol die maze kunt
wande ich si her nider maz,
do ich wart ein schanden vaz
unde zu tal von obene fiel
in den hellischen giel,
Dar ich ouch nur sall zehant.«

Dieses Stück ist Teil einer Legende, worin der Teufel in Gestalt einer Jungfrau einen Meister verführen will, den der heil. Bartholomäus dadurch rettet, daß er als Pilger vor der Türe erscheint und die Rätselfragen gibt. – Eigentümlich, ob schon schwer erklärbare ist die Beteiligung des Papstes in unserem Liede, wenn dieses nicht etwa ein Spottlied aus der Zeit der Reformation in Krain sein sollte, deren Ideenkreisen die Vermählung des Papstes mit dem Teufel nicht allzuferne lag. Ebensowenig vermag ich aus der mir vorliegenden Heiligenlegende in dem Leben des heiligen Mannes und Bischofs Ulrich irgend einen andern Beruf zum Rätsellösen zu entdecken, als daß er zweimal in Rom und »seine Reden mit dem Saltz der Weisheit begleitet« gewesen.

        Sankt Ulrich stand frühmorgens auf,
Er rief zu sich sein Mütterlein:
»Wohlauf, wohlauf, mein Mütterlein,
Und legt mir meinen Traum nun aus:
Ein halbes Stündchen träumte mir,
Hochzeiter sei mein Brüderlein,
Mein Brüderlein, der Papst in Rom.«

Die alte Mutter redet so:
»Nur schnell, nur schnell, Ulrich mein Sohn,
Und deinen Diener ruf herbei,
Der sattle dir der Rößlein zwei,
Daß eins für dich, für ihn eins sei,
Daß ihr nach Rom dann hurtig trabt.
Wenn ihr versäumt die Hochzeit habt,
Dann gibt's nicht heil'ge Messen mehr,
Gibt's keinen heil'gen Ablaß mehr,
Gibt's keine heil'gen Feste mehr!«

Aufzäumt der Knecht zwei Rösselein,
Eins ist für Ulrich, eines sein,
Sie steigen auf, sie traben fort,
Sie reiten weithin, fort und fort
Bis fern nach Rom, dem heil'gen Port.

Der Papst, der dort am Fenster steht,
Dem Bruder schnell entgegen geht:
»Kommst du zu Gaste mir herbei?
Kommst du zur Hochzeit mir herbei?
Willst du mein Hochzeitsmeister sein?«
»Nicht komm' ich dir zu Gaste her,
Doch komm' ich wohl zur Hochzeit her,
Soll ich dein Hochzeitsmeister sein,
Die Gäste lade schnell mir ein.«

Die Braut zu ihnen dieses spricht:
»Ihr kommt mir in die Kirche nicht,
Bis ihr mir löst drei Rätsel auf!«

Das erste Rätsel gibt sie auf:
»Wo ist die Erd' am schwersten wohl?«
Stumm sind die andern Hochzeitgäst',
Sankt Ulrich nur sich hören läßt:
»Da wird die Erd' am schwersten sein,
Wo sie Herrn Jesus gruben ein,
Auf seinem Grabe liegt ein Stein.«

Das zweite Rätsel gibt sie auf:
»Wie lang ist und wie breit die Welt?«
Stumm sind die andern Hochzeitgäst',
Sankt Ulrich nur sich hören läßt:
»Gleich lang als breit, wenn gut ihr meßt!«

Das dritte Rätsel gibt sie auf:
»Wie weit vom Himmel ist's zur Höll'?«
Stumm sind die andern Hochzeitgäst',
Sankt Ulrich nur sich hören läßt.
»Daß du mich fragst, begreif' ich kaum,
Da du durchmessen selbst den Raum,
Als Gott dich warf zum Höllengrund!«

Sankt Ulrich liest die Bibel laut,
Da wächst ein Hörnleinpaar der Braut,
Die Erde vor ihr weitauf springt
Und tief in sich die Braut verschlingt.


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