Anastasius Grün
Volkslieder aus Krain
Anastasius Grün

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Ein friedfertiger Herr.

              Es ragt ein blankes Schloß empor,
Drei Lindenbäume stehn davor,
Im Schatten sitzen edle Herrn,
Der Schloßherr ist des Kreises Kern.
Er nimmt ein Blumenblatt zur Hand
Und pfeift, daß bebt der Berge Wand.

Er pfeift zum erstenmal und winkt,
Herbei der erste Diener springt.
»Wie geht wohl in der Welt es zu?
Bericht uns das, mein Diener du.«

»Ich komme her vom ersten Land,
Ein fröhlich gutes Volk ich fand,
Mit aller Welt es friedlich stand.«

Er pfeift zum zweitenmal und winkt,
Herbei der zweite Diener springt.
»Wie geht wohl in der Welt es zu?
Bericht uns das, mein Diener du.«

»Ich komme her vom zweiten Land,
Ein Volk, halb Mensch, halb Pferd ich fand,
Gerüstet stets in Kriegesgrimm
Und wie der Blitz so schnell und schlimm.
Die HundeköpfePolkonj (Halbpferd), Pesoglavec (Hundskopf) fabelhafte Wesen aus der slawischen Mythenwelt, vielleicht verwandt ersteres mit dem Kentaur, letzteres mit dem Kynokephalos (Hermes, Anubis, Hermanubis) der Alten; wie denn auch die Elemente des ganzen Liedes ein Gemenge von Vorstellungen bilden, die teils der antiken Mythe, teils der slawisch-heidnischen Vorzeit, teils dem germanisch-christlichen Mittelalter angehören. drängt es schwer,
Die kennen nichts, das menschlich wär'.«

Er pfeift zum drittenmal und winkt,
Herbei der dritte Diener springt.
»Wie geht wohl in der Welt es zu?
Bericht uns das, mein Diener du.«

»Ich komme her vom dritten Land,
Wo ich ein Volk von Riesen fand;
Die Berg' auf Berge türmen sie,
Den Himmel wollen stürmen sie,
Je höh'r sie klimmend sich gerafft,
So tiefer stürzt sie Blitzeskraft.«

Er pfeift zum viertenmal und winkt,
Herbei der vierte Diener springt.
»Wie geht wohl in der Welt es zu?
Bericht uns das, mein Diener du.«

»Ich komme her vom vierten Land,
Ein Reich der Vögel dort ich fand,
Die Klaun und Schnäbel eisern sind,
Ihr Blick allein behext geschwind;
Sie wüten unter sich im Streit,
Wie Hagel fallen Tote weit.«

Er pfeift zum fünftenmal und winkt,
Herbei der fünfte Diener springt.
»Wie geht wohl in der Welt es zu?
Bericht uns das, mein Diener du.«

»Ich komme her vom fünften Land,
Den König hat das Wild ernannt,
Ein jedes will nur mehr und mehr,
Doch zittert's für sich selber sehr,
Ein Heulen, Brüllen Nacht und Tag;
Glück jedem, der's nicht wissen mag!«

Er pfeift zum sechstenmal und winkt,
Herbei der sechste Diener springt.
»Wie geht wohl in der Welt es zu?
Bericht uns das, mein Diener du.«

»Ich komme her vom sechsten Land,
Wo kluge Köpf' ich herrschend fand,
Geheimnisse durchdenken sie,
Mit Blicken alle lenken sie,
Weißbärte sprechen dort so fein,
Als ob sie pflanzten Blümelein;
Leicht ohne Speisen, ohne Trank
Lauscht' ihnen ich mein Lebelang.«

Er pfeift zum sieb'tenmal und winkt,
Herbei der sieb'te Diener springt.
»Wie geht wohl in der Welt es zu?
Bericht uns das, mein Diener du.«

»Ich komme her vom sieb'ten Land,
Wo Helden ich als Herrscher fand,
Von aller Welt mit Ruhm genannt.
Sie stimmen, wo sie gehn im Frein,
Nur Heldenlieder, Heldenreihn,
Für sie ist in der Welt nichts schwer,
Wenns gilt ersiegen Ruhm und Ehr';
Soweit des Meeres Woge wallt,
Herrscht ihres Feldpaniers Gewalt,
Geleitet sie manch Talisman,
Der gegen Unheil schützen kann.«

Er pfeift zum achtenmal und winkt,
Ein Vögelein herbei sich schwingt.
»Wie geht wohl in der Welt es zu?
Bericht uns das, mein Vöglein du.«

»Ich komme her vom achten Land,
Wohin kein Pfad von hier bekannt;
Es herrschen Fraun und Jungfräulein
Dort ohne Männer ganz allein,
Und ihre Schönheit sänftigt mild
All' was da lebt, selbst grimmes Wild.
Von Straßen ist durchfurcht das Land,
Von goldner Hügel Zaun umspannt,
Auf Goldsand rinnt das Wasser auch,
Die Blumen duften Gottes Hauch;
Doch wer da lüstern nach dem Reich,
Fällt schonungslos dem Todesstreich,
Uns schützen Himmels Mächt'ge gleich.
Der Frieden ist verbrieft gar gut,
Die Unterschrift, die reines Blut,
Zu löschen hat kein Kaiser Mut.«

Er pfeift zum neuntenmal und winkt,
Ein weißes Entchen her sich schwingt,
Drei Federn flink es fallen ließ,
Ein Maidlein wie vom Himmel ist's!
»Wie geht wohl in der Welt es zu?
Bericht uns das, lieb Mädchen du.«

»Ich komme her vom neunten Land,
Wohin den Weg noch keiner fand.
Da herrschen Weiber übers Reich,
Die weiser sind als wer von euch.
Gar manches Mannweib findst du da,
Das schwarze Kunst dich lehren kann,
Sich und das Reich entrückt im Bann.«
Sie öffnet einen kleinen Schrein
Und streut daraus Gewürzstaub fein,
Verschwunden wie ein Blitz ist sie,
Und keiner weiß wohin und wie?

Der edle Schloßherr aber spricht:
»Wir kämpfen mit den Weibern nicht.
Die Ruh'gen lassen wir in Ruh,
Die Hundeköpfe noch dazu,
So bleiben selber wir in Ruh.«


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