Stefan Großmann
Herzliche Grüße
Stefan Großmann

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»Ich gehöre nicht zu denen,
die sich foppen lassen . . .«

Den Hoflieferanten Kinzel, diesen zaundürren Herrn mit dem Gesicht wie aus gelbem Leder und der furchtbaren Stirnfalte zwischen den Augenbrauen, diesen verbissenen, ewig grantigen Menschen habe ich gekannt, als er verliebt war. Er war damals erst zwei oder drei Jahre in Wien. Sie wissen ja, er ist ein Bregenzer, damals war sein Gesicht noch jung, frisch, gar nicht gelb und die schauerliche Wutfalte auf der Stirn war noch nicht da. Er ist um die Gouvernante in dem Hause herumgeschlichen, wo ich, schon damals habe ich Bengels dressiert, Hauslehrer war. Das war ein Frauenzimmer, mit der man nicht über die Straße gehen konnte. Nicht, daß sie grell gekleidet gewesen wär', im Gegenteil, immer ganz einfach, englisch, schwarz, weißer Kragen, weiße Manschetten. Aber sie war so schön, so unerhört schön, sie ist so hoch und siegreich einhergegangen . . . Na, ich bin ganz gern mit ihr über die Straße gegangen. Mir hat's Spaß gemacht, daß alle, aber auch alle Leute unwillkürlich stehen bleiben und sie anschauen mußten. Es war wirklich wie irgend eine geheimnisvolle Wirkung. Wenn sie herankam, da blieben, glaub' ich, sogar die Leute, die vor ihr gingen, stehen und bildeten ehrerbietig Spalier. Wir haben sie im Scherz »Majestät« genannt. Im Scherz? Wer sie sah, mußte ihr huldigen, und die Straßen, durch die sie ging, empfingen wirklich ihre Ordnung von dem Tempo und der Richtung ihrer Schritte. Die langweiligsten Schacherer hielten in ihren Gesprächen inne und stießen sich unbemerkbar mit dem Ellbogen in die Seiten, wenn die Majestät passierte . . .

»Na, hör' schon auf! . . . Du wolltest von Kinzel erzählen!«

Ja, richtig, Kinzel. Der Kerl ist auf der Straße nie mit ihr zu sehen gewesen. Wenn sie denselben Weg gehen, zum Beispiel ins Theater, dann sagte er ihr oben in der Wohnung adieu und traf sie erst wieder im Theater . . . Wenn ich mit ihr gegangen bin, dann hab' ich mir eingebildet, daß ich selber gewissermaßen . . . Ihr könnt euch das natürlich nicht vorstellen . . ., daß ich selber etwas vom Glanze ihrer Schönheit abkriege. Man ist anders gegangen neben ihr, leichter, höher . . . und sicher hat jedes Gesicht bei ihr einen anderen Ausdruck gekriegt!

»Du wolltest von Kinzel erzählen!«

Ja, selbst dieses gelbe Ledergesicht hat zu strahlen angefangen neben ihr. Allerdings, fünf Minuten von ihr fort, und es wurde gelb . . . Er war damals gerade auf dem Wege zum Reichwerden. Auf die Majestät hat er riesig gewirkt, wahrscheinlich wegen seiner Zurückhaltung. Bei uns anderen Burschen war es so selbstverständlich, daß wir sie liebten. Der Kerl sträubte sich mit Händen und Füßen, riß sich plötzlich los, verschwand, wurde plötzlich wieder an ihr Ufer gespült und konnte nicht weg! Das fesselt die Weiber immer am meisten. So einer, der eigentlich nicht will und doch muß! Ich könnte darauf schwören, daß sie auf seinen Heiratsantrag gewartet hat, direkt gewartet! Natürlich hat sie nichts erkennen lassen, dazu war sie viel zu . . . majestätisch, sie hat ja wirklich den Männerfang nicht nötig gehabt. War froh, wenn sie sie los wurde. Wie ja überhaupt die wirklich schönen Weiber, die majestätischen, sich um die Wirkung auf Männer nicht kümmern, weil sie es nicht nötig haben.

»Kinzel!«

Ja, Kinzel, das Gelbgesicht, verschwand eines Tages und kam nicht wieder. Es war der schwerste Schlag, den die Majestät in ihrer Jugend erlebt hatte. Es war die ganz unerwartete, für unmöglich gehaltene Niederlage eines Souveräns . . . Ohne sich zu erklären, ohne sich zu entschuldigen, blieb der Rohling plötzlich weg und zog für ein Vierteljahr nach Bregenz! Sein Papa führte ihm derweil das Wiener Geschäft. Die Folge dieser Flucht war, daß die Majestät noch schöner wurde. Ihr Antlitz bekam jetzt einen Zug von Sanftmut, ihr Blick einen Schimmer von Sehnsucht . . .

»Und Kinzel?«

Bekam seine heutige Visage. Seit damals hat er sich nicht viel verändert. Ich habe ihn vier Wochen nach seiner feigen Flucht in Bregenz gesucht. Ich habe mich, wofür ich mich heute noch ohrfeigen könnte, in Erinnerung an ihr sehnsüchtiges Gesicht soweit vergessen, den Kerl zu fragen, warum er sie nicht heiratet. Und wissen Sie, was seine Antwort war? Mit einem verflucht schlauen Tiroler Lächeln sagte er: »Ah, ich laß mich nicht foppen!« Erst habe ich das nur als Gemeinheit empfunden, dann aber habe ich begriffen, daß er vor lauter Spintisieren über die Majestät bei einem ganz verrückten Ende herausgekommen war. Allerdings, mißtrauisch ist das Luder sogar noch in der Liebe gewesen. Er wollte mir das erklären, daß er »sich nicht foppen läßt«, stellte sich vor mich hin und sagte: »Schön bin ich nicht, das weiß ich. Ihr alle, die um sie herumscherwenzelt, seid hübscher, vielleicht auch interessanter, ich bin ja nur ein Kaufmann. Ihr könnt großartig mit ihr reden, ich bringe in ihrer Nähe keine drei Sätze heraus. Warum sollte ich der Richtige für sie sein? Ich bin es nicht! Nein, ich nicht! . . . Oder vielleicht, weil ich Geld hab'? Hehehe, ich überleg' alles ganz ruhig; nein, mein Lieber, ich laß mich nicht foppen!« Ich habe nichts gesagt. Innerlich hab' ich den Kerl mit seinem widerlichen und feigen Mißtrauen angespien. Er hat sich nicht foppen lassen. Ein Jahr darauf hat er irgend eine manierliche runde Gans geheiratet und seitdem ist sein gelbes Ledergesicht nicht mehr licht und froh geworden. Er ist reich geworden, hat eine Fabrik, die Zehntausende jährlich abwirft, hat fünf Kinder, kleine gelbe Dickhäuter, hat eine Villa in Hütteldorf und ist immer grantig. Vor zwei Jahren hat er mich aufgesucht, damit ich seine Buben unterrichte. Ich sollte ihn um neun Uhr abends in seiner Wiener Niederlage abholen. Ich kam um viertel zehn. Er war nicht nur noch da, nein, er bat mich, daneben ins Café zu gehen, in einer halben Stunde werde er kommen.

»Sperren Sie denn nicht zu? Ihre Angestellten sind ja schon fort.«

»Meine Angestellten«, erwiderte er grantig, »die haben es gut. Sehr gut sogar. Arbeiten ihre Zeit, ohne rechte Kontrolle, wie es ihnen paßt, und ich kann mich dann abends, nach Geschäftsschluß, herstellen und revidieren. Stichproben allein dauern eine Stunde.«

»Da kommen Sie aber sehr spät nach Hütteldorf hinaus.«

»Ich? Gar nicht. Nur Sonntag. Unter der Woche wohne ich in der Stadt, zwei Gassen weit. Ah, ich komme nicht dazu, einen gewöhnlichen Abend in Hütteldorf zu verbringen. Das Geschäft wird, wenn man nicht gut acht gibt, sofort demoralisiert. Man kann ohnehin nicht überall seine Augen haben. Wissen Sie, aber mich von meinem Personal foppen zu lassen, das paßt mir doch auch nicht!« Sein giftiges Tiroler Lächeln hatte er in diesem Moment wieder. Und so rackerte er sich täglich ab, bis spät in die Nacht, revidierte, kontrollierte, rechnete nach, machte Stichproben im Warenlager. Mit einem Worte: ließ sich nicht foppen. Von dem schönen Landhause in Hütteldorf hatte er nichts, da draußen langweilte sich seine dicke Frau, die ihn allerdings nie gefoppt hat.

Es gibt aber jemanden, den er gefoppt hat. Ich meine nicht die Majestät. Die hat den Lederzwerg verschmerzt. Aber es gibt jemanden, den er ganz infam gefoppt hat, verbrecherisch gefoppt! Das sind seine Kinder. Es sind Erzeugnisse, bei denen einem angst und bange wird. Schmale, zaghafte, tiefernste Kinder. Wenn ich den ältesten Buben, der jetzt dreizehn Jahre alt ist, ansehe, da könnte ich den Alten sofort lebenslänglich einsperren lassen. »Warum ißt du nichts?« fragt ihn die Mutter bei Tisch. »Ich hab' keine Lust,« sagt der ernste Bub. Nachmittags sagt die Mutter zu dem Jungen, der in einer Ecke sitzt: »Geh' hinunter in den Garten und spiel' mit den anderen.« Der Bub verzieht den Mund und seine ernsten Augen sagen: »Ich hab' keine Lust.« Zum Glück ist die Mutter eine Gans. Mir gibt's einen Stich, wenn ich die ewige Antwort des Buben höre: »Ich hab' keine Lust.« Nein, er hat keine Lust, in keinem Augenblick seines Lebens, und er kann keine haben, er ist einer verbrecherischen Nacht lustlos entstanden . . .

Gestern, Sonntag abends hat der Vater den Dreizehnjährigen zu sich rufen lassen. Die Falte zwischen den Augenbrauen war ganz dick und sein Gesicht noch gelber als sonst:

»Du lernst schlecht, Du bist in der Schule unaufmerksam, Du wirst durchfallen!«

Der Junge schweigt.

»Dreimal habe ich Dich schon ermahnt. Ich frage Dich: Warum geht es nicht vorwärts?«

Nach einer Pause flüstert der Bub: »Ich hab' keine Lust . . . zum Gymnasium.«

Merkwürdigerweise fährt der Vater fort, ohne die Antwort zu beachten: »Du siehst auch nicht gut aus, Du bist blaß, Du hast keinen Appetit, Du bist fortwährend müde, immer schleichst Du Dich, wie man mir sagt, von den anderen weg. Was treibst Du, wenn Du allein bist?«

Das Kind sieht mit traurigen Augen zu seinem Vater auf.

»Stell' Dich nicht so unschuldig!« sagt der Vater streng; »mich wirst Du nicht foppen. Du treibst im geheimen Sachen, die Dich ruinieren! Von heute an werde ich jeden Morgen Dein Bett und Dein Nachthemd ansehen lassen. Und wehe Dir, wenn ich entdecke . . .«

Das Kind sieht nur mit traurigen, erstaunten Augen zu seinem Vater auf.

In der Stunde, mitten im Griechischen, hat mir der Bub von dieser Unterredung erzählt und mich gefragt, während seine ernsten Augen ganz groß wurden: »Sagen Sie, was hat der Vater eigentlich gemeint?«

»Unsinn,« sagte ich, und fuhr dem zarten Buben langsam über die Haare.

Aber Abends habe ich ihn in eifrig-heimlichem Gespräch mit dem Hausmeistersohn gesehen. Der Junge wird sich um die Erklärung nicht foppen lassen.


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