Stefan Großmann
Herzliche Grüße
Stefan Großmann

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Die Liebe

Nein, du lieber Gott«, antwortete der alte Mann, »niemanden, auch Dir nicht, will ich es erklären, was Liebe ist. Den Millionen wird's ewig bloß ein Wortgeräusch sein und die anderen brauchen keine Erklärungen.«

– »Aber ich bin jung,« bat das junge Mädchen, »mir sag's! Ich will es, ich muß es für die Zukunft wissen.«

Der alte Mann verzog verächtlich den Mund: »Es laufen schon so viele blödsinnige Definitionen in der Welt herum und alle sind vielleicht einmal wahr gewesen.«

– »Sag's!« bettelte das Mädchen, »ist das schon Liebe, wenn beim Blick des anderen mein Herz schneller zu schlagen beginnt?«

»Kann sein,« erwiderte der Alte wortkarg.

– »Sag's!« rief das Mädchen begierig, »ist das schon Liebe, wenn meine Hand danach zittert, dem anderen durch das Haar zu fahren?«

»Möglich!«

– »Sag's!« schrie das Mädchen noch erregter, »ist das Liebe, wenn man Vater und Mutter und Heimat und Freunde mit einem Schlage vergißt?«

»Zuweilen!«

– »So rede! Ich sehe es an Deinem bleichen Gesicht, alter Mann, Du weißt es! Sag', ist das Liebe, wenn man in einer Sekunde dem Tod begegnet, ihm fest die Hand gibt und ihm schon in der nächsten Sekunde hunderttausend Meilen fern, ferner als je ist? Ist das die Liebe?«

»Oft!«

Da ging das Mädchen auf den alten Mann zu und nahm seinen alten, mageren, bleichen Kopf, legte ihn auf ihre Schulter, bedeckte ihn mit ihren sanften Händen und fragte: »O, sag' es mir! Du weißt es! Ist dieses zehrende Fieber, diese lechzende Sehnsucht die Liebe?«

Da wurde der alte Mann mitleidig und er sagte: »Kind, wie soll ich das wissen? . . . Ich habe so Vieles gesehen, das aussah wie Liebe und es war nur die Abenteurerlust kühner Jugendseelen . . . Nur einmal, im Vorübergehen, sah ich bei zwei Menschen, was Liebe ist, dort wußt' ich's ganz sicher.«

Der alte Mann hielt inne.

– »Starben sie miteinander?« fragte das Mädchen, »kämpften sie gegen eine ganze Welt?«

»Liebes Kind,« antwortete der Alte, »da würde ich noch nicht sagen: Es ist sicher!«

– »Also sprich!«

»Du wirst mir nicht glauben, Kind, es klingt nicht genug großartig, es sah zu unscheinbar aus.«

– »So?« sagte sie schon ein bißchen enttäuscht.

»Höre: Ein Mann kämpfte einen ganzen Tag lang für etwas, das in seinem Herzen lebte.«

– »Für Sie?«

»Nein. Sagen wir für eine fixe Idee, die in ihm brannte. Ich habe ihn am Abend dieses Kampfes gesehen. Er wurde geschlagen. Er stand da und die hundert leidenschaftlichen Kämpfe des Tages schwirrten noch durch seine Seele. Sein Hirn glühte noch, aber in seinem Herzen war es plötzlich totenstill geworden. Die Gedanken irrten noch wie rasende Tiger im Käfig seines Hirns herum, nicht zu besänftigen! Er stand noch immer da in Kämpferpositur und schwang wie ein Besessener den Säbel und stritt noch weiter und kämpfte und stieß in die Luft . . . und wußte noch gar nicht, daß er längst besiegt war und daß der andere längst gehobenen Hauptes abgezogen war.«

Das Mädchen flüsterte: »War er wahnsinnig geworden?«

»Höre! Die Freunde standen ganz nahe um ihn. Anfangs riefen sie ihm zu: »Aber es ist ja schon alles aus!« Doch als sie sahen, daß ihre Stimmen gar nicht bis zu ihm drangen, senkten sie fassungslos die Köpfe und vielleicht weinten sie . . .«

– »Nun?«

»Da kam sie, die er liebte. Und sie nahm ihn wie ein krankes Kind und führte ihn zu einem Wagen und setzte ihn hinein. Sie sah ihn nur einmal an mit ihren besorgten Augen und sie drückte nur einmal seine Hand und sie ließ es nur zu, daß er stumm atmend den fiebernden Schädel auf ihrer Brust ausruhen ließ . . . Plötzlich, ehe er wegfuhr, öffnete er den Wagenschlag und rief den Freunden mit munterer Stimme zu: »Also werden wir das nächste Mal siegen.« Sein Herz begann wieder zu schlagen und die rasenden Gedanken legten sich zur Ruhe.«

Der alte Mann schwieg.

Kleinlaut fragte das Mädchen: »Und das soll sie gewesen sein? Ganz sicher? Das?«

– »Ja,« sagte der alte Mann langsam . . . »Frieden gießen in ein irres Hirn! . . . Das war sie ganz gewiß?«


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