Stefan Großmann
Herzliche Grüße
Stefan Großmann

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Sommer

Ein Dichter erzählte: »Drei Jahre lang war ich Maschine. Stand um 6 Uhr früh auf, aber nicht um mich am goldblauen Morgen zu berauschen, sondern um durch die Königstraße, Leibnizgasse über den Wagnerplatz durch die Kolumbusstraße vor jenes fünfstöckige Haus zu kommen, in dem die Bureaus der Kommerzialbank lagen. Jeden Nachmittag, um 5 Uhr, trat ich mit einem aus tiefer Brust aufsteigenden Atmen der Befreiung aus dem schattigen, breiten Torflur. Ach, es ist schwer, acht Stunden im Tage nur Maschine zu sein, vier Stunden zum Erwachen aus dem Maschinenzustand zu brauchen und nur drei Stunden lebendig zu sein . . .

»Zum Glück übersiedelte die Kommerzialbank. Von der Kolumbusgasse hatte ich noch ein Stück weiter an jedem Morgen zu marschieren. Die Donaubrücke lag in der Mitte dieses Stücks. Kam ich an frischen, goldblauen Sommermorgen hier über die Brücke, dann sah ich bis hinüber in die letzten Gipfel des Wienerwaldes. Ein zarter grausilberner Dunst, mild wie der weiße Schimmer über einer blaureifen Pflaume, lag über den waldigen Gipfeln. Grell brannte das Gelb der Felder herüber. . . .

»Dieser Punkt auf der Donaubrücke hat mich meine Karriere gekostet. Ich wäre heute (bei meiner unzweifelhaften kommerziellen Begabung) Direktor der Bank, hätt' ich nicht an jedem Sommermorgen dem ziehenden Locken der grüngrau bewaldeten Gipfel widerstehen müssen. Dieser Punkt, mitten auf dem Arbeitsweg, hat meine Karriere zerrissen. Ich bin zu lang hier stehen geblieben, ich bin »unpünktlich« geworden. Je goldener der Sommermorgen, desto tiefer hab' ich mich verschaut. Am Ende entlief ich dem Wege durch die Königstraße, durch die Leibnizgasse, über den Wagnerplatz und die Kolumbusgasse. Aber den Punkt auf der Höhe der Donaubrücke behielt ich und den blaugrau schimmernden Höhen bin ich näher gekommen. . . .

»Laßt keine Gipfel in die Wege zu den Werkstätten gucken! Verrammelt alle Aussichten vom Großstadtgassengewirr in sonnige Berge! Es könnten zu viele – wie sagt man doch? – vom Wege irren! . . .


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