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Fünftes Kapitel

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»Setzen Sie sich, Herr Falk,« sagte Doktor Lauterer zu seinem Besucher und wies auf den Stuhl, den soeben Anna Lindner verlassen hatte.

Otto setzte sich. »Ich dachte –« begann er.

Lauterer unterbrach ihn: »Sie sind gewiß Fräulein Lindner begegnet, und diese hat Sie hierher geschickt?«

»Nein, ich habe Anna nicht gesehen, aber ich wollte –«

»Sie haben heute ungewöhnlich früh Ihre Wohnung verlassen?«

»Woher wissen –«

»Sie sind später als sonst ins Geschäft gekommen und gingen bald darauf wieder. Sie haben dort durch die Zeitung die Ermordung der alten Schubert erfahren?«

Falk schaute sichtlich betroffen auf. Dann fragte er ein wenig schroff: »Warum hat man mich gesucht? Wie komme ich dazu?«

»Wir interessieren uns jetzt für jeden, der mit Frau Schubert bekannt war, der über ihre Verhältnisse Auskunft geben kann und –«

»Das kann ich wohl kaum. Ich habe dieser Frau ziemlich ferngestanden. Sie hat mich wenig leiden können, und Leute, die man nicht mag, weiht man gewöhnlich nicht in seine Verhältnisse ein.«

»Sehr richtig. Aber ist Ihnen nicht durch Ihre Braut einiges davon bekannt geworden?«

»Anna hat nur davon gesprochen, daß ihre Tante eine rechte Heimlichtuerin sei, sonst weiß ich nichts.« Es klang das ein wenig gereizt, und noch gereizter war der Ton, in dem Otto schloß: »Übrigens werden Sie das meine Braut wohl schon gefragt haben.«

»Habe ich auch,« erwiderte Lauterer trocken. »Ich bitte jetzt um Angabe Ihrer Personalien.«

Falk gab Namen, Geburtsort und seinen Stand an.

»Bei Trautenau also sind Sie zu Hause? Dort ist es sehr hübsch. Als ich noch bei meinen Eltern lebte, habe ich mit ihnen drei Ferien im Riesengebirge verlebt. Da habe ich auf meinen Wanderungen auch Ihre Heimat kennen gelernt. Haben Sie noch Verwandte dort?«

»Meine Stiefschwester, bei der unsere Mutter lebt,« entgegnete Otto und setzte rasch hinzu: »Zu Wien bin ich seit drei Jahren.«

»Das haben Sie schon angegeben.«

»Warum werde ich eigentlich über die Verhältnisse der Schubert gefragt? Es steht doch alles in der Zeitung.«

»Nicht alles.«

»Was denn nicht?«

»Der Betreffende hat auf dem Tatort etwas zurückgelassen.«

Lauterer nahm, einem augenblicklichen Einfall folgend, aus einem Fach seines Schreibtisches einen kleinen Gegenstand und legte ihn vor Otto Falk hin. Es war ein vierblätteriges Kleeblatt aus mattem Golde. Auf einem der Blätter lag wie ein Tautropfen ein Diamant. Die Öse, in welcher der seine Stiel des hübschen Schmuckstückes auslief, war ausgerissen.

»Das also hat der Mörder zurückgelassen?« rief Otto. Er sah dabei aus wie einer, dem etwas Gutes, sogar etwas sehr Gutes widerfährt. Seine Augen flammten auf.

»Das Schmuckstück ist echt. Der diamantene Tautropfen ist allein über zweihundert Kronen wert.«

Lauterer sagte das, fast mechanisch die Worte dessen wiederholend, der ihm das Uhranhängsel übergeben hatte.

Otto Falk achtete gar nicht auf die Worte. Seine Augen hingen noch immer an dem schönen, auffallenden Anhängsel, aber seine Gedanken waren höchst wahrscheinlich nicht an dem Ort, an welchem sein Körper jetzt weilte, denn in Amtsstuben solcher Art pflegt man nicht so zu lächeln.

Lauterer war einigermaßen verwundert. Obgleich er wußte, daß das Schmuckstück in der zusammengeballten Hand der Ermordeten gefunden worden war, fragte er: »Haben Sie das Ding schon früher gesehen? Gehörte es vielleicht der Schubert?«

»Ich weiß nicht, ob es ihr gehört hat. Ich weiß nur, daß dies etwas ganz Modernes ist, und daß Annas Tante nur altväterischen Schmuck besaß. Woher sollte sie denn dieses Uhranhängsel auch bekommen haben? Hat es Anna schon gesehen?«

»Man hat es ihr sofort gezeigt. Sie hat es nie vorher gesehen.«

»Dann hat es wohl sicher der Mörder verloren,« sagte Falk mit großer Bestimmtheit.

Einen Augenblick betrachtete ihn Lauterer verwundert. »Warum sind Sie eigentlich hierher gekommen?« fragte er dann rasch.

Otto stand auf, überlegte noch einen Augenblick und sagte dann: »Weil ich etwas zu melden habe.«

»Was denn?« Lauterer schaute höchlich interessiert auf das hohe Erregung verratende Gesicht Ottos.

»Gestern, zehn Minuten vor sechs Uhr, hat Frau Schubert noch gelebt.«

»Woher wissen Sie das?«

»Weil ich zu dieser Zeit von ihr weggegangen bin.«

»Sie sind gestern abend bei ihr gewesen?«

»Ich sagte es soeben.«

»Und können beweisen, daß Sie schon vor sechs Uhr von ihr weggegangen sind?«

»Beweisen kann ich das nicht. Ich habe doch nicht ahnen können, daß mir das notwendig werden würde,« entgegnete Otto voll Bitterkeit, aber mit steinerner Ruhe Lauterers forschenden Blick aushaltend.

»Setzen Sie sich nur wieder, Herr Falk,« sagte Lauterer freundlich, »und sagen Sie mir, was Sie gestern bei der Schubert zu tun hatten.«

»Ich ging zu ihr, um sie zu bitten, unsere Hochzeit nicht länger hinauszuschieben.«

»So!«

»Sie schlug mir's ab.«

»So!«

»Weiter hatte ich bei ihr nichts zu tun. Ach war im ganzen kaum mehr als eine Viertelstunde bei ihr. Als ich ging, schloß sie hinter mir ab.«

»Und um mir das zu erzählen, sind Sie hierher gekommen?«

»Ja.«

»Ihre Braut hat mir nichts davon gesagt, daß Sie gestern bei Frau Schubert waren, und Sie sprachen doch gestern, nachdem das geschehen war, noch mit Fräulein Lindner?«

»Jenen Besuch verschwieg ich ihr absichtlich.«

»Warum denn?«

»Ich wollte sie nicht unnötig aufregen.«

»Das war ja sehr rücksichtsvoll!«

»Belieben Sie öfters so zu scherzen?«

»Zuweilen.«

»Daß Sie es jetzt tun, sagt mir, daß ich ein Tor war, als ich hierher kam, um Ihnen von meinem Besuch zu erzählen.«

»Zuweilen fühlt man einen inneren Drang, solch einen Weg zu machen.«

»Diesen Drang hatte ich in der Tat. Es geschah nur aus, wie es scheint, übel angebrachter Gewissenhaftigkeit, wenn ich Sie aufsuchte,« entgegnete Otto dem Beamten scharf, um dann ruhiger hinzuzusetzen: »Ich meinte zur Bequemlichkeit der Behörde feststellen zu müssen, daß Frau Schubert zehn Minuten vor sechs Uhr noch gelebt hat. Ich schaute nämlich, als ich aus dem Haus trat, zufällig auf meine Uhr, und so kann ich die Zeit meines Weggehens genau angeben.«

»Gegen halb sieben Uhr ist vor der Tür der Ermordeten ein großer, schlanker Mann gesehen worden,« sagte Lauterer trocken. »Und als gegen neun Uhr die Kommission an den Tatort kam, war bei der Ermordeten schon die Totenstarre eingetreten. Die Tat ist also etwa drei Stunden vorher begangen worden.«

»Die Totenstarre tritt, soviel ich weiß, unter verschiedenen Umständen in verschiedener Zeit auf,« entgegnete Otto.

»Auch Doktor Herbig weiß etwas über diese Dinge,« warf Lauterer, der wieder recht ironisch lächelte, ein.

»Nun, nur kann es gleich sein. Ich sage Ihnen auch noch, daß ich gestern zu meiner Braut entschieden gereizt über Frau Schubert gesprochen habe.«

»Das weiß ich schon.«

»Durch Anna? Wie kam diese dazu, über mich zu sprechen?«

»Sie sind schon wieder gereizt. Ihre Braut kam im Verlauf unserer Unterhaltung ganz von selbst darauf zu sprechen, daß sie mit Ihnen einen Teil des Abends verbrachte, und dabei äußerte sie, daß sie fürchte, Sie seien krank, da Sie sonst doch schon durch die Zeitungen wissen müßten, was geschehen sei. Sie seien aber heute noch nicht zu ihr gekommen. Bei dieser Gelegenheit ließ sie durchblicken, daß sie beide der Tante wegen des Hochzeitsaufschubes schon längere Zeit zürnten, und daß Sie gestern noch eine harte Bemerkung über Frau Schubert machten.«

»Ich sagte das ja schon selbst.«

»Warum sind Sie denn während Ihrer Geschäftszeit zu Frau Schubert gegangen?«

Otto stutzte einen Augenblick, dann sagte er: »Ich war gestern nachmittag überhaupt nicht im Geschäft. Es war mir sehr übel, und da habe ich einen Dienstmann mit einer Entschuldigung hingeschickt.«

»Abends sind Sie aber doch ausgegangen?«

»Ich bin überhaupt nicht daheim geblieben.«

Lauterer nickte. »Nun ja. Warum denn auch nicht,« meinte er, drehte die Daumen seiner im Schoß liegenden Hände umeinander und schaute Otto fest in die Augen.

Aber wiederum begegnete dieser dem Blick mit großer Ruhe, ja es umspielte sogar ein Lächeln den hübschen Mund des jungen Mannes, obgleich er jetzt genau wußte, was für ihn auf dem Spiele stand.

Und gerade während er so lächelte, gefiel er Lauterer ganz besonders, denn dieses Gesicht zeigte eine große Ruhe, und aus den Augen blickte die Furchtlosigkeit.

Vie beiden Männer sprachen nur wenig mehr miteinander, dann wurde Otto Falk entlassen.

Er ging aufrecht und gefaßt. Nichts Scheues war mehr in ihm.

Anna war erstaunt, ja erschrocken, als er bei ihr eintrat und ihr sagte, daß er offenbar in Verdacht gekommen sei, da er um die kritische Zeit bei ihrer Tante gewesen war. Aber sie begriff auch, daß er es ihr nicht sofort gesagt hatte, da ihn ja die alte Frau so rauh abgewiesen hatte. Sie sollte der Tante, der sie so viel verdankte, nicht neuerdings zürnen.

Sie wußte aber auch sofort, was sie nun zu tun hatte.

 

Doktor Lauterer wollte eben zum Essen gehen, als Anna Lindner wieder bei ihm eintrat.

Er ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen, sondern sagte lächelnd: »Mein liebes Fräulein, beruhigen Sie sich, ich weiß, weshalb Sie kommen. Aber statt aller Auseinandersetzungen lesen Sie hier, was soeben die Schuhmachersgattin, Frau Holzinger, zu Protokoll gegeben hat. Hier – diese Stelle lesen Sie: ›Ein großer, schlanker Mann in einem hellen Überrock‹ – und hier: ›Die Tür war ein bißchen offen und es war Licht in der Küche –‹ und hier: ›Es war gegen halb sieben, ich habe gerade Feuer gemacht in meiner Küche –‹. Sehen Sie, der ›helle‹ Überrock überhebt mich jedes Gedankens, der Ihrem Verlobten zu nahe treten könnte. Der Mann mit diesem Überrock war der letzte Besucher Ihrer Tante. Das ist auch durch die Aussage des Bäckergesellen Meißl erwiesen, der in der Einfahrt Ihres Hauses schon vor sieben Uhr auf seinen Schatz wartete. Es freut mich selbst, daß ich Sie jetzt vollständig beruhigen kann, und daß Herr Otto Falk unbelästigt bleiben wird. Er hat mir nämlich, obgleich ihn sichtlich etwas bedrückt, sehr gut gefallen, Ihr Verlobter. Es ist Ihnen beiden zu gratulieren.«

»Daß einem ein schwarzer Winterrock so heraushelfen kann aus einer Klemme!« entgegnete Anna mit einem halben Lächeln. »Jetzt bin ich ordentlich froh, daß sich Otto aus Sparsamkeit keinen neuen Überzieher gekauft hat. Ich hab' ihn schon verleiten wollen, sich was Helles zu nehmen. Es ist ja heuer so modern.«

»Na sehen Sie, wie gut es ist, wenn man nicht immer mit der Mode geht,« meinte Lauterer lachend.

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