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Die Herrengasse

Als Wien noch Vindobona hieß, war da, wo heute die Herrengasse ist, eine breite, häuserlose Fahrstraße, die in ödem Gelände lag. Die Römer nannten sie Strata alta. Seit dem Jahre 1175 nannten sie Urkunden Hochstraße. Bei der dritten Erweiterung der Stadt, die beiläufig um das Jahr 1220 stattgefunden haben dürfte, wurde die neue Stadtmauer von der Linie Graben – Bognergasse bis zur Hochstraße vorgerückt, und als Leopold der Glorreiche seine Burg auf freiem Felde außerhalb der Stadt erbaute – wir kennen sie als den uralten Bau, der den Schweizerhof umgibt –, siedelten sich viele Ministerialen des Herzogs zwischen der Burg und der alten Stadtmauer an.

Aber hier entbehrten sie des starken Schutzes der Mauer und der gastlichen Sicherheit, welche die Stadt bot. Dem wurde abgeholfen, indem man eine neue Mauer bis zur Hochstraße und zum Michaelerplatz, die junge Pfarre zu Sankt Michael einschließend, vorrückte. Erst dann, als auch diese Mauer gefallen war und im Jahre 1513 das Landständehaus und andere Herrenhäuser an der Hochstraße erbaut wurden, erhielt die alte Straße den Namen Herrengasse. Keines der Häuser, die Anno 1520 standen, ist uns erhalten geblieben, und das Älteste an der Straße ist ihr Name. Schade! Das alte Landständehaus in der Herrengasse war ein Prunkbeispiel alter, gliederungsreicher Bauten, in die nicht nur, was früherer Tage Lebensbedürfnisse waren, hineingebaut wurde, sondern in denen des Baumeisters Phantasie helle Sonne und Clair-obscur und bei übersichtlicher Anlage des Ganzen geheimnisvolle Winkel schuf.

Die Landstände waren schon im Anfang des 16. Jahrhunderts eine zahlreiche, vielvermögende Körperschaft und wollten ihren stabilen Sitz, ein festes Haus, eine kleine Burg in Wien, recht nahe der Kaiserburg haben. Die Stände unter Landmarschall Wilhelm von Puchhaim kauften das Haus der Brüder Erasmus, Wolfgang und Bernhard Liechtenstein, das bei dem Minoritenfriedhof lag, und bauten an seiner Stelle ein neues Haus. Der berühmte Cuspinian sagte von ihm, »daß es prachtvoll, unter den vielen schönen Häusern Wiens vor allem eines Königs würdig und das erste nach der Burg war«.

Die zweistöckige Front des Ständehauses mit dem hohen Dache und dem Turm auf diesem war gegen die Minoritenkirche gerichtet. Des Hauses Seitentrakte reichten bis zur Herrengasse, und von dieser aus bot das Haus mit seinen vielgestaltigen Vor- und Anbauten und der Symphonie der verschieden geformten Dächer den interessanteren Anblick.

Sah es als Dame im Prunkgewand zu der Kirche hin, so blickte es als allsorgende Hausmutter gegen die Herrengasse. Gegen diese Gasse lag auch der Hof des Hauses, zu dem ein großes Bogentor führte, dessen Sopraporten das Wappen Rudolfs IV., die fünf goldenen Adler im blauen Felde, trug. So breit aber auch das Tor war, für das konfessionelle Parteigezänke war es zu schmal. Als sich Katholiken und Protestanten recht empfindlich und derb in den Haaren lagen, wurde – es war im Jahre 1573 – für die Evangelischen knapp neben dem Bogentor eine Spezialtür durch die Wand geschlagen, auf daß die Gegensätze nicht schon im Torwege aufeinanderträfen. Und sie trafen scharf in der Ratsstube mit Fäusten und Stoßdegen. Da wurde das »Friedenszeichen« Maximilians II. – die steinerne Hand mit dem Schwert – über das Tor gesetzt, und das Friedenszeichen bedeutete das Abhauen der Hand. Neben dem drohenden Zeichen wurde eine Tafel angebracht mit der Inschrift: »Der röm. Kais. Majestät unsres allergnädigsten Landesfürsten ernstliche Meynung und Befehl ist, daß sich Niemand, wer der auch seyn mag, unterstehe, in oder vor diesem befreiten Landhauß die Wöhr zu blößen oder balgen und zueschlagen, noch zu rumoren; welche aber freventlich dawider handeln, daß dieselben an Leib und Leben nach Ungnaden bestraffet werden sollen. Aktum 1571 Jahr 20. Hornung.«

Das war eine deutliche Erklärung des steinernen Symbols.

Trotzdem lag den ständischen Herren oft viel daran, sich mit ihrem Nachbarn in der Kaiserburg gut zu vertragen.

So ließen einmal – es war zur Feier der Vermählung Ferdinands III. mit Maria Anna von Spanien – die Ständeherren, welche die Majestäten und »dero fürstliches, adeliges und hochansehnliches Gefolge« zu einem Feste in ihr Haus geladen hatten, von der Hofburg bis zum Ständehaus einen gedeckten Gang aus Holz herstellen. An den geschnitzten Stützbalken des Daches standen hohe Maste mit farbigen Bannern, von dem Dache wehten bunte Fahnen und lange Wimpel; Teppiche und Reisig waren zu reichem Schmuck verwendet, und als der Kaiser im Gange herankam, bliesen Bläser Fanfaren.

Ob der Kaiser durch das katholische Tor gegangen und ob er nicht ein ganz klein wenig durch die protestantische Tür geblinzelt, melden die Chronisten nicht.

Aber auch den höchsten Herren in der Kaiserburg war um ein gutes Einvernehmen mit den Ständischen zu tun.

Nachdem 1710 der große Saal im Ständehaus neu ausgeschmückt worden war, fand aus diesem Anlasse ein Maskenball statt. Den besuchte Kaiser Josef I. mit der Kaiserin und den Erzherzoginnen. Wie alle andern war auch der Kaiser vermummt; er trug die Uniform eines Grenadiers. Das neue Ständehaus scheint, nach seiner Fassade beurteilt, nur irrtümlich in die Herrengasse gekommen zu sein. Seine wohl harmonischen, aber wuchtigen, derben Formen, die massigen Säulen und was über ihnen ist, schicken sich recht gut für einen großen, geräumigen Platz, der es erlaubt, das Haus von hinreichender Ferne aus anzusehen. In der schmalen Herrengasse aber ist das Haus eine Faust auf dem Auge. Wie viele von den sehr Vielen, die durch die Herrengasse gehen, haben mit Hilfe einer Turnbewegung, die an das Müllern erinnern würde, hoch oben am Giebel des Hauses die Worte: »Die Stände Niederösterreichs« gelesen? ...

Wer von der Freiung her die Gasse betritt, hat zur linken Hand eine hohe, düstere Mauer.

Wirkliche, bodenständige Bäume ragen über sie hinaus und winken im Frühling mit zarten grünen Zweigen den hastenden Wanderern zu. Die Bäume stehen in einem der letzten privaten Gärtchen in der Innern Stadt, und das Gärtchen gehört zum Palais Harrach.

Die Herren von Harrach besaßen schon Anno 1470 da, wo heute das Palais steht, mehrere kleine Häuser. Sie ließen an ihrer Stelle ein großes bauen, und dieses brannte während der zweiten Türkenbelagerung ab. Im Jahre 1689 begann der Bau des heutigen Palais, in dem einst als Gast seines Schwiegervaters der schwererkrankte Wallenstein wohnte.

Wenige Schritte weiter steht ein Haus, das die Leute den Bankbasar nannten. Sie meinten damit das Haus der ehemaligen Nationalbank. Ferstel hat das Gebäude – wie man da und dort lesen kann – im Stile der italienischen Renaissance geschaffen; er war wohl mehr Gotiker als Renaissancekünstler, und das Haus gemahnt an romanische Vorbilder. Vom kühnen und freifrohen Geiste des Stils der Wiedergeburt altklassischer Formen weist der Bau wenig auf, und eine der einsamsten, düstersten Passagen in Wien war der »Basar« in ihm. Was alles erwarteten die Wiener, als es kund wurde, in dem neuen Hause – es wurde im Jahre 1860 vollendet – werde ein Basar geschaffen werden! An die Basare von Damaskus und Kairo dachten sie, an Gulistan- und Anatolteppiche und an damaszierte Schwertklingen und goldtauschierte Gefäße; und manch ein Nikolsdorfer oder Lichtentaler Bürger mag mit grinsender Seele an einen Sklavinnenmarkt auf der Freiung gedacht haben.

Aber der augenfälligste Geschäftsladen im Basar hatte nur Salamander, Molche, Grottenolme und Axolotl in der Auslage. Auf Axolotln legen aber die Wiener wenig Gewicht, und der Basar wurde nie eine populäre Einkaufsstelle. Die Auslage des Uhrmachers aber, die in der Vorhalle des Basars gegen die Freiung hin zu sehen war und in der inmitten einer Alpenlandschaft neben einem Ziffernblatt ein sich drehender Glasstab jahrzehntelang einen Wasserfall imitierte, war jedem Wiener bekannt.

Gegen die Herrengasse hin mündet der Basar in einen kleinen, sechseckigen Hof, von dem Türen in die Herrengasse führen. Dieser Hof ist von beklemmendem Ernst, und die schöne, dunkelbronzene Donaunixe, die Fernkorn gemacht hat und die den Brunnen im Hofe bekrönt, kann den strengen, düsteren Charakter ihrer Umgebung nicht bannen. Von Gnomen an der Bassinwand bewacht, erscheint die Nixe als Gefangene. Heiter aber wirkt es, daß das eherne Weib auf dem steinernen Brunnen ein ganz kleines Fischlein triumphierend hochhält. So viel Stein und Erz wegen einer – Sardine! Heute sperren Bretterwände den Basar ab, und Warenballen liegen zu Füßen der Nixe. Kaum einer wird es bedauern, den Basar nicht mehr durchwandern zu können. Nicht weit vom Basar bestand in der Herrengasse ein Verkaufsladen, der gewiß manchem alten Herrn von heute, als er noch bei den nahen »Schotten« studierte, lieb war. Es war die Naturalienhandlung von Muralt. Die Auslage war schmal, aber sie enthielt Schätze für junge Sammlerseelen. Die Geheimnisse der Mineralogie enthüllten sich da in Amethystdrusen und glasiger Obsidianlava und wurden offenbar in Goldkörnern und Schwefelkies. Der sah viel goldiger aus als Gold und genoß hoher Tertianerachtung, weil er in Pentagon-Dodekaedern kristallisierte. Da gab es Seesterne, prächtige Muscheln und ausgestopfte Vögel mit herrlichem Gefieder. Wenige Schritte weiter war ein Paradies oder doch die Filiale eines Paradieses für Mädchen. Ein Stückchen von Armidas Zaubergarten, mit Primeln und Astern, die gleichzeitig blühten, mit phantastischen tellergroßen Mohnblumen und unverwelkbaren Rosen. Es war »Kaufmanns« Kaufladen von künstlichen Blumen. In vornehmer Zurückhaltung an Zahl und Aufmachung standen den Kunstblumen schief gegenüber auf der anderen Straßenseite, im Blumenladen Hoybrenks, wenige auserlesene Blumen. Auch sie waren zeitlos. Orchideen von bizarren Formen, seltsam gezeichnet wie mit chinesischer Schrift, und wenige blasse, langgestielte Rosen waren stets im Schaufenster. Splendid Isolation! Die Königin der Blumen wurde geadelt durch die Marke Hoybrenk auf dem feingetonten Umhüllungspapier.

Eine große Strecke der Herrengasse nahm das fürstlich Liechtensteinsche Palais ein.

Daß sein Eigentümer ein Fürst sei, zeigten nicht nur die beiden Wappenakroterien auf der Balustrade an der Stirnseite des Daches, sondern auch das Fehlen von allem derb Auffallenden, Protzigen und das Imponderable der Noblesse, das über den ganzen Bau gebreitet lag. Das Palais wurde durch seine einstige Reitschule volkstümlich; wurde doch aus ihr der Bösendorfersaal geschaffen. Die richtige Reitschule! Ein großer, rechteckiger Raum, kahl und ohne plastische Ornamentik, mit vier Bogenfenstern an je einer Langseite. Zwei Fenster waren vermauert. Schmucklos lag der weiße Plafond über den Wänden von lichter Drapfarbe. Der Saal war ein Sinnbild der Langweile. Aber an der Stirnseite über dem Podium waren in feinen, goldenen Buchstaben vier Namen geschrieben. Anton Rubinstein Zyklus 1885, Franz Liszt 1879, Dr. Johannes Brahms 1893, 1895, Dr. Hans von Bülow. Eröffnung 19. November 1872. Diese Namen erfüllten den Saal mit Weihe. Schade um ihn! Er hatte die beste Akustik der Musiksäle Wiens.

Das Palais ist gefallen, und Feuermauern begrenzen eine ungeheure Leere, ein Loch in der Herrengasse, und manchen derer, die dem Fürsten zum Abbruche geraten, mag das heute bitter leid tun ...

Nahe der Stelle, wo die Herrengasse und der Kohlmarkt eine Ecke bilden, standen noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts zwei Häuser. Das eine gehörte dem Grafen Abensberg-Traun, das andere der Familie Weißhappel und später der Frau Elisabeth Elender. An der Ecke der Herrengasse war lange Zeit hindurch eine öde Brandstätte. Auf ihr ist früher ein Haus gestanden, das nach dem Schilde der Spezereihandlung des Resch den Namen Dreilauferhaus trug.

In diesem Hause wurde Anno 1699 dem Hausmeister ein Söhnchen geboren, der kleine Gottfried Prehauser, der später als großer Hanswurst im Kärntnertortheater die Herzen der Wiener und viel Geld einnahm. Karl Freiherr v. Wetzlar kaufte im Jahre 1797 die beiden erwähnten Häuser und die Brandstätte und erbaute das Eckhaus gegenüber dem Herberstein-Palais. Sein Äußeres hielt mit seinen Nachbarbauten gute Eintracht. Jetzt steht an der Stelle des Dreilauferhauses ein seltsamer Bau, der von allen andern in seiner Nähe schneidend absticht, der den Vorübergehenden ohne Unterlaß zuruft: »Seht mich an! Meine Hose ist Seide, mein Rock ein Zwilchsack. Wo Prehauser geboren wurde, kam auch ich zur Welt.« Das Beste, was man von dem Hause sagen kann, ist, daß es nicht zum Geiste des Ortes paßt, an dem es steht. Wo ist der alte Genius loci? Wohnt er bei der Obrigkeit im Gebäude der Statthalterei, in dem auch vieles Alte erhalten ist, und das erst kürzlich, in den Tagen des Gedenkens an die Revolution des Jahres 1848, aktuell geworden ist?

Wer vor fünfzig Jahren in der Herrengasse, die damals noch nicht Geschäftsstraße war, ging, wer die vornehme Ruhe, die zwischen den patinierten Barockfassaden lag, empfand, wer der Empirefronten noble Schönheit fühlte, der hatte auf der Straße die Empfindung, in stukkogeschmückten, weiten Gängen und den seidentapezierten Zimmern der Großen eines großen Reiches zu wandeln; die Straße schon schien das Vorzimmer der Aristokraten in der Zeit der Wiener gemütlichen Noblesse zu sein. Die einheitliche Stimmung, die vornehme Stille und ein Jahrhundert der Poesie aus der Großväterzeit, sie sind aus der Herrengasse gewichen; sie wohnen in Vollmondnächten auf dem nahen, stillen Minoritenplatz.


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