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25. Noch schneller!

»Das ist das Ende!« kroch es durch Rudds stumpfes Hirn. »Die anderen müssen im selben Dreck sein wie ich.«

Dunkel entsann er sich dessen, was er von der Heide wußte. Über tausend Meilen erstreckte sie sich nach Süden – ein amerikanisches Gegenstück zu den sibirischen Steppen. Das Land war kahl, vor Jahrmillionen von Gletschern abgefressen. Nur der Wolf und der Rabe waren in dieser schauerlichen Wildnis zu Hause. Neun Monate im Jahr lag es tot da, waren alle Flüsse und Quellen in der fürchterlichen Kälte erstarrt.

Rudd versuchte die Augen zu schließen, aber zwischen den Lidern hatten sich Eiskristalle festgesetzt. Wieder würgte seinen Lebensdrang der Gedanke: »Das ist das Ende!«

Eine Stimme durchbrach den Wall, den das Heulen des Sturmes und das Hämmern der Brandung um ihn gezogen hatten. Die Stimme war fremd und drang ihm kaum ins Bewußtsein. Aber während er wieder ohnmächtig wurde, fühlte er sich hoch in die Luft gehoben, als hätte ihn eine Riesenwoge gepackt.

Fast unmittelbar nachher – so kam es ihm vor – öffnete er die Augen und sah in den Himmel. Wenigstens war es für ihn ein Himmel, im Vergleich zu dem, was er lange Zeit gekannt hatte. Es war warm und duftete nach Pfannkuchen. Sein Leib war in weiche Decken gebettet. Aus einer Lampe, die einen Schirm hatte, flutete sanftes Licht über die Wände.

»Hallo, mein Lieber! Geht schon besser!« Es war die Stimme vom Strand.

Rudd drehte schwach den Kopf herum: »Was – ja, wo – wer – –«

Der Fremde, ein großer, schwerer Mann mit glattrasiertem Gesicht, lächelte freundlich. »Jetzt bleiben Sie nur still liegen, mein Freund, bis Sie den Magen wieder voll haben, dann können wir uns unterhalten.«

Seufzend legte Rudd sich zurück. Wo die anderen waren, und wie er selbst hierher kam, das waren Probleme, deren Lösung noch über seine Kräfte ging. Schweigend nahm er den dampfenden Kaffee, einen großen Teller gehäuft voll mit Bohnen und Sirup und ein halbes Dutzend Pfannkuchen von sechs Zoll Durchmesser.

»Ich heiße Matthews,« sagte der Fremde plötzlich. »Matthews von der Standard Oil Company. Wir sind zum Kontrollieren heraufgekommen. Sie werden wissen, daß längs dem Mackenzielauf Öl gefunden worden ist. Die anderen Leute sind nebenan im großen Zelt.«

Ein wehmütiger Ausdruck huschte über Rudds Gesicht.

»Ihre Leute auch,« setzte Matthews schnell hinzu. »Das heißt außer ...«

Rudd stützte sich auf, Angst durchfuhr sein Herz. »Außer wem?« fragte er hastig.

»Matrose, glaube ich. Habt ihr einen gewissen Boggs bei euch gehabt?«

Rudd kamen Tränen in die Augen. »Boggsy also. Der arme, gute Boggsy! Er hat immer gewußt, daß es ihm bestimmt ist.«

Matthews kam herüber und klopfte seinem Patienten auf die Schulter. »Nehmen Sie sich's nicht so zu Herzen. Ihr könnt von Glück sagen, daß ihr überhaupt gerettet seid. Wir haben alles gesehen. Die Welle, die Sie dann wegtrieb, hat die anderen bis über die Hochwasserlinie geworfen. Sie haben sich, glaube ich, in eine Leine verwickelt und sind untergegangen; wir dachten schon, es wäre aus mit Ihnen. Zwölf Stunden sind vergangen, seitdem Sie an Land sind.«

»Zwölf Stunden!« staunte Rudd. »Nanu, ich habe geglaubt, daß es nur ein paar Minuten her ist.«

Die eine Zeltwand wurde plötzlich zur Seite geschlagen, und Dr. Barlow kam herein. »Hallo, Rudd! Noch am Leben?«

»Ungefähr zu drei Vierteln, Doktor,« lachte Rudd, dessen Lebensgeister der starke Kaffee gekräftigt hatte.

Der Doktor warf einen Blick auf Matthews und redete weiter.

»Schön, beeilen Sie sich. Wir müssen so bald wie möglich weiter!«

»Weiter?« war die erstaunte Antwort. »Ich denke, der ›Polarstern‹ ist zu Brennholz zertrümmert!«

»Zu Streichhölzern,« verbesserte der Doktor. »Aber es gibt mehr als eine Möglichkeit, der Katze das Fell abzuziehen. Und wir wollen Menon das Fell über die Ohren ziehen, vergessen Sie das nicht!«

Rudd sah in die lachenden Gesichter vor ihm. Es erschien unmöglich, daß die Gesellschaft nach der letzten Katastrophe die Reise fortsetzen sollte. Vier von ihnen waren am Leben geblieben – mehr konnte man vernünftigerweise vom Schicksal nicht verlangen.

Der Doktor setzte sich neben das schmale Feldbett, auf dem Rudd lag. »Matthews ist ein alter Freund von mir,« erklärte er. »Ich habe ihm alles vom ›Erik‹ erzählt. Er glaubt sich Menons zu erinnern, hat auch mal was mit ihm gehabt, eine ähnliche Schweinerei wie wir – und wird uns nach Süden weiterhelfen. Im Augenblick, wo Sie stark genug sind, brechen wir auf. Pike und Normann kommen ein paar Tage später nach.«

Matthews rollte eine Karte auseinander. »Hier haben Sie Nordkanada, Doktor.«

»Ja, Rudd, hier werden Sie sehen, was wir zu tun haben. Wir sind hier am Westrand des großen Mackenziedeltas. Matthews ist so gut und leiht uns zwei Kanus mit eingeborenen Ruderern, die uns bis zu dem Ölbrunnen nördlich von Fort Norman bringen werden. Das ist fast vierhundert Meilen südlich von hier, es wird so an die zehn Tage dauern, bis wir hinkommen.«

Rudd maß die riesigen Entfernungen mit wachsendem Zweifel. »Aber da können wir doch unmöglich vor Oktober eine Bahnlinie erreichen.«

»Doch, dank Matthews' Entgegenkommen können wir's. Er hat zwei Flugzeuge in Fort Norman. Sie sollen morgen in acht Tagen mit der Post und seinen Berichten abfliegen. Sie gehen direkt nach Mc. Murray, Alberta. Dort bekommen wir einen Zug nach Edmonton. Quer durch Saskatchewan, das dauert noch einen Tag oder sowas, dann erreichen wir die Limited nach Montreal, und von da geht's nach Sydney. Ich kann der Regierung telegraphieren, daß sie uns Beamte mit einem Spezialboot für die Fahrt nach St. Johns dorthin schickt. Und wenn Menon nicht Wunder tun kann, sind wir immer noch die ersten.«

Die Aufzählung dieser Einzelheiten wirkte auf Rudd mindestens ebenso auffrischend wie der Kaffee. Er hielt es nicht mehr im Bett aus. Seine Kleider waren getrocknet worden. Er zog sie mit dem Gefühl an, sich für einen Endspurt zu rüsten. Daß diese dreitausend Meilen oder noch mehr in wenigen Tagen geschafft werden mußten, konnte seine Begeisterung nicht vermindern.

Den Skipper fand er an der Pfeife ziehend und mit einem neuen Bekannten Garnstückchen austauschend. Wie immer, schien er in sein Schicksal ergeben, nur ab und zu stieß er fürchterliche Verwünschungen aus, wenn er an die Gaunereien seines ersten Offiziers dachte. Normann, dem das Bad gar nichts angehabt hatte, war auf der Renntierjagd.

Am nächsten Tage stießen bei Morgengrauen zwei Kanus ab. In dem einen saß Dr. Barlow, in dem anderen Rudd. Matthews war es zu verdanken, daß die Ruderer ausgesuchte indianische Führer waren. Dr. Barlows Versprechen, ihnen eine fette Belohnung zu geben, wenn das Flugzeug erreicht würde, spornte sie zu großem Eifer an. Sie schienen sich nicht besonders zu beeilen, tauchten aber ihre Ruder mit einer maschinellen Regelmäßigkeit ins Wasser, die stundenlang durchgehalten werden konnte.

An den ersten beiden Tagen wurden gute Fortschritte gemacht; und als der Polarkreis über Fort Good Hope passiert war, dachte Rudd den Norden hinter sich gelassen zu haben. Aber bald stellte sich heraus, welch Irrtum das war.

Große, schwarze Fliegen und Moskitos hatten die Fahrt unerträglich gemacht. Die Reisenden atmeten daher erleichtert auf, als es zu regnen begann und die giftigen Insekten nicht mehr so zudringlich waren. Aber die Indianer schüttelten den Kopf über das Wetter und wollten frühzeitig Lager machen. Endlich weigerten sie sich, weiter zu rudern.

Dr. Barlow stritt mit ihnen in der Zeichensprache, bis ihm die Hände fast aus den Gelenken fielen. Die Indianer zuckten nur die Achseln und zeigten zuerst nach Süden und dann auf den Himmel.

In diesem Augenblick tönte das Puffen eines Motorbootes über den Fluß.

»Das muß vom Fort sein,« war Rudds erster Gedanke. Aber zu seiner Überraschung standen in dem schmucken, kleinen Fahrzeug, das nicht größer war als ein Walfischboot, zwei Landeskimos. Auch sie schienen des Wetters wegen besorgt zu sein und steuerten etwas weiter unterhalb das Ufer an.

Der Doktor entschloß sich, es mit ihnen zu versuchen. »Sie geben auf unsere Sachen acht,« sagte er zu Rudd, »und ich will mal sehen, ob die Burschen uns mitnehmen.«

Bevor der Doktor noch zurück war, hatten sich die Befürchtungen der Indianer verwirklicht. Wind fegte über den breiten Fluß und trieb das Wasser fast bis ins kleine Lager. Zweimal wurde das Zelt umgeweht, bis man genug Steine zum Beschweren beisammen hatte.

»Vergeblich!« rief der Doktor bei seiner Rückkehr. Das Haar fiel ihm in nassen, schwarzen Strähnen über die Stirn, und er keuchte von der Anstrengung, die es ihn gekostet hatte, sich gegen den Wind zurückzuarbeiten.

Rudd saß verdrossen auf seinem Schlafsack, den er gar nicht aufmachen wollte, weil er doch naß werden mußte. »Na, ja,« knurrte er, »jetzt müssen wir Geduld lernen.«

Ein unerquicklicher Abend wurde in dem kalten Zelt verbracht. An Schlaf war nicht zu denken bei dem ohrenbetäubenden Knattern der Zeltwände und dem Trommeln des Regens.

Am nächsten Morgen lehnten die Indianer es ab, weiter zu rudern; sie wollten erst ihre Kanus ausbessern, die im Sturm beschädigt worden waren.

»Wie wäre es mit den Eskimos?« schlug Rudd vor.

Dr. Barlow drohte den Indianern mit den Fäusten und schrie: »Ihr Schufte! Ihr wollt mir nur mehr Geld erpressen!« Aber die einzige Antwort, die er bekam, war ein gelassenes Achselzucken der Eingeborenen.

Die Eskimos erklärten sich einverstanden, mit den beiden Weißen bis zum Fort Good Hope zurückzufahren. In dieser Station, die zirka sechzehn Meilen südlich vom Polarkreis liegt, kam Rudd zum erstenmal seit Monaten mit der Zivilisation in Berührung. Die getünchten Blockhäuser sahen sehr sauber und nett aus, seine frostbetäubte Nase roch zum erstenmal einen anderen Geruch als den scharfen Robbendunst, an den sie sich so gewöhnt hatte.

Dr. Barlow ließ dem wachhabenden Weißen nicht den mindesten Zweifel über die Dringlichkeit ihrer Aufgabe. »Jede Minute ist kostbar,« rief er ihm zu, indem er mit der Faust auf den Tisch schlug. »Matthews stellt uns seine Flugzeuge zur Verfügung. Wir haben drei Tage vor uns, um zu ihrem Start zurechtzukommen. Nennen Sie Ihren Preis, und ich werde ihn bezahlen!«

Der Mann lächelte und entschuldigte sich. »Es tut mir leid. Es handelt sich nicht um das Geld; wir haben tatsächlich nicht ein Boot hier. Alle sind auf Fischfang. Wie ist es denn mit dem Eskimo, der Sie bis hierher gebracht hat?«

»Ich will's probieren.«

Aber weder Bitten noch Fluchen half. Der Eskimo blieb hartnäckig dabei, daß er von seinem Weib und seinen zwei Kindern erwartet würde. Wölfe könnten sie inzwischen überfallen. Außerdem, die Mauern wären gefährlich.

»Sie müssen wissen,« sagte der Weiße, »südlich von hier haben wir eine zwei Meilen lange Stromenge, die nur ein paar hundert Yards breit ist. Diese Schlucht heißen wir ›Die Mauern‹. Die Wände sind ganz senkrecht und einige hundert Fuß hoch. Die Schiffer fürchten sie.«

»Was ist mit Ihrem Dampfer?«

»Der ist erst in einer Woche fällig. Und dann braucht er noch eine Woche zum Ablasten.«

Der Doktor rang die Hände und stöhnte verzweifelt: »Rudd, diesmal scheint das Glück gegen uns zu sein.«

Rudds Gesicht zog sich in die Länge. Wenn der Doktor, der immer einen Ausweg gewußt hatte, den Mut sinken ließ, mußte es ziemlich hoffnungslos aussehen.

»Gibt's denn keine Möglichkeit?« rief er.

Der Weiße schüttelte den Kopf. »Keine, außer Sie fliegen.«

Ein tiefes, weites Summen klang vom Himmel herunter. Alle drei Männer fuhren herum, als wäre auf sie geschossen worden.

»Hexerei!« schrie der Weiße. »Ihr Flugzeug, oder der Teufel soll mich holen!«

Rudd starrte hinauf, den Mund weit offen, die Augen zusammengekniffen. Dann schrie er: »Ich kann ihn sehen!« und zeigte mit dem Finger gegen Süden auf den dunstüberzogenen Horizont über dem Wald.

Das Flugzeug, das mit Kähnen ausgerüstet war, landete auf dem Fluß vor der Ansiedlung und fuhr zum Ufer. Die ganze Bevölkerung lief hinunter, beim Heraufziehen zu helfen. Der Flieger arbeitete sich steif aus seinem Sitz und kam mit ausgestreckter Hand vor.

»Was ist los?« fragte der Weiße. »Dachte, Sie wollen nach Süden?«

»Wollte ich auch,« war die klare Antwort. »Aber der Zug ist bei End of Steel entgleist. Gibt keine Post diesmal.«

»Was ist mit der Hilfsmaschine.«

»Auch in den Sumpf gerutscht.«

Jetzt drängte Dr. Barlow sich vor und stellte seine Frage: »Können wir nicht mit Ihnen weiterkommen? Ich habe von Matthews die Erlaubnis für Sie, uns nach Fort McMurray mitzunehmen.«

»Freut mich,« sagte der Flieger. »Aber wozu? Die Strecke ist gesperrt, Sie können also von McMurray erst im Oktober weg, wenn das erste Boot hinuntergeht.«

»Aber warum können Sie nicht noch die hundert Meilen bis Edmonton fliegen?«

»Fliegen kann ich – aber ich – habe keinen Platz zum Landen. Ich bin ein Wasservogel. Mit meinen Kähnen kann ich auf fester Erde nichts anfangen.«

Der Doktor drehte sich zu Rudd um. Er war ganz verzweifelt und murmelte immer wieder: »Wir müssen hin! Wir müssen hin! Wir müssen –«

»Beruhigen Sie sich,« unterbrach der Weiße ihn jetzt freundlich. »Kommen Sie rein. Ich werde Ihnen eine Wildgans vorsetzen, wie Sie eine bessere noch nie gegessen haben!«

Aber Rudd blieb die Gans in der Kehle stecken. Wie der Doktor, hatte auch er nur einen Gedanken: »Wir müssen hin!«

Er sah sich den Flieger beim Essen an. Etwas an dem Mann faszinierte ihn. Er und sein Apparat versprachen Erfolg. Aber wie konnte man ihn ausnützen? Gab es nicht doch eine Möglichkeit?

Plötzlich legte Rudd Messer und Gabel aus der Hand und würgte den Bissen, den er im Mund hatte, schnell herunter: »Und wenn wir auf festem Boden landen?«

Die Plötzlichkeit dieser Frage ließ die anderen verstummen. Alle sahen auf den Flieger, der seine Gabel mit einer halben Kartoffel mitten auf halbem Wege zum Mund in der Luft hielt.

»Was dann geschehen würde? – Na, die Kähne würden zum Teufel gehen – die Tragflächen wahrscheinlich auch. Und beschwören kann ich nicht, daß wir selber nicht auch zum Teufel gehen.«

»Was ist denn mit dem Sumpf bei der Station?« fragte der Weiße.

»Der könnte uns den Kragen retten, aber den Apparat nicht. Und wir müßten ausgegraben werden, darauf könnt Ihr Euch verlassen.«

Aber je länger man über Rudds Frage diskutierte, desto möglicher erschien die ganze Sache. Dr. Barlow war bereit, eine Erklärung zu unterschreiben, daß er jeden Schaden, der sowohl den Apparat, wie den Führer träfe, ersetzen würde. »Ich muß den Zug erreichen, koste es was immer,« schloß er.

Endlich war der Flieger einverstanden. Er war zwar nichts weniger als begeistert, aber er wollte es unternehmen, und mehr brauchte man ja nicht.

Obgleich die Sonne schon im Nordwesten stand, entschloß man sich, die Strecke bis zu Fort Norman noch an diesem Nachmittag zu machen. Der Apparat stieg trotz der schweren Besatzung leicht, beschrieb einen Kreis, um in die Höhe zu kommen, und nahm dann Kurs nach Süden. Bald bekam Rudd einen Begriff von der trostlosen Wildnis, durch die ihr Weg führte. So weit das Auge reichte, dehnte sich endlos der Forst, hier und da unterbrochen von Heidekraut bewachsenen Lichtungen und glitzernden Seen.

Fort Norman war eine Art bewohnter Pfütze, die aus einem Magazin – dem Hudson Bay Store – und einer Reihe wackliger Indianerhütten bestand. Eine Ölquelle in der Nähe hatte etwas Leben in die Ansiedlung gebracht, ohne jedoch die Verhältnisse im geringsten zu bessern. Die ganze Nacht hindurch heulten und kämpften draußen Hunde. Und drinnen kämpfte Rudd unterdessen in seinen schlaflosen Stunden mit Moskitos, die »so groß wie Kolibris« waren – wenigstens schilderte er es Dr. Barlow am nächsten Morgen so.

Die folgenden Tage waren denen auf dem ›Polarstern‹ nicht sehr unähnlich. So kühn, daß Rudd oft und oft das Herz bis in den Hals hinaufklopfte, führte der Flieger seine Maschine durch Wind und Wolken. Stationen im Abstand von 300 Meilen versorgten sie mit Brennstoff. An diesen Stellen konnte man auch essen und etwas ruhen. Aber die beiden Passagiere waren viel zu erregt, als daß sie sich Zeit gelassen hätten, anständig zu essen und ruhig zu schlafen.

Bei dem letzten Aufenthalt vor Edmonton besah Dr. Barlow sich die Streben der Kähne. »Sie dürfen nicht zu stark sein,« sagte er, »Sie müssen die Wucht des Sturzes abschwächen, wenn wir herunterkommen.«

»Keine Sorge,« lachte der Flieger, »wir werden sowieso alles zerschmeißen, wenn's zum Krachen kommt.«

Am nächsten Tag kreiste das Flugzeug um vier Uhr nachmittags über der Stadt. Fünfhundert Fuß lag sie unter ihnen. Am Rande war das viereckige rote Dach der Bahnstation zu sehen, von der die Gleise glitzernd nach Süden liefen. Aus einer Lokomotive stieg Dampf auf. Dort, wo der große, schwarze Fleck war, standen die Leute, die den Passagieren noch Adieu sagen wollten.

Der Doktor zog seine Uhr heraus. Gesprochen konnte des Motorlärms wegen nicht werden. Mit dem Finger zeigte er, daß nur noch zehn Minuten bis zum Abgang des Zuges waren.

Zwei Schleifen machte der Pilot. Dann stellte er den Motor ab, und ging in einer langen, sanften Kurve hinunter. Die schwarze Erde schien heraufzukommen. Das schmutzige Feld, auf dem sie landen wollten, lag unten, hundert Fuß vor ihnen. Die Geschwindigkeit war Übelkeit erregend. Rudds Finger umklammerten nervös eine Spreize in der Nähe seiner Knie; seine Absätze drückten mit solcher Gewalt gegen den Rumpfboden, daß sie ihn fast durchbohrten.

Dann kam ein entsetzlicher Krach, Splittern von Holz folgte. Der Körper der Maschine machte einen wilden Sprung, und Rudd wirbelte durch die Luft. Er schoß einen regelrechten Purzelbaum und landete auf den Schultern in einer zehn Fuß tiefen Schlammpfütze. Vier Fuß weiter saß der Doktor in einer Lache von gleicher Größe und Schwierigkeit.

Ein Beifallsgebrüll stieg aus der Menge auf. Der Pilot krabbelte unter den Trümmern seiner Maschine hervor, schwenkte seine Haube und schrie: »All right! Niemand was abgekriegt.«

Der Doktor lachte, während er sich aus seinem Naturschlammbad herauszog und rief: »Natürlich sind wir all right!«

Und Rudd brüllte: »Aber was abkriegen wird jemand noch!« »Richtig!«

Ein langgezogener Ruf kam vom Bahnsteig: »Platz nehmen!«


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