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Erstes Buch.
Das unheimliche Gemach


Erstes Kapitel

Für einen Detektiv, dessen Verdienste von seinen Vorgesetzten bisher wenig anerkannt worden waren, besaß ich einen Ehrgeiz, der sich im Interesse meines Einvernehmens mit dem Leutnant des Bezirks glücklicherweise noch nicht in Worten Luft gemacht hatte. Obgleich ich wenig Veranlassung hatte, große Erwartungen von mir zu hegen, so nährte ich doch stets die Hoffnung, daß, wenn mir wirklich einmal ein bedeutender Fall in den Weg käme, ich imstande sein würde, etwas zu leisten, das heißt etwas mehr, als die Polizei von Columbia nach meinen Erfahrungen die ganze Zeit über, während derer ich zu ihr gehörte, geleistet hatte. Als ich mich daher fast gegen meinen Willen in die Affäre Jeffrey-Moore verwickelt sah, glaubte ich, die Gelegenheit, bei der ich mich auszeichnen könnte, sei gekommen.

Diese Affäre Jeffrey-Moore bot Schwierigkeiten, und zwar größere, als das Publikum je geahnt hat, so lebhaft auch das Interesse war, das sie in Washington und anderwärts erregte.

Dies ist der Grund, weshalb ich es unternehme, die Geschichte dieser furchtbaren Tragödie von meinem Standpunkt aus zu schreiben, selbst auf die Gefahr hin, in den Verdacht zu geraten, als wolle ich mich mit der Rolle brüsten, die ich darin gespielt habe. In dem Verlaufe der Sache erlebte ich ebensoviele Enttäuschungen wie Triumphe, und der schließliche Ausgang erfüllte mich sowohl mit Schmerz wie mit Stolz; denn ich bin ein Verehrer der Frauen, und –

Doch ich halte den Leser mit meinen Betrachtungen nur auf. Ich befand mich an dem Abend auf der Polizeiwache, als Onkel David erschien. Er wurde stets Onkel David genannt, selbst von den Straßenjungen, die ihm nachliefen, wo sie ihn nur erblickten, und so glaube ich keine Respektwidrigkeit zu begehen, wenn ich ihm, trotzdem er ein sehr angesehener Herr ist, einen Namen beilege, der für ihn zu jener Zeit ebenso bezeichnend war wie sein mürrisches Wesen, sein seltsamer Anzug und die Beharrlichkeit, mit der er sich stets von seiner großen Bulldogge Rudge begleiten ließ.

Ich hatte schon lange zuvor von dem alten Herrn als einem der größten Sonderlinge des Bezirks sprechen hören. Ich hatte ihn sogar mehr als einmal auf der Straße gesehen, war aber noch nicht persönlich mit ihm zusammengekommen und hatte demgemäß eine viel zu oberflächliche Kenntnis von seiner Persönlichkeit, um sofort entscheiden zu können, ob das unruhige Flackern seiner kleinen grauen Augen ihnen von Natur eigen oder nur die Folge einer augenblicklichen Erregung war. Als er aber zu sprechen begann, bemerkte ich ein unverkennbares Beben in seiner Stimme und schloß daraus, daß er sich gewaltsam bemühte, seine Aufregung zu unterdrücken, und doch hatte er nur die anscheinend ziemlich harmlose Tatsache zu melden, er habe in einem Hause, das man gewöhnlich für leerstehend hielt, ein Licht brennen sehen.

Es war mir dies alles so langweilig, daß ich ihm nur geringe Aufmerksamkeit schenkte, bis er einen Namen aussprach, der mich aufhorchen ließ. Das Moorehaus, hatte er gesagt.

Das Moorehaus, wiederholte ich erstaunt; sprechen Sie vom Hause der Familie Moore?

Tausende von Erinnerungen stürmten auf mich ein, als ich diesen Namen hörte.

Wovon sonst? knurrte er, indem er mir einen ebenso durchdringenden wie ungeduldigen Blick zuwarf. Glauben Sie, ich würde mich groß um ein Haus ereifern, an dem ich kein Interesse hätte, oder Rudge von seiner warmen Decke weglocken, nur um irgend einen undankbaren Nachbar vor einem Diebstahle zu bewahren? Nein, es ist mein Haus, in das sich irgend ein Schurke eingeschlichen hat. Das heißt, verbesserte er sich ruhigeren Tones, als er das Erstaunen bemerkte, das sich auf unser aller Zügen malte, das Haus, das ich rechtmäßigerweise besitzen werde, sobald diesem dummen Dinge von Mädchen, dem mein Bruder es hinterlassen hat, etwas zustößt.

Der alte Mann brummte dem Hunde, der entschieden Lust hatte, sich auf den Fußboden auszustrecken, ein paar Worte zu, öffnete die Tür und würde im nächsten Augenblick auf der Straße gewesen sein, wenn ich ihm nicht eiligst nachgelaufen wäre.

Sie gehören zur Familie Moore und wohnen in jenem alten Hause oder in der Nähe? fragte ich.

Das Erstaunen, mit dem er diese Frage aufnahm, ließ mich etwas stutzen.

Wie lange sind Sie in Washington? entgegnete er bissig.

O, etwa fünf Monate.

Seine gute Laune, oder was bei einem so jähzornigen alten Manne dafür gelten konnte, kehrte sofort zurück, und er bemerkte kurz, aber nicht unfreundlich:

Sie haben viel in dieser Zeit gelernt. Dann fügte er mit einem Nicken, das einen höflicheren Eindruck machte als mancher anderer Leute Verbeugung, und mit einem plötzlich angenommenen würdevollen Wesen hinzu: Ich gehöre dem älteren Zweige der Familie an und bewohne das kleine Gartenhaus vor dem alten Gebäude. Ich bin der einzige Bewohner des ganzen Komplexes. Wenn Sie länger hier bleiben, werden Sie es schon erfahren, warum gerade diese Gegend bei allen, die sich nicht der Verwandtschaft mit der Familie Moore rühmen können, so unbeliebt ist. Einstweilen wollen wir den schlechten Ruf des Stadtteils dem Umstande zuschreiben, daß – die Malaria hier herrscht. – Mit einem bezeichnenden Hochziehen seiner gekrümmten Schultern, das jede Falte seines altmodischen Mantels, den er trug, in wellenförmige Bewegung setzte, ging er zur Tür hinaus.

Meine Neugier hatte sich jedoch inzwischen zur Siedehitze gesteigert. Ich wußte mehr über das Haus, als ich mir den Anschein gegeben hatte. Jedermann, der die Zeitungen der letzten Tage gelesen hatte, und nun gar jemand, der in Verbindung mit der Polizei stand, mußte notwendig mit allen Einzelheiten seiner denkwürdigen Geschichte vertraut sein. Wovon ich noch nichts wußte, war die nahe Verwandtschaft des alten Mannes mit der Familie, deren Name während der letzten vierzehn Tage in jedermanns Munde gewesen war.

Warten Sie, bitte, noch einen Augenblick, rief ich. Sie sagen, daß Sie gegenüber dem Moorehause wohnen? Dann können Sie mir vielleicht sagen –

Mein Onkel David hatte keine Lust, stehen zu bleiben, um etwas zu plaudern.

Es hat alles in den Zeitungen gestanden, rief er zurück. Lesen Sie sie nur. Aber zuerst suchen Sie herauszubekommen, wer ein Licht in dem Hause angezündet hat, in dem, wie wir alle wissen, nicht einmal ein Portier wohnt.

Dies war ein guter Rat. Sowohl mein Pflichtbewußtsein wie meine Neugierde trieben mich an, ihn zu befolgen.

Vielleicht hat der geneigte Leser von den seltsamen Gerüchten gehört, die über dieses Haus im Umlauf waren; ist dies der Fall, so braucht er meine Erläuterungen nicht. Sind ihm aber aus irgend einem Grunde die Ereignisse unbekannt geblieben, die innerhalb ganz kurzer Zeit diesem alten historischen Gebäude endgültig das Siegel des Grauens aufdrückten, dann wird er froh sein, zu erfahren, was das Moorehaus in Washington zu einem Gebäude gemacht hat, auf das man jetzt und in aller Zukunft am hellen Tage mit Fingern weist, das aber nach Einbruch der Dämmerung scheu gemieden wird, und zwar nicht nur von unwissenden, abergläubischen Farbigen, sondern überhaupt von allen, die den ganz alltäglichen Empfindungen des Schreckens und Entsetzens zugänglich sind.

Es stand bereits, als Washington noch ein Dorf war. Es ist älter als das Kapitol und das Weiße Haus. Von einem reichen Manne erbaut, bewahrt es bis zum heutigen Tage die Erinnerung an die großen Gedanken und die ruhige Eleganz der Kolonialzeiten; aber der Schatten, der schon früh darauf fiel, machte es schon in jenen alten Tagen zu einem unheimlichen Aufenthaltsorte. Man behauptete zwar nicht geradezu, es spuke darin, aber die Familien, die hineinzogen, zogen sobald wie möglich wieder aus und gaben als Erklärung dafür an, sie fühlten sich in dem Hause nicht wohl und könnten unter seinem Dache keinen Schlaf finden. Daß ein Grund für diesen Mangel an Ruhe in diesen Räumen vorlag, die nicht ihrer tragischen Erinnerungen entbehrten, mußte jedermann anerkennen. Der Tod war oft hier eingekehrt, und während sich dies von den meisten alten Häusern behaupten läßt, so geschieht es doch nicht häufig, daß man wie in diesem Falle sagen kann, die Todesfälle seien stets ganz plötzlich eingetreten und hätten alle einen und denselben Charakter getragen. In allen Häusern kann es einmal vorkommen, daß jemand tot in einem großen Lehnstuhle in der Nähe des Kamins aufgefunden wird; wiederholt sich aber diese selbe Entdeckung zwei-, wenn nicht gar dreimal in der Geschichte eines einzigen Hauses, so kann man es gewiß niemand übelnehmen, wenn er Mißtrauen gegen die Wohnlichkeit dieser Räume hegt und beim Einbruch der Dämmerung in den düsteren Zimmern das Walten eines Unheils ahnt, das, wenn es sich selbst überlassen bliebe, mit dem natürlichen Verfall des Gebäudes verschwinden würde, das aber, sowie man ihm entgegentritt und es herausfordert, von neuem zum Schlage ausholen und den Sessel, der schon dreimal Zeuge des Todes gewesen war, ein neues Opfer heischen lassen könnte.

Allein dies sind alte Märchen, die ich kaum der Erwähnung wert halten würde, wenn sich nicht ganz vor kurzem ein Ereignis zugetragen hätte, das diesen Gerüchten neue Nahrung zuführte und dem seit langer Zeit leerstehenden und langsam verfallenden Gebäude eine Bedeutung verlieh, die seinen Ruf von einem Ende des Landes bis zum anderen trug. Ich meine die Tragödie, die sich bei der vor kurzem hier gefeierten Hochzeit abspielte.

Die reiche, hübsche und übermütige Veronika Moore hatte schon lange eine seltsame Vorliebe für dieses düstere alte Heim ihrer Vorväter gehegt und faßte in dem entscheidendsten Zeitpunkt ihres Lebens den Entschluß, sich selbst und die große Gesellschaft davon zu überzeugen, daß der Bann, der auf dem Hause ruhte, nur in der Einbildung abergläubischer Leute bestehe. So ließ sie denn, als sie im Begriff stand, den Erwählten ihres jungen Herzens zu heiraten, das alte Haus für die Hochzeitsfeier öffnen; was sich dabei ereignete, weiß der Leser. Obgleich die Veranlassung eine fröhliche war und man alle Vorbereitungen getroffen hatte, um das Fest so heiter wie möglich zu begehen, nahm der alte böse Geist aus vergangener Zeit doch die Gelegenheit wahr. Einen von den Gästen, der sich in das Zimmer unseligen Andenkens verirrt hatte, das einzige Zimmer, das der Hochzeitsgesellschaft nicht geöffnet worden war, hatte man fünf Minuten vor der Trauung tot auf dem unheimlichen Sessel gefunden, und obgleich man der Braut das furchtbare Ereignis verheimlicht hatte, bis die feierliche Handlung vorüber war, so hatte doch eine förmliche Panik die Gäste ergriffen und das Haus so plötzlich und vollständig geleert, als wenn der Ausbruch der Pest darin entdeckt worden wäre.

Dies war der Grund, weshalb ich mich beeilte, Onkel David zu folgen, als er mir mitteilte, es sei in diesem Hause voller tragischer Erinnerungen nicht alles richtig.


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