Paul Grabein
Im Wechsel der Zeit
Paul Grabein

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XXIII.

In einer abseits gelegenen Nische des Speisesaals des eleganten Hotels hatten die Freunde ihr Abendessen eingenommen. Nun sassen sie bei einer Flasche alten Rheinweins und ihrer Zigarre, und Rittner erzählte seine Lebensschicksale.

Als Rittner sich damals von Hellmrich in Berlin getrennt hatte, war er in der Tat, wie geplant, als Schiffsarzt nach Südamerika gefahren, aber es war dort seines Bleibens nicht gewesen. Vielmehr zwangen ihn die Verhältnisse, in gleicher Eigenschaft wieder zur See zu gehen, und zwar mit einem anderen Schiff, das an die afrikanische Küste ging. So war Rittner nach Südwestafrika gekommen und hatte hier zunächst mehrere Jahre hindurch auf einer sehr ausgedehnten Plantage als Aufseher gearbeitet – eine harte, schwere Zeit! Vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht im Sattel, brennende Sonnenglut des Tages und Nachts oft eine Kälte, die selbst dicht am Lagerfeuer noch den Körper schüttelte, und dazu in einer Gegend, die wegen ihrer Fieberkrankheiten weithin berüchtigt war. Oft genug hatte denn auch die Malaria Rittner gepackt, mitunter in so schweren Anfällen, dass er zusammengebrochen tagelang dalag, verlassen in der weltentlegenen Einsamkeit, nur auf die kümmerliche Hilfe eines schwarzen Burschen angewiesen, der dem vom Fieberfrost Geschüttelten, in völliger Apathie Daliegenden ab und zu einige Bissen darreichte.

Aber die zähe Natur Rittners hatte alle solche Attacken schliesslich doch wieder überwunden. Dann waren neue schwere Zeiten gekommen, ein benachbarter kriegerischer Stamm von Eingeborenen hatte sich in hellem Aufruhr erhoben und alle die Kulturen zerstört, die Rittners Aufsicht unterstellt waren. Ja, schliesslich war sogar sein und aller Angestellten Leben auf der Plantage aufs äusserste bedroht gewesen, so dass die Hilfe der Schutztruppe schleunigst erbeten werden musste. Da es auch noch in anderen Stämmen im Hinterlande zu gären begann, so hatte man eine grössere Expedition ausgerüstet, an deren Spitze sich der Kommandeur der Schutztruppe selbst gestellt hatte. Rittner hatte ihm nun wertvolle Dienste leisten können durch seine Ortskenntnis und ihn bis in die entlegensten Schlupfwinkel der Aufsässigen in Wald und Bergen geführt. Bei dem Sturm auf ein befestigtes Dorf, dem Rittner als Mitkämpfer sich angeschlossen hatte, hatte ihn ein Schuss schwer verwundet, und er musste zur sachgemässen Behandlung seiner Wunde schliesslich in das Lazarett an der Küste transportiert werden.

Der Kommandeur der Schutztruppe, der ihn in jenen ernsten Zeiten wegen seiner Unerschrockenheit und Zuverlässigkeit hochschätzen gelernt hatte, nahm sich des Verwundeten hier sehr warm an, und seiner Verwendung war es zu danken, dass Rittner, der noch längere Zeit hindurch stark Rekonvaleszent blieb, auf die hoch in den Bergen, sehr gesund gelegene Farm eines reichen Plantagenbesitzers kam, der Rittner dort in gastfreundlicher Weise Gelegenheit zur völligen Erholung bot. Während ihres längeren Zusammenlebens in der Einsamkeit hatte dieser Rittner schliesslich als einen brauchbaren Menschen erkannt und ihm nach seiner gänzlichen Wiederherstellung einen Posten als Inspektor auf seinen Besitzungen gegeben. In dieser Stellung nun hatte sich Rittner allmählich vollkommen in die dortigen Verhältnisse eingearbeitet, neben völliger Vertrautheit mit den örtlichen, kulturellen Verhältnissen und den Gewohnheiten der Eingeborenen hatte er sich auch eine gute Kenntnis der afrikanischen Verkehrssprache angeeignet, und so war es denn schliesslich gekommen, dass er bei Gründung der Plantagen-Gesellschaft, an der sein Beschützer selber hervorragend beteiligt war, zunächst die Position eines Geschäftsführers und später eines Direktors erhielt.

So schloss Rittner. »Nun aber erzähle mal von deinen Schicksalen!«

»Da ist nicht viel zu erzählen. Mein Leben hat sich ziemlich nüchtern abgespielt,« erwiderte Hellmrich. Doch begann er nun auch zu berichten, wie es ihm in seiner Berufslaufbahn gegangen war, wie er seine Frau gefunden und sein Haus gegründet hatte. Als er aber in die jüngste Vergangenheit kam, wo jene Trübungen seines häuslichen Glücks begannen, da stockte seine Erzählung – Rittners still auf ihm ruhender Blick verwirrte ihn. Er befand sich dem Freund gegenüber in einer sehr peinlichen Lage. Er wollte ihn nicht belügen, und doch konnte er auch wieder nicht seine Frau blossstellen, indem er berichtete, was in Wahrheit sich in seinem Hause zugetragen hatte. So sagte er denn schliesslich:

»Lieber Heinz, ich will ganz offen sein: Du wirst ja schon gemerkt haben, dass in meinem Haus nicht alles so ist, wie es sein sollte. Meine Frau ist durch häusliche Sorgen im Laufe der Jahre stark nervös geworden und den Anforderungen des Hauses nicht mehr gewachsen, so dass es nötig war, dass sie sich auf längere Zeit einmal ausserhalb erholte.«

Rittner hörte dem Freund schweigend zu, ohne ihn anzusehen; er wollte ihm nicht durch seinen Blick verraten, dass er, der Menschenkundige, längst herausgefühlt hatte, was Hellmrich zartfühlend zu verheimlichen bemüht war, dass da zwischen dem Freund und seiner Frau eine ernste Trübung ihrer Beziehungen obwaltete. Nun aber sagte er, indem er die Asche der Zigarre abstrich:

»Weisst du was, mein alter, guter Kerl, ich finde, dass du selber eine Ausspannung recht nötig hast. Du bist reichlich tief in den Alltagsstaub hineingewatet, und es tut dir eine tüchtige Auffrischung von Herzen not.«

Hellmrich seufzte. »Hast schon recht, ich komme mir mitunter selbst verzweifelt stumpfsinnig und grämlich vor.«

»Na, Gott sei Dank,« scherzte Rittner, »wenn du selber es noch empfindest, wird der Fall ja nicht ganz aussichtslos sein. Also, mein Junge, wirf mal deinen ganzen Arbeitskrempel an die Wand, schnür' dein Ränzel und dann mal auf ein paar Wochen hinaus in die freie, schöne Gotteswelt, dass dir Augen und Herz wieder frisch und klar werden! Na, was meinst du dazu?«

»Ich hätt' schon Lust.« Nachdenklich erwiderte es Hellmrich. »Ich habe manchmal schon selbst daran gedacht. Nur die Berufsarbeit! – Ich muss gleich nach den Osterferien meine Vorlesungen als Dozent beginnen –«

»I was! Mach' deine Bude nur ruhig mal ein paar Tage zu! Kannst mir's glauben, das macht dir den Kopf klarer, als wenn du noch länger in den Büchern schmökerst. Und dann auf, über die Alpen – hinein in das Land der Sonne, in den lachenden Frühling!«

Hellmrichs Brust schwellte ein Seufzer der Sehnsucht. »Italien – ja das hab' ich mir schon immer mal gewünscht – freilich zusammen mit meiner Frau!« fügte er leise hinzu, während ein trüber Schatten gleich wieder über sein eben noch aufleuchtendes Gesicht zog.

Rittner sah es und legte dem Freund die Hand auf die Schulter. »Mein lieber, alter Verstand! Dein Herz in Ehren – aber du musst doch einmal an dich selber denken, und du hast es jetzt wirklich verdammt nötig – in deinem, wie gerade im Interesse deiner Familie! Damit du aber nicht so allein da unten herumzubummeln brauchst und bloss Grillen fängst, du alter Melancholikus – wie wär's, wenn ich, anstelle deiner Frau, als Reisegefährte mitkäme?«

»Wahrhaftig! Ist das dein Ernst?« Freudig erregt sah Hellmrich den Freund an.

Rittner nickte. »Aber sicher! Ich merke, ich muss mich doch hier wieder ein bisschen akklimatisieren – wenn man so lange in der Tropensonne geschmort hat! Und gerade jetzt, wo der April vor der Tür steht mit seinen ewigen Witterungsumschlägen! Ich möchte mich deshalb gern erst mal ein paar Wochen an den oberitalienischen Seen oder irgend sonst wo da herumtreiben. Also – wollen wir uns zusammentun, mein Alter?«

Er hielt Hellmrich die Hand über den Tisch hin. Ein letztes Überlegen noch – Hellmrich musste ja auch an die Kosten einer solchen Reise denken. Aber da ihm heute doch die, seinerzeit Rittner geliehenen paar hundert Mark unerwartet wieder zugefallen waren, so konnte er sich wohl solche Extravaganz einmal erlauben. Kräftig schlug er also plötzlich ein. »In Gottes Namen, ich gehe mit!«

»Famos, so ist's recht.« Aus Rittners dunklem Auge leuchtete Hellmrich aufrichtige Herzensfreude entgegen. »Und nun wollen wir mal wieder denken, wir wären ein Dutzend Jahre jünger, wir sässen noch einmal als lockere Zeisige im lieben Nest Jena und wollten nun mal zu einem fröhlichen Wanderflug hinausschwirren ins Weite. Leichtes Gepäck, leichter Sinn! Und froh wollen wir sein, das Lachen sollst du mir wieder lernen da unten, mein alter Junge! Oder der Teufel soll dich holen! Verstanden? So, und darauf hin wollen wir jetzt einmal anstossen, aber in einem edleren Nass. – He, Kellner,« er winkte den Befrackten herzu, »eine Flasche Moert & Chandon, aber tüchtig frappieren! – So, und nun: Weg mit den Grillen und Sorgen! Wie wir es als Studenten so oft sangen – das sei mal heute unsere Losung! – Na, nun lächelst du doch schon wenigstens einmal wieder! Siehst du, es wird schon noch werden, mein alter Verstand!«

 


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