Paul Grabein
Im Wechsel der Zeit
Paul Grabein

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XVI.

Eine Reihe von Wochen war schon über dieses letzte Ereignis hingegangen, aber noch waren seine Wirkungen nicht überwunden. Das Verhältnis zwischen den Gatten war seitdem ein äusserst trübes geworden. Wohl hatte Hellmrich schon bald darauf, als seine ruhige Überlegung wieder bei ihm Platz gegriffen hatte, sich gesagt, dass Lotte von ihrem Standpunkt aus ja freilich nur sein Bestes gewollt hatte, und nachdem er dies eingesehen, trieb ihn seine ehrliche Natur dazu, das Lotte offen zuzugestehen, und ihr dabei zu sagen, dass seine Heftigkeit ihm leid tue. Aber er hielt doch zugleich an seinem prinzipiellen Standpunkt fest, wonach Lottes Vorgehen, wie gut auch ihre Absicht gewesen sein mochte, doch gegen die Gebote der Selbstachtung verstossen hatte und daher von ihm nach wie vor aufs schärfste gemissbilligt werden musste.

Da so Hellmrich unerschütterlich nach wie vor an seiner grundsätzlichen Meinung festhielt, hatte natürlich sein Beschwichtigungsversuch bei Lotte gar keinen Erfolg gehabt, ja er hatte sie viel eher noch mehr verwundet, als beruhigt. Ja, wenn er gekommen wäre und sie in aufrichtiger Reue um Verzeihung gebeten hätte, so hätte sie wohl noch einmal sich überwinden können und es jedenfalls mit aller Kraft versucht, allmählich die Eindrücke jener furchtbaren Szene zu vergessen. So aber riss er ihr nur von neuem die brennende Wunde wieder auf. Er hielt ja fest an allem, was er ihr neulich gesagt hatte – er verurteilte ihr Tun ja nach wie vor aufs schärfste. Und so weich und nachgiebig sie im Grund bisher immer noch gewesen war, wenn er zu ihr gekommen war mit versöhnlicher Absicht, jetzt war ihre Beugsamkeit erschöpft. Ihre Selbstachtung erforderte es, dass sie das, was er ihr angetan, nicht einfach vergass und verzieh, wie so vieles andere schon.

Frau Lotte hatte das auch ihrem Mann offen gesagt, ohne Leidenschaftlichkeit und Aufregung; aber um so überzeugter und nachhaltiger wirkte dieser kalte, ruhige Ton, in dem sie zu ihm gesprochen hatte. Noch nie bisher hatte er sie so kennen gelernt. Er empfand ganz deutlich, dass seit jener Stunde etwas Besonderes mit seiner Frau vor sich gegangen war, dass etwas in ihr gesprungen sei. Und er hatte im Moment selbst das vorwurfsvolle Gefühl, dass er doch wohl den Bogen zu straff gespannt habe, dass es klüger sei, es nicht länger so zu treiben, sondern noch rasch, so lange es Zeit war, durch Weichheit und Güte das wieder gut zu machen. Aber im selben Augenblick erhob sich auch schon eine andere Stimme in ihm, die scharf und laut dem widersprach: Er solle nicht immer der Gutmütige und Nachgiebige sein. Schliesslich sei er doch mit seiner Auffassung im Recht, und seine Frau müsse lernen – noch sei es ja Zeit dazu! – seinen Willen zu achten, sich darein zu schicken und auch scharfen Tadel zu ertragen, wenn sie ihn verdient hatte. Es sei nicht gut, auch für sie selbst nicht, ihre Überempfindlichkeit immer und immer wieder zu schonen. Wozu sollte das schliesslich bei ihrer stets zunehmenden Reizbarkeit denn noch führen!

Also bezwang sich Hellmrich. Er zeigte sich gleichmässig ruhig und freundlich ihr gegenüber, aber er liess es doch herausfühlen, dass er nicht mit ihr zufrieden war und erwartete, dass sie das Signal zum Wiedereinlenken geben sollte. Er war fest entschlossen, es diesmal darauf ankommen zu lassen, und sollte es noch so lange dauern. Das aber verhärtete Lotte innerlich nur noch mehr. Nach alledem, was er ihr angetan, behandelte er sie jetzt noch wie ein strafender Schulmeister – o, das war zu viel! Nun erstickte er den letzten Rest von Weichheit und Nachgiebigkeit, der noch in ihr geschlummert hatte. Mitunter kam er ihr jetzt geradezu widerwärtig vor, mit seiner brutalen Mannesüberlegenheit und Gefühlskälte. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass er so ungerecht sein könnte – und das gegen sie, die er doch immer hatte auf Händen tragen wollen. O mein Gott, welch furchtbarer Kontrast gegen den Anfang ihrer Ehe! –

So schlichen denn die Tage öde und grau dahin. Zumeist gingen die Gatten stumm nebeneinander her; sie vermieden daher schliesslich nach Möglichkeit ein Beieinandersein. Nichts Besonderes geschah in dieser Zeit. Von Simmert hatte Frau Lotte nichts mehr gehört. Sie hatte noch am selben Tage, wo die Katastrophe eingetreten war, einen Brief von ihm erhalten, worin er ihr mitteilte, dass es seinen Bemühungen gelungen sei, den Minister so weit für die Sache zu interessieren, dass er sich Hellmrich kommen lassen wolle. Wenn dieser nur ein beredter Anwalt seiner eigenen Sache sein würde, so zweifle er nicht, dass Hellmrichs Wunsch erfüllt werden würde. Mit bitterem Herzen hatte Lotte diesen Brief gelesen und ihn dann stillschweigend vernichtet. Sie hatte nicht darauf erwidert, eingedenk des scharfen Verbotes ihres Mannes, aber es kränkte sie insgeheim unaufhörlich, dass sie Simmert nicht einmal ein Wort des Dankes für seine Bemühungen sagen sollte. Wie furchtbar peinlich musste es überhaupt für ihn sein, dass Hellmrich ihn nunmehr beim Minister im Stich liess, und sie konnte ihm das alles nicht einmal aufklären. Was sollte er nur nach allem von ihr denken! Der Gedanke peinigte sie unausgesetzt.

Da plötzlich wurde das traurige Gleichmass ihrer Tage jäh unterbrochen – durch eine Botschaft aus dem Berndtschen Hause. Die Jungfer der Frau Geheimrat Berndt erschien und wollte eine dringende Bestellung an Herrn Dr. Hellmrich ausrichten. Da ihr Mann nicht daheim war, nahm Lotte ihr das für ihn bestimmte Billet ab. Eine verzehrende Unruhe, eine flackernde Aufregung bemächtigte sich mit derselben Minute ihrer. Schon wieder diese Frau! Was wollte sie, die Aufdringliche, nur von ihm – dem Mann, der ihr gehörte? Unerhört war es überhaupt: Ihr wurde jede Begegnung, jedes Wort mit Simmert diktatorisch verboten, aber er nahm sich die Freiheit, ungehindert mit dieser Frau zu verkehren, trotzdem sie ihn so oft beschworen hatte, ihr das nicht anzutun! Ach, sie war ja eine Närrin gewesen mit ihrer albernen Gutmütigkeit, ihrem ewigen, stillen Sichfügen! Aber das sollte nun ein Ende haben, er wollte es ja nicht anders, er hatte diesen Ton zwischen ihnen eingeführt. Nun wollte sie ihm rückhaltlos sagen, was sie dachte, und unerbittlich fest fordern, was ihr gutes Frauenrecht war. Sie wollte nicht länger die gehorsame Sklavin des Mannes spielen!

Hellmrich kam nach Haus, müde und abgespannt, denn er hatte heute einen besonders anstrengenden Arbeitstag hinter sich. So setzte er sich denn mit einem grossen Bedürfnis nach Ruhe an den Mittagstisch. Frau Lotte pflegte, da sie mit den Kindern schon eher ass, früher immer bei einer Tasse Kaffee ihm dabei Gesellschaft zu leisten. In letzter Zeit aber, wo ihr Beisammensein doch stets so unerquicklich war, hatte das aufgehört, und er pflegte allein zu essen. Hellmrich war daher ziemlich überrascht, als Lotte heute bei ihm eintrat, und er sah sie fragend mit einem ernsten Blick an: Ob sie vielleicht endlich einlenken wollte? Aber sie trat mit kalter Miene heran, bot ihm nur flüchtig guten Tag und legte ein Billet vor ihn hin: »Das ist heute für dich angekommen.«

Aus dem Ton ihrer Stimme klang etwas Feindseliges, eine mühsam verhaltene Aufregung, die bereit war, alsbald loszubrechen. Hellmrichs Stirne furchte sich daher: Aha, da lag offenbar wieder einmal etwas in der Luft! Er griff nach dem Couvert, aber plötzlich erkannte er die Handschrift von Frau Geheimrat Berndt! – Daher also die Erbitterung! Hellmrich merkte, wie Lotte über seine Schulter hinweg in gespannter Erwartung ihm auf die Finger sah, was wohl der Brief enthalten möge, um dann loszuprasseln mit ihrer Empörung – stehe auch darin, was wolle. Langsam öffnete er, auch in ihm stieg im Vorahnen des Kommenden eine starke Reizbarkeit auf: Natürlich, gerade heute, wo er so ruhebedürftig war, erwartete ihn daheim, statt des häuslichen Friedens nur neue Aufregung, die noch lange in ihm nachzittern würde.

Nun las er die Zuschrift, die nur kurz war:

»Mein lieber, einziger Freund!

Ich bitte Sie innig: Kommen Sie sofort zu mir! Ich brauche in dieser Stunde Ihre Freundschaft. Das längst erwartete schwere Unglück bricht herein, der Skandal zieht sich über unserm Haupt zusammen.

Ihre

unglückliche Dorothea Berndt.«

Hellmrich überflog diese Worte. Sie konnten nur einen Sinn haben, dass die ersten von ihm befürchteten Misserfolge mit der Berndtschen Heilmethode eingetreten waren und in der Öffentlichkeit bekannt zu werden drohten. Also sollte ihr diese Demütigung denn wirklich nicht erspart bleiben. Arme, arme Frau! Mit innigem Bedauern faltete Hellmrich den Brief wieder zusammen. Er würde ja zwar nicht helfen können, aber gleichviel – er wollte sie nicht vergeblich nach ihm rufen lassen, sein Mitgefühl sollte sie wenigstens haben. Wie sehr es ihm auch im Grunde zuwider war, das Berndtsche Haus zu betreten, das er seit jenem Feste gemieden hatte, er wollte der Freundschaft zu der verehrten Frau dieses Opfer bringen.

»Nun, und du wirst natürlich hingehen – sofort! Nicht wahr??«

Scharf, fast höhnisch klang es hinter ihm. Er hatte im Augenblick ganz die Anwesenheit seiner Frau vergessen; nun drehte er sich nach ihr um, und sah sie mit höchster Missbilligung an. Dieser Ton – so hatte er sie ja noch nie gehört! So unweiblich, so gehässig! Und nun sah er in ihr zuckendes bleiches Gesicht, das etwas ihm ganz Fremdes, Scharfes bekommen hatte; fast stechend blickten ihn ihre Augen an. Ihr Anblick stiess ihn in diesem Moment heftig ab, es war ihm gar nicht, als ob er seine Frau vor sich hätte, und, heftig von ihrem ganzen Wesen gereizt, antwortete er kalt und scharf:

»Aber selbstverständlich! Wer auf meine Freundschaft baut, der soll nicht vergeblich harren.«

»So?« Eine fliegende Röte stieg in Lottes Wangen, und ihre Brust atmete heftig. »Nun, ich sage dir aber: Du wirst nicht gehen – wenn dir wenigstens deine Frau und dein Haus noch einen Funken wert sind.«

»Was soll das heissen?« Jäh wallte der unsanft geweckte Manneszorn in ihm auf. Wie? Seine Frau wagte es, ihm zu befehlen? Das war ja das Neueste!

»Bitte, erkläre dich!«

»Sehr einfach! Dir hat es nicht gepasst, dass ich mit Simmert verkehre, und mir passt es nicht, dass du noch länger mit dieser Frau Berndt verkehrst. Was dem einen recht ist, ist dem andern billig, denke ich, und ich bin nicht deine Magd! Ich beanspruche fortab als Gattin das gleiche Recht, das du dir anmassest.«

In schmetternder Herausforderung schleuderte sie ihm die bösen Worte entgegen.

Hellmrich warf klirrend Messer und Gabel vor sich auf den Tisch und sprang vom Stuhle auf. Es kochte in ihm. Mit glühenden Blicken durchbohrte er seine Frau. Also offener Widerstand? Sie wollte eine Kraftprobe? Ah, nur zu! Er wollte ihr zeigen, wer der Stärkere war! Kam sie so, so sollte sie ihren Herrn und Meister kennen lernen. Im ersten Moment drängte es ihn loszubrechen mit einem tosenden Ausbruch seines leidenschaftlich flammenden Zorns. Aber im nächsten Augenblick besann sich eines Besseren: Nein, recht ruhig geblieben – gerade, weil er sie so masslos erregt sah. Eisig ruhig, aber fest – das würde viel wirksamer sein. Und so erwiderte er denn mit schneidender Kälte:

»Es ist unter meiner Würde, dir überhaupt auf solche Tollheiten etwas zu erwidern. Ich will zu deinem eigenen Besten annehmen, dass du bald wieder zur Besinnung kommst und dich dann selber vor dir schämst. Und nun adieu! Ich werde sofort zu Frau Berndt gehen,« und ohne weiteres wandte er sich zur Tür.

Das aber war zu viel für die in jeder Fiber vor Aufregung zuckende Frau. Ihrer Sinne nicht mehr mächtig, stürzte sie ihm in den Weg.

»Du wirst nicht gehen! Oder du siehst mich nicht wieder in deinem Hause!« gellte es ihm entgegen.

Hellmrich war nichts mehr in der Seele zuwider, als Exaltiertheit. Er konnte seine Frau in dieser Minute einfach nicht mehr ernst nehmen.

»Bitte, verschone mich mit solcher Unvernunft, und komme endlich wieder zu dir! Was soll denn das Mädchen draussen denken?« Ruhig schob er sie trotz ihres heftigen Widerstandes beiseite und ging zur Tür hinaus.

Er hörte zwar noch einen, nur halb unterdrückten Aufschrei von drinnen, aber er achtete mit voller Absicht nicht mehr auf das, was mit ihr vor sich ging. Er musste jetzt, wo die Kraftprobe einmal gemacht wurde, hart und unerbittlich bleiben. Offenbar stand sie jetzt in der Krisis. Aber er zweifelte nicht, Lottes so oft bewährte bessere Einsicht würde schliesslich auch diesmal wieder die Oberhand über ihren Trotz gewinnen, und dann würde sie hoffentlich für immer bezwungen sein. Dann würden endlich wieder Ruhe und Friede bei ihm einziehen. Und so ging Hellmrich denn im vollen Bewusstsein, nur das Notwendige und Rechte zu tun, aus seinem Hause.

 


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