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37. Kapitel.
Die Flüchtlinge

Mehr als zwei Stunden waren vergangen, als McBrayne sich aufrichtete, die Glieder streckte und einen Blick aus die Sonne warf. Dann erhob er sich vollends, schritt zu Anthony hinüber und schüttelte ihn bei den Schultern.

»Meinen Se, dat Se marschier'n können«, fragte er den Seemann, der sich verschlafen die Augen rieb.

»Natürlich kann ich's«, versicherte Kirkpatrick, stand langsam auf und machte ein paar unsichere Schritte.

»Wenn mir wat von Grund auf zuwider is, denn is et de Fußlauferei. Aber hier wollen wir uns man lieber verkrümeln. Man kann schließlich nie wissen –. Wenn wir de Dame uff den Esel setzen, dann schaffen wir dat Ende bis zum Boot, mein' ich.«

»Was für ein Boot meinen Sie?«

»Wat'n sonst als et Dingi? Dat Bootchen liegt da, wo Se an Land gegangen sin. – Wie weit schätzen Se dat Stück Weg?«

»Sehr weit kann es unmöglich gewesen sein, wenn es mir auch endlos vorkam. In wenigen Stunden müßte man es machen können.«

»Glaub' ich ooch«, bestätigte Mac. »Fünf bis sechs Stunden lang scheint noch de Sonne. – Also los!«

Bald darauf befand sich die kleine Gesellschaft auf dem Marsche. Felicia thronte auf dem Esel. Anthony schritt ihr zur Seite, und der Maschinist bildete die Vorhut. Der gut ausgetretene Pfad ließ sich leicht finden. Das Waldgelände blieb zurück und lag wieder wie eine Insel über der heißen, zitternden Luftschicht der Lagunen. Wie kurz ihnen diesmal die Strecke vorkam! Schon nach einer guten Stunde erreichte man den Landeplatz. Gesprochen wurde unterwegs wenig, denn das arme Mädel hing in halbwachem Zustand auf dem Reittier, und auch die Männer taumelten mitunter vor Müdigkeit. Als man das Ende des Weges erreicht hatte, glitt Felicia zur Erde und schlief augenblicks wieder ein.

Ihre Gefährten trugen Grasbüschel und Schilf zusammen, bereiteten davon auf dem Boden des Fahrzeugs ein Lager und hoben die gänzlich Erschöpfte vorsichtig an Bord. Mit feuchten Augen blickte Anthony auf sie herab.

»Mac«, sagte er weich, »Ihnen verdanke ich das Leben meiner Braut. Dennoch mache ich mir Sorgen. Was sie durchgemacht hat, genügt, um eine Frau körperlich und geistig zugrunde zu richten und ihr Haar zu bleichen. Ich –«

»Fangen Se keine Grillen, Schipper. Möglich, dat so wat bei 'ner andern könnte passieren. Aber die Miß Drew hat 'ne gute Gesundheit, sag ich Ihnen. Die braucht nich lang, um drüberweg zu kommen. Und reden Se bloß keine Geschichten von wegen gebleichtes Haar. Meine Mutter hatte 'n ganz ähnliches un die war Ihnen doch noch mit achtzig rot, un Vater hatte bis an ihr seliges Ende 'n Höllenrespekt vor ihr.«

McBrayne gab dem abgesattelten Esel einen kräftigen Klaps, worauf dieser prompt auskeilte und davontrottete. Dann aber blieb das Grautier stehen, streckte den Kopf vor und sandte dem um eine Flußbiegung entschwindenden Dingi mit angelegten Ohren ein schallendes »Iiii–aaa!« nach.

*

Als das Boot in den Hauptarm des Flusses glitt, war McBrayne gerade mit seinem Bericht fertig. Ausführlich schilderte er den Zweikampf, den er unlängst hier am Ufer ausgesuchten hatte.

»Es war also Ihrer Meinung nach tatsächlich Ricardo?« fragte Anthony.

Statt jeder Antwort steuerte der Maschinist plötzlich entschlossen an Land, wo er das Dingi sanft aus den halbtrockenen Schlamm laufen ließ. »Denke, wir lassen uns so viel Zeit, bat Se selbst können nachsehen«, knurrte er.

Die Männer stiegen aus und betraten den Graben. Plötzlich erhoben sich aus dem Schilf schwerfälligen Flügelschlages vier Aasgeier. Anthony beugte sich vor und blickte in die von seinem Führer angedeutete Richtung.

»Ja«, sagte er nach einer Weile erschüttert, »das war Dan Ricardo.«

*

Drei Stunden später – als es begann, dunkel zu werden – glitt das Dingi unter der bekannten Eisenbahnbrücke hindurch, und hart voraus kam die Barre in Sicht. Frisch blies der Seewind von Osten und das Sumpfgelände mit all seiner Qual und seinen nervenzerrüttenden Erlebnissen lag wie ein wüster Traum hinter den drei Menschen.


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