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20. Kapitel..
Die Morse-Zeichen.

Nachlässig hingestreckt lag Felicia in einem bequemen Deckstuhl und ließ den unvergleichlichen Zauber der Tropennacht auf sich wirken.

Unter einem sternenbesäten Himmel, dessen Farbe sich am besten mit weichem, tiefblauem Samt vergleichen ließ, erstreckte sich nach allen Seiten das unendliche dunkle Meer, dessen Fläche durch zwei feurig glänzende, in der Ferne in mattgoldenem Schimmer erlöschende Streifen durchschnitten wurde. Das Kielwasser der ›Arrow‹ war es, das diese phosphoreszierende Pracht hervorzauberte.

Kaum ein Lüftchen rührte sich, während sich die Jacht sanft und gleichmäßig in der ewigen Dünung des Golfstroms hob und senkte. Irgendwo da vorne mußte in purpurner Finsternis verborgen die Küste Floridas liegen.

Seit jenem Tage, da man auf der Höhe von Kap Finisterre die Order geöffnet hatte, während der anschließenden langen Überfahrt über den Atlantic, war alles an Bord wie am Schnürchen gegangen. Es sah fast so aus, als vermeide die Besatzung ängstlich jeden Grund zum Tadel. Auch Mr. Hickman schien sich durchaus der Lage angepaßt zu haben und bewahrte die Haltung eines gebildeten, taktvollen Gentleman.

Vierzehn Tage lang war die ›Arrow‹ bereits unterwegs, und Felicia fiel es auf, daß man wenig Eile zu haben schien. Der Kapitän gab keine Auskunft; augenscheinlich aber wollte er zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt ankommen. Abgesehen von einem Sturm in der Nähe der Bermudas war die Reise bisher so harmlos verlaufen, wie man dies nur immer von einer Vergnügungsfahrt erwarten durfte. Langweilig aber war es nie gewesen.

Sie und Anthony hatten einander in diesen letzten beiden Wochen immer besser kennen und schätzen gelernt, obwohl er auch heute noch nach ihrem Geschmack zu verschlossen blieb. Nach allem, was sie schon gemeinschaftlich durchgemacht hatten, störte es sie, daß er immer noch bei der förmlichen Anrede »Miß Drew« verharrte und dementsprechend ließ auch sie es bei der Bezeichnung »Schiffer« bewenden.

Auch jetzt, während sich die Sterne langsam über ihr bewegten, weilten ihre Gedanken bei Anthony, und sie erschrak ein wenig, als er plötzlich neben ihr stand.

»Setzen Sie sich und erzählen Sie mir etwas«, bat sie. »Seit den letzten vierundzwanzig Stunden sind Sie ohnehin geschwätzig wie eine Auster gewesen, und ich weiß nicht einmal, wo wir uns befinden. Wann werden wir unsern Bestimmungsort erreichen?«

»Wir stehen zweiundzwanzig Seemeilen vor der Küste von Florida.«

Felicia schien sehr überrascht. »Was – – so nahe?« fragte sie. »Wird's heute nacht Arbeit geben?«

»Das wohl kaum, aber wenn alles klappt, dann morgen um diese Zeit. Ich habe den Treffpunkt nicht gerade angesteuert, sondern ein ziemliches Stück nach Süden ausgeholt, so daß wir morgen den ganzen Tag mit langsamer Fahrt die Küste hinaufdampfen werden, bis wir die verabredete Stelle erreichen. Ich habe meine Gründe dafür. Wir fingen bereits eine Radiomeldung von Land aus und bekommen vielleicht noch weitere.«

»Ich sehe, daß es Ernst wird, aber wollen Sie mir nun nicht sagen, was Sie zu tun gedenken?« drängte sie und beugte sich vor.

Anthony zögerte. »Gut«, sagte er dann. »Ich will Ihnen wenigstens den Anfang verraten, denn die weitere Entwicklung wird ja doch von den kommenden Umständen abhängen. Die ›Arrow‹ ankert draußen in See, bis das Geschäft erledigt ist. Ich selbst übernehme das Kommando des Rennboots, das uns entgegenkommen wird.«

»Dennoch sehe ich nicht ein, warum gerade Sie –«

»Verlassen Sie sich darauf, Miß Drew, mein Plan ist richtig.«

»Das nehme ich an, aber es wird wohl mehrfach hart auf hart gehen, und«, fügte sie mit einem Anflug von Heiterkeit hinzu, »das dürfte ja auch Ihrem persönlichen Geschmack entsprechen.«

»Was gibt's denn?!«

Anthony war noch während ihrer Worte mit einem Satz an die Reling gesprungen und umklammerte sie mit beiden Händen. Seine Blicke schienen sich in die Dunkelheit bohren zu wollen. Felicia trat sofort neben ihn, konnte aber nichts Verdächtiges bemerken. Gleich darauf ertönte die Stimme des Ausguckpostens im Krähennest.

»Abgeblendeter Dampfer zwo Strich an Backbord voraus!«

Kirkpatrick stürzte auf die Brücke. Der Fremde war nur ganz schwach zu erkennen. Er stand ungefähr vierhundert Meter voraus und hielt annähernd gleichen Kurs mit der ›Arrow‹, zeigte jedoch die Tendenz, näher heranzuschließen.

»Hart Steuerbord!« befahl Anthony dem Rudergänger. »Gehen Sie in weitem Bogen wieder auf den befohlenen Kurs.«

Die Jacht schor aus und jedermann an Deck verfolgte gespannt die Bewegungen des Unbekannten.

»Er kommt herüber, Sir«, murmelte der Steuermann Craft, der neben dem Kapitän stand.

Jetzt tauchte auch Mr. Hickman auf und griff ängstlich nach Kirkpatricks Arm. »Um Gottes willen, Schiffer! – – Das ist wohl ein Polizeiboot?«

Ungeduldig schüttelte der Seemann die Hand des beunruhigten Gentlemans ab. »Ach was!« knurrte er. »Außerdem könnte uns das ganz egal sein, denn so weit draußen dürfen sie uns nichts anhaben.«

Kirkpatrick gab einen neuen Befehl. Der Maschinentelegraph klingelte, die ›Arrow‹ wendete abermals und glitt ziemlich dicht unter dem Heck des verdächtigen Fahrzeugs auf die andere Seite hinüber. Dabei gewann Anthony einen besseren Überblick als bisher.

Es handelte sich um ein recht plumpes, höchstens vierhundert Tonnen haltendes Schiff, das seinen Antrieb durch einen nicht starken Dieselmotor erhielt. Das fauchende Pochen war deutlich zu hören. Jedenfalls mußte das Schiff an Geschwindigkeit der ›Arrow‹ unterlegen sein. Auffallend erschien indes die Größe des einzigen Beibootes, das ungefähr die Ausmaße einer Barkasse besaß. Auf dem Achterdeck standen zahlreiche Leute.

»Nanu, dat is ja die olle ›Chatauqua‹! rief jemand an Bord der Jacht.

Hickman seufzte erleichtert auf, als der unheimliche Fremde langsam wieder in die Dunkelheit tauchte.

Anthony aber rief scharf an Deck hinunter: »Wer ist das gewesen, der soeben den Namen nannte? Herkommen!«

Ein älterer, einäugiger Matrose meldete sich. Er gehörte zu den wenigen an Bord, die einigermaßen auf ihr Äußeres Wert legten. »Bin schon mal auf ihr gefahren, Sir«, erklärte er auf die Frage seines Vorgesetzten.

»Mit welcher Ladung?«

Der Seemann kratzte sich verlegen hinter den Ohren. »Wenn ick ehrlich sein soll, Sir, ick gloobe, 't wird woll ooch Whisky oder so wat Ähnliches gewesen sin.«

»Auch?« fragte Kirkpatrick schnell. »Was meinen Sie damit?«

»Och – nischt, Schipper. Mit de Trockenlegung hat se's wenigstens nich.«

»Na gut, Sedley. Sie können für den Rest der Wache hier auf der Brücke bleiben.«

»Aye, aye, Sir«, brummte der Matrose und zog sich in eine Ecke zurück, wo er sich erst mal eine neue Ladung Tabak hinter die Zähne stopfte und dann mit philosophischem Gleichmut zu kauen begann.

Jetzt betrat Felicia neugierig die Brücke. »Was ist los, Kapitän? Etwas Interessantes?«

Er antwortete nicht. Die ›Arrow‹ lag nun wieder auf altem Kurs und ringsum herrschte Finsternis. Plötzlich aber zuckte da hinten, wo der Fremde verschwunden war, sekundenlang ein scharfer Lichtblitz auf.

Angestrengt, mit zusammengezogenen Brauen starrte der Kapitän dorthin. Nach einiger Zeit wiederholte sich das Lichtzeichen und dann zum drittenmal.

»Stewart!« zischte Anthony dem zweiten Maschinisten zu, der friedlich am Oberdeck stand. »Sofort 'runter und die ganze Backbordseite durchstöbert! Da gibt jemand Morsezeichen. Beeilen Sie sich!«

»Aye, aye, Sir!« bestätigte Stewart schon halb unter Deck.

»Bringen Sie'n her, tot oder lebendig«, rief ihm Kirkpatrick nach. »Mr. Craft, sofort beide Wachen zur Musterung! Fix, fix! Meldung, wenn einer fehlt. Den hinteren Niedergang sofort schließen!«

Der Steuermann sauste davon, während der nervöse Mr. Hickman abermals nach Anthonys Arm tastete.

»Wo fehlt's denn Schiffer? – Was suchen Sie?«

»Was ich suche?« fauchte der Angeredete. »Den Lumpen will ich haben, der dem Kerl dahinten Zeichen gibt. Verstehen Sie? – Die Lichtblitze waren nichts als die Antwort einer von hier gegebenen Botschaft!«

Der Matrose Sedley, der noch immer an der Brückennock lehnte, spuckte hochachtungsvoll über Bord. »Der Deibel nochmal! Wat der Käppen doch für Oogen im Koppe hat!«

»Sagen Sie mal, Sedley«, rief ihm Anthony zu, »ist außer Ihnen noch jemand da, der die ›Chatauqua‹ kennt?«

»Weiß nich, Sir, – möglich is 's schon«, meinte er zögernd. »Aber jetz' sin' wir se los, denn der Kasten macht Ihnen nich' mehr wie zehn Knoten un die noch nich emal.«

»Gefällt mir nicht, gefällt mir ganz und gar nicht.« Hickman wiegte bedenklich das Haupt. »Meinen Sie wirklich, daß signalisiert wurde, Kapitän? Warum sollte uns denn jemand von unseren Leuten einem Fremden ans Messer liefern, und was weiß man überhaupt von –«

»Sie bilden sich doch nicht etwa ein, daß hier noch irgend jemand ist, der an Ihr Märchen vom Walfischtran glaubt?« unterbrach ihn Anthony grob und drehte ihm den Rücken zu.

Mr. Craft meldete, daß seine Leute alle zur Stelle gewesen seien, und auch Stewart tauchte unverrichteter Sache wieder auf.

»Nichts zu finden, Sir«, sagte er. »Nur zwei offenstehende Seitenfenster habe ich zugemacht.«

»Danke.«

»Da liegt eben der Haken«, seufzte Kirkpatrick für sich. »Ich habe nur zwei zuverlässige Leute an Bord und die können schließlich nicht überall sein.«

Die Freiwache begab sich wieder unter Deck, während Anthony schweigend und wachsam auf der Brücke blieb. Ruhig stampfte die Maschine, und was immer das verdächtigte Fahrzeug beabsichtigt hatte, jedenfalls lag es nun bereits weit achteraus.

Zwanzig Minuten später wurde Anthony durch ein seltsames Stottern der Maschine aufgeschreckt. Gleichzeitig vernahm man vom Heck des Schiffes her einen derben Seemannsfluch und den Fall eines schweren Körpers.

»Stop!« gellte die Stimme des Stewart über Deck. »Sofort stoppen lassen!!«

Schon hatte der Schiffer – Unheil witternd – den Hebel des Maschinentelegraphen herumgerissen, aber im selben Augenblick fühlte er, wie die Schraube mit einem Ruck zum Stehen kam.

Er sprang an Deck und hastete nach achtern, wobei er über den regungslos daliegenden Körper eines Matrosen stolperte. Nicht weit davon lag Stewart weit über die Reling gebeugt und fluchte in allen Tonarten.

»Ich erwischte den Schuft da, wie er eine beschwerte Leine über Bord hielt, Sir«, keuchte der Maschinist. »Ich schlug ihm zwar einen Belegebolzen unters Kinn, aber es war zu spät. Die Schraube ist schon zu Blocks!«


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