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15. Kapitel.
Rollenwechsel

Langsam kehrte Anthony das Bewußtsein zurück. Zuerst glaubte er das anhaltende Geräusch eines entfernten Schmiedehammers zu hören, merkte aber bald, daß es sich um eine rein subjektive Wahrnehmung handelte, die von einem heftigen Brummen des Schädels kam.

Er versuchte sich aufzurichten, brachte es indessen nicht fertig. Rings um ihn herrschte tiefste Finsternis und Stille. Nur von einer Seite her schien ein ganz schwacher Lichtschimmer zu kommen. In dem Maße, wie sich sein Zustand besserte, erkannte er immer deutlicher, daß diese Lichtempfindung durch ein kleines, schmutziges Fenster hervorgerufen wurde, auf das wohl der Schein einer entfernten Straßenlampe fiel.

Auch bemerkte Anthony bald, daß er flach auf dem Boden eines nach Ratten und Packpapier riechenden Raumes lag und daß sich in diese Wohlgerüche auch der Duft fauligen Clydewassers mischte. Seine rechte Schulter berührte eine Mauer.

Kirkpatrick hatte keine Ahnung, wie er hierher geraten war. Ganz dunkel nur entsann er sich schließlich einer finsteren Gasse, zweier huschender Gestalten und eines kräftigen Hiebes über seinen Kopf; das war das Ende gewesen. Versuche, aufzustehen, belehrten ihn, daß seine Füße mit einem Strick umwunden und die Hände auf den Rücken gefesselt waren. An der Art der Fesselung erkannte er die Arbeit eines Seemanns. Nur ein solcher konnte ihn in dieser Weise gebunden haben.

Auf einmal schlug irgendwo eine Kirchturmuhr, und er erschrak. – Drei! – Sieben Stunden war er bewußtlos gewesen! Nun, die Kerle, die ihn überfallen hatten, schienen ihr Geschäft zu verstehen. Aber um drei sollte ja die ›Arrow‹ vom Kai loswerfen. – Würde man auf ihn warten? Wenn nicht, dann bestand jedenfalls keine Unklarheit mehr über die Ursache des Überfalls.

Quälende Gedanken kreisten im Hirn des Gefangenen; Gedanken, die ihn dazu brachten, verzweifelt an seinen Fesseln zu zerren. Plötzlich vernahm er Schritte und sofort verhielt er sich mäuschenstill.

Ein Riegel wurde zurückgeschoben, und dann beugten sich zwei verdächtig aussehende Gestalten über den am Boden Liegenden. Einer der beiden, ein vierschrötiger Geselle, leuchtete ihm mit einer elektrischen Taschenlampe ins Gesicht.

»Pennt noch«, knurrte er befriedigt und stieß den Gefangenen mit dem Fuß an.

»Hättste ooch so wissen können«, meinte sein hager gewachsener Kamerad. »Was willste überhaupt hier, Mensch?«

»Schafskopp! – Hier könn' wir'n doch nich lassen! Um viere kommt d'r Nachtwächter vorbei un wenn'r denn wach is –«

»Denn hätten wir'n gleich sollen wo anders verstecken«, sagte der Dünne griesgrämlich.

»Du riechst ooch alles, Hinney! Wo hätten wir'n denn sollen hinbringen. Erstmal mußt'r doch weg von die Gasse, wo'n doch die Blauen gefunden hätten. Aber jetz' könnste dein Boot holen. Hinten is ja 'n ganz scheener Landeplatz. Da kannste den Menschen verladen, packst 'n paar olle Netze oben druff und fährst mit'n los. Bringst'n irgend wohin, wo'n kein Aas finden kann, denn vor zwei Tagen darf er nich wieder an de frische Luft. – Da haste ooch zwei Pfund dafür, Hinney.«

»Fein«, grinste der andere, indem er die Scheine einsteckte. Dann aber wurde er wieder mißtrauisch. »Dot is'r doch nich, wat? Mit Doten will ich nischt zu schaffen haben, du!«

»Red' nich. Der kommt wieder scheenstens zurecht. Erst dacht' ich ja selber, daß 'r alle wäre, aber der hat 'n Kopp wie Eisen.«

Der Lange vergewisserte sich von der Richtigkeit dieser Aussage und tastete mit seiner naßkalten Hand nach dem Gesicht Kirkpatricks. »Hast'n schon de Taschen visitiert?«

»Klar. Da war'n doch so'n Papiere, die habe ich müssen dem Steuermann von die weiße Jacht bringen, die drüben am Lancefield Kai liegt. – Nu mach' aber, daß d'n hier weg bringst, Mensch.«

Der Sprecher nahm seinen Freund Hinney beim Arm, und die beiden Lumpen verließen den Raum. Der Riegel wurde wieder vorgeschoben, und die Schritte verhallten schnell, denn die Kerle trugen Sohlen aus altem Tauwerk.

Sofort öffnete Anthony die Augen und begann aufs neue mit den fruchtlosen Bemühungen, sich der Fesseln zu entledigen. Also verdankte er seine üble Lage tatsächlich diesem Joshua Peters? Na warte, mein Junge, es ist noch nicht aller Tage Abend!

Als sich nach einiger Zeit wieder Schritte näherten, legte sich Anthony augenblicks wieder mit angezogenen Knien so zurecht, daß seine Schultern ein Widerlager an der Mauer fanden. Es war dies die Haltung, die er vorhin bereits aus bestimmten Gründen angenommen hatte. Nur einer seiner Gegner trat ein und zwar der gedrungene Bursche, der den anderen »Hinney« genannt hatte.

»Woll'n doch mal sehen, ob'r nich noch Money bei sich hat«, murmelte er. »Wär schade drum, wenn Hinney –«

»Prost, mein Junge!« sagte Kirkpatrick und im selben Augenblick schnellte er seine gebundenen Füße gegen den Unterkiefer des sich über ihn neigenden Feindes. Der Mann schlug hintenüber, sein Schädel krachte mit voller Wucht gegen die jenseitige Wand, und dann rührte er sich nicht mehr.


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