Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

21. Kapitel.
Moderne Seeräuber

Hilflos rollte die ›Arrow‹ in der See. Das erwähnte Tauende hatte sich mehrfach um den Propellerschaft geschlungen und verhinderte dadurch jede weitere Umdrehung.

Angsterfüllt erschien Mr. Hickman auf der Szene, aber kein Mensch achtete auf seine beweglichen Klagen. Hingegen ließ sich der beherzte Stewart in einem schnell improvisierten Bootsmannstuhl unter das Heck der Jacht fieren. Glücklicherweise war die See bis auf die nie aufhörende Dünung fast spiegelglatt. Die einzige Hoffnung bestand nämlich darin, daß es gelang, das Tau mittels eines Beiles zu zerhacken, doch bot das insofern Schwierigkeit, als der in der Luft hängende Stewart nur immer dann zuschlagen konnte, wenn die Schraube über Wasser kam. Um ihm die Arbeit zu erleichtern, beorderte Anthony alle Mann nach vorn, wodurch das Heck wesentlich entlastet und somit gehoben wurde. Er rief dem fieberhaft arbeitenden Manne aufmunternde Worte zu.

»'s ist weniger schlimm, als es aussah«, erklärte der Maschinist. »In'r halben Stunde haben wir's!«

»Mr. Craft, nehmen Sie sechs Mann mit den nötigen Tauen und holen Sie das Geschützrohr herauf. Beeilen Sie sich mit der Montage.«

Der alte Zwölfpfünder, den Mr. Halahan als Ersatz für das bei der Demobilmachung eingezogene Geschütz gekauft hatte, sollte zu neuen Ehren kommen.

»Du lieber Himmel, Kapitän«, japste Mr. Hickman. »Wollen Sie etwa mit der alten Donnerbüchse zu schießen anfangen?«

»Fällt mir nicht ein, und zwar schon deswegen nicht, weil niemand damit umzugehen versteht. Das Gewicht wird aber das Vorschiff noch etwas mehr herunterdrücken und außerdem sieht das Ganze doch recht niedlich aus. – Horchen Sie!«

Aus der Dunkelheit ertönte das pumpende Geräusch eines Motors, der langsam näher kam.

»Barmherziger Gott!« stöhnte Hickman. »Whisky-Piraten sind's, und sie werden uns bis aufs Hemd ausplündern, wenn wir nicht rechtzeitig auskneifen können. Die Kerls schrecken vor keinem Mord zurück.«

»Sie beurteilen die Lage überraschend richtig«, höhnte Kirkpatrick. »Ja, ja, denen sticht eben Ihr schöner Tran in die Nase, denn Florida ist doch so scharf auf Walfett; nicht wahr? Und der Kerl, der da noch immer nicht wieder zu sich gekommen ist, hat mit den Burschen gemeinsame Sache gemacht. Schade, daß ihn der Stewart nicht ein ganz klein wenig früher niederschlug.«

Mr. Hickmans unerschütterliche Liebenswürdigkeit war nun doch ziemlich verflogen. Er fluchte abscheulich, und seine Hand griff verschiedentlich nach der Hinteren Hosentasche, als wolle er sich von der Anwesenheit seines Revolvers überzeugen.

»Gebe der Allmächtige, daß sie uns nicht finden«, sagte er. »Kapitän, können wir denn gar nichts tun?«

Anthony, der längst alle Lichter hatte löschen oder abblenden lassen, schenkte dem Geschwätz seines Patrons nicht mehr Beachtung als dem lästigen Summen einer Fliege. Ihn interessierte in erster Linie das Geräusch des sich nähernden Fahrzeugs. Das helle Stakkato des Motors belehrt ihn, daß man es nicht mit der ›Chatauqua‹ selbst, sondern mit der bereits wahrgenommenen Barkasse zu tun hatte. Sie war schneller und wendiger, folglich zum Angriff besser geeignet als das schwerfällige Mutterschiff. Natürlich befand sich dieses auch im Anmarsch, war aber noch sicher ein gutes Stück zurück.

»Es wird zum Kampfe kommen!« schrie Hickman. »Bewaffnen wir unsere Leute, Kapitän!« Er riß den Revolver heraus, aber schon hatte ihm Anthony das Schießeisen entwunden und warf es im hohen Bogen ins Meer.

»Dem ersten, der hier 'ne Knallerei anfängt, drehe ich das Genick um! – Verstanden?!« Dann war er mit einem Sprung bei der Ladeluke. »Fix mal 'n paar Mann hierher! – Ladebaum klarmachen. – Einige von den Tranfässern 'rauf! Vorwärts – tätig, tätig!«

»Mac!« rief er dem Obermaschinisten zu, der soeben grinsend aus der Versenkung auftauchte, »übernehmen Sie die Sache, denn Sie können so was am besten!«

»Werd' mir de allergrößte Mühe geben.« McBrayne strahlte und griff handfest zu. Mehrere Fässer standen bereits an Deck.

Er legte eine Schlinge um eins der Fässer und befestigte er es am Flaschenzug.

»Mac, Sie bedienen den Ladebaum!« sagte er.

»Aye«, gluckste McBrayne. »Merk' schon, wat Se wollen, Schipper. Wird ooch besser sin, als wenn Se sich wollten uff unsere Kerle verlassen. Ich garantiere Ihnen, dat die wie die Karnickel in ihre Löcher sausen, wenn's knallt. Kein Mensch hat se für die mutige Verteidigung von Walfischtran angaschiert!«

»Bisher hat uns die Bande jedenfalls noch nicht gesehen«, meinte Anthony.

»Gut, dat der Mond noch nich hoch is«, knurrte der Obermaschinist.

Die Ungewißheit währte drei bis vier Minuten. Zunächst wurde das schlürfende »Schug-schug« des Motors schwächer. Entweder verminderte der unsichtbare Störenfried seine Geschwindigkeit, oder aber er hatte die ›Arrow‹ verfehlt. Plötzlich jedoch wurde das Geräusch wieder scharf und deutlich.

»Bitte, gehen Sie hinunter«, sagte Kirkpatrick befehlenden Tones zu der neben ihm stehenden Felicia. – »Schnell«, fügte er hinzu, als sie zu zaudern schien.

Felicia folgte der Aufforderung mit beachtenswerter Eile. Nicht, daß sie es gerne getan hätte, aber sie erkannte, daß der Kapitän alle Hände voll zu tun hatte und es jetzt nicht die Zeit danach war, ein meuterisches Beispiel zu geben. Auf der Treppe vernahm sie noch einen lauten Ausruf Sedleys von der Brücke her.

»Motorboot kommt auf an Backbord, Sir! Ist die Barkasse der ›Chatauqua‹!« Der Matrose lehnte sich spähend über das Brückenkleid und als er nun immer genauer das herankommende Fahrzeug erkennen konnte, brummte er vor sich hin: »Un wenn'r nich bis uff de Haut ausgeplündert werden wollt, denn könnt'r euch beeilen!«

»Stewart, aufhören da unten!« rief Anthony zu dem immer noch an der Schraube arbeitenden Mann hinunter, »'raufkommen!«

Widerwillig folgte Stewart und enterte an dem ihm zugeworfenen Tauende hoch.

»Noch fünf Minuten und ich hätte die Sache klar bekommen«, erklärte er, als er sich über die Reling schwang.

»Und wären der erste gewesen, den man mit Blei gespickt hätte«, beruhigte ihn der Kapitän.

Mit spuckendem, prustendem Motor schnaubte die Barkasse auf die ›Arrow‹ los, als wenn sie die Jacht rammen wollte. Dann aber legte sie hart Ruder und umkreiste ihre Beute im weiten Bogen, so als wolle sie sich erst über deren Beschaffenheit ein klares Bild machen. Der Fremde mochte an die zwanzig Männer an Bord haben. Auf beiden Schiffen herrschte jetzt völliges Schweigen.

Die ›Hi-Jacker‹, diese späten Nachkommen der alten Flibustier, bilden eine weitere Gefahr für alle diejenigen Philanthropen, deren Lebenszweck es ist, das trockengelegte Amerika mit alkoholischer Feuchtigkeit zu versehen. Sie ist um so beachtlicher, als sich der ›Hi-Jacker‹ an kein Gesetz gebunden zu fühlen braucht, da er ja auch wieder mit Lumpen zu tun hat, und der ausgeraubte ›Rum-Runner‹ nicht einmal die Hilfe der Behörden anzurufen vermag.

Der Befehlshaber der Barkasse hatte seine Erkundung beendet und lag mit gestopptem Motor in einiger Entfernung. Zwar glaubte er, mit dieser Jacht auf alle Fälle schnell fertig zu werden, doch da dem Morsezeichen zufolge Verräter an Bord sein mußten, ließ sich das Geschäft vielleicht überhaupt ohne Kampfhandlung abmachen.

»Jacht ahoi!« brüllte er. »Havarie, was? – Laßt das Fallreep 'runter, damit wir an Deck kommen und euch helfen können!«

Anthony lachte. »Was verlangt ihr denn für eure Hilfe?«

»Einen Teil eurer Ladung. – Einverstanden?«

Scharf wie ein Messer scholl Kirkpatricks Stimme über das Wasser. »Macht, daß ihr an Land kommt und raubt das erste alte Bettelweib aus, das euch in die Quere kommt. Wird besser für euch Lumpenpack sein, als wenn ihr mit uns anbandelt!«

Drüben sprang der Motor an und das Boot der modernen Seeräuber kam auf die ›Arrow‹ zu. Dann prasselte eine Salve und den Leuten der Jacht pfiffen die Kugeln um die Ohren. Augenblicks erschien das Deck wie reingefegt, denn jedermann suchte schleunigst volle Deckung. Keiner der Leute zeigte Lust, für Hickmans Whiskytönnchen sein Leben zu lassen. Von der ganzen Besatzung blieben nur drei Mann auf Posten.

»Hoch damit!« befahl Anthony und von sechs kräftigen Fäusten beflügelt, schwebte ein Faß zur Spitze des Ladebaums hinauf, wo es zehn Meter über den Decksplanken in der Luft baumelte. Auf einen Wink ergriff McBrayne die Brasse und schwang den Ladebaum aus, so daß die Last nunmehr gerade über dem längsseit kommenden Piraten hing.

Nun packte Kirkpatrick die Leine, deren anderes Ende das Faß am Flaschenzuge festhielt und riß daran. Der Schlippsteg löste sich und das Tranfaß mit zehnjährigem Whisky kam wie ein Meteorstein vom nächtlichen Himmel gesaust. Krachend und splitternd durchschlug es den Boden des Motorboots. Wut- und Schmerzensgeschrei tönte herauf, und der überrumpelte Angreifer begann schnell zu sinken. Die eben noch so unternehmungslustige Bemannung strampelte fluchend und prustend im Wasser herum.

Mit gemischten Gefühlen spukte ihnen McBrayne auf die Köpfe. »So wat seh' ich ja nu liebend gerne«, brummte er. »Bloß 'n Jammer um – aber dat is ja ooch wurscht!«

Nach dem abgeschlagenen Angriff waren auch auf einmal die Leute der ›Arrow‹ wieder zu sehen und brachen in begeisterte Hochrufe aus. Wenigstens ersetzten sie jetzt den Mangel an Tapferkeit durch lautes Wesen, während der stets geistesgegenwärtige Stewart sofort wieder seine unterbrochene Arbeit am Heck aufnahm.

»Die ›Chatauqua‹ kommt!« schrie Sedley nach einigen Minuten.

Richtig tauchte der unförmige Schatten des feindlichen Schiffes aus dem nächtlichen Dunkel auf. Sofort beorderte Anthony die schon vorher eingeteilten Leute an das Geschütz. Das noch auf Deck liegende Rohr wurde mit fieberhafter Hast notdürftig montiert.

»Richtung auf die ›Chatauqua‹!« befahl der Schiffer. »Mr. Cassy, bitte, Scheinwerfer leuchten lassen!«

»Aye, aye, Sir!« rief Mr. Cassy und richtete den kleinen, vom Dynamo der Jacht gespeisten Lichtkegel auf den Feind.

Deutlich waren jetzt eine Reihe Köpfe und blitzende Gewehrläufe auf dem Schiff der ›Hi-Jacker‹ zu sehen. Während die ›Chatauqua‹ etwas zögernd näher kam, glitt der weiße Strahl des Scheinwerfers suchend umher und blieb wie zufällig an der auf dem eigenen Vordeck stehenden Kanone haften, deren dunkle Mündung drohend zu dem Freibeuter hinüberblickte, indessen die Bedienung der ›Arrow‹ augenscheinlich den Befehl zur Feuereröffnung erwartete. Einige Sekunden lang verweilte der Lichtkegel auf diesem vielversprechenden Bilde, dann tastete er weiter und beleuchtete nunmehr die im Wasser herumschwimmende Besatzung des versenkten Motorboots. Die Strömung hatte die Kerle etwas abgetrieben und die meisten klammerten sich an größere Wrackstücke.

In diesem Augenblick ertönte die triumphierende Stimme Stewarts. »Alles klar, Sir! – Lassen Sie die Maschine vorsichtig angehen.«

McBrayne bedurfte keiner weiteren Aufforderung. Er stürzte hinunter und als Anthony den Hebel des Maschinentelegraphen herumlegte, durchlief alsbald das wohlbekannte Zittern den Rumpf des Schiffchens. Langsam nahm die »Arrow« Fahrt auf und entfernte sich vom Schauplatz der nächtlichen Begegnung. Stewart kam strahlend nach vorn.


 << zurück weiter >>