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11.Kapitel.
Kapitän Kirkpatrick

Mit langen Schritten stieg Anthony Kirkpatrick zu den Amtsräumen des Mr. Brady hinauf. Dabei legte er sich zum soundsovielten Male die Frage vor, was dieser Mann wohl von ihm wollte. Über eines war er indessen beruhigt: Auch der spitzfindigste Advokat konnte kein Geld aus ihm herausschütteln. Im Grunde genommen, ging es ihm herzlich schlecht, dem guten Thony. Seine Hoffnungen, wenigstens auf einem Trampdampfer unterzukommen, hatten sich nicht erfüllt, und er mußte sich nachgerade mit dem Gedanken vertraut machen, Heuer vor dem Mast zu nehmen. Abgesehen von einer durch das schlechte Leben zurzeit bedingten Blässe, bewahrte er jedoch seine imponierende Haltung, und die dunklen Augen besaßen noch das alte Feuer. Der knopflose Zustand des Jacketts war durch Ankauf einer Garnitur von Hornknöpfen behoben worden.

»Mr. Kirkpatrick?« fragte Brady und ließ einen prüfenden Blick über die Erscheinung des Seemanns gleiten. »Hübscher Kerl«, dachte er im stillen und machte sich seinen Vers daraus. »Ich bin beauftragt, Ihnen ein Stellenangebot zu machen«, sagte er laut. »Vorausgesetzt, daß Sie frei sind.«

»Das letztere trifft zu. Ich nehme gerne jede seemännische Tätigkeit an, aber von anderen Dingen verstehe ich nicht viel.«

»Es wird wohl das beste sein, wenn Sie von Mund zu Mund verhandeln«, meinte der Jurist. »Entschuldigen Sie einen Augenblick.«

Er verschwand für wenige Sekunden hinter einer Tür. »Bitte«, sagte er, als er wieder zum Vorschein kam, und ließ den Besucher ins Privatkontor eintreten. Im nächsten Augenblick stand Anthony vor Felicia.

Er starrte sie wortlos und etwas verlegen an, glaubte er doch, daß sie sich überflüssigerweise für sein Auftreten in der Pont Street bedanken wollte, doch gleich darauf erkannte er an ihrem unbeteiligten Gesichtsausdruck die Grundlosigkeit seiner Befürchtung. Nein, Inspektor Cardew hatte dicht gehalten. Immerhin verhielt er sich äußerst zurückhaltend.

Sein abweisender Blick entging ihr keineswegs und erregte prompt ihren Ärger. Was mußte der Mensch auch so schrecklich widerborstig sein? Sie kam sich vor wie die gute Märchenfee, und er benahm sich natürlich wieder ruppig!

»Mr. Kirkpatrick«, begann sie mit einiger Selbstüberwindung. »Ich weiß, wie unrecht man Sie behandelt hat. Aber um Ihnen das zu sagen, ließ ich Sie nicht hierher bitten. – Nehmen Sie Platz. – Interessieren Sie sich für eine gute seemännische Stellung? – Ich weiß nämlich eine.«

»Eine Stellung brauche ich wie's liebe Leben«, bekannte er unumwunden.

»Sind Sie befähigt, selbständig ein Schiff zu führen? – Ich meine, ob Sie dazu berechtigt sind?«

Kirkpatrick machte große Augen. »Freilich. Wie die meisten Offiziere der Red Moon Line habe ich das Steuermannspatent für große Fahrt. Aber warum fragen Sie mich danach?«

»Weil ich Ihnen die Kapitänstelle meiner 250-Tonnen-Jacht ›Arrow‹ für die Dauer einer viermonatigen Reise anbiete.«

Anthony blieb vor maßlosem Erstaunen beinahe die Luft weg. Nun besaß dieses Mädel, das er für arm gehalten hatte, auch noch eine seegehende Dampfjacht! Die Nachricht veranlaßte ihn aber nur dazu, noch steifer zu werden. »Bitte setzen Sie mir die Sachlage doch etwas auseinander«, bat er.

Felicia tat es, während er schweigend zuhörte.

»Wenn Sie meine unumwundene Meinung über die Geschichte wissen wollen, Miß Drew«, sagte er dann, »so halte ich sie mit einem Wort für oberfaul. Ich kann das allerdings nicht im einzelnen erläutern, aber ich wette darauf, daß etwas nicht stimmt. Tun Sie mir den Gefallen und lassen Sie die Finger davon.«

Sein belehrender Ton weckte in Felicia die schier unwiderstehliche Lust, ihm ein Tintenfaß an den Kopf zu werfen. »Ich habe Ihren Rat nicht erbeten«, antwortete sie frostig. »Nehmen Sie die Stelle oder nicht?«

Anthony stand auf. »Nein, danke, Miß Drew. – Ich habe durchaus keinen Appetit auf ›versiegelte Orders‹. Wenn ich nicht weiß, woran ich bin, fühle ich mich nicht wohl.«

Felicia wurde rot vor Zorn. »Meinetwegen!« rief sie wütend. »Bilden Sie sich nur nicht ein, daß ich auf ihre Gnade angewiesen bin. Es laufen genug stellungslose Seeleute herum, die begierig zugreifen werden!«

Anthony ging zur Tür. Was sie da sagte, war richtig. Auch konnte man zehn gegen eins wetten, daß sie gerade im vorliegenden Fall an irgend einen üblen Burschen geraten würde. Er blieb stehen und blickte über die Schulter. Sie stand setzt hochaufgerichtet in der Mitte des Zimmers und ihre Augen blitzten vor Empörung und Entschlossenheit. Langsam wandte er ihr sein Gesicht zu. »Sie werden also auf alle Fälle mit der ›Arrow‹ in See gehen?« fragte er.

»Unbedingt!«

Anthony ließ den Türgriff wieder los und kam zurück. »Schön, Miß Drew; wenn Sie mir die Stelle geben wollen, nehme ich an.«

Ihre Züge hellten sich ebenso schnell wieder auf, wie sie sich vorher verfinstert hatten. »Warum konnten Sie das nicht gleich sagen!« Und mit einem Lächeln: »Sie könnten nachgerade wissen, daß ich immer das tue, was ich für richtig halte. Am besten, Sie melden sich baldigst bei Mr. Hickman.«

Kirkpatrick verbeugte sich leicht. »Wenn ich von ihm mein Gehalt beziehe, werde ich natürlich seinen Anordnungen Folge leisten. Über eins allerdings muß von Anfang an zwischen allen Beteiligten Klarheit herrschen: In die Schiffsführung mit allem Drum und Dran lasse ich mir von niemandem hineinreden. – Von niemandem!«

»Das ist ja gerade das, was ich wünsche«, sagte die Patronin.

»Ob ich dabei immer Ihren Wünschen entsprechen werde, möchte ich dahingestellt sein lassen«, versicherte der neugebackene Kapitän lächelnd und entfernte sich.


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