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30. Schluß

Vier Wochen waren etwa seit diesen Vorfällen vergangen, und die bunte Färbung des Waldes, die fallenden Blätter kündigten schon den nahenden Herbst an. Auch der Himmel zeigte sich nicht mehr so rein und blau, wie er fast den ganzen heißen Sommer über war. Dichte Wolkenmassen zogen sich schon hier und da zusammen. Alle Anzeichen verrieten, daß die ›Regenzeit‹ hier bald beginnen würde. Im Paradies war inzwischen Ruhe und Sicherheit vollkommen hergestellt. Hetson hatte, unterstützt von Hale und einigen besser gesinnten Amerikanern, durchgesetzt, daß kein Spieltisch mehr im Camp geduldet wurde. Es gab zwar Widerstände, aber sie konnten sich dagegen durchsetzen. Dadurch verschwanden die Spieler, die ihre kostbare Zeit nicht an einem unnützen Platz vergeuden wollten. Auch von den Indianern wurden sie nicht weiter belästigt. Einzelne Trupps hatten sich gelegentlich in der Nähe gezeigt, ohne jedoch auch nur mit einem der Weißen zu sprechen, denen sie überall aus dem Weg gingen. Die Frauen suchten Eicheln, Haselnüsse und andere wilde Waldfrüchte, um davon Wintervorräte anzulegen. Die Männer bildeten ihren Begleitschutz, denn das Wild in den Bergen war schon längst getötet oder vertrieben. Einige der Mexikaner fanden sich wieder ein, doch sie mieden den Platz wieder, als die jetzt streng eingehaltene Taxe monatlich von ihnen gefordert wurde. Sie dachten aber auch nicht mehr daran, Widerstand zu leisten. Sie zogen sich in Täler zurück, wo es keine oder nur wenige Amerikaner gab, um der unbequemen Steuer so lange wie möglich zu entgehen.

In Hetsons Zelt gab es eine Veränderung, die Manuela traurig stimmte. Ihr Vater, der an die harte Minenarbeit nicht gewöhnt war, bekam heftiges Fieber, das ohne ärztliche Hilfe bald gefährlich wurde. Die Tochter wich nicht von seiner Seite und pflegte ihn mit aufopfernder Liebe Tag und Nacht, aber sie konnte ihm nicht helfen. Neun Tage, nachdem er sich auf das Krankenbett gelegt hatte, gruben ihm die Freunde ein stilles Grab unter einem der schattigen Waldbäume am Fuße der Hügel. – Der alte Mann hatte sein Wort gehalten und keine Karte wieder angerührt. Aber der Gram, dem er seinen Kind zugefügt hatte, mochte viel mit dazu beigetragen haben, seine Kräfte zu lähmen und sein Herz zu brechen. Schon im Sterben, hatte er aber noch die Freude, seine Tochter von einer treuen Hand beschützt zu sehen. Emil Lanzot war fest entschlossen, sich nicht mehr von Manuela zu trennen. Er bat ihren Vater um seine Zustimmung, und mit seiner letzten Kraft legte der alte Spanier ihre Hände ineinander und segnete sie.

Damit war aber auch ausgesprochen, daß Manuela mit Lanzot Kalifornien verlassen würde. Das trieb nun auch Hetson an, diesem Beispiel zu folgen. Häusliches Familienglück war hier ja nicht denkbar. Gold – Gold war die Losung, und das übertriebene Go ahead!-System der Amerikaner warf alles andere rücksichtslos zur Seite. Gold! Kein anderes Gespräch, kein anderer Gedanke war möglich. Wenn auch die Männer zuerst von dem Abenteuerlichen dieses Lebens gefesselt waren, machten sich doch bald wichtigere Dinge geltend. Hetson und Lanzot beschlossen deshalb, die Minen in den nächsten Tagen zu verlassen und nach San Francisco zurückzukehren. Mit der nächsten Schiffsgelegenheit wollten sie Kalifornien für immer verlassen. Besonders Hale schien aber damit nicht einverstanden zu sein. Er hatte seinen Alkalden nicht nur achten gelernt, sondern er mochte ihn auch wirklich gern. Aber er sah doch ein, daß dies kein Aufenthaltsort für die Frauen war, auch wenn ihre persönliche Sicherheit nicht mehr gefährdet war. Sie konnten sich hier nicht wohl fühlen, und er redete deshalb auch nicht dagegen. Die notwendigen Vorbereitungen wurden jetzt getroffen, und für den nächsten Sonntagmorgen, an dem einer der Güterwagen leer nach San Francisco ging, die Reise festgesetzt.

Auch unter unseren deutschen Bekannten waren einige Veränderungen vorgegangen. Die sogenannte Deutsche Kompagnie von Lamberg, Binderhof und Hufner hatte sich völlig aufgelöst. Hufner schien es satt zu bekommen, für die beiden faulen Burschen zu arbeiten. Da er austrat, sahen Binderhof und Lamberg ein, daß sie ohne einen solchen Partner wie Hufner nicht mehr zusammen bestehen konnten. Einer hätte da arbeiten müssen, nur um die Küche zu besorgen. Nachdem sie Hufner als undankbaren Menschen bezeichnet hatten und ihm noch einmal ein böses Schicksal in Kalifornien prophezeit hatten, trennten sie sich ebenfalls. Jeder wollte sein Glück auf eigene Hand versuchen. Daß sie dabei Kalifornien für das nichtswürdigste Land erklärten, das von Gottes Sonne beschienen wurde, verstand sich von selbst. Auch die Firma ›Justizrat und Kompagnie‹ hatte sich aufgelöst. Der alte Assessor konnte die schwere Erdarbeit und die Plackerei im Zelt nicht ertragen. Der Justizrat rührte im Zelt nichts weiter an als seine Pfeife und den Tabaksbeutel. Der Assessor befürchtete, er würde krank werden und wandte sich deshalb einem anderen Geschäft zu. Er trat bei einem der Händler als Verkäufer ein und beteiligte sich gleichzeitig mit seinem kleinen Kapital am Geschäft. Der Händler war ein deutscher Jude, ein braver, ordentlicher Mann. Er achtete zwar auf seinen Vorteil, aber wahrte auch den seines unermüdlich tätigen Gehilfens. Der Assessor fühlte sich auch sehr wohl bei dieser neuen Beschäftigung, die ihm viel besser zusagte, als das vollkommen erfolglose Goldgraben mit seinem früheren Kompagnon, dem Justizrat.

Der Justizrat fand allerdings das Benehmen des Assessors unverantwortlich und schien große Lust zu haben, seine ›Bergarbeiten‹ wieder zu beginnen. Aber ein Versuch, Herrn Hufner zur Partnerschaft zu verlocken, mißlang. Hufner hatte schon genug bittere Erfahrungen in dieser Art gemacht und kannte den Mann. Da außerdem auch sein Tabak aufgeraucht war, den er hier oben nicht ersetzen konnte, faßte er auch den Entschluß, nach San Francisco zurückzukehren. Er hatte von der Absicht Hetsons gehört und wollte ihn begleiten. Allein fürchtete er sich nämlich, diese Reise zu machen. Beckdorf, dem er seinen Entschluß mitteilte, bestärkte ihn auch darin. Aber auf dem Wagen gab es keinen Platz mehr, höchstens seinen Koffer konnte er noch unterbringen. Es blieb dem Justizrat nichts anderes übrig, als sich dem Rücken eines Maultieres anzuvertrauen, das eigens dafür gekauft wurde. Beckdorf und Lanzot waren ebenfalls beritten, und die drei wollten so eine Eskorte zum Schutz der Damen bilden. Um zehn Uhr wollte man aufbrechen, und mit Tagesanbruch hatte der Justizrat schon den Assessor zu sich bestellt, um ihm beim Packen zu helfen. Der überaus gefällige Mann hätte das auch unter keinen Umständen abgeschlagen. Der Justizrat verstand darunter natürlich, daß der Assessor packte, während er dabeisaß und rauchte. Zelt und Geräte hatte er schon vorher an Hufner verkauft, der sich ebenfalls eingefunden hatte, um die Sachen nach der Abreise des Mannes aufzuladen und in die Nähe seines neuen Minenplatzes zu bringen.

Der Assessor arbeitete, daß ihm die Brille beschlug. Hufner kochte inzwischen Kaffee und bereitete das Frühstück zu. Aus den letzten Resten Mehl und Zucker wurden Pfannkuchen gebacken, und verschiedene Beefsteaks schmorten auf dem Rost. Auch seine letzte Flasche Brandy hatte der Justizrat geopfert, um die Abschiedsstunde so würdig wie möglich zu feiern.

»Ich muß Ihnen gestehen, Herr Justizrat«, brach endlich der Assessor das Schweigen, richtete sich auf und wischte seine Brille ab, »daß ich beim Packen selbst Lust bekomme, mit nach San Francisco aufzubrechen.«

»Na – brechen Sie«, sagte der Justizrat. »Hundeleben hier.«

»Es kann nicht geleugnet werden, daß dieses Leben noch so manches zu wünschen übrigläßt. Meine an geschlossene Räume gewöhnte Konstitution verträgt die viele freie Luft und nachts die kalte Luft im Zelt nicht. Aber ich weiß nicht – San Francisco...«

»Frau Siebert unmenschlich freuen«, meinte der Justizrat.

Der Assessor seufzte, erwiderte aber kein Wort. Der Justizrat hatte ihm aus der Seele gesprochen, und damit waren seine Einwände gegen eine mögliche Rückkehr erschöpft. Der Assessor hatte sich sogar schon die Zeit ausgemalt, wo er in der Lage war, nach Europa zurückzukehren. Dann sah er sich wie einen Verbrecher durch San Francisco schleichen, um dieser entsetzlichen Frau zu entgehen. Während er aber noch dastand und sich die Sache überlegte, hatte die Erinnerung an San Francisco auch in Hufners Seele eine schmerzliche Saite angeschlagen. Mit leiser, ängstlicher Stimme sagte er:

»Herr Justizrat, ich habe diese Nacht einen furchtbaren Traum gehabt.«

»Indianer? Hals abschneiden?« riet der Justizrat.

»Nein«, sagte Hufner. »Ich träumte, daß Madame Schneidmüller hier heraufkäme und...«

»Schneidmüller? Schwiegermutter?«

»Ja, und Sie hat sich aus Verzweiflung hier ins Wasser gestürzt.«

»Unsinn«, brummte aber der Justizrat. »Haben einmal gehört, irgendeine Schwiegermutter ins Wasser gestürzt? Praxis noch nicht vorgekommen. Apropos! Noch nichts gefunden?«

»Nein«, stöhnte Hufner und goß dabei etwas kaltes Wasser in die rasch vom Feuer genommene Kaffeekanne, um den Satz zum Sinken zu bringen. »Wenigstens noch nicht so viel, daß ich ans Heiraten denken könnte. Ich hin der unglücklichste Mensch auf der Erde, und doch auch wieder unschuldig. Lieber Gott, ich arbeite ja wie ein Pferd, aber kann ich etwas dafür, daß ich nichts finde?«

»Hallo, kommt jemand?« sagte der Justizrat, der eben bemerkte, wie ein Fremder unten von der Straße durch einen Mann heraufgeschickt wurde und jetzt gerade auf sie zukam.

Der Assessor und Hufner sahen jetzt hinüber und bemerkten auch einen Reisenden, der mit einem Maultier am Zügel langsam auf sie zuging und erst bei dem Feuer anhielt. Dann nahm er seinen Hut ab und sagte in deutscher Sprache:

»Können Sie mir vielleicht sagen, ob der Herr Justizrat zu Hause ist?«

Hufner hatte den Fremden, der ihm bekannt vorkam, aufmerksam betrachtet. Aber er wußte nicht gleich, wo er das Gesicht hintun sollte. Der Justizrat sagte:

»Jawohl – hier – bin ich selbst.«

»Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen«, erwiderte der Fremde. »Wie ich sehe, ist auch der Kaffee gerade fertig. Bitte, Herr Hufner, sagen Sie doch dem Mädchen, daß es noch eine Tasse bringt.«

»Herr Ohlers, bei allem, was lebt!« rief Hufner erstaunt aus. Jetzt hatte er den früheren Reisegefährten an der Stimme erkannt.«

»Ohlers? Tatsächlich!« sagte auch der Justizrat erstaunt. »Hm, großen Bart jetzt, nicht wiedererkannt.«

»Hallo, Herr Ohlers!« rief jetzt auch der Assessor, der den alten Bekannten eine ganze Weile verdutzt ansah. »Das freut mich wirklich, Sie einmal wieder begrüßen zu können. Sie kommen gerade rechtzeitig zu unserer hihihi – Henkersmahlzeit, wie man so sagt. Der Herr Justizrat will heute morgen die Minen verlassen.«

»Aha«, sagte Ohlers und schüttelte den Männern die Hand. Sein Tier überließ er sich selbst und setzte sich ans Feuer. »Der Herr Justizrat hat sicherlich seinen Haufen Gold sauber gewaschen im Beutel und will jetzt nach Deutschland zurückkehren, um dort an irgendeinem Hof Minister für auswärtige Angelegenheiten werden, was? Empfehle mich in diesem Fall als Obervergifter bei einer der medizinischen Fakultäten. Ich bin auch gern dazu bereit, gegen ein entsprechendes Honorar als irgendein Ehrenmitglied bei den verschiedenen gelehrten Gesellschaften zu fungieren.«

»Haufen Gold«, brummte der Justizrat und blies den blauen Dampf in dicken Wolken von sich. »Bald was gesagt. Hundeleben, gar nichts finden, nirgends.«

»Gar nichts finden?« sagte Ohlers erstaunt. »Eigentlich wäre das auch nicht so verwunderlich, denn der Herr Justizrat hat hier auch nichts verloren. Im Ganzen herrscht aber doch die vielleicht irrige Meinung, daß in Kalifornien Gold läge.«

»Selber graben, versuchen«, knurrte der Mann des Gerichts an der fest zwischen die Zähne gebissenen Pfeifenspitze vorbei.

»Vielen Dank«, sagte Ohlers. »Ich bin nicht in die Minen gekommen, um den Erdboden zu belästigen. Ich suche vielmehr kranke Menschen, denen ich mit meiner schlechten Medizin ihr gutes Gold ablocken will. Wie es scheint, habe ich hier keine guten Aussichten, denn alle Welt erfreut sich einer zweckwidrigen Gesundheit. Etwas gelbes Fieber, Cholera oder Blattern wäre da besser am Platze.«

»Ja, das fehlte uns noch«, sagte der Assessor, »daß man hier in Kalifornien auch noch krank würde. Nur der Gedanke ist schon furchtbar. Was sollte man da anfangen?«

»Ach, lieber Herr Assessor, ich soll Ihnen ja noch tausend herzliche Grüße von Frau Siebert ausrichten«, unterbrach ihn plötzlich Ohlers.

»Ich... danke Ihnen«, stotterte der Assessor. »Es geht ihr und den Kindern hoffentlich gut? Sollte mich freuen.«

»Vortrefflich, wirklich vortrefflich. Sie verdient gutes Geld mit Waschen und Plätten, sehr hübsches Geld und scheint ihren Mann nicht besonders zu vermissen. Sie hat mir aber noch besonders aufgetragen, ihr ja gleich Ihre Adresse zu schreiben, wenn ich Ihnen zufällig in den Minen begegne. Ich hatte ja keine Ahnung, daß ich Sie hier finden würde, und habe eigentlich nur den Abstecher gemacht, um Herrn Hufner aufzusuchen und ihm einige wichtige Familiennachrichten zu bringen.«

»Mir?« rief Hufner erschrocken und wurde blaß. Aber auch dem Assessor hatten die Worte des kleinen, boshaften Apothekers einen Stich gegeben. Wenn Frau Siebert erfuhr, daß er hier für die nächste Zeit seinen Wohnsitz aufgeschlagen hatte – die Frau war zu allem fähig! Dasselbe glaubte Hufner auch von seiner Schwiegermutter. Ohlers, der seine Leute kannte, hatte sogleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Während er sich innerlich vor Lachen hätte ausschütten können, sah er äußerlich vollkommen kalt und ruhig aus. Er nahm einen Blechbecher auf und hielt ihn dem Assessor zum Einschenken hin.

»Lieber Herr Ohlers«, sagte der Assessor dabei und schenkte mit zittriger Hand ein. »Ich möchte Sie doch... ich möchte Ihnen nur sagen, daß ich mich heute morgen fest entschlossen habe, diesen Platz wieder zu verlassen. Es ist völlig unbestimmt, wohin ich von hier aus gehe. Sie wissen wohl selbst, wie unsicher das dann ist, jemand in den Bergen aufzufinden. Selbst Briefe gehen so häufig verloren.«

»Aber einige Zeit bleiben Sie doch noch hier?« sagte Ohlers teilnehmend und warf sich Zucker in den Becher. »Frau Siebert würde sich bestimmt unendlich freuen...«

»Es ist möglich, daß ich den Platz in den nächsten Tagen verlasse«, unterbrach ihn der Assessor schnell. »Ich werde dann Frau Siebert selbst meinen Aufenthaltsort schreiben. Bemühen Sie sich also deshalb nicht.«

»Oh, bester Assessor, gar keine Mühe«, sagte Ohlers. »Aber tun Sie das, Sie werden der armen Frau dadurch eine große Freude machen, und die braucht sie wirklich, denn mit den Kindern hat sie in der letzten Zeit viel Sorge und Ärger gehabt.«

»Sie wollten mir etwas mitteilen, Herr Ohlers?« sagte jetzt Hufner, der wie auf Kohlen saß. »Sie sprachen von Familienangelegenheiten, wenn ich mich nicht irre.«

»Ich? Ja, so, Sie wissen wohl noch gar nicht«, rief Ohlers mit freudigem Ton, »daß Ihre Braut glücklich in San Francisco gelandet ist und kaum die Zeit erwarten kann, in Ihre Arme zu eilen?«

»Doch, doch, Herr Ohlers. Ich hatte schon früher von dem... glücklichen Ereignis gehört, aber ich war noch nicht imstande...«

»Sie glauben gar nicht, wie sie sich nach Ihnen gesehnt hat«, sagte der Apotheker. »Und es ist ein so liebes Mädchen, so sanft, so unschuldig, und die Mutter... Donnerwetter, das ist eine prächtige Frau, so resolut.«

»Schwiegermutter«, sagte der Justizrat. »Resolut? Hm. So?«

»Ja, die zukünftige, Herr Justizrat«, versicherte Ohlers. »Sie glauben es gar nicht, ein wahres Prachtexemplar von Schwiegermutter, die ich selbst heiraten würde, wenn sie mich wollte. Ich beabsichtige überhaupt, den Stand eines ledigen Apothekers mit dem eines verheirateten Mannes zu vertauschen.«

»Hübsches Mädchen?« erkundigte sich der Justizrat.

»Wer? Fräulein Schneidmüller? Prächtig. So zart, so sanft. Ich sage Ihnen, sie hat Aufsehen in San Francisco erregt. Sie ist fast zu zart für irgendeine Arbeit.«

»Mein Gott, ja!« seufzte der arme Hufner aus vollem Herzen, während es ihm wie mit einem zweischneidigen Schwert durch die Seele zog. »Viel zu zart. Aber was kann ich unglückliches Menschenkind denn dafür, daß ich kein Glück habe und daß... daß sie so entsetzlich früh nach Kalifornien gekommen ist. Ich will arbeiten, arbeiten wie ein Pferd, ich halte es für meine Pflicht, aber um Gottes willen, was soll aus ihr werden?«

»Aus der Schwiegermutter?« sagte Ohlers.

»Nein, aus Leonore.«

»Tja, was soll man sagen?« meinte achselzuckend der Apotheker. »Es ist aber für ein junges Mädchen ein ungeeignetes Land, dieses ›Kolofonium‹, wie es Ballenstedt immer nannte. Apropos, weiß jemand, was aus dem geworden ist? Hm, das war ein komischer Kauz. Ja, was ich noch sagen wollte, für ein junges Mädchen ist es ein schlechtes Land, aber eine verheiratete Frau hat nichts zu befürchten, und darin muß ich der Schwiegermutter recht geben.«

»Aber ich kann mich selbst nur mit großer Mühe ernähren!« stöhnte Hufner.

»Das gebe ich zu«, sagte Ohlers und hielt dem Assessor den Becher wieder hin. »Darum hat auch wahrscheinlich Fräulein Schneidmüller einen anderen geheiratet.«

Der Assessor schenkte nicht ein – der Justizrat rauchte nicht mehr, und Hufner sprang von seinem Sitz in die Höhe, als ob er auf heißem Blei gesessen hätte.

»Einen anderen geheiratet?« rief er dabei aus und traute seinen eignen Ohren kaum.

»Ja«, sagte Ohlers so ruhig, als ob er eine ganz gewöhnliche Geschichte erzählte. »Bitte, noch einen Becher, Herr Assessor, Ihr Kaffee ist ganz ausgezeichnet! Einen jungen, sehr hübschen Amerikaner, der sich in sie verguckt hat, noch dazu, ohne die Schwiegermutter kennenzulernen, denn die lag im Bett und war krank.«

»Aber das ist doch gar nicht möglich, Herr Ohlers«, rief jetzt auch der Assessor aus. »Soviel ich weiß, ist die junge Dame höchstens fünf Wochen in San Francisco, um auf ihren Verlobten zu warten.«

»Ihre Berechnung trifft zu, Herr Assessor«, sagte Ohlers. »Nach ihren Erkundigungen konnte aber ihr Verlobter – bitte, geben Sie mir einmal den Zucker herüber – in spätestens sechs Tagen bei ihr in San Francisco sein. Sie hat das Außerordentliche geleistet und volle vierzehn Tage auf ihn gewartet. Nach dieser Zeit hielt sie sich an nichts mehr gebunden und gab dem jungen Amerikaner ihre Hand.«

Hufner war auf seinen Sitz zurückgesunken, faltete die Hände auf den Knien und sah still eine Weile vor sich nieder.

»Ach, lieber Herr Hufner«, sagte da der Assessor teilnehmend, »ich weiß wohl, daß das ein harter Schlag für Sie ist, aber – was geschehen ist, ist geschehen. Am Ende ist es doch auch ein Glück für das arme Mädchen und für Sie selbst.«

Hufner erwiderte nichts, aber er stand langsam auf und ging zum Zelt, dessen Leinwand er hinter sich herunterfallen ließ.

»Sie haben doch da nicht etwa Messer oder Revolver herumliegen?« fragte Ohlers besorgt.

»Um Gottes willen!« rief der Assessor. »Der unglückliche Mann...«

»Pst!« winkte Ohlers den beiden zu, damit sie ruhig waren. Auf den Zehen schlich er zum Zelt, um den ›Unglücklichen‹ zu beobachten, und wurde dafür reichlich belohnt.

Ohne einen Laut auszustoßen, aber mit vor Freude leuchtendem Gesicht suchte Hufner keineswegs nach einer Waffe, sondern tanzte! Zu seiner Schande muß ich es gestehen, er tanzte auf einem Bein, rieb sich die Hände, schnalzte mit den Fingern und machte eine Menge anderer Kapriolen, um seiner inneren Freude heimlich Luft zu gönnen. Ohlers, vollständig beruhigt, daß sich der Mann kein Leid antun würde, hätte sich unbemerkt zurückziehen können. Daran lag ihm aber nichts. Im Gegenteil schob er die Leinwand noch etwas weiter auseinander und den Kopf hinein und sagte:

»Aber, lieber Herr Hufner, Sie müssen sich die Sache nicht so zu Herzen nehmen. Es ist nun nicht mehr zu ändern, und auch vielleicht am besten für...«

»Pst, um Gottes willen«, rief aber Hufner, der wie mit einem Zauberschlag wieder steif und ernst vor ihm stand und ein möglichst trauriges Gesicht machte. »Herr Ohlers, ich bitte Sie um alles in der Welt...«

»Tut mir leid«, sagte Ohlers, »das können Sie nicht bekommen.«

»Verraten Sie mich nicht«, hat Hufner. »Bitte, kommen Sie herein, sehen Sie, Sie werden mir zustimmen, wenn ich...«

»Froh bin...«, fuhr Ohlers fort.

»Leonore«, sagte Hufner.

»Los zu sein«, sagte Ohlers.

»Versorgt zu wissen«, rief aber der frühere Verlobte. »Ich habe hier keine Aussicht, um sie und die...«

»Schwiegermutter«, half ihm der Apotheker.

»Ja«, seufzte Hufner. »Sie und die Schwiegermutter zu ernähren. Bis jetzt habe ich mir die bittersten Vorwürfe gemacht, daß ich das arme Mädchen in dieses unselige Land gelockt habe. Ich glaubte aber, daß sie so an mir hing, daß sie sich unglücklich und elend fühlte, wenn sie ohne mich leben sollte. Aber ich sehe, daß ich mich geirrt habe. O diese Weiber, diese Weiber!«

»Na, nun tun Sie mir den Gefallen, und werden Sie nicht sentimental«, sagte Ohlers. »Das wäre gegen die Vereinbarung. Die Sache ist abgemacht, und der Kaffee wird kalt.«

»Aber Sie verraten nicht, daß...«

»Kein Sterbenswort, auf Ehre!« sagte Ohlers und ohne ihm weiter Zeit zu lassen, schob er seinen Arm in den des unglücklichen, jungen Bräutigams und führte ihn zum Feuer zurück.

»So, meine Herren, er hat sich jetzt gesammelt, der erste Schmerz ist vorüber. Geben Sie ihm eine Tasse Kaffee, Herr Assessor, und das wird den letzten Rest Verzweiflung herunterspülen.«

Der Justizrat, der inzwischen die Zeit zum Frühstück genutzt hatte, wollte etwas erwidern. Er hob den Becher, als ein Reiter den Hang heraufsprengte und gleich darauf Graf Beckdorf neben ihrem Lagerplatz hielt.

»Hallo, Justizrat«, rief er. »In den Sattel, der Wagen wird gleich vorbeikommen, und Ihr Gepäck muß unten an die Straße gebracht werden.«

»Alle Wetter!« rief der Justizrat und sprang auf, um nach seiner Pfeife zu greifen. »So früh? Gar nicht gedacht.«

»Wo ist Ihr Maultier?« lachte Beckdorf über die Eilfertigkeit des Mannes, der dabei nicht von der Stelle kam.

»Maultier? Weiß nicht. Im Busch.«

»Na, das ist ja prima. Sie werden zurückgelassen, oder die Damen müssen eine Stunde auf Sie warten – eins so schlimm wie das andere. Nach welcher Richtung ist es ungefähr?«

Der Justizrat beschrieb mit seiner Pfeifenspitze einen Bogen, der etwa ein Viertel der Erde umfaßte, und Beckdorf lachte laut auf.

»Ist es ein Maultier, dem das halbe linke Ohr fehlt?« mischte sich da Ohlers in das Gespräch.

»Jawohl«, rief der Justizrat.

»Sehr schön. Das lehnt gleich da drüben am Weg, etwa fünfhundert Schritt von hier an einer Eiche und schläft«, versicherte der Apotheker. »Ich dachte erst, es wäre ein ausgestopftes, das da hingestellt und halb umgefallen wäre.«

Beckdorf schüttelte den Kopf und rief:

»Also gut, Justizrat, dann raffen Sie Ihre Habseligkeiten zusammen, und schaffen Sie die Sachen an den Weg hinunter. Die Herren helfen Ihnen vielleicht dabei. Ich will inzwischen hinreiten und Ihr Tier holen.« Mit diesen Worten warf er sein Pferd herum und sprengte am Abhang entlang, um weiter oben wieder auf den Pfad zu treffen und so das Maultier aufzufinden.

Das Gespräch der Deutschen war dadurch natürlich völlig abgebrochen. Der Justizrat suchte nach verschiedenen Gegenständen, die er alle nicht finden konnte: seinen Tabaksbeutel, sein Feuerzeug, seinen Hut, sein Halstuch, sein Zaumzeug, sein Taschentuch, seine Brieftasche – kurz, alles, was nicht niet- und nagelfest an ihm war. Während der Assessor und Hufner ihm verzweifelt halfen, blieb Ohlers ruhig am Feuer sitzen und aß die Pfannkuchen. Endlich war alles glücklich gefunden und in die Satteltasche gepackt worden. Nur die Pfeife fehlte auf einmal, die der Justizrat beim Suchen ganz in Gedanken hinten an das Zelt gelehnt und dort vergessen hatte. Zuletzt wurde auch sie wieder aufgetrieben, und Hufner sowie der Assessor trugen keuchend seinen Koffer auf den Weg hinunter, froh, ihren Freund endlich loszuwerden.

Als Graf Beckdorf mit dem glücklich gefundenen Maultier eintraf, stellte der Justizrat wirklich für einen Augenblick seine Pfeife weg, um den Sattel aufzulegen, aber er kam nicht damit zurecht. Nach allen Seiten probierte er das Stück, aber es wollte nirgends passen. Endlich mußte es Graf Beckdorf für ihn in Ordnung bringen. Ohlers, der recht gut damit umgehen konnte, rührte keine Hand. Er saß dabei und amüsierte sich köstlich. Der Assessor und Hufner waren wieder zum Feuer zurückgekommen. Besonders der Assessor fühlte sich in einer ungewöhnlich weichen Stimmung, als er von dem Mann Abschied nehmen sollte, mit dem er doch eine ganze Zeit zusammen gelebt hatte. Der Justizrat wollte nach Deutschland zurückkehren, und wer wußte, ob sich ihre Wege in diesem Leben wieder kreuzten. Der Justizrat rauchte ruhig weiter. Ob er etwas Ähnliches fühlte, ließ sich durch die dicken Dampfwolken nicht erkennen.

Jetzt rollte der Wagen heran. Ein gewöhnlicher Leiterwagen, von zwei starken Pferden gezogen. Durch Matratzen und Betten war er so bequem wie möglich gemacht worden, im hinteren Teil lag das Gepäck. Hetson selbst hatte mit auf dem Wagen Platz genommen, da er sich für die kurze Strecke kein Pferd kaufen wollte. Lanzot ritt an der Seite, an der Manuela saß, nebenher. Sie hatte sich nur schwer vom Grab des Vaters getrennt und an dem Morgen viel geweint. Sie wußte, daß sie es nie wieder sehen würde. Jetzt war sie jedoch gefaßter. Der heitere, herrliche Herbstmorgen trug viel dazu bei, ihr Gemüt zu beruhigen und sie für das Gefühl empfänglicher zu machen, daß sie dieses entsetzliche Land verlassen konnte und einem neuen, sorgenfreien Leben entgegensah.

Noch einige Schwierigkeiten gab es, um den Justizrat in den Sattel zu bringen. Dann konnte er den rechten Steigbügel nicht finden. Aber auch das wurde bewerkstelligt, und es war nichts weiter nötig, als den Koffer auf den Wagen zu heben, was natürlich wieder auf dem Assessor und Hufner hängenblieb. Jetzt war alles fertig, die Pferde zogen an, und der Wagen rollte die Straße entlang.

»Also, lieber Herr Justizrat«, begann der Assessor mit vollem Herzen von dem Mann Abschied zu nehmen. Ob sich der Justizrat aber das Herz nicht schwermachen wollte oder auch alle für überflüssig hielt, er gab kurz seinem Maultier die Hacken, sagte einfach »Guten Morgen!« und hielt sich dann schnell mit der rechten Hand – links trug er die Pfeife – am Sattelknopf fest. Das Maultier setzte sich in Bewegung, und seine Freunde blieben etwas verdutzt über den kaltblütigen Abschied mitten auf der Straße stehen. Sie sahen ihm noch eine ganze Weile schweigend nach. So schied der Justizrat aus den Minen und von seinen Freunden, die ihm wirklich aufopfernd gedient hatten, und weshalb? Weil er einen etwas hochtrabenden Titel besaß, und sie als biedere Deutsche den alten Unsinn des Vaterlandes noch nicht so weit abschütteln konnten, um sich von diesem Einfluß frei zu machen. Diese gemalten Lichter sind in Deutschland gut bekannt, die immer so aussehen, als würden sie wirklich leuchten. Nur wenn man etwas an ihnen anzünden will, wenn man sie einmal gebrauchen will, entdeckt man die Täuschung und sieht, daß sie nur für einen etwas wunderlichen Staat da sind. Sie selber halten sich natürlich für Sonnen, die nichts weiter können als strahlen.

Nur im Sattel wurde der Justizrat in diesem festen Bewußtsein seines inneren Wertes, der ihn bis dahin noch keinen Augenblick verlassen hatte, schwankend, denn er fühlte sich da oben nicht gerade behaglich. Es genierte ihn schon, daß er selbst den Zügel halten mußte. Er war es nicht gewohnt, etwas selbst zu machen. Und dann hielt das Maultier auch keinen gleichmäßigen Schritt, sondern richtete sich vollkommen nach seinen Begleitern, die mal langsamer oder schneller ritten. Niemand kümmerte sich weiter um ihn, er mußte also versuchen, sich festzuhalten und mitzukommen. Der Justizrat verfluchte im stillen den Assessor, der ihm zu dem Ritt noch geraten hatte. Dabei hatte es dieser würdige Mann in voller Überzeugung getan, weil er glaubte, daß der Justizrat alles könne, also natürlich auch reiten. Das Wetter war herrlich, ein wunderbar frischer, duftiger Herbstmorgen lag auf dem grünen Wald. Mit dem murmelnden Bergstrom zu ihren Füßen, von dem das Klappern der dort arbeitenden Maschinen zu ihnen heraufdrang, mit dem Rauschen der mächtigen Wipfel über sich, zogen die Wanderer fröhlich und leicht ihre Straße entlang.

Ein paar Wegstunden hatten sie hinter sich, als sie einen einzelnen Wanderer überholten. Er war dicht vor ihnen von einem Seitenpfad aus den Bergen gekommen und schien mit ihnen das gleiche Ziel zu haben. Einzelne Fußgänger gab es nun allerdings genug auf dem Weg. Einige zogen schwer bepackt in die Minen, andere marschierten wieder in die Stadt. Deshalb fiel ihnen der Mann auch nicht weiter auf. Graf Beckdorf kam es aber so vor, als hätte er diesen schlenkernden Gang schon einmal gesehen, so wie ihm die ganze Gestalt bekannt vorkam. Außerdem trug der Mann kein Gepäck auf dem Rücken, nicht einmal eine Wolldecke und keine Jacke. Die Mütze saß ihm auf dem Ohr, beide Hände steckten in den Hosentaschen, und so schlenderte er behaglich und unbekümmert auf der Straße dahin. Endlich hatten sie ihn überholt, und Beckdorf, der jetzt sein Pferd herumwarf, rief lachend aus:

»Herr Erbe! Wo, zum Henker, haben Sie die ganze Zeit gesteckt?«

Der Wagen fuhr inzwischen vorüber und weiter, und Lanzot sah sich auch nicht nach dem ihm völlig unbekannten und schmutzig genug aussehenden Mann um. Das Maultier des Justizrates glaubte aber, hier genügend Grund zu finden, um einen Augenblick auszuruhen. Es hielt so plötzlich neben Beckdorfs Pferd an, daß der darauf nicht vorbereitete Reiter fast nach vorn gefallen wäre.

»Hallo, Herr Graf«, sagte der Fußwanderer, ohne die Hände aus den Taschen zu nehmen und nickte nur mit dem dicken, roten Kopf. »How do you do? In den Hills oben war ich und habe gediggt und gewaschen.«

»Hatten Sie Glück dabei?«

»Pah, was die Leute Glück nennen, soll der Teufel hier in den Mines holen. Erst habe ich einen bösen Cold gekätscht und bin ill gewesen, und da war es so, als ob ich nichts finden sollte. Jetzt habe ich mich entschlossen, nach San Francisco zu trawlen.«

»Sträfliches Deutsch«, murmelte der Justizrat vor sich hin. »Verstehe kein Wort.«

»Und was wollen Sie da, Herr Erbe?« fragte Beckdorf, der sich über den Mann amüsierte.

»Ich weiß es noch nicht, vielleicht einen Barbershop aufmachen und die Leute shaven.«

»Ihr altes Geschäft?«

»Yes.«

»Na, dann wünsche ich Ihnen viel Glück«, sagte Beckdorf und nahm seine Zügel wieder auf. »Kommen Sie bald nach.«

»Oh, ich habe plenty Zeit«, meinte Erbe vergnügt. »Man muß hier nie etwas hurry tun. Und wo wollen Sie hin?«

»Auch nach San Francisco.«

»Hm«, meinte Erbe. »Da könnten wir ja...« Es fiel ihm eben ein, ob er nicht mit dem Deutschen, der jedenfalls Geld hatte, gemeinsam einen Friseurladen aufmachen könnte. Aber der verstand bestimmt nichts vom Geschäft, er hätte deshalb die Arbeit allein übernehmen müssen, und das paßte ihm auch nicht. Er brach also wieder ab.

»Wo haben Sie Ihr Gepäck, Herr Erbe?«

»Die Bagage?« sagte der Unverbesserliche und warf einen Blick über seine Schulter, als ob er sich erst überzeugen müßte, daß er nichts trug. »Hm, I have sold out. In San Francisco gibts mehr.«

»Allerdings«, lachte Beckdorf. »Und Sie gehen so leichter. Also, guten Tag, Herr Erbe.«

»Morning«, nickte der Mann zurück, und Beckdorf sprengte die Straße entlang, dicht gefolgt vom Maultier des Justizrats, um den Wagen wieder einzuholen.

»Brr, Donnerwetter«, schrie der Justizrat. »Verfluchtes Tier!« Unter Mißachtung der Pfeife griffen beide Hände an den Sattelknopf, aber das Maultier dachte gar nicht daran, langsamer zu gehen, bis es das Pferd erreicht hatte. Es hielt auch erst wieder, als es mit seinem durchgeschüttelten Reiter den Wagen überholt hatte. Erbe lächelte, als er ihn davonsprengen sah.

Die kleine Kolonne setzte ihren Weg bis zum Mittag fort, ohne daß ihnen ein weiterer Bekannter oder sonst etwas Außergewöhnliches begegnet wäre. Sie brauchten auch keine Gefahr zu befürchten, denn gerade in dieser Zeit waren die Straßen von Fuhrwerken und Maultierzügen sehr stark belebt. Sie sollten alle noch vor Eintritt der Regenzeit genug Proviant in die Minen schaffen. Mittags mußten die Tiere natürlich etwas rasten und in der Nähe weiden. Deshalb lagerte man dicht am Ufer des Calaveres, der hier zu einem kleinen Fluß angewachsen war. In der Nähe wuchs unter dem kühlen Schatten der Uferbäume herrliches Gras. Die Reisenden aßen ihren mitgebrachten Proviant und brachen gegen zwei Uhr wieder auf. Sie wollten Stockton noch an diesem Abend, wenn auch spät erreichen. Dann konnten sie das am nächsten Morgen nach San Francisco abgehende Dampfboot noch erreichen.

Sie hatten ihren Weg noch nicht lange fortgesetzt, als ein Streit auf der Straße ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Er wurde zwischen einem Reiter und einem Fußgänger geführt. Eine Biegung und ein dichtes Buschwerk mußten sie umreiten und kamen dicht vor die Streitenden, ehe die sie bemerkten. Es schien, als ob der Fußgänger den Reiter angegriffen hätte und ihn vom Pferd ziehen wollte. Beckdorf und Lanzot, die gerade nebeneinander ritten, glaubten schon, sie seien gerade rechtzeitig gekommen, um einen Raubüberfall zu vereiteln. Sie griffen zu den Waffen, gaben den Pferden die Sporen und sprengten, vom unglücklichen Justizrat wider Willen gefolgt, auf die Kämpfenden zu. Trotzdem schien der Angreifer nicht von seiner Beute ablassen zu wollen. Da er den im Sattel Sitzenden fest an einem Bein gefaßt hatte und nicht losließ, während das Maultier einen Sprung nach vorn machte, mußte der arme Teufel wohl oder übel herunter und auf die Erde. Der deutsche Fluch ›Heiliges Kreuzdonnerwetter!‹, den er dabei ausstieß, überzeugte die beiden jungen Leute aber bald, daß sie es hier nicht mit einem Raubüberfall, sondern mit einer gewöhnlichen Prügelei zu tun hatten. Zu seinem Erstaunen erkannte Beckdorf jetzt auch in dem Angreifer einen der friedfertigsten und höflichsten Menschen, denen er in seinem ganzen Leben begegnet war – dem Tenor Bublioni.

»Was, zum Teufel, treiben Sie denn hier für Geschichten, bester Freund?« rief er ihm lachend zu, als sie heransprengten. »Was hat Ihnen denn der unglückliche Mann getan?«

»Der?« rief Bublioni, ohne nur einen Augenblick zu versäumen, und die Zügel ergriff und selbst in den Sattel sprang. »Das ist der größte Betrüger unter der Sonne, der sogenannte Aktuar Korbel, der mich um alles gebracht hat, was mein Eigentum war. Jetzt wollte er stolz an mir vorbereiten, während ich laufen mußte.«

»Geben Sie mir mein Maultier wieder, Herr Bublioni«, schrie jetzt der Aktuar, der sich wieder aufgerafft hatte. »Meine Herren, erlauben Sie nicht, daß ich hier auf offener Straße bestohlen werde!«

»Bestohlen? Sie Bösewicht!« rief der Tenor. »Alles, was ich hatte – elf Unzen Gold–, hat er mir weggeschleppt, um angeblich dafür Proviant zu kaufen...«

»Aber ich war ja eben unterwegs...«

»Gut, dann geben Sie mir mein Gold wieder, und Sie erhalten das Maultier sofort zurück.«

»Das Gold ist schon in San Francisco«, sagte der Aktuar.

»Ja, das glaube ich«, rief der Tenor. »Aber in wessen Beutel? Und ich habe mir inzwischen meine Stimme vollkommen ruiniert. Was habe ich jetzt von meiner Goldgräberei? Schulden und einen ewigen Stockschnupfen.«

»Aber wo wollen Sie jetzt hin?« fragte Beckdorf.

»Nach San Francisco«, lautete die Antwort. »Wie ich höre, ist da ein Theater eingerichtet worden, und ich will sehen, ob ich da ein Engagement bekommen kann.«

»Aber nicht auf meinem Maultier«, schrie der Aktuar, der in diesem Augenblick einen verzweifelten Satz auf den Mann zu machte, um sein Eigentum wiederzubekommen. Bublioni konnte aber sehr gut reiten und warf das Maultier rasch herum. Dann setzte er ihm beide Hacken in die Seiten und sprengte mit dem erbeuteten Tier in voller Flucht die Straße hinunter.

»Sollen wir dabei zusehen?« sagte Lanzot, der kopfschüttelnd dem Streit zugesehen hatte.

»Natürlich«, lachte Beckdorf. »Denn dem Burschen da geschieht völlig recht. Er schuldet uns allen Geld und hat damit getrunken und gespielt, während dieser arme Teufel fleißig arbeitete. Aber komm, da ist der Wagen, und wir wollen uns mit dem Lump nicht länger aufhalten.«

Der Wagen fuhr vorbei, ohne anzuhalten, und der Justizrat war die ganze Zeit auf seinem Maultier unbarmherzig herumgeworfen worden. Es wollte nämlich dem Wagen nach, und sein Reiter hätte es auch nicht halten können, wenn Beckdorf und Lanzot ihm nicht mit ihren Pferden den Weg verlegt hätten. Mit großer Mühe beruhigte es sich wieder, und der Justizrat, der bis dahin genug mit sich selbst zu tun gehabt hatte, erkannte zu seinem Erstaunen seinen alten Freund, den Kometen. Korbel stand nämlich noch mit einem dicken, roten Kopf dicht am Weg und schien vollkommen unschlüssig, in welche Richtung er gehen sollte. Beckdorf und Lanzot ritten weiter. Aber der Justizrat zügelte sein Maultier mit Gewalt und rief:

»He – Aktuar–, sehr gut, treffe Sie hier, gehn weg aus den Minen, meine halbe Unze.«

Der Aktuar sah den Mann verächtlich über die Schulter an und brummte sehr unhöflich: »Holzkopf!«

»Donnerwetter!« rief der Justizrat, aber sein Maultier schnitt die so interessant begonnene Unterhaltung ab. Die Pferde waren voraus, und denen folgte es jetzt, mochte sein Reiter auch noch so an den Zügeln reißen, wie er wollte. Der diesmal geprellte Komet blieb in düsterem Schweigen und mit untergeschlagenen Armen auf der Straße zurück.

Der Justizrat wäre jetzt gern wütend geworden, wenn ihm das Tier nur Zeit gelassen hätte. Aber von hier ab ging der Weg eine ganze Strecke bergab, und der Wagen fuhr so schnell, daß die Reiter ihm im scharfen Galopp folgen mußten. Da blieb ihm nichts weiter übrig, als die halbe Unze im Stich und den ›Holzkopf‹ auf sich sitzenzulassen, denn zügeln konnte er nicht mehr.

Mehr und mehr belebte sich die Straße, und hier und da fanden sie schon Stellen, wo die Amerikaner ihre kleinen Blockhütten mit einem Stück eingezäuntem Feld erbauten.

Mit Sonnenuntergang trafen sie auf mehrere Trupps lagernde Maultiere, bis sie endlich die weißen Zeltdächer Stocktons erkennen konnten. Lanzot freute sich besonders wegen der armen Frauen, daß sie das Ziel ihrer mühseligen und nicht bequemen Fahrt erreicht hatten. Er sah sich auch nach dem Justizrat um, der mit merkwürdigen Verrenkungen auf seinem Tier saß und nicht richtig fortzukommen schien.

Er wendete sein Pferd, ritt zu ihm und rief:

»Was ist denn, Herr Justizrat, will Ihr Klepper nicht mehr von der Stelle? Jetzt sind Sie bald erlöst, sehen Sie, da drüben liegt schon Stockton, und in einer oder anderthalb Stunden können wir es erreichen. Was hatten Sie denn eben?«

»Gott sei Dank!« brummte der Justizrat zwischen den Zähnen durch. »Verdammte Bestie! Wolf!«

»Ein Wolf? Hier?« rief der junge Mann erstaunt und sah sich vergeblich um. »Das wird wahrscheinlich ein kleiner Coyote gewesen sein, die gibt es sehr viel hier, und mit der Dämmerung kommen sie hervor. Vor denen müssen Sie sich aber nicht fürchten!«

»Unsinn, Coyote!« brummte der Justizrat noch verdrießlicher als vorher. »Wolf – Wolf geritten!«

Da mußte Lanzot doch laut auflachen. Aber da mit dem ohnehin nicht gemütlichen Menschen in dieser Stimmung nichts anzufangen war, ließ er ihn eben reiten, so gut er konnte, und schloß sich dem Wagen wieder an. In Stockton mußten sie übernachten, aber mit Tagesanbruch ging ein Dampfer nach San Francisco. Die Fahrt dauerte höchstens zwölf Stunden. Dort begrüßte sie Doktor Rascher, der sie schon erwartete und ihnen sogar schon Plätze auf dem nach Panama abgehenden Dampfer besorgt hatte. Der ging aber erst am dritten Tag in See, und Lanzot nutzte die Zeit, um Manuela zu heiraten. Der alte Doktor schüttelte zwar noch immer den Kopf, betrieb aber alle Vorbereitungen eifrig und schien sich über das Glück der jungen Leute innig zu freuen.

Die Trauung war um drei Uhr am letzten Tag, und um sechs Uhr mußten sie an Bord des Dampfers ›Mohican‹ sein, der mit qualmenden Schornsteinen draußen in der Bai vor Anker lag. Der Justizrat wollte sich mit ihnen einschiffen, es war ihnen aber lieb, daß er mit seinen Vorbereitungen nicht fertig wurde. Hier fehlte ihm der Assessor, der seine Sachen packte. Auch Graf Beckdorf blieb zurück, um, wie er lachend sagte, sein Glück noch einmal in den Minen zu probieren. Aber er begleitete die Freunde noch nach der Hochzeit, bei der er Trauzeuge war, bis an die Landung. Der Justizrat ging auch mit, da er doch nichts weiter zu tun hatte.

Durch das Lärmen und Treiben der neuentstandenen Weltstadt, durch das Drängen nach Gold, durch ein Gewühl lebendiger Spekulationen gingen die glücklichen Menschen, die hier in Kalifornien das schönste Gold, den Frieden ihrer Seele gefunden hatten, zum Landungsplatz. Von hier aus sollten sie mit einem Boot zum Dampfer hinübergeschafft werden. Sie folgten dem langen Steg, der in die Bai hinausgebaut war, um bei hoher Flut eine direkte Landverbindung zu den Schiffen zu erhalten. Dort rannte der Justizrat, der stets seine Augen woanders hatte, gegen eine riesige Menschengestalt, die mit Feuerzangen, Schaufeln, Waffen und Handwerkszeug behängt war. Sie sah aus wie ein wanderndes Eisenlager, das mitten im Weg stand und die Waren anbot.

»Donnerwetter«, sagte der Mann und sah im nächsten Augenblick erstaunt, dann bestürzt zu dem dicken, gemütlichen Gesicht des Giganten auf, den man, einmal gesehen, nie wieder vergessen konnte. »Hm, alte Bekannte«. Es war derselbe Mann, der ihn damals spät abends an seiner Verschanzung im Paradies verhaften ließ. Keineswegs erinnerte sich jedoch der Riese noch an den unbedeutenden Justizrat.

»Kaufen Sie nichts von den Eisenwaren, lieber Herr?« sagte er freundlich. »Keinen Revolver, Hirschfänger, Bajonette, Feuerschaufeln, Zangen, Messer, Gabeln, Löffel, Briefbeschwerer?«

»Hm, sonderbar!« murmelte der Justizrat zwischen den Zähnen durch, antwortete aber nicht und ging langsam an dem Verkäufer vorüber, zum Ende des Stegs.

Er kam da gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie die Boote mit den Passagieren von der Landung abstießen und zum Dampfer eilten, von dem schon die dritte Glocke läutete.

»Hallo – mitfahren!« schrie er allerdings hinterher, aber die Bootsleute hatten keine Zeit mehr, umzukehren. Hetsons erkannten ihn aber, und sie und Lanzot winkten ihm noch ein Lebewohl zu, das er jedoch nicht erwiderte.

»Können zum Teufel gehen«, brummte er vor sich hin, drehte sich um und kehrte in die Stadt zurück.

Doktor Rascher und Graf Beckdorf waren mit im Boot. Nach herzlichem Abschied und dem Versprechen, sie einmal an ihren verschiedenen Wohnorten aufzusuchen, trennten sie sich von ihnen. Die Damen stiegen die breite Schiffstreppe hinauf, von Hetson und Lanzot dabei unterstützt. Das Gepäck wurde durch eine Menge geschäftiger Hände nachgereicht, die Treppe selbst hob sich – die Räder begannen zu arbeiten, die Boote wichen dem keuchenden Koloß aus – der Anker kam unter dem Singen und Jubeln der Matrosen nach oben. Wenige Minuten später schäumte die klare Flut des Baiwassers unter dem scharfen Bug der Mohican, und auf den zurückgeworfenen Radwellen schaukelten die Boote. Vom Heck des Dampfers, gerade unter dem lustig in der frischen Brise wehenden Sternenbanner, winkten ein paar weiße Taschentücher grüßend herüber.

»Lebt wohl! Gott segne euch!« rief der alte Doktor Rascher hinüber. Die klaren Tränen standen ihm im Auge, und über die Bai, dem Goldenen Tor entgegen, schäumte das Fahrzeug dem Ozean – der Heimat entgegen.


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