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26. Die Begegnung

Doktor Rascher hatte sich dem Tumult nicht weiter genähert. Dieses wilde Toben und Wüten der Burschen war ihm unangenehm und paßte nicht zu seinem ruhigen, friedlichen Wesen. Er wunderte sich nur, daß die Leute in dem großen und fast noch wilden Land nicht einmal freundschaftlich nebeneinander wohnen konnten. Platz genug gab es doch für jeden, um sich nach Belieben auszubreiten. Er dachte aber gar nicht daran, sich in die Auseinandersetzungen einzumischen, er hatte schon mehr Aufregung gefunden, als ihm lieb war. Hetson kam bald zurück, und mit ihm ging er jetzt zum Zelt des Alkalden. Er wollte nicht nur die ihm lieb gewordenen Menschen begrüßen, sondern auch als Arzt den durch ihn begründeten und jetzt wieder bedrohten Frieden sichern.

Hetson überflog mit einem Blick das Zelt, als sie eintraten. Mrs. Hetson beugte sich tröstend über Manuela, die weinend neben ihr auf dem Boden saß. In der entferntesten Ecke saß Don Alonso, ein Bild der Wut und der Scham. Erschrocken fuhr er auf, als er die Männer erkannte, die ihn so gesehen hatten. Auch Manuela richtete sich rasch empor und wollte schon den Raum verlassen, als sie Doktor Rascher erkannte. Aber auch Mrs. Hetson hatte ihn gesehen, strahlte vor Freude und lief ihm entgegen.

»Sie sendet uns Gott, seien Sie uns tausendmal willkommen!«

»Was ist geschehen?« rief Hetson, dem die Stimmung der Anwesenden nicht entgangen war. Doktor Rascher nahm beide Hände der Frau und schüttelte sie herzlich.

»Laß das doch jetzt«, wehrte Jenny ab, die den auf Manuela gehefteten Blick sah. »Nachher. Du sollst und mußt alles erfahren. Vorher aber, Frank, laß mich dir in Gegenwart dieses Mannes eine Mitteilung machen, für die du nicht unvorbereitet sein kannst, die aber...«

»Ich weiß schon alles«, sagte ihr Mann ruhig. Der forschende, strenge Blick, mit dem er sie ansah, trieb ihr das Blut mit einem Schlag in das Gesicht hinauf.

»Du weißt?« rief sie rasch und erstaunt. Aber ein Gedanke tauchte in ihr auf, und fast erschrocken setzte sie hinzu: »Durch diesen Siftly?«

Hetson wandte den Blick nicht ab, sondern nickte nur schweigend. Seine Frau mußte sich erst sammeln. Sie befürchtete in dem wilden Blick ihres Mannes, die Krankheit wieder ausbrechen zu sehen. Aber bald fand sie die nötige Ruhe wieder, und mit leiser, fast vorwurfsvoller Stimme fuhr sie fort:

»Wenn er dir alles mitgeteilt hat, hat er dir da auch gesagt, daß Charles Golway an dieser Küste, die er sonst nie im Leben betreten hätte, nur durch deine eigene Schuld gelandet ist?«

»Durch meine Schuld?« rief Hetson, durch diese Anklage überrascht.

»Durch deine Schuld«, wiederholte seine Frau. »Wie sehr hatte ich dich damals in Chile gebeten, unser Reiseziel nicht zu verheimlichen! Dein Argwohn, leugne es nicht, deine Fieberträume haben mir alles verraten, dein unglückseliger Argwohn sah einen anderen Grund darin. Du hattest Sorge, ich wollte absichtlich meinem früheren Verlobten eine Spur hinterlassen, damit er mir sicher folgen konnte. Nur dein Mißtrauen hat ihn hierhergebracht. Nach den Berichten, die er in Valparaiso erhielt, glaubte er uns unterwegs nach Australien. So war er vollkommen sicher, uns in Kalifornien nicht zu begegnen, in diesem Menschenstrom, der sich hier zusammenzog.«

»Sie hören die Bestätigung dessen, was ich Ihnen schon lange vorher gesagt habe, lieber Mr. Hetson«, fiel hier der alte Doktor Rascher ein. »Der Gefahr waren Sie ausgesetzt, wenn Sie es mit einem ehrlichen und aufrichtigen Mann zu tun hatten, und einen Schurken brauchten Sie nicht zu fürchten. Es mußte ein anständiger Mann sein, den Mrs. Hetson früher geliebt hatte.«

»Und was soll jetzt geschehen?« flüsterte Hetson, in dem die Gefühle durcheinanderwirbelten. »Was ist zu tun, um das Unheil abzuwenden, das uns durch seine Nähe droht?«

»Zu tun?« sagte seine Frau mit einem wehmütigen Lächeln um die schmerzhaft zusammengezogenen Lippen. »Uns bleibt da nichts zu tun, Frank. Was überhaupt geschehen konnte, hat er selbst schon getan. Er will weg von hier, und wahrscheinlich trägt ihn eben schon sein Pferd weit, weit weg von uns, um nie wieder unseren Pfad zu kreuzen.«

»Das gebe Gott«, flüsterte Hetson leise vor sich hin, »das gebe Gott.«

»Ich habe das nicht anders erwartet«, sagte Rascher ruhig. »Deshalb, Mr. Hetson, waren auch alle Ihre bisherigen Befürchtungen, die zuletzt sogar die Form einer gefährlichen Krankheit annahmen, so grundlos, ja, fast selbstmörderisch. Sie vernichteten unnötigerweise Ihr eigenes Glück, Ihren eigenen Frieden.«

»Und wo hast du ihn getroffen?« flüsterte der Mann jetzt mehr, als er sprach, und sah seine Frau wieder an.

»Auf dem Berg oben. Ich bin mit Manuela dorthin gegangen, um den wundervollen Morgen zu genießen«, antwortete Jenny ruhig.

»Aber du hast früher unser Zelt nie so weit verlassen!«

»Allerdings, aber gerade deshalb lockte uns die reine, frische Luft auf die Höhen, um die Aussicht in das Tal zu genießen. Keiner von uns hatte eine Ahnung, daß die Gegend so unruhig war und so viele Indianer dort umherstreiften.«

Wieder schwieg ihr Mann, doch es war offensichtlich, daß er noch eine andere Frage auf dem Herzen hatte, die er nicht aussprechen wollte. Aber er konnte sie auch nicht zurückhalten, er mußte Klarheit in dieser Sache haben. Mit entschlossener, aber doch scheuer Stimme sagte er endlich:

»Und... hattest du... hattest du vorher keine Ahnung, Jenny, daß du... daß du diesen Mann dort oben treffen würdest?«

»Frank, um Gottes willen«, rief die Frau erschrocken aus. »Die Frage kommt nicht aus deinem eigenen Herzen. Den Argwohn hat ein anderer, uns beiden feindlicher Mann gesät. Bin ich denn auch nur ein einziges Mal unaufrichtig zu dir gewesen? Habe ich je ein einziges Geheimnis nur kurze Zeit vor dir gehabt?«

»Auch Manuela wußte nichts von ihm?« fuhr aber Hetson fort, den trüben Becher bis auf den Satz ausleerend.

»Manuela?« sagte Jenny, und ein bitteres Gefühl beschlich sie zum ersten Mal. »Du bist ein Meister der Kunst im Peinigen. Aber ich will auch diese Frage einfach beantworten. Nein – bei meinem Wort–, sie wußte nichts. Bist du jetzt zufrieden?«

Hetson schwieg, und fast unwillkürlich suchte sein Blick Manuela, die zitternd neben der Freundin stand.

»Aber was ist hier vorgegangen?« rief er jetzt, indem sein Blick von dem Mädchen zu ihrem Vater hinüberflog. »Was ist geschehen? Manuela hat geweint, als ich in das Zelt kam.«

»Der Mann«, sagte Jenny mit fester, entschlossener Stimme, »den du deinen Freund nennst, ist ein Schuft.«

»Siftly?«

»Das ist sein Name«, lautete die fest und bestimmt gegebene Antwort. »Auf schlaue, teuflische Weise hat er den alten Mann wieder gelockt. Als er ihm die wenigen Dollars abgenommen hatte, die er sich mit schwerer Arbeit draußen erarbeitet hatte, brachte er ihn soweit, daß er in seiner furchtbaren Spielleidenschaft seine Tochter einsetzte.«

»Manuela?« rief Hetson erschrocken.

»Manuela«, bestätigte seine Frau, während ihr der Zorn die feinen Lippen fester zusammenzog. »Du weißt, wie sie unter der entwürdigenden Behandlung in dieser Spielhölle gelitten hat, wo sie als Lockvogel für die wüste Schar spielen mußte. Um dem zu entgehen, zog sie mit uns hierher und fühlte sich glücklich in dem stillen Leben. Jetzt hat ihr eigener Vater das einzige Kind verspielt, damit sie diesem Teufel in Menschengestalt wieder dient.«

»Ich verstehe das nicht...«, rief Hetson erstaunt.

»Sie soll für ihn einen Monat lang jeden Abend zwei Stunden in seinem Zelt spielen. Das verlangt er, und er glaubt, das Recht dazu zu haben.«

»Und Manuela?«

»Will eher sterben, als ihm gehorchen.«

Während sie sprach, war Don Alonso langsam von seinem Sitz aufgestanden. Wenn er auch nur gebrochen Englisch sprach, verstand er doch gut genug. um was es sich handelte. Jetzt trat er an die Seite des Amerikaners, der ihn finster ansah. Er ergriff seinen Arm und sagte mit leiser, bewegter Stimme in seiner eigenen Sprache:

»Señor, Ihre Frau hat Ihnen die Wahrheit gesagt. Aber glauben Sie mir bei allem, was Sie auf und über der Erde für heilig halten, dieser Mann hat falsch gespielt.«

»Ist das eine Entschuldigung, Señor?« sagte der Amerikaner. »Macht das die Tat, mit der Sie Ihre Tochter leichtsinnig wieder in das alte Elend stoßen, weniger verächtlich?«

»Das wollte ich damit nicht sagen«, stöhnte der alte Mann und schlug verzweifelt die Hände zusammen. »Ich wollte nur diesem furchtbaren Land entfliehen. Mit den dreihundert Dollar, die er dagegen setzte, hätte ich meine Heimat mit meinem Kind wieder erreicht.«

»Und jetzt?« fragte Hetson kalt.

»Gott allein weiß es«, stöhnte der Unglückliche und bedeckte das fahle Gesicht mit den Händen.

»Spricht das Gesetz dem Spieler das Mädchen zu?« erkundigte sich besorgt Doktor Rascher, während Manuelas Blicke an den Lippen des Richters hingen, als ob sie von ihm ihr Todesurteil erwarte.

»Wie alt ist Manuela?«

»Achtzehn Jahre.«

Wieder schwieg der Alkalde, und eine peinliche Stille herrschte in dem Raum.

Da richtete sich Don Alonso noch einmal auf. Wieder faßte er den Arm des Amerikaners und sagte mit heiserer, von innerer Bewegung fast erstickter Stimme:

»Señor, was ich in dieser Nacht gelitten habe, könnte ich Ihnen nicht schildern, auch wenn ich es versuchen wollte. So, wie ich den Morgen erwartet habe, muß dem Verdammten zumute sein, auf den der Henker mit Sonnenaufgang wartet. Ich habe geweint und gebetet, aber ich habe auch den festen Vorsatz gefaßt, von diesem Tag an nie wieder eine Karte zu berühren. Bitten Sie Ihren Landsmann für mich, daß er mir diesmal den Satz erläßt. Ich will vom Morgengrauen bis in die späte Nacht arbeiten, um ihm die dreihundert Dollar zu bezahlen, die er, wenn auch nur zum Schein, gegen mich gewagt hat. Ich weiß, er hat mich betrogen, aber vor den Augen der Welt bin ich sein Schuldner.«

»Vater!« rief die Tochter, flog in seine Arme und barg krampfhaft schluchzend ihren Kopf an seiner Brust. »Vater, mein lieber, lieber Vater!«

Wilder Lärm vor dem Zelt schreckte sie auf, und als sich alle umdrehten, warf Hale plötzlich die Leinwand zurück.

»Tut mir leid, wenn ich störe, Ladies«, sagte er dabei. »Aber die Sache läßt sich nun einmal nicht ändern. Squire, wir bringen einen Mann, den wir im dringenden Verdacht haben, daß er den armen Johns erschlagen und beraubt hat. Hier, Sir, treten Sie vor, und wenn...«

»Charles!« stieß Jenny in einem fast gellenden Schrei aus und mußte sich an der Lehne des nächsten Stuhles festhalten, um nicht in die Knie zu sinken.

Hetson zuckte bei dem Namen zusammen, als hätte ihn eine Kugel getroffen. Aber in seinen fast marmorbleichen Gesichtszügen zeigte sich nicht die geringste Veränderung. Nur sein kaltes, dunkles Auge glitt forschend von seiner Frau zu dem Angeklagten und haftete auf ihm, als ob er das Bild für immer in sich aufnehmen wollte. Auch der Gefangene war blaß, aber er begegnete fest und ernst, fast traurig dem Blick des Richters, und beide Männer standen sich so eine Zeitlang gegenüber.

Eine Anzahl Miner wollte in ihrer unbekümmerten Art in das Zelt nachdrängen. Hale wies sie aber zurück, konnte jedoch nicht verhindern, daß einige den Zelteingang emporhoben, um einen Blick in das Innere zu werfen. Da endlich wandte sich Hetson an seine Frau und sagte ernst, aber nicht unfreundlich:

»Jenny, du wirst einsehen, daß hier in diesem Augenblick kein Platz für Frauen ist. Sei so gut und zieh dich mit Manuela zurück.«

»Hältst du Charles Golway für einen Mörder, Frank? Kannst du nur annehmen, daß er dazu fähig wäre?« fragte seine Frau, wenn auch mit unterdrückter, doch dringend mahnender Stimme.

»Er wird Gerechtigkeit bekommen«, sagte der Richter kalt. »Ist er wirklich schuldlos, so hat er genausowenig von uns zu befürchten, als wenn er vor einem Gericht seines Landes stände. Wäre er aber schuldig, dann müßte er die Strafe erleiden, und wenn ich meinem eigenen Bruder gegenüberstände.«

Seine Frau zögerte noch. Es war, als ob sie sich von der Stelle, auf der sie stand, nicht losreißen könnte. Aber sie fühlte auch, daß ihre Gegenwart nicht nur überflüssig war, sondern sogar störend wirken könnte. Sie ergriff Manuelas Hand und verließ mit ihr die vordere Zeltabteilung, ohne sich noch einmal umzusehen.«

»Mr. Hetson«, sagte der Gefangene, der ihnen mit dem Blick folgte, bis die Leinwand hinter ihnen herunterfiel. »Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, daß unsere Begegnung unfreiwillig geschieht. Ihr eigener Sheriff wäre dafür mein bester Zeuge. Ich versichere Ihnen aber, daß es mir sehr leid tut, Ihren Frieden hier gestört zu haben, auch wenn das ganz zufällig geschah. Ohne diesen unglückseligen Zufall – ein Zusammentreffen von Umständen – würde ich jetzt auf meinem Pferd nach San Francisco reiten.«

»Das ist wenigstens verdammt ehrlich gesprochen«, sagte Cook. »Es wird die ganze Geschichte nur vereinfachen. Daß er gern ausgekniffen wäre, kann ich beschwören.«

»Mr. Golway – so heißen Sie doch?« sagte ruhig der Richter, der eine eiserne Ruhe zeigte. Der Engländer verbeugte sich leicht.

»Charles Golway«, sagte er fest.

»Charles!« flüsterte Hetson leise vor sich hin. Aber nur für einen Augenblick lenkte ihn der Name von seinem Ziel ab. Mit vollkommen ruhiger Stimme setzte er gleich darauf hinzu:

»Mr. Golway, ich muß Ihnen nicht verhehlen, daß mir nach allem, was geschehen ist, ein solches Zusammentreffen mit Ihnen sehr schmerzhaft ist. Trotzdem bin ich als Alkalde dieses Distrikts gezwungen, meine Pflicht zu tun, und Sie werden erlauben, daß ich dabei dem Geschäftsgang folge.«

Der Gefangene nickte, und der Alkalde wandte sich an Hale.

»Was veranlaßte Sie, einen so schweren Verdacht gegen diesen Fremden zu schöpfen, Sheriff, und wer ist sein Ankläger?«

Hale hatte mit einiger Verwunderung die vorherigen Worte gehört, auch wenn er natürlich nicht den Sinn verstand. Jedenfalls mußten sich die beiden von früher kennen, und es entging ihm nicht, daß sich keiner besonders über das Wiedersehen freute. Aber was ging ihn das an? Die Frage des Alkalden war deutlich genug, und so antwortete er bündig:

»Sein Ankläger hier ist James Cook, ein redlicher Farmer aus den Staaten, für dessen Ehrbarkeit ich selbst Bürgschaft leiste.«

»Und was haben Sie gegen den Mann zu sagen, Mr. Cook?«

»Einfach das, Squire, daß ich in seinem Besitz dieses Stück Gold gefunden habe, das ich mit dem vor kurzem hier in der Nähe ermordet aufgefundenen Johns in Carltons Flat zusammen ausgegraben habe. Ich weiß, daß Johns es nie im Leben aus den Händen gegeben hätte, selbst nicht für den doppelten oder dreifachen Wert, denn er wollte es für seine Mutter aufheben oder ihr schicken.«

»Wie sind Sie in den Besitz des Goldes gekommen, Mr. Golway?«

»Die Frage scheint außerordentlich einfach zu sein«, antwortete der Gefangene. »Aber trotzdem fällt es mir schwer, sie zu beantworten. Gehen Sie hier in das Zelt eines Händlers, nehmen sie seinen Geldbeutel, aus dem Sie ein beliebiges Stück heraussuchen, und fragen Sie dann den Mann, von wem er gerade dieses Stück bekommen hat. Mit vollem Recht wird er sagen, daß er das nicht wisse. Ich kann nicht jedes einzelne Stück betrachten, das ich auf die Waage lege.«

»Sie sind kein Händler.«

»Nein, aber ich habe in den letzten Tagen, ehe ich meinen früheren Arbeitsplatz verließ, an verschiedene Leute meine Maschine, mein Handwerkszeug, mein Zelt und mein Bett, ja selbst verschiedene andere Kleinigkeiten verkauft und dafür von allen Gold bekommen. Der Tod dieses unglücklichen Mannes tut mir leid, aber ich selber bin völlig unschuldig daran, und nur ein Mißgeschick konnte diesen Verdacht gegen mich erregen. Allerdings verdenke ich es den Leuten nicht, daß sie mich deshalb zur Rede gestellt haben, aber lassen Sie auch die Sache damit abgetan sein. Ich bin weder Räuber noch Mörder, und möchte keine andere Vergünstigung, als meinen Weg so schnell wie möglich nach San Francisco fortsetzen zu können, damit ich mich schnell einschiffen kann.«

»Daran zweifle ich nicht«, nahm Hale jetzt das Wort. »Damit das aber nicht geschieht, haben wir Sie festgehalten, guter Freund. Cook ist bereit zu beschwören, daß dieses Stück Gold dem Ermordeten gehörte und noch vor wenigen Tagen in seinem Besitz war. Bis Sie uns nicht den Mann genannt haben, von dem Sie es bekommen haben, müssen wir Sie eben für den halten, der es ihm abgenommen hat.«

»Es ist auch genug amerikanisches Blut in Kalifornien vergossen worden«, fiel Cook ein. »Es wird Zeit, daß wir euch Fremden etwas schärfer auf die Finger sehen, als das bislang geschah. Selbst die ehrlichen Leute unter euch dürfen uns das nicht verübeln. Wo England und ganz Europa ihre Zuchthäuser nach Amerika ausleeren, haben wir Amerikaner, meine ich, das Recht, in jedem, der von dort kommt, etwas Ähnliches zu vermuten. An der Nase kann man es niemand ansehen, wie es in ihm aussieht. Finden sich dann noch solche Beweise, dann, denke ich, braucht es mehr als nur gute Worte, um einen solchen Vogel wieder fliegen zu lassen.«

»Trauen Sie mir eine solche Tat zu, Mr. Hetson?« fragte da der Gefangene und wandte sich fast unwillig an den Alkalden.

»Meine eigene Meinung kommt hier nicht in Betracht«, erwiderte Hetson. »Egal, ob Sie zu Ihren Gunsten oder Ungunsten ausfiele. Wir stehen hier auf kalifornischem Boden und unter kalifornischen Gesetzen, und denen müssen wir uns beide fügen. Alles, was in meinen Kräften steht, um Ihre Unschuld zu beweisen, will ich tun, wie das auch meine Pflicht ist. Sagen Sie mir also ehrlich, was Sie von dem Goldstück wissen und wen Sie zu Ihren Gunsten als Zeugen nennen können.«

»Alle, die für mich zeugen können, sind am Macalome«, antwortete Golway. »Ich könnte sie aber nicht nennen, denn nur von wenigen kenne ich überhaupt den Vornamen. Einen traf ich allerdings heute morgen in der Nähe der Stadt oben in den Hügeln. Aber er wollte sich hier nur ganz kurze Zeit aufhalten und ist sicher zu seinem alten Minenplatz zurückgekehrt.«

»Und wie heißt er?«

»Seinen Namen habe ich nie gehört. Ich weiß nur, daß er ein geborener Amerikaner ist.«

»Und Sie sind auch nicht imstande, die Leute genauer zu beschreiben, von denen Sie Gold für Werkzeug oder andere Sachen bekommen haben?«

»Wenn ich sie sähe, ja. Einer davon befindet sich sogar hier im Ort, und ich habe mein lahmes Pferd an ihn verkauft. Ich glaube fest, daß ich von ihm das Stück erhalten habe, denn ich weiß noch, daß er mir grobkörniges Gold gab. Ich war allerdings nicht in der Stimmung, besonders darauf zu achten. Ich konnte ja nicht ahnen, daß es solche Folgen haben würde.«

»Und dessen Namen kennen Sie auch nicht?«

»Nein. Wer fragt hier einen anderen nach dem Namen, wenn man einen Handel abschließt? Hätte der Mann das Gold auf unredliche Weise bekommen, so würde er doch leugnen, und ich wäre nicht in der Lage, meine Aussage zu beschwören.«

»Aber Sie wissen doch ungefähr, wie er aussah und wo er arbeitet?« sagte Hale, der nach diesen so allgemein gehaltenen Antworten nicht mehr daran zweifelte, den wirklichen Mörder vor sich zu haben. Nur die Leute wollte er jetzt auffinden, die der Engländer angab, um mit deren Aussagen ihn um so sicherer zu überführen.

»Er sah aus wie alle Leute, die hier in den Minen herumhacken«, sagte Golway finster, »und arbeitete gleich drüben am Berghang, wo die Büsche noch eine Strecke in das Tal hinablaufen. Ein schmaler Reitpfad führt von da in dieses Camp, und ganz in der Nähe arbeiten auch mehrere Neger.«

»Oh, ich weiß schon. Ihr Pferd war lahm, sagten Sie?«

»Ja, es hatte sich an einem trockenen Ast die Haut und das Fleisch des Vorderbeins aufgerissen. Ein braunes Pferd, das linke Hinterbein über den Fesseln weiß und mit einem weißen Stern auf der Stirn.«

»Na, das ist aufzufinden«, sagte Hale. »So viele lahme Pferde wird es im Paradies nicht geben. Aber wie bekommen wir die Zeugen vom Macalome herüber, wenn Sie nicht in der Lage sind, Ihre Namen zu nennen?«

»Geben Sie mir jemand mit, und ich will selber...«

»Ja, kann ich mir denken!« rief der Sheriff. »jetzt, wo die Gegend von Indianern wimmelt. Ich weiß nicht einmal, ob wir einen Boten finden würden, der hinüberreiten möchte.«

»Was können die auch helfen«, sagte Cook. »Höchstens bezeugen, daß er drüben gearbeitet hat. Denn daß er den Platz nicht einmal für einen halben Tag oder in der Nacht verlassen hat, wird keiner beschwören können.«

»Und wie bewachen wir den Burschen jetzt?« wollte Hale wissen. »Lange können wir ihn nicht halten, und Gefängnisse haben wir auch nicht.«

»Wir können nichts weiter tun, Mr. Hale«, sagte der Alkalde, »als an Ort und Stelle erst den Tatbestand festzustellen und die Zeugen zu vernehmen. Halten wir ihn dann für schuldig, dann müssen wir ihn an das District Court abliefern, die sein Urteil sprechen wird. Mir steht kein Recht über Leben und Tod zu.«

»Aber der Jury steht es zu«, rief Cook wild dazwischen. »Glauben Sie, wir werden den Mörder eines so ehrlichen, anständigen Mannes den Advokaten nach Golden Gate oder San Francisco hinüberschicken, damit sie ihn dort vielleicht wieder laufenlassen?«

»Sie werden tun, Sir«, sagte der Richter ernst, »was Ihnen die Gesetze gebieten.«

»Wenn Sie das glauben, dann kennen Sie die Kalifornier noch nicht. Aber verdammt will ich sein...«, sagte Cook lachend.

»Ruhig, Cook«, unterbrach ihn Hale. »Die Sache geht jetzt ihren Gang, und daran können Sie nichts ändern, ob Sie den lieben Herrgott oder den Teufel zu Hilfe holen. Die Hauptsache ist jetzt, den Burschen so zu bewachen, daß er nicht auskneifen kann.«

»Ich werde nicht fliehen«, antwortete der Gefangene ruhig.

»Das ist sehr schön, aber auf diese Zusicherung möchte ich nicht bauen. Noch etwas zu sagen, Mr. Hetson?« meinte der Sheriff.

»Nein, Sie sorgen dafür, daß dem Gefangenen nichts fehlt.«

»Er soll zu essen und zu trinken haben.«

»Und daß er nicht beleidigt wird...«

»Er steht unter meiner Obhut«, sagte Hale finster. »Solange wir nicht wissen, ob er schuldig ist, werde ich ihm die Burschen schon vom Leibe halten.«

»Und wo wollen Sie ihn bewachen?«

»In meinem eigenen Zelt. Freiwillige Wachen werden sich schon dazu finden.«

»Es ist gut. Noch einmal, Mr. Golway. Es tut mir leid, Sie in solcher Lage zu sehen, aber...«

»Tun Sie Ihre Pflicht«, sagte Golway, »mehr verlange ich von Ihnen nicht.«

»Sonst noch etwas, Squire?« fragte der Sheriff.

Mr. Hetson schüttelte den Kopf, und die beiden Männer führten den Gefangenen weg, um ihn in das Zelt des Sheriffs zu bringen, bis die Jury zusammengerufen wurde.

Doktor Rascher hatte dem Verhör schweigend, aber aufmerksam zugehört. Jetzt erst, als die Männer das Zelt verlassen hatten, wandte er sich an Hetson.

»Mr. Hetson, meine feste Überzeugung sagt mir, daß der Mann unschuldig ist.«

»Und das Gold?«

»Wie leicht kann das bei solchen Verkäufen durch den wirklichen Verbrecher oder die zweite und dritte Hand in seinen Besitz gekommen sein. Halten Sie den Mann, den Ihre Frau einmal heiraten wollte, für fähig, eine solche Tat zu begehen?«

»Die Frage hat er schon selbst an mich gerichtet«, sagte Hetson. »Wer will aber in ein Menschenherz sehen?«

»Sie haben das getan«, sagte der alte Mann überzeugt. »Sie so gut wie ich. Sie sind überzeugt, daß er das Verbrechen nicht begangen hat, nicht begehen konnte, und Sie müssen alles, was in Ihren Kräften steht, tun, um ihm die notwendigen Beweise zu verschaffen, wenn nicht Ihr ganzes späteres Leben ein einziger Vorwurf, ein Leben bitterer Reue werden soll.«

»Er untersteht dem Gesetz«, sagte Hetson finster.

»Das tun wir alle«, erwiderte der Doktor. »Ihnen brauche ich doch wohl kaum zu sagen, wie es mit den Gesetzen hier in Kalifornien steht, und wie die aufgeregte Menge im wilden Aufruhr Gesetz und Ordnung unter die Füße tritt, wenn sie glaubt, daß diese Gesetze ihr störend im Wege sein könnten. Ich erinnere mich zu gut an die langen Jahre in den Staaten, wo ich Zeuge der willkürlichen Lynchgesetze war.«

Hetson hatte sich in einen Stuhl geworfen und stützte sich auf den linken Ellbogen. Dabei sah er finster auf den Tisch. Er hörte nicht, wie seine Frau leise wieder in das Zelt trat und auf ihn zuging. Erst als sie ihre Hand leicht auf seine Achsel legte und seinen Namen flüsterte, hob er langsam seine Hand, die sie ergriff. Aber er drehte nicht seinen Kopf zu ihr um.

»Frank«, sagte seine Frau mit flüsternder, angstbebender Stimme. »Ich habe alles gehört, die dünne Zeitwand ist nur ein schwacher Schutz gegen das laute, zornige Wort der Männer. Sie haben Böses mit dem Unglücklichen im Sinn, und du, du wirst ihn nicht schützen können.«

»Und wenn er den Mord wirklich verübt hätte?« sagte Hetson, ohne sie anzusehen.

»Frank, um Gottes willen, diese Frage meinst du nicht im Ernst«, bat ihn seine Frau in Todesangst.

»Man hat ein Goldstück bei ihm gefunden, das dem Toten gehörte!«

»Und wenn ein Engel vom Himmel käme und sagen würde, er wäre schuldig, ich sage nein, nein, und tausendmal nein«, rief Jenny in wilder Leidenschaft.

»Jenny!« rief Hetson und stand erstaunt auf. »Du bist ja völlig außer dir.«

»Mrs. Hetson, bitte fassen Sie sich!« sagte auch Doktor Rascher.

»Warum?« rief Jenny in ihrer Aufregung. »Mußte ich meinem Herzen denn nicht lange genug Gewalt antun all diese langen Jahre? Kannte ich einen anderen Gedanken als den Frieden dieses Mannes, einen anderen Seelenwunsch, als ihn glücklich zu sehen und ihn von der unglücklichen Wahnvorstellung zu heilen, die ihn lähmte? Selbst in diese Wildnis zwischen Menschen, vor deren Roheit sogar die Indianer zurückweichen, bin ich ihm gefolgt. Aber alles hat seine Grenze, auch das Leben. Es gibt einen Punkt, der mich zum Wahnsinn treibt, es gibt eine Stelle in meinem Herzen, die man tödlich treffen kann. Davor warne ich, denn für die Folgen kann ich nichts.«

»Also liebst du deinen früheren Verlobten noch immer?« sagte Hetson, und seine Stimme klang hohl, fast geisterhaft.

»Lieben«, wiederholte leise und matt seine Frau, und der ausgestreckte Arm sank an ihrer Seite herunter. »Lieben? Ja, wie man einen Toten liebt. Aber ich will ihn nicht noch einmal vor meinen Augen ermordet sehen«, setzte sie rascher und heftiger hinzu. »Spiele nicht mit den Gefühlen, Frank, die Gott uns ins Herz gelegt hat. Dieser Mann war meine erste, heiße Liebe. Und wenn ich auch das Gefühl selbst mit der Wurzel aus der eigenen Brust gerissen habe, so blieben doch die feinen Fasern, die es früher genährt haben, darin zurück. Ich habe auf ihn verzichtet und freue mich über deine Liebe, Frank, und nicht der Schatten seines Bildes soll zwischen uns stehen. Aber du kannst nicht verlangen, daß ich ihn vergessen soll, du kannst nicht glauben, daß ich seinem Mörder...«

»Jenny!« schrie Hetson erschrocken und streckte die Hand aus.

»Es ist gut«, sagte seine Frau kurz abbrechend. »Gott will uns nicht mehr auferlegen, als wir tragen können, und tut er es doch, dann liegt ja gerade in der Krankheit auch die Heilung für alles Leid.«

»Beruhigen Sie sich, Mrs. Hetson«, bat Doktor Rascher. »Ist Mr. Golways wirklich unschuldig, woran ich selbst nicht zweifle, dann muß er für sein Leben oder seine Freiheit nichts befürchten. Zufällige Umstände sprechen aber gegen ihn, und von denen muß er, auch der Öffentlichkeit gegenüber, gereinigt werden. Wir können ruhig dem Ende der Untersuchung entgegensehen, und daß alles geschehen soll, um dem Fremden hier gerecht zu werden, dafür lassen Sie mich und Ihren eigenen Mann sorgen.«

Als Jenny nicht mehr sprach, war Hetson in seine alte Stellung zurückgesunken, und Jenny wollte sich noch einmal an ihn wenden. Rascher bat sie aber durch ein Zeichen, ihn jetzt allein und ungestört zu lassen. Mit einem tiefen Seufzer fügte sie sich der Bitte und drückte seine Hand. Langsam verließ sie den vorderen Teil des Zeltes, um sich in ihren eigenen Bereich zurückzuziehen.

»Mein lieber Hetson«, sagte Doktor Rascher, als sie hinter der Leinwand verschwunden war. Hetson unterbrach ihn aber. Nicht unfreundlich streckte er ihm die Hand entgegen und sagte leise:

»Bitte, lassen Sie mich jetzt einen Augenblick allein, lieber Doktor. Ich muß mich erst einmal sammeln und mit mir ins reine kommen, ehe ich mich anderen Eindrücken hingeben kann. Sie nehmen mir das nicht übel, nicht wahr?«

»Ich kann Sie in keiner besseren Gesellschaft lassen«, sagte der alte Mann herzlich. »Das Edle und Gute, das Sie so reichlich in Ihrem Herzen haben, wird bei einer Selbstbetrachtung leicht die Oberhand über die bösen Träume und Gedanken gewinnen. Wenn ich wiederkomme, hoffe ich, daß Sie mir froh entgegentreten können.«

Hetson erwiderte nichts darauf. Als der Doktor das Zelt schon lange verlassen hatte, ja, als schon der Abend seine Dämmerschatten über das Tal warf, saß der Mann noch immer, den Kopf in der Hand, den Ellbogen auf den Tisch gestützt, und starrte still vor sich hin.


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