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28. Die Jury

Am nächsten Morgen lag dichter Nebel über der Flat, der das ganze Tal in seinen undurchdringlichen Schleier hüllte. Er trug nicht gerade dazu bei, die erregten Gemüter zu beruhigen. Gerüchte liefen durch das Lager, daß sich die Indianer und Mexikaner wieder in den Bergen gesammelt hätten, um einen gemeinsamen Angriff auf die Stadt zu machen und dabei den Engländer zu befreien. Keiner der Amerikaner ging an seine Arbeit. Mit den Gewehren auf der Schulter gingen die Männer im Lager umher oder standen in einzelnen Gruppen zusammen, um die vielleicht notwendigen Maßnahmen zu besprechen. Da man kaum zehn Schritte weit sehen konnte, ließ sich auch nicht feststellen, ob die Nachrichten vielleicht übertrieben waren. Ein paar in den Bergen abgefeuerte Schüsse dienten dazu, die Leute noch unruhiger zu stimmen. Man hielt sie nämlich für Signale der Gegner. Ein paar der Mutigsten gingen auf Kundschaft. Selbst Hetson hatte allein, nur mit Büchse und Revolver bewaffnet, eine Runde um die ganze Flat gemacht. Daß er dabei nichts entdecken konnte, beruhigte die anderen nicht. Sie verlangten jetzt von dem Alkalden das Zusammenrufen der Jury, um über den Gefangenen zu urteilen.

Die Stimmung gegen den war auch unter den Amerikanern nur feindselig. Selbst die ruhigen unter ihnen wollten sich nicht von dem Gedanken trennen, daß ihnen England seine Verbrecher herüberschickte. Deshalb war es auch nötig, denen zu zeigen, was sie hier zu erwarten hatten. Hale versuchte vergeblich, ihnen zu erklären, daß ihnen hier im Ort keineswegs ein Urteil über Leben und Tod eines Menschen zustände, und wenn sie den Verbrecher bei der Tat ertappt hätten. Die Leute waren nicht in der Stimmung, das einzusehen und sich zu fügen. Der Sheriff teilte dem Alkalden seine Besorgnis mit, daß die Männer, wenn die Jury ihn schuldig spräche, wahrscheinlich ›einen dummen Streich‹ machen würden. Unter diesen Umständen hielt es Hetson für besser, ihn gleich unter sicherer Bewachung nach Golden Bottom zum District Court zu schicken. Aber schon die Andeutung dieser Ansicht brachte die Leute außer sich. Sie fühlten sich um ihr Opfer betrogen und erklärten dem Alkalden, daß der Engländer einen von ihnen hier ermordet hätte, und daß er deshalb auch hier büßen müsse, und wenn sich das District Court auf den Kopf stellen würde. Wollte er ihn keiner Jury zum Urteil überlassen, gut, dann würden sie ihn bis zum nächsten Baum bringen und da selbst Gericht über ihn halten. Das sei wahrscheinlich auch das beste und kürzeste.

Hetson versuchte, seiner Frau die gereizte Stimmung zu verbergen. Aber die dünne Zeltleinwand konnte die draußen geführten zornigen Reden nicht dämpfen. Doktor Rascher war die ganze Zeit bei ihr, und Emil Lanzot, der vorher eine lange Unterhaltung mit dem Doktor hatte, sondierte inzwischen die Stimmung seiner Landsleute. Er wollte erfahren, ob sie im Falle eines Gewaltverfahrens auf seiten der Amerikaner waren oder dem Richter beistehen würden. Aber wie sah er sich da getäuscht! Fischer erklärte sich dazu sofort bereit. Alle anderen verweigerten jede auch nur einer Demonstration ähnliche Bewegung. Nur der Justizrat sicherte seine Gegenwart zu, natürlich ohne Waffen. Es war möglich, daß er annahm, er könne die Amerikaner durch sein gewöhnliches, barsches Anfahren zur Vernunft bringen. So sehr ihm aber sonst der alte, komische Kauz Spaß gemacht hatte, nahm er sein Angebot nicht an und versuchte jetzt sein Glück bei den Franzosen, mit demselben Erfolg. Wäre es einer ihrer Landsleute gewesen, dann allerdings, so aber wollten sie sich nicht in amerikanische und englische Streitigkeiten mischen, die die Leute lieber unter sich selbst ausmachten. Sie waren entschlossen, ihre eigenen Rechte in den Minen zu wahren, und wollten deshalb den Amerikanern keinen vielleicht willkommenen Grund geben, mit ihnen anzubinden.

Hale hatte übrigens dem Alkalden mitgeteilt, daß ein Deutscher noch in der Nacht nach Macalome hinübergeritten sei, um den alten Nolten als Zeugen für den Gefangenen zu holen. Danach war Hetson fest entschlossen, die Jury nicht vor dem späten Nachmittag zusammenzurufen. Außerdem hatte er noch einen Boten nach Golden Gate geschickt. Das war der kleine Schiffsjunge, der sich beim Angriff auf die Mexikaner so mutig benommen hatte. Der kleine Bursche schwor, daß er sich die Indianer und Señores schon vom Leib halten wolle. Da Fischer ihm sein Pferd borgte, ritt er keck in den Nebel hinein, um den Brief dort an der Judge des District Court abzugeben und ihm von dem Fall zu erzählen. Mehr konnte Hetson nicht tun, aber damit war auch eine Last von seiner Seele genommen. Was auch geschah, er brauchte sich selbst wenigstens keine Vorwürfe mehr zu machen.

So verging der Vormittag im Camp, und schwül und bleiern, wie die Luft über dem Tal lag, war auch die ganze Stimmung. Das kochte und gärte in den unruhigen Köpfen. Die von gestern noch aufgereizten Männer verlangten nach einem Gegenstand, an dem sie sich Luft machen konnten. Wehe dem Unglücklichen, der dann einem Pöbelhaufen preisgegeben war!

Mit großer Ungeduld hatte inzwischen Doktor Rascher die Stunden schwinden sehen, und noch immer kam der junge Deutsche mit dem versprochenen Zeugen nicht zurück. Es war zwölf, ein, zwei Uhr geworden, und noch immer ließ er sich nicht blicken. Hatte er sich vielleicht im Nebel verirrt? Lagen doch die düsteren Schwaden heute so zäh wie noch nie über Berg und Tal und wankten und wichen nicht. Aber auch die Amerikaner fingen an zu murren, als sich der Tag mehr und mehr neigte, ohne daß Anstalten gemacht wurden, mit dem Verhör zu beginnen. Mit Cook an der Spitze erklärten sie endlich dem Alkalden, daß sie die Jury unter keiner Bedingung mehr länger als bis vier Uhr hinausschieben wollten. Die Jury war inzwischen schon gewählt. Es lag dann später nur noch an dem Gefangenen, einen Teil von ihnen zu verweigern, für die dann andere eintreten mußten. Aber wie konnte der Fremde unter ihnen wählen, wo er keinen von ihnen kannte!

Vier Uhr kam, und die Jury wollte sich, wie üblich, im Zelt des Alkalden versammeln. Hetson hatte aber den Sheriff gebeten, ihnen diesmal sein eigenes Zelt zu überlassen, und Hale ging gern darauf ein. Siftly hatte sich inzwischen nicht mehr blicken lassen, aber er war für seine Zwecke die ganze Zeit tätig gewesen. Dadurch war die Stimmung bei einigen Amerikanern für den Alkalden nicht mehr sehr günstig, trotz seines gestrigen Verhaltens. Die besseren unter ihnen hielten sich aber von dem Spieler fern. Sie ärgerten sich nur, daß der Alkalde den Engländer nicht preisgeben wollte. So duldeten sie stillschweigend, daß der wilde Haufen mit Briars an der Spitze damit drohte, Gewalt anzuwenden, wenn es nicht im guten ging.

Siftly verstand nicht, wie Hetson dazu kam, die Befreiung seines Todfeindes zu wünschen, vor dem er früher so große Angst hatte. Aber es durchkreuzte seine Pläne. Hatte der sonst so schwankende, charakterlose Mann nie gewagt, ihm zu trotzen, ihm, der ihm doch zu diesem Amt verholfen hatte, damit er ein willenloses Werkzeug in der Hand hatte, um Recht und Gesetz so zu drehen, wie er es brauchte? Weg also mit ihm, wenn er sich nicht mehr gebrauchen ließ. Dazu gab es keinen günstigeren Zeitpunkt als jetzt. Daß er die Spanierin nicht mitnehmen konnte, ehe die ihren Vertrag erfüllt hatte, dafür wollte er schon sorgen. Wenn sie von Hetson getrennt und in seiner Gewalt war, gehörten sie und ihr Vater ganz ihm. Der Verbrecher knirschte wild in grimmiger Freude mit den Zähnen, als er sich die Zukunft in lockenden Bildern ausmalte. Erst der Ruf der Jury weckte ihn aus seinen Träumen.

Im Lager waren inzwischen auch andere Amerikaner aus den benachbarten Minen eingetroffen, die von der Erhebung der Mexikaner gehört hatten. Sie waren gekommen, um ihren Landsleuten zu helfen. Alle trugen Gewehre, und manche wilde, sonnenverbrannte Gestalt war unter ihnen, von Jagd- und Indianerkämpfen in der Heimat abgehärtet. Hale kannte auch mehrere von ihnen und hoffte, daß sie eher dem Gesetz als den rauflustigen Gesellen beistehen würden, falls es zum Äußersten kommen sollte. Hales kleines Zelt konnte die Menge nicht aufnehmen, und man beschloß, die Jury in der offenen Flat, dem ›roten Boden‹, zu versammeln. Zwanzig eifrige Hände waren auch sofort dabei, ein paar der Gruben zuzuwerfen, um einen größeren Platz einzuebnen. Auf einen der Erdhaufen wurde dann etwas erhöht ein Stuhl für den Alkalden gestellt, rasch Pfosten eingeschlagen und Bretter darübergelegt, um Bänke für die gewählte Jury herzustellen.

Trotzdem Siftly alles versucht hatte, um mit zu dieser Jury zu kommen, hatte man keinen der bekannten Spieler dabeihaben wollen. Die Amerikaner spielten wohl und verschleuderten ihr Gold dabei, aber sie kannten auch die Männer, die ein Geschäft daraus machten. Sie hielten sie für ein solches Ehrenamt für unwürdig. Niemand sprach darüber, aber die Spieler erhielten nur wenige Stimmen, die sie sich gegenseitig gaben. So stand Siftly, die Zarape fest um sich geschlagen, den breitrandigen Hut in die Stirn gedrückt, nicht weit von Hetsons Stuhl, um den Gang der Verhandlung von dort zu beobachten.

Es war halb fünf geworden, und während der Angeklagte von seinen Wächtern vorgeführt wurde, erschien auch Hetson zwischen den Männern. Aber es wäre schwer gewesen, den Schuldigen unter den beiden herauszusuchen, so ernst und totenbleich sahen beide aus. Von Hale hatten einige der Neuankömmlinge gehört, wie tapfer sich der Richter gestern benommen hatte, und sie begrüßten ihn. Seine Siegestrophäe, die mexikanische Flagge, wehte noch immer unter der amerikanischen, allen Feinden zum Trotz. Sie schüttelten ihm die Hand und bedauerten nur, daß sie den Spaß nicht mitmachen konnten.

Der Himmel hatte sich etwas aufgeklärt. Während die Leute ihre Plätze einnahmen, brach sich in den oberen Luftschichten die Sonne Bahn und zeigte etwas blauen Himmel. Dadurch drückte sie aber den zähen Nebel noch fester auf den Boden.

Der für die Jury bestimmte Platz war jetzt hergestellt und alles versammelt. Nur Hetson zögerte noch immer, zu beginnen. Er hoffte, daß der Deutsche doch noch mit seinem Entlastungszeugen eintreffen könnte.

Aber die Jury wurde unruhig, und die Amerikaner wollten die ›Ausflüchte‹ nicht länger gelten lassen. Die festgesetzte Zeit war verstrichen, der Abend vor der Tür, und das vergossene, amerikanische Blut schrie nach Rache. Hetson konnte es nicht entgehen, daß sich die meisten seiner Leute in einer fieberhaften Aufregung befanden. Das Resultat der Verhandlung konnte kaum noch bezweifelt werden. Golway war verloren, wenn diese Leute sein Urteil sprechen durften. Lauter und dringender verlangten sie den Verhandlungsbeginn, sie wollten nicht länger hingehalten werden, und die nächste Stunde mußte das Schicksal des Gefangenen entscheiden. Hetson gab endlich das Zeichen zur Eröffnung des Court.

Auf Hales Rat wies Golway nur Briars von den Geschworenen zurück, obwohl er zu Beginn die Jury überhaupt nicht anerkennen und gegen das ganze Verfahren protestieren wollte. Hale bewog ihn aber, das nicht zu tun, weil es an der Sache nichts ändern würde und die schon gegen ihn herrschende Stimmung nur verschlimmern konnte.

Cook trat jetzt als Ankläger vor und erzählte so einfach wie möglich den ganzen Tatbestand. Wie Johns, mit dem er zusammen gearbeitet hatte, ermordet und verscharrt im Wald gefunden wurde, wie er sein Pferd an den Mann da verkauft habe und von ihm ein Stück Gold bekam, das Johns Eigentum gewesen war, was er beschwören könnte. Freiwillig hätte der sich davon nie getrennt. Er beschrieb dann, wie sie dieses und noch zwei andere auffallende Stücke zusammen ausgegraben hatten, von denen sich aber nur das eine bei dem Gefangenen gefunden hätte. Johns hätte sich damals sehr darüber gefreut und es seiner Mutter schicken oder bringen wollen. Jetzt läge er in seinem blutigen Grabe, während die arme Frau vergeblich auf Nachricht von ihrem Sohn warte. Könne der Fremde beweisen, von wem er das Stück habe, so sei damit auch seine Unschuld bewiesen. Könne er das nicht, so meine er wenigstens, müsse man ihn deswegen zur Rechenschaft ziehen.

Wildes Gemurmel drohender Stimmen durchlief die Versammlung, als Cook schwieg. Das Bild, das er vielleicht ganz unabsichtlich heraufbeschworen hatte, verfehlte seine Wirkung nicht. Mitleid mit der armen Mutter und Abscheu gegen den feigen Mörder erfüllten ihre Herzen. In dieser gegen ihn arbeitenden Stimmung erhob sich jetzt der Angeklagte. Wenn sein Gesicht auch noch blaß war und seine Stimme zuerst zitterte, sammelte er sich bald. Sein Blick wurde lebhaft, als er der drohenden Gefahr die Zähne zeigte. Entrüstet wies er die Anklage von sich ab. Mit kurzen Worten erzählte er, wie er am Macalome gearbeitet hatte, bis er dieses Leben leid war. Er sei ein Seemann und auf dem Meer daheim, und dahin wollte er zurück, als ein unglückliches Mißverständnis ihn hier aufgehalten hatte. Das Gold, das er durch den Verkauf seines Zeltes und seines Werkzeuges bekam, hatte er nicht genau genug betrachtet, um die einzelnen Stücke zu kennen. Je mehr er aber darüber nachdachte, desto mehr sei er davon überzeugt, daß er das fragliche Stück von dem Mann erhalten habe, dem er sein lahm gewordenes Pferd verkauft habe, auch wenn der, wie ihm der Sheriff sagte, das leugnen würde. Übrigens könne er den Mord nicht verübt haben, da er erst vorgestern abend spät vom Macalome aufgebrochen wäre. Das würde er beweisen, wenn man ihm Zeit und Gelegenheit gäbe, um die Zeugen dafür zu bringen. Ein junger Deutscher habe das versucht, sich jedoch wahrscheinlich im Nebel verirrt. Sie dürften aber über keinen Mann richten, dem sie nicht die volle Gelegenheit geboten hätten, sich zu rechtfertigen, und deshalb verlange er, nach Macalome gebracht zu werden, um seine Unschuld zu beweisen.

»Das glaubt dir der Teufel!« schrie Briars auf. »Damit du uns unterwegs im Dickicht und Nebel durch die Lappen gehst, nicht wahr? Warum nicht lieber die Zeugen aus England holen?«

»Ruhe in dem Court!« rief da der Sheriff. »Briars, Sie haben hier kein Wort mitzureden!«

»Habe ich nicht?« höhnte er. »Dann wollen wir doch sehen, wer hier das letzte Wort hat, wir oder die Tintenkleckser! Er soll beweisen, von wem er das Goldstück hat, und da er das nicht kann, soll er hängen!«

»Ich will verdammt sein!« rief Hale und wollte auf den Mann zuspringen, um die Würde seines Sheriffsamtes hier zu wahren.

»Halt, Halt!« rief ihm der Alkalde zu. »Lassen Sie jetzt den Mann mit seiner Drohung zufrieden und rufen Sie Boyles hierher, um sich gegen die Anklage zu verteidigen.«

»Boyles, Boyles! Wo, zum Henker, steckt der denn, er war doch noch da?« rief es von mehreren Stimmen.

Einzelne gingen in die Zeltstraße, um nach ihm zu suchen, andere wurden zu seinem und Kentons Zelt geschickt, aber er war nirgends zu finden. Nach etwa einer Viertelstunde kehrten alle wieder zurück.

»Wozu, zum Henker, brauchen wir auch Boyles?« rief wieder Briars. »Vereidigt mich für ihn als Zeugen, denn ich war dabei, als ihn Hale nach dem Stück fragte. Er weiß nichts davon und hat es nie im Leben gesehen. Das sind doch alles nur Ausflüchte, die der Bursche machen will!«

»Ich danke Ihnen, Sir«, antwortete Hetson ruhig, dem der Aufenthalt erwünscht kam. »Sie können wir für einen anderen nicht als Zeugen gebrauchen. Bis Boyles nicht gefunden wird, müssen wir die Verhandlung aussetzen.«

»Ich denke doch, daß der Sheriff, der mit dem Mann schon gesprochen hat, am besten für ihn eintreten kann«, sagte da Siftly. »Wir Amerikaner sind fest entschlossen, daß die Sache vorwärtsgeht, und unter uns ist wohl keiner, der Boyles einen Mord zutraut.«

»Ich werde nicht für Boyles eintreten«, sagte Hale. »Ich habe ihn zwar gefragt und ihm das Stück, gezeigt, und er hat mir gesagt, daß er nichts davon wisse.«

»Na, was wollen wir denn mehr?« rief Briars.

»Sein ganzes Benehmen dabei gefiel mir aber nicht«, fuhr Hale ruhig fort. »Er schien selbst nicht so ganz sicher zu sein. Jedenfalls soll er seine Antwort auch hier selbst abgeben. Übrigens habe ich ihm gesagt, daß er in dem Court erscheinen soll.«

»Gentlemen of the jury«, sagte da Hetson, »die ganze Anklage dieses Mannes, gegen den sonst nicht das geringste Verdächtige vorliegt, beruht auf diesem einen Goldstück. Gerade der Mann, von dem er glaubt, es erhalten zu haben, ist trotz erhaltener Vorladung hier nicht anwesend. Ich bin deshalb der Meinung, daß es in Ordnung wäre, die Jury wenigstens so lange zu verschieben, bis er aufgefunden ist.«

»Und wenn Boyles nicht erscheint?« sagte Siftly. »Wenn er vielleicht an das langweilige Gericht gar nicht denkt und in die Berge gegangen ist, um zu prospektieren?«

»Dann werde ich den Gefangenen mangels Beweise entlassen«, sagte ruhig der Richter.

»Ist das auch eure Meinung, ihr Männer von Kalifornien?« schrie da Briars. »Sollen wir diese australischen Verbrecher hier mit Pistole und Dolch unter uns herumlaufen und unser Blut vergießen lassen, um nachher zuzusehen, wie sie von einem schwachköpfigen Richter freigegeben werden und uns auslachen?«

»Der Mann ist überführt!« riefen jetzt auch Siftly und einige andere. »Was kümmert uns Boyles, mit dem haben wir nichts zu tun.«

»Dann wollen wir auch keine Umstände mehr machen«, rief Boyles und sprang vor. »Wer echtes amerikanisches Blut in den Adern hat, folgt mir!« Damit eilte er auf den Gefangenen zu, während Siftly mit acht oder zehn anderen sich um ihn drängten.

»Briars, ich warne Sie!« schrie Hale. »Sie greifen in mein Amt, und ich will verdammt sein, wenn Sie dem Mann ein Haar krümmen ohne meinen Willen!«

»So sei es, mein Bursche!« lachte Siftly, griff den Gefangenen an der Schulter, um ihn hochzureißen. Eine rauhe Hand packte ihn aber an der Brust und warf ihn so von da zurück, daß er sich kaum auf den Füßen halten konnte.

»Hölle und Teufel!« schrie da der Spieler in voller Wut. »Tritt mir das Breigesicht wieder in den Weg? Du kommst mir gerade recht!« Mit diesen Worten riß er seinen Revolver aus der Tasche. Ehe er ihn aber spannen oder richten konnte, hatte ihn Lanzot unterlaufen und faßte ihn an der Kehle, während einer der Geschworenen kam, um die in dieser Menge gefährliche Schußwaffe unschädlich zu machen. Nicht so harmlos lief der ebenso rasch geführte Kampf zwischen Hale und Briars ab. Als der Sheriff neben Lanzot vor den Gefangenen sprang, stieß der fast rasende Mann mit dem scharfen, ausgezackten und mit Messing beschlagenen Kolben seiner Büchse nach dem Gesicht des Sheriffs. Hätte er es richtig getroffen, wäre es zerschmettert. Hale behielt auch kaum Zeit, den Kopf zu drehen, und selbst da noch riß ihm die untere Kante die Backe auf. Hale war aber mit seinem Revolver schneller als Siftly. Ehe Briars den Schlag wiederholen konnte, warf ihn der gerade in sein Gesicht abgefeuerte Schuß tot auf den Boden.

Merkwürdig ruhig hatten sich bei diesem kaum Sekunden dauernden Kampf die frisch eingetroffenen Amerikaner benommen. Keiner von ihnen redete auch nur ein Wort hinein und hob eine Hand, solange der Wortstreit dauerte. Kaum hatte aber der wilde Briars seinen Angriff gemacht und Siftly die Waffe gezogen, als sie fast alle ihre Büchsen in die Höhe warfen und über Briars' Leiche vor den Gefangenen und den verwundeten Sheriff traten. Ein alter Mann mit kleinem, aber zähem Körperbau und schneeweißen langen, flatternden Haaren schien ihr Anführer zu sein. Er trug ein ledernes Jagdhemd, Leggins und Mokassins. Er war als der ›kleine Teufel‹ überall in den Minen gut bekannt.

»Seid ihr Amerikaner?« schrie er jetzt die Raufbolde wütend an und nahm seine lange Büchse in den Anschlag. Die Mündung richtete er direkt auf sie. »Pfui über euch Gesindel! Gott soll mich strafen, wenn ich nicht dem nächsten, der die Hand hebt, die Sonne durchs Gehirn scheinen lasse!«

»Laßt mich los!« schrie Siftly, der die Drohung nicht hörte oder beachtete. »Ich will sein Blut haben!«

»Hinter ihm weg da!« rief aber jetzt der Sheriff, der, ebenfalls gereizt, mit gespanntem Revolver Siftly gegenüberstand. »Einen Schritt vorwärts, mein Junge, und du kannst dich mit dem da begraben lassen!«

»Feige Hunde!« tobte der Spieler völlig außer sich. »Alle auf einen, um eine Bande von Fremden zu schützen. Ist denn kein Mann unter euch, der es wagt, sich mir zu stellen?«

»Hier nicht! Verdammt will ich sein, wenn hier in dem Court noch einer eine Hand aufhebt!«

»Wenn Sie einen Wunsch haben, Sir«, sagte da Lanzot kalt, »dann stehe ich Ihnen morgen früh mit Vergnügen zu Diensten. Ich habe schon einmal vergeblich auf Sie gewartet!«

»Gut! Beim Teufel, ich nehme dich beim Wort, mein Bursche!« jubelte Siftly. »Da drüben am Hügel morgen früh um sieben...«

Lanzot nickte leicht, als klappernde Hufschläge die Straße entlangtönten.

»Nolten, bei Gott!« rief der Sheriff, als aus dem Nebel die Gestalten von drei Männern auftauchten, die quer durch die Zelte herübersprengten. »Nolten und Beckdorf.«

»Zu spät?« schrie der alte Mann erschrocken, als er die Leiche vor sich auf dem Boden liegen sah.

»Wenn Sie dem Lumpen da helfen wollten, allerdings«, lachte der alte Jäger. »Aber für den Gefangenen nicht. Kommen Sie als Zeuge für oder gegen ihn?«

»Für ihn, Mac Kinney, für ihn!« rief da der alte Nolten. Er sprang von seinem Pferd und ließ es frei laufen. Wie ich sehe, Gott sei Dank noch rechtzeitig.«

»Robins!« rief jetzt auch Golway jubelnd aus, als er den Mann erkannte, der den alten Nolten begleitete. »Das ist nett von dir, daß du mich nicht im Stich gelassen hast!« –

»Im Stich gelassen?« rief der junge Amerikaner, sprang aus dem Sattel und lief auf den Gefangenen zu, um ihm die Hand zu schütteln. Da sah er die Fesseln, zog sein Messer aus der Scheide und schnitt sie durch.

»Landsleute!« rief er dabei und drehte sich zu den Männern um. »Den Mann hier habt ihr als Mörder verdächtigt, und dabei gibt es keinen besseren Menschen auf der Erde. Als ich krank wurde, hat er mich gepflegt wie einen Bruder. Ich kann mit heiligem Eid beschwören, daß er Macalome auch für keine Viertelstunde verlassen hat bis vorgestern abend, wo wir beide uns trennten.«

»Wenn ihr noch einen anderen Zeugen haben wollt, dann stehe ich hier«, sagte der alte Nolten. »Daß ich nicht lüge, ist wohl allgemein bekannt. Hat er Gold bei sich gehabt, das dem Ermordeten gehörte, so klebt deswegen nicht sein Blut an seinen Händen.«

»So?« rief Hale. »Dann bleibt uns jetzt nichts anderes übrig, als diesen Mr. Boyles irgendwo aufzuspüren, denn ich habe eine Ahnung, daß wir durch den auf eine andere Fährte kommen. Hurra, Jungens, hat noch einer von euch etwas dagegen, daß wir den Engländer ziehenlassen? Na? Wo, zum Teufel, ist denn die Jury?«

»Oh, eben beim Teufel, Hale!« lachte einer der Leute. »Kann man denn den Leuten eine Ordnung beibringen?«

Hetson war vielleicht der einzige, der an dem Aufruhr keinen Anteil genommen hatte, ja, sich überhaupt nicht rührte. Nur seine Hand faßte den Revolver, die gefährliche Schußwaffe, die er wie jeder andere trug. Aber er schien erst den Moment abzuwarten, wo er selbst einschreiten wollte. Als die fremden Amerikaner dazwischensprangen und den Gefangenen schützten, ließ auch seine Hand die Waffe wieder los.

Jetzt kam er langsam von seinem Sitz und trat zu Golway. Er faßte seinen Arm und sagte mit fester, aber bewegter Stimme:

»Sir – Sie sind frei. So leid es mir tut, daß Sie solche Schwierigkeiten hatten, so freue ich mich doch jetzt, Ihnen volle Sicherheit versprechen zu können – solange Sie hier bei uns bleiben wollen.«

»Mr. Hetson...«

»Kommen Sie mit mir«, erwiderte der Mann, während er ihm fest ins Auge sah. »Jenny hat sich sehr um Sie geängstigt.«

Golway schwieg und begegnete dem Blick. Dann sagte er leise:

»Ich glaube, es ist besser, Sie lassen mich ziehen, Sir. Hätten mich die Leute nicht gewaltsam zurückgehalten, wäre ich jetzt weit von hier entfernt.«

»War es wirklich Ihre Absicht, die Minen zu verlassen?« erkundigte sich Hetson. Wieder zuckte, wie vor langer Zeit, ein unheimliches, banges Gefühl durch sein Herz.

»Zweifeln Sie daran?« sagte Golway und sah ihn ruhig an.

Hetson erwiderte nichts, aber er ergriff seine Hand und drückte sie fest.

Robins hatte inzwischen den Männern, unter denen er mehrere Bekannte traf, erzählt, wie er mit dem Engländer zusammen gearbeitet hatte und krank wurde, und wie der sich um ihn gekümmert hatte. In dieser Zeit teilte er sogar trotz seines Sträubens den Gewinn mit ihm. Jetzt hatte er Macalome verlassen und war nur durch einen Zufall in der Nachbarschaft aufgehalten worden, wo er heute Nolten und dem jungen Deutschen begegnete. Nolten kannte ihn aber und wußte, daß er der Kompagnon des Engländers war. Als er die Anklage hörte, hatte er sich sofort auf sein Pferd geworfen, um als Zeuge für ihn aufzutreten. Cook hörte das alles mit an, und es war ihm dabei ein unbehagliches Gefühl, daß er eigentlich die Ursache gewesen war, die den Unschuldigen in eine so gefährliche Lage gebracht hatte. Derb und geradeaus aber, wie er war, ging er jetzt auch ohne weiteres auf den Engländer zu, schüttelte ihm die Hand und sagte:

»Fremder, es tut mir verdammt leid, daß ich Sie so in die Patsche gebracht habe. Aber Nolten und Robins sind Ehrenmänner, und nach ihnen sind Sie auch ein ehrlicher Kerl. Also nichts für ungut – aber ich gäbe meinen kleinen Finger drum, wenn wir den richtigen Mörder fänden. Wollen Sie übrigens einen Rat von mir annehmen?«

»Und der wäre?«

Cook schwieg einen Augenblick und sah finster hinter den Spielern und ihren Freunden her, die Briars' Leiche gerade wegtrugen. Dann murmelte er:

»Hüten Sie sich vor den Männern da. Menschenleben gelten ihnen wenig, sie taxieren alle nur nach dem Wert ihres eigenen.«

»Ich glaube nicht, daß ich ihren Weg so schnell wieder kreuze«, erwiderte Golway mit einem trüben Lächeln. »Ich werde Kalifornien verlassen.«

»Sie haben genug davon gesehen?« lachte Cook. »Ja, es ist ein schlechter Platz für Engländer«, setzte er dann treuherzig hinzu. »Weil man eigentlich nie weiß, woran man mit ihnen ist, und doch sollte man da ein bißchen vorsichtiger sein. Es fehlte bei Gott nicht wenig, und wir hätten Sie aufgehängt.«

Hetson nahm den Arm des Engländers und führte ihn wortlos zu den Zelten.

»Hallo, Sir!« rief ihm Cook nach. »Ihr Pferd können Sie bekommen, wann Sie wollen. Es ist sicher aufgehoben.«

Golway nickte ihm zu und folgte dann dem Alkalden eine kurze Strecke zu dessen Zelt. Er war noch unschlüssig, was er tun und wie er handeln sollte. Endlich, als sie die übrigen Männer weit genug hinter sich gelassen hatten, um nicht mehr von ihnen gehört zu werden, blieb er stehen und sagte freundlich, aber mit fester und ruhiger Stimme:

»Mr. Hetson, ich erkenne Ihre freundliche und ehrenhafte Absicht, mich in Ihr Zelt zu bringen, obwohl Sie mich noch immer für Ihren Nebenbuhler halten müssen. Aber, wir täuschen uns beide nicht über unsere Gefühle. Reißen Sie die alten Wunden nicht mutwillig auf, die noch fast bluten. Was geschehen, ist geschehen, und Gott hat es so gefügt. Wir Menschen können nichts mehr daran ändern. Ich habe dafür gebetet, daß Jenny – verzeihen Sie den Namen–, daß Mrs. Hetson mit Ihnen glücklich wird. Sie werden ihr die Nachricht von meiner Rettung bringen, ich bin überzeugt, es wird sie freuen – lassen Sie es damit genug sein. Wider meinen Willen hat uns das Schicksal hier zusammengeführt, vielleicht ist es aber auch gut so. Es kann und wird ein Abschluß der Gefühle sein, die uns beiden noch bis jetzt das Herz bedrückten. Ein längeres Zusammensein würde uns nur unnötig quälen.«

»Aber Sie dürfen so nicht gehen!« drängte Hetson.

»Nein, die Sonne versinkt bald, und ich hin nicht sicher, ob ich den Weg im Dunkeln nach Stockton finde. Ich werde bis morgen früh hier bleiben. Wenn Sie es dann erlauben, komme ich morgen früh zu Ihrem Zelt, um Abschied von Ihnen – von ihr zu nehmen.«

Hetson schwieg und sah eine Weile nachdenklich zu Boden. Dann schlug er in die Hand des Mannes ein und sagte mit freundlicher, ja herzlicher Stimme:

»Golway, Sie sind ein Ehrenmann. So glücklich mich die Liebe Jennys macht, um so mehr fühle ich Ihren Verlust, teile Ihren Schmerz. Sie haben auch hierbei recht, handeln Sie, wie es Ihnen richtig erscheint, tun Sie, was Sie für das Beste halten. Ich darf Sie aber nicht der Gefahr aussetzen, daß Sie hier noch beleidigt oder gestört werden. Wir haben genug wilde Burschen im Ort, und deshalb empfehle ich Ihnen, die Nacht beim Sheriff zu verbringen.«

»Ich habe seine Gastfreundschaft schon in Anspruch genommen«, lächelte Golway.

»Leider«, seufzte Hetson. »Aber jetzt geschieht das unter anderen Umständen. Wollen Sie nicht zu mir herüberkommen, dann folgen Sie wenigstens meinem Rat, und verlassen Sie sein Zelt heute abend nicht, obwohl wir das ›Gesindel‹ nicht aus den Augen verlieren werden. Es ist besser, ihnen nicht in den Weg zu kommen. Daß heute einer von ihnen erschossen wurde, hat sie jedenfalls noch mehr erbittert. Da kommt Hale, nur wenige Worte, und ich weiß Sie sicher aufgehoben.« –

Die Sonne war untergegangen und in Kentons Zelt hatte man eine Versammlung ›amerikanischer Bürger‹ einberufen. Mit viel Lärm begannen sie ihr Gelage. Wilde, flammende Reden wurden dabei gehalten, als ob die Wütenden alles mit Blei und Messer ausrotten wollten, was sich ihnen in den Weg stellte. Während sie dort noch tobten und rasten, dröhnte das kleine Zeltstädtchen von donnernden Hufen einer Reiterschar. Von dem kleinen Matrosen angeführt, kamen die Männer von Golden Bottom, die meisten mit Jagdhemden bekleidet, die langen Büchsen auf der Schulter. Sie donnerten die Straße entlang und hielten vor dem Zelt des Alkalden. Die Spieler, von dem Hufschlag aufgestört, versuchten sofort Bundesgenossen unter den Neuankömmlingen zu gewinnen. Die Schar bestand aber nicht aus einem zusammengelaufenen Trupp, sondern wurde von dem Richter des Golden Bottom selbst angeführt. Er hatte sie für diesen Streifzug organisiert und vereidigt, um die Gesetze aufrechtzuhalten. Die Leute waren deshalb schon mißtrauisch gegen die Halbtrunkenen und wiesen die angebotenen Gläser ab. Sie hielten ihre Tiere am Zügel und blieben in einer Reihe stehen, bis ihr Anführer sich mit dem Richter und dem Sheriff unterhalten hatte. Hale besorgte ihnen dann Leute, die ihre Tiere zu einem sicheren und guten Weideplatz führten. Die Männer selbst wurden in einem amerikanischen Trinkzelt untergebracht, dessen Wirt kein Spiel erlaubte. Die Raufbolde fühlten sich durch dieses zurückhaltende Wesen der Neuangekommenen eingeschüchtert. Zwar traten noch ein paar Redner auf, aber sie fanden nicht mehr die finsteren Reden und auch nicht mehr die begeisterten Zuhörer wie vorher. Noch vor zehn Uhr gingen die meisten in ihre Betten. Nur diejenigen, die sowieso immer um die Spieltische standen, blieben. Keiner war dem Vorschlag gefolgt, einen Angriff auf die Zelte des Alkalden und des Sheriffs zu unternehmen oder die Wohnungen der Fremden niederzubrennen.

Es mochte zwölf Uhr sein, als Smith und Siftly die Straße zu ihrem Zelt hinaufgingen, das sie beide jetzt gemeinsam bewohnten. Sie gingen schweigend nebeneinander, jeder war nur mit seinen finsteren Gedanken beschäftigt, keiner wollte ein Gespräch anknüpfen. Sie hatten etwa die Hälfte der Wegstrecke zurückgelegt, als plötzlich ein schriller, nicht sehr lauter Schrei dicht neben ihnen vom Boden zu kommen schien.

»Ha – was war das?« rief Siftly, blieb stehen und sah sich um.

»Eine Nachteule«, sagte Smith gleichgültig.

»Es kam dort von der Erde her.«

»Das Zeug fängt Mäuse – jetzt ist sie vor uns – hören Sie?«

Derselbe Ruf erklang in diesem Augenblick etwa hundert Schritt voraus, und Siftly horchte noch einmal in die Richtung, wo er den ersten Laut gehört hatte. Aber alles blieb totenstill. Nur das Laub einzelner Bäume rauschte über ihnen, und die Grillen zirpten. Sehen ließ sich nicht sehr viel, denn die Nacht war dunkel, und der Nebel lag seit Sonnenuntergang noch dichter und fester auf der feuchten Erde. Die beiden Männer gingen weiter, aber kaum vier Schritt von der Stelle, an der sie stehengeblieben waren, erhob sich vorsichtig eine dunkle Gestalt vom Boden und glitt zwischen die Zelte.

»Und wie wird es mit dem grünen Burschen morgen, mit dem Sie sich schießen wollen?« sagte Smith nach einer Weile. »Ihr Plan war ja ganz gut, bis die Hilfstruppen kamen. Jetzt möchte ich meinen Hals aber nicht dafür hergeben.«

»Der ist allerdings mehr dabei gefährdet als Ihre Ohren«, lachte Siftly höhnisch vor sich hin.

»Sie haben gut reden, Siftly«, antwortete mürrisch der verstümmelte Spieler. »Das sag ich Ihnen aber, der Platz wird mir zu warm, wenn wir die Einquartierung behalten. Ich sehe mich lieber nach einem anderen Lokal um, das näher zur Hauptstadt liegt.«

»Sie fürchten sich doch wohl nicht vor den Männern?« rief Siftly. »Zum Teufel, für mich sind das nur neue Kunden, die uns morgen abend schon ihr Gold ins Zelt tragen werden. Was können sie weiter schaden?«

Vor ihnen über den Weg glitt langsam ein dunkler Körper schlangengleich über den Boden hin, zog sich zusammen, als die beiden späten Wanderer ihm plötzlich nahe kamen, und blieb regungslos liegen. Smith ging gerade darauf zu. Als er aber schon den Fuß dagegen hob, fuhr er rasch zurück und bog zur Seite.

»Was gibts?« fragte sein Begleiter.

»Hier liegt einer dieser Baumstümpfe mitten im Weg, so daß man sich Hals und Beine brechen kann«, sagte Smith. »Ich wäre beinahe darüber gestürzt.«

Als die beiden vorüber waren, hob sich das, was Smith für einen Baumstamm gehalten hatte, vom Boden empor. Es war die nicht große, aber gedrungene und kräftige Gestalt eines Mannes, der jetzt hinter den beiden herschlich und gleichen Abstand zu ihnen hielt. Eine andere schloß sich an, und ein leiser, zischender Laut, den der eine der beiden Verfolger ausstieß, wurde nicht weit davon beantwortet.

»Das weiß der Teufel, was das für Bestien sind, die heute nacht hier herumschwärmen«, brummte Smith. »Ob es wirklich Eulen sind?«

»Ich bin doch entschlossen, die Sache mit dem Mädchen bis zum Äußersten zu treiben, Smith«, sagte Siftly, der schon nicht mehr auf die Töne achtete und die Bemerkung gar nicht gehört hatte. »Spielschulden müssen bezahlt werden, das Mädchen ist noch nicht mündig, und kein Gerichtshof Kaliforniens kann sie davor retten. Der Distriktsrichter wird deshalb auch, besonders nach den Vorfällen mit den Mexikanern, diesen charakterlosen Hetson zurechtweisen. Zum Henker, ich will sie haben, und es wäre das erste Mal, daß ich etwas nicht durchsetze, was ich will.«

»Nehmen Sie sich in acht, Siftly«, warnte ihn aber Smith. »Die Schufte hier im Camp sind nicht besonders gut auf uns Spieler zu sprechen und munkeln viel.«

»Pah, was können sie tun?« lachte Siftly. »Wenn sie ihr Gold verloren haben, sind sie wütend, aber nur so lange, bis sie wieder neues haben, um es dann genauso sicher wieder an unsere Tische zu bringen. Sie können uns eben nicht entbehren und würden vor Langeweile sterben, wenn wir weg wären.«

Die beiden hatten inzwischen ihr Zelt erreicht. Sie hätten es nicht so ruhig betreten, wenn sie die dunklen Gestalten gesehen hätten, die es kurz vorher belebten und an dem Eingang horchten. Jetzt war alles ruhig. Gleich am Eingang stand ein Feuerzeug, mit dem Siftly Licht machte. Im Zelt selbst waren zwei rohe Bettstellen aufgeschlagen. Auf eingerammte Pfähle hatten sie nur genagelte Bretter gelegt. Eine ziemlich harte Matratze und eine darübergeworfene Wolldecke waren das Bettzeug. Die Zarape, die jetzt beide um die Schultern trugen, diente als Decke. Vor den Betten war noch bei jedem ein niedriges Tischchen befestigt, auf das die Spieler nach ihrem Eintritt die Revolver und Messer legten. Sein Geld nahm jeder mit in das Bett, um es immer gleich zur Hand zu haben.

Smith schmerzten seine Wunden, und er wickelte sich fest in seine Wolldecke ein. Siftly, auf dessen kleinem Tisch das Licht brannte, lag noch eine ganze Weile wach auf seinem Lager und sah finster, die Zähne fest zusammengebissen, vor sich nieder.

Die Wolldecke, die über seiner Matratze lag, bewegte sich einmal. Der untere Rand hob sich langsam und vorsichtig empor, und ein dunkles Auge wurde sichtbar – aber das Licht brannte noch.

»Smith«, sagte Siftly nach einer ganzen Weile, in der kein Laut die Totenstille unterbrochen hatte. »Oh, Smith!«

Der Mann antwortete nicht, und sein regelmäßiges Atmen verriet, daß er eingeschlafen war. Siftly murmelte einen Fluch zwischen den Zähnen durch, löschte dann das Licht, wickelte sich in seine Zarape und warf sich auf die Seite.


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