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25. Der Gefangene

Lanzot bemerkte, daß der Amerikaner mit seinem alten Freund etwas zu bereden hatte, zu dem sie keinen weiteren Zeugen brauchten. Als sie den Lagerplatz der Deutschen und den zornigen Justizrat verlassen hatten, nahm er sein Tier wieder am Zügel und ging voran in das Paradies, während die beiden im Gespräch zurückblieben. Der alte Mann schüttelte mehrfach bedenklich mit dem Kopf und sprach ein paar beschwichtigende Worte dazwischen, denn Hetson schüttete sein ganzes Herz vor ihm aus und erzählte ihm mit gedämpften Worten alles, was in den letzten, so verhängnisvollen Tagen vorgefallen war. Trotzdem freute sich der alte Arzt aber auch über die gute Veränderung, die im ganzen Wesen seines früheren Patienten vorgegangen war. Das war nicht mehr der schwankende, zaghaft verzweifelnde Mann, wie er ihn an Bord des Schiffes und in San Francisco kannte. Sein ganzes Benehmen, seine Ausdrucksweise und seine Ansichten waren gefestigt. Sogar als er um Rat fragte, war er schon zum Handeln entschlossen. Nur wie ein dünner Schleier lag die Erinnerung an die Vergangenheit noch auf seiner Seele. Nur eines machte ihn noch wankend und nagte innerlich an ihm: der Gedanke, und nach Siftlys Worten die Gewißheit, daß seine Frau vor ihm von der Anwesenheit ihres früheren Verlobten gewußt hatte. Und daß sie, egal zu welchem Zweck, ein heimliches Treffen mit ihm hatte. Das aber leugnete der alte Doktor Rascher. Nach seiner festen Überzeugung konnte sie mit ihm zusammengetroffen sein, aber nie würde sie selbst zu einem Treffen gegangen sein. Die Schilderung, die er dem jungen Amerikaner dabei von Siftly gab, machte das, was er sagte, noch wahrscheinlicher. Hetson erinnerte sich auch, daß seine Frau ihn selbst um eine Unterredung gebeten hatte. So wollte er einen Entschluß hinausschieben, bis er sie gesprochen hatte.

Die beiden Männer waren sich darüber einig, daß der Engländer den Platz auf jeden Fall verlassen mußte. Wenn er ein Ehrenmann war, was Rascher fest glaubte, dann würde er das von selbst tun. Weigerte er sich, so mußten entweder Mittel gefunden werden, ihn zu entfernen, oder Hetson mußte mit seiner Familie einen anderen Ort aufsuchen. Ins Gespräch vertieft, hatten sie den Mittelpunkt der Stadt schon wieder erreicht, ohne es selbst zu bemerken. Da wurden sie auf wilden Lärm und Gedränge von Menschen aufmerksam. Hetson war sich nicht sicher, ob die gereizten Mexikaner gemeinsam mit den Indianern nicht doch noch einen Überfall wagen würden. Er bat Rascher, auf ihn zu warten, und eilte, so schnell er konnte, zum Mittelpunkt des Aufruhrs. Den bildete kein anderer als unser alter Bekannter, der arg mißhandelte und entstellte Smith. Mit dem geronnenen Blut auf der Schulter und blutigem Gesicht, totenbleich, die Haare wirr um den Kopf hängend, hing er mehr auf seinem Pferd als er saß. Mit gellender, kreischender Stimme rief er die Amerikaner zur Rache gegen die Indianer auf.

Die leicht erregbaren wilden Männer, die noch ihre Waffen in der Hand hatten, waren auch sofort bereit, dem Ruf zu folgen. Alles schrie nach Hetson, vor dem sie nach den Ereignissen dieses Tages großen Respekt hatten. Er sollte sie anführen. Der einzige, der bei dem Lärmen und Toben ruhig und gleichgültig blieb, war der alte Nolten. Schon wieder gerüstet, um zu seinem Arbeitsplatz und seinen Gefährten zurückzukehren, hielt er auf seinem grobknochigen Schimmel mitten zwischen den Leuten. Als Mr. Smith eben seinen kreischenden Aufruf beendet hatte und nun erschöpft innehielt, um Atem zu holen und dann wieder zu beginnen, sagte er:

»Verdammt der Finger, den ich für diesen Kerl rühre. Alle ehrlichen Amerikaner werden sich hoffentlich genauso besinnen. Hätte er nicht neulich den armen indianischen Teufel erschlagen, würde er jetzt so sicher zwischen ihnen hindurchreiten können, wie ich es in der nächsten Viertelstunde tue. So ist ihm aber recht geschehen! Mißhandeln und treten wollt Ihr das arme Volk, und wenn sie die Hand aufheben, um sich zu schützen, schreit Ihr alles zusammen und fordert Rache. Daß sie ihm das Leben gelassen haben, begreife ich nicht. Mit dem Abschneiden der Ohren ist ihm aber recht geschehen, das ist meine Meinung. Wenn ihm das nicht paßt, kann er es mir sagen.«

Damit lenkte er sein Pferd langsam durch die ihn umringenden Amerikaner und Fremden hin, aus deren Mitte ihm manches zustimmende Wort heraustönte. Im Schritt ritt er die Straße wieder hinauf, den Bergen zu. Hetson wollte sich jetzt in die Menge mischen, als ihm Hale entgegenkam. Er nahm ihn am Arm und führte ihn zurück, während er mit kurzen Worten die damaligen Vorgänge erzählte. Der Spieler hatte unnötiges Blut vergossen, und die Indianer damit so gereizt, daß diese Rache vollkommen entschuldigt war. Hale sprach sich auch ganz entschieden aus, daß er, was seine Person beträfe, fest entschlossen sei, keinen Schritt gegen die Indianer zu unternehmen. Hätten sie sich früher nicht der Sache angenommen, dürften sie auch jetzt nicht den Spieler schützen. Daß der ein Bürger der Vereinigten Staaten sei, wäre ohnehin ein Unglück. Wenn einige der Männer verrückt genug waren, um an den Indianern Rache zu nehmen, könnte er sie nicht halten. Seine Meinung sei aber, daß der Alkalde ihnen ein gerichtliches Einschreiten rundweg abschlagen sollte. Wenn sie sich in ihrem Recht von den Eingeborenen gekränkt glaubten, sollten sie sie verklagen, und eine Jury würde dann entscheiden.

»Hallo, Hetson«, rief da eine rauhe Stimme. Als er sich umdrehte, kam ihm Siftly mit dem bleichen Smith an der Seite entgegen, gefolgt von einem Haufen lärmender Burschen. »Und Sie stehen noch da und schwatzen und beraten? Sollen wir etwa ruhig zusehen, wie die verdammten Rotfelle uns überfallen und verstümmeln? Eher die ganzen Fremden mit diesen dunkelhäutigen Halunken von der Erde vertilgt, ehe wir einen einzigen Tropfen amerikanisches Blut ungerecht diesen Boden färben lassen!« rief er.

Hetson betrachtete mit Ekel und Mitleid die traurige Gestalt des Verstümmelten und erkundigte sich jetzt nach den Einzelheiten des ganzen Überfalls. Smith trug sie auf seine Weise vor und schmückte sie aus. Als er aber dem Alkalden erzählte, daß der Häuptling Kesos ihn geplündert und achthundert Dollar abgenommen habe, da rief auf einmal eine laute, kräftige Stimme durch den Lärm:

»Das ist eine Lüge!«

Alles drehte sich rasch und erstaunt nach dem Rufer um. Mitten unter die Männer trat dem Alkalden gegenüber Graf Beckdorf. Er kam, wie er seinen Arbeitsplatz verlassen hatte, im roten Hemd und mit dem Strohhut.

»Wenn dieser Mann da Grund hat, jemand dankbar zu sein, daß ihm wenigstens das Leben geschenkt wurde, dann dem Häuptling. Ich selbst war Zeuge der ganzen Szene, wenn auch mein Kamerad und ich nicht in der Lage waren, den armen Teufel vor seinem Schicksal zu schützen. Daß wir uns dabei alle Mühe gegeben haben, muß er uns bestätigen. Keiner der Indianer hat aber sein Geld angerührt, und er konnte ungehindert sein Pferd besteigen, auf dem die Satteltasche hing.«

»Als sie mich den Berg hinaufschleppten, habe ich es verloren«, stammelte der Spieler, vor Wut die Zähne zusammenbeißend. »Was wissen Sie davon? Setzen sich noch für die roten Verbrecher ein!«

»Ich setze mich nur für den Häuptling ein, der sich wie ein Gentleman benommen hat«, sagte Beckdorf ruhig. »Daß Sie bestraft wurden, ist Ihre Sache, und ich kann kein Urteil darüber fällen. Ein Raub wurde aber nicht verübt, und wenn das Geld nur einfach verloren wäre, müßte es sich wiederfinden. Achthundert Dollar in Gold oder Silber trägt man aber nicht in der Brusttasche bei sich, und Banknoten haben wir hier nicht. Ich dachte mir übrigens, daß der Herr da die Sache hier im Lager nicht so erzählen würde, wie sie wirklich war, und bin deshalb hergekommen, um eine etwaige falsche Aussage zu entkräften.«

»Was, zum Henker, geht Sie die ganze Sache an, daß Sie sich so merkwürdig darum bemühen?« rief Siftly mit ausbrechendem Zorn über den Fremden.

»Halt, Siftly!« sagte der Richter und ergriff seinen Arm. »Ich bin dem Mann dankbar für seine Mitteilung, denn er verhindert, daß wir einen ungerechten Zug unternehmen, der sich kaum vermeiden ließe, wenn dieser Mr. Smith auch von den Indianern ausgeplündert worden wäre. Daß sie Rache für einen verübten Mord oder Totschlag genommen haben, ist eine Sache und gehört vor eine Jury, wenn dein Freund gewillt ist, Klage gegen die Indianer zu erheben. Natürlich werde ich ihn dabei unterstützen.«

»Wirklich?« rief Siftly und musterte ihn höhnisch von Kopf bis Fuß. »Schade nur, daß wir keine Lust haben, darauf zu warten. Wer geht mit, Jungens, um sich ein halbes Dutzend Skalpe da draußen von den roten Kanaillen zu holen?«

»Eine ganze Menge, denk ich«, schrie Briars, stets bereit für einen Kampf. »Ich – wir alle gehen mit.«

»Nein, wir alle gehen nicht mit«, sagte ruhig ein anderer Amerikaner. »Wer sich in den Bergen etwas zuschulden kommen läßt, soll auch die Folgen davon tragen. Mit dem Kerl, der so erbärmlich ohne Ohren aussieht, stimmt auch nicht alles, sonst hätte er nicht gelogen und uns mit den achthundert Dollar locken wollen. Dasselbe haben wir schon einmal in Murphys drüben genauso erlebt. Verdammt die Hand, die ich gegen einen Indianer erhebe!«

»Hat auch keiner von Ihnen verlangt, Mr. Cook«, sagte Siftly trotzig. »Wenn wir ein halbes Dutzend richtige Messer zusammenbringen, hauen wir die ganze Sippschaft in die Pfanne. Vorwärts, Männer, wir wollen den Kanaillen zeigen, was es heißt, sich an einem Weißen zu vergreifen!«

Während sich ein Teil der Amerikaner um ihn versammelte, zog er mit ihnen die Straße hinauf. Die meisten blieben aber zurück, und viele trennten sich noch später von dem Zug. Sie hatten entweder kein Interesse daran oder hielten ihre Sache nicht für so ganz gerecht. Daß die Indianer dem Amerikaner die Ohren abgeschnitten hatten, war eine große Frechheit. Aber sie waren auch gereizt worden. Der Häuptling selbst hatte sich stets freundlich gezeigt, und dann – wimmelten die Berge auch noch von dem roten Gesindel, und man wußte eigentlich nie recht, wie man mit ihnen dran war. Graf Beckdorf stand mit untergeschlagenen Armen neben dem Sheriff und sah dem fortziehenden Schwarm mit finsterem Blick nach. Da fühlte er eine Hand auf seiner Achsel, drehte sich um und blickte in ein Paar braune, lachende Augen. Erstaunt sah er das Gesicht eine ganze Weile an, und es war offensichtlich, daß er den Fremden kannte. Aber zwischen all den wilden Gestalten umher und den vielen fremden Gesichtern, die uns in einem solchen Land begegnen, fand er nicht gleich die richtige Verbindung.

»Entschuldigen Sie, Herr Graf, wenn ich Ihnen...«, sagte lachend der Fremde.

»Emil!« rief Beckdorf, der seinen Augen kaum traute, unter diesen Umständen mit einem alten Freund zusammenzutreffen. »Bist du es denn wirklich?«

»Wie du siehst, lebendig, frisch und gesund«, lachte der junge Mann. »Aber, zum Teufel, Georg, gräbst du denn auch nach Gold? Du siehst wenigstens wie ein richtiger Miner aus, rotes Hemd und Strohhut und rechts ein schiefgetretener Schuh.«

Beckdorf hatte seine Hand ergriffen und schüttelte sie aus Leibeskräften.

»Tausendmal willkommen in den Bergen! Was dich auch hergeführt hat, eine solche Freude hätte ich mir nicht träumen lassen. Bleibst du hier?«

»Zunächst ja. Ich bin gerade auf einem Streifzug, der mich an keinen Platz bindet, wie das in Kalifornien so üblich ist. Wer bindet sich hier?«

»Bist du schon lange im Land?«

»Etwa sechs Monate. In der Zeit war ich Holzhauer, Kaufmann, Bootsmann, Maultiertreiber und Kellner. Aber die gleichen Fragen könnte ich dir stellen. Welcher Wind hat dich aus den deutschen Salons in diese Wildnis geweht?«

»Wahrscheinlich derselbe, der dich herüberfegte«, lachte Beckdorf. »Es war der Äquatorialsturm, der im Jahre 1848 in Paris ausbrach und wie ein echter Tauwind von Westen das alte, morsche Eis im Vaterland brach. Besser konnte ich da die Zeit nicht anwenden, als daß ich auf Reisen ging.«

»Und jetzt arbeitest du hier?«

»Mit einem anderen Deutschen zusammen. In den Minen hast du wohl dein Glück noch nicht versucht?«

»Noch nicht.«

»Sehr gut, dann weihe ich dich gleich heute in die Geheimnisse des edlen Goldwaschens ein. Du hast doch Zeit?«

»Ich – hm, ja, allerdings. Welche Beschäftigung sollte ich schon haben?«

»Gut, dann begleitest du mich zu meinem Arbeitsplatz. Mein Partner wird schon schmerzlich auf mich warten, und unterwegs und draußen unterhalten wir uns richtig.«

»Und wann kommen wir wieder zurück?«

»Zum Feierabend«, lachte Beckdorf. »Die Bedeutung dieses Wortes wirst du in diesem Lande schon kennengelernt haben, wenn wir zu Hause auch nicht viel davon wußten.« Ohne eine Antwort abzuwarten, legte er seinen Arm in den seines Freundes und ging mit ihm die Zeltstraße hinauf, der stillen Talschlucht entgegen.

Noch immer finster auf seine Büchse gelehnt stand Cook, ein alter Siedler aus den westlichen Staaten, der dem Spieler seine Meinung gesagt hatte und dadurch viele von dem Zug abhielt. Nur sein Pferd, das er am Zaum hielt, war ungeduldig geworden und scharrte mit den Hufen den Staub auf, was sein Herr aber nicht beachtete. Hale, der den Alkalden eine Strecke zu seinem Pferd begleitet hatte, kam wieder die Straße herauf.

»Na, Cook, was gibt's, Sie stehen ja da, als wollen Sie die Sandkörner auf dem Boden zählen! Was haben Sie?«

»Ich? Verdammt wenig«, lautete die mürrische Antwort. »Ich ärgere mich nur, daß dieses nichtsnutze Volk sich amerikanische Bürger nennen darf. Hol mich der Teufel, wenn wir uns mit denen nicht vor den australischen Sträflingen schämen müssen.«

»Sie meinen diesen Siftly?«

»Ich meine die ganze verbrannte Spielerbande!« sagte der Mann unwirsch. »Sind die Schufte nicht wie die Aasgeier auf einem erlegten Stück Wild sofort da, wenn ein paar Pfund Gold aus der Erde gegraben werden, und arbeiten sie jemals ehrlich? Nur auf die armen Teufel lauern sie, die dumm oder eingebildet genug sind, das, was sie Glück nennen, zu versuchen. Das geht so lange, bis sie vollständig gerupft wieder zu Hacke und Spaten greifen müssen.«

»Aber ist es nicht die eigene Schuld der dummen Leute?«

»Natürlich!« rief Cook. »Und ich gönne es ihnen von Herzen. Aber deswegen hasse ich dieses Gesindel nicht ein Gramm weniger. Warum können wir es hier nicht auch so machen, wie die Goldwäscher am Rich Gulch? Sie einfach hinausjagen mit Schimpf und Schande? Was habt Ihr von ihnen, daß Ihr sie noch immer hier duldet? Hat ein einziger von der ganzen Bande etwa heute morgen ein Gewehr mit ergriffen?«

»Was ich von ihnen habe?« lachte Hale. »Wenn es nach mir ginge, würden sie lieber heute als morgen hinausgeworfen. Ich weiß nur nicht, wie unser Alkalde darauf zu sprechen ist, denn dieser Siftly ist ein alter Freund von ihm.«

»Das ist nicht gerade eine Empfehlung für den Alkalden«, brummte Cook. »Aber wozu brauchen wir dabei den Alkalden? Mit den Gesetzen können wir ihnen doch nichts anhaben, das wissen die Halunken recht gut. Das einzige, was wir tun können, ist, daß wir einmal kurzen Prozeß mit ihnen machen. Sehen Sie nicht das Unheil, das sie heute wieder anrichten werden, wenn sie mit den Indianern zusammentreffen? Kann man es den von allen Seiten mißhandelten Rothäuten verdenken, wenn sie Rache nehmen, wo sich nur eine Gelegenheit bietet? Was würden wir an ihrer Stelle tun, Hale? Hol's der Teufel, ich glaube, ich würde jeden Weißen erschießen, den ich finde, um das Blut meiner Leute zu sühnen. Kalifornien wird einmal ein großes und mächtiges Land werden, da besteht kein Zweifel. Aber wir werden mehr Arbeit haben, die schlechte Bevölkerung, die schon da ist, auszurotten, als eine gute, ackerbautreibende herüberzuziehen.«

»Kein Wunder«, sagte Hale, »denn die ganze Welt schickt uns ja in diesem Augenblick ihre Abenteurer und nichtsnutzen Subjekte, vielleicht sogar ihre Verbrecher herüber. Man kann wirklich keinem Fremden mehr trauen, denn wer kennt ihre Vergangenheit? Aus San Francisco habe ich gestern Briefe bekommen, daß sie einer Bande Engländer oder Irländern auf der Spur sind, die wahrscheinlich aus Australien hierher geflüchtet sind. Die Gerichte in San Francisco sind zu schwach, um gegen sie einzuschreiten, die Anwälte fast alle käuflich und die Richter auch.«

»Natürlich, sie sind alle herübergekommen, um Gold zu graben – jeder auf seine Weise«, sagte Cook. »Die, die es nicht mit Spaten und Hacke können, versuchen es mit der Feder. Hol die Tintenkleckser der Teufel, wir müssen einmal bei ihnen richtig aufräumen!«

»Unseren Alkalden nehmen Sie aber hoffentlich aus«, lachte Hale. »Alle Wetter, Respekt vor ihm, denn wie er sich heute gegen die Mexikaner benommen hat, macht es ihm kein Hinterwäldler vor. Aber wo wollen Sie mit Ihrem Pferd hin? Weg?«

»Nein«, sagte Cook. »Ich habe es nur vorhin eingefangen und muß sehen, wo ich es hier unterbringe, bis sich die Indianer etwas beruhigt haben oder wieder weitergezogen sind. Sie machen sich sonst noch ein Vergnügen daraus und schießen ihm ein Dutzend Pfeile auf den Pelz oder essen es sogar bei einer ihrer Festlichkeiten, wenn es auch einen verdammt zähen Braten abgeben würde. Wer ist denn der Mann, der da drüben steht und uns schon eine ganze Weile aufmerksam betrachtet?«

Hale drehte den Kopf langsam um. »Ich kenne ihn nicht. Jedenfalls ein Fremder, er sieht aber nicht wie ein Amerikaner aus, eher wie ein Engländer. Ich denke, er will etwas von uns, denn er kommt auf uns zu.«

Der Sheriff hatte recht. Der Fremde hatte eigentlich nicht die Männer angesehen, sondern nur das Pferd betrachtet. Er kam wirklich heran, grüßte die beiden und sagte zu Cook:

»Würden Sie das Pferd verkaufen, Sir?«

»Verkaufen?« antwortete Cook. »Hier in den Minen kann man fast alles kaufen, vorausgesetzt, daß man einen ordentlichen Preis nennt, warum nicht auch das Pferd?«

»Und was wollen Sie dafür haben?«

Cook besann sich einen Moment. So erfreut er gerade jetzt über das Angebot war, überlegte er sich doch erst die Antwort, damit er nicht weniger forderte, als der Käufer bereit war zu geben. Endlich sagte er:

»Ich denke, wenn Sie acht Unzen geben, machen Sie einen brillanten Handel, ohne Sattel und Zaumzeug natürlich.«

»Acht Unzen sind viel Geld für ein altes Pferd. Ich brauche es nur, um nach San Francisco zu reiten.«

»Darunter möchte ich es nicht weggeben«, meinte Cook. »Ich hätte noch eins, das ich billiger abgeben könne. Der Racker grast aber irgendwo in den Hügeln, und wo jetzt so viele Indianer herumstreifen, ist es schlecht, nach ihm zu suchen. Wenn Sie einige Tage warten wollen, kann ich das vielleicht suchen.«

»Ich möchte heute fort, wenn ich ein passendes Tier finden kann«, erwiderte der Fremde. »Würden Sie nicht auch sieben dafür nehmen?«

»Ich will Ihnen was sagen, Fremder. Wenn Sie ein Tier brauchen, ist das für Sie spottbillig. Wenn Sie keins brauchen, ist es um zwei zu teuer. Fordern und bieten macht aber Kaufleute. Wollen Sie sieben und eine halbe geben, ist es Ihrs. Sie bekommen dafür ein gesundes, munteres Pferd, das Sie trotz seines Alters von neun Jahren an einem Tag nach Stockton trägt.«

»Glauben Sie wirklich?«

»Sie dürfen sagen, William Cook hat gelogen, wenn es nicht wahr ist.«

»Gut, dann kommen Sie mit in das nächste Zelt, damit ich das Gold da abwiegen kann.«

»Ist nicht nötig«, meinte der Amerikaner. »Haben Sie Ihre Waage nicht dabei?«

»Doch, natürlich.«

»Gut, ich auch. Wiegen Sie es mir vor, und ich wiege es nach. Wenn wir beiden damit zufrieden sind, geht es die Händler nichts an. Deren Gewichte kann überhaupt der Teufel holen. Wenn sie Ihnen sieben Unzen drauflegen, können Sie sicher sein, daß sie acht herunternehmen, und ich will Sie nicht betrügen.«

Der Fremde betrachtete sich noch einmal das Pferd, mit dessen Aussehen er zufrieden schien. Dann ging er zu einem ziemlich großen Stein, um die verlangte Summe abzuwiegen.

»Das ist jedenfalls ein Engländer, dem es zu warm bei uns wird«, flüsterte Hale dem anderen zu, während sie ihm langsam folgten.

»Kann sein«, antwortete Cook. »Er hat so was in der Aussprache. Ich glaube, er war mehr auf der See als auf dem festen Land zu Hause. Na, mit dem Alten hier bekommt er ein sicheres Tier, das ihn weder abwirft noch mit ihm durchgeht – wenn er ihm die Hacken nicht zu fest in die Seiten drückt.«

Der Fremde hatte inzwischen das Gold auf seiner kleinen Waage abgewogen und auf ein Papier geschüttet, als Cook mit Hale zu dem Stein trat, um es zu übernehmen. Er fand es richtig abgewogen.

»Hübsches, grobes Gold«, sagte er dabei. »Wo haben Sie das gegraben?«

»Drüben am Macalome«, lautete die Antwort, »wenigstens teilweise, denn manches habe ich auch für verkaufte Werkzeuge, Zelt und andere Sachen bekommen. Sie sind so gut und warten hier einen Augenblick mit dem Pferd, bis ich meinen eigenen Sattel und Zaumzeug hergeholt habe. Ich habe die Sachen da drüben in dem Zelt liegen.«

»Gut, Fremder«, sagte Cook, der das Gold in seinen eigenen Beutel schüttete. Ein einzelnes Stück behielt er aber unbemerkt in der Hand. Er sah dabei den Engländer einen Augenblick starr und forschend an und schien noch etwas sagen zu wollen – aber er schwieg. Mit einem leichten Kopfnicken ging der andere zu dem Zelt.

»Also, good-bye, Cook«, sagte Hale und hielt ihm die Hand hin. »Jetzt sind Sie die Sorge um Ihr Pferd los.«

»Ich weiß es noch nicht«, flüsterte der, und der Sheriff sah ihn erstaunt an. Im nächsten Augenblick rief er: »Was, zum Teufel, ist los, Mann? Sie sehen auf einmal käseweiß im Gesicht aus. Sind Sie krank?«

»Hale«, flüsterte Cook und hielt ihm das Goldstück in der Hand entgegen. »Ich weiß, wer das Gold hier ausgegraben hat, wem es gehört und – und wer es nur – nur mit seinem Leben hergegeben hat.«

»Sie wissen das? Und wer?«

»Johns«, flüsterte Cook, als ob er befürchtete, daß der verräterische Luftzug den Namen seinem Mörder zuführen könnte.

»Johns?« rief Hale rasch. »Den wir oben im Wald verscharrt haben?«

»Pst, schreien Sie den Namen nicht so laut, damit der Mann nichts bemerkt! Derselbe. Sie wissen, daß wir beide zusammen arbeiteten. Ich saß an der Maschine, er stand im Loch und hackte, und da fand er dieses Stück, den kleinen Quarzstein umgeben von vier Goldblumen. wie es ein Goldschmied nicht schöner arbeiten konnte. Ich wollte es für mich nehmen, aber er hat mich darum, weil er es seiner Mutter in die Staaten schicken wollte. Ich bin überzeugt, daß er nicht für den doppelten Wert des Goldes es herausgegeben hätte.«

»Und Sie glauben...«

»Daß das sein Mörder ist, den Gott so sichtbar in unsere Hand gegeben hat. Wenn nicht, soll er uns die Beweise bringen, woher er dieses Stück hat.«

»Und Sie kennen es genau, Cook? Bedenken Sie, daß das Leben eines Menschen an der Ähnlichkeit von zwei Stücken hängen kann.«

»Ich will nicht selig werden, Hale, wenn das nicht dasselbe Stück ist«, versicherte aber Cook. »Es ist nicht möglich, daß die Natur in einer Spielerei zwei so ähnliche Stücke schaffen sollte. Und dann noch mehr. Sehen Sie, hier an dem Rückteil ist eine Einhöhlung. In der saß Erde, und Johns kratzte sie mit dem Messer heraus. Hier rutschte es ihm aber aus und ließ die Lücke da zurück, die er nachher wieder mit dem Rücken der Klinge etwas zuklopfte. Noch zwei andere Stücken hatte Johns, die ich genauso leicht und sicher wiedererkennen würde, wie dieses hier.«

»Das ist Beweis genug«, sagte der Sheriff ruhig. »Da kommt er zurück.«

»Was wollen Sie tun?« fragte Cook.

»Natürlich ihn verhaften. Eine Jury kann dann darüber urteilen, ob er schuldig ist oder nicht. Sind Sie bereit, als sein Ankläger aufzutreten?«

»Jederzeit.«

»Gut...«

»Gentlemen, ich habe Sie etwas lange warten lassen«, sagte der Fremde, der mit der Reisetasche und seinem Sattel und Zaumzeug jetzt zu ihnen trat. »Aber ich hatte noch eine kleine Rechnung dort zu bezahlen. Sind Sie so gut, Sir, und nehmen Sie jetzt Ihren Sattel herunter?«

»Gestatten Sie mir eine Frage?« sagte der Sheriff und hielt dem Fremden das Goldstück hin. »Wie kommen Sie zu dem Stück da?«

»Das ist eine merkwürdige Frage«, lächelte der, »besonders in den Minen, wo ein solches Stück seinen Besitzer vielleicht sechsmal an genauso vielen Tagen wechselt. Ich weiß nicht einmal, ob das wirklich mein Stück war.«

»Ich habe es eben aus Ihrer Hand erhalten«, sagte Cook finster.

»Und ist es kein Gold?«

»Allerdings ist es Gold«, erwiderte Hale, »aber ich möchte wissen, wie Sie zu dem Stück gekommen sind. Ob Sie es ausgegraben haben oder von irgend jemand hier erhalten haben.«

»Wer gibt Ihnen ein Recht zu dieser Frage?« sagte der junge Mann finster.

»Ich bin der Sheriff dieses Ortes«, erwiderte Hale.

»Ach, das ist etwas anderes. Dann gehört darauf allerdings auch eine Antwort. Leider werde ich kaum imstande sein, eine befriedigende zu geben.«

»Das wäre schlimm für Sie«, erwiderte Hale ruhig.

»Schlimm für mich?« wiederholte rasch der Engländer. »Wieso? Ich habe allerdings Gold gegraben, in der letzten Zeit aber, als ich nach San Francisco zurückwollte, mein Zelt und mein Handwerkszeug verkauft. Heute morgen sogar noch mein lahm gewordenes Pferd. Das letzte Gold, das ich erhalten habe, war dafür, aber ich kann nicht sagen, ob gerade dieses Stück dabei war. Ich könnte es wenigstens nicht beschwören, da ich es durcheinandergeschüttelt habe. Was für eine Bewandtnis hat es mit dem Stück Gold, daß Sie so dringend nach dem früheren Eigentümer fragen. Wer war er?«

»Ein armer Teufel«, sagte Hale und betrachtete den Fremden mit scharfem Blick. »Er wurde eines Morgens in unserer Gegend ermordet und eingescharrt gefunden.«

»Ermordet!« rief der Fremde erschrocken. »Das ist ja furchtbar!«

»Ich will Ihnen etwas sagen, mein Freund«, meinte da der Sheriff und ging langsam auf ihn zu, um seine Schulter leicht mit der Hand zu berühren. »Sie sind mein Gefangener, und ich rate Ihnen im Guten, sich nicht zu widersetzen. Es würde nichts helfen und die Sache nur verschlimmern.«

»Gefangener? Und eine Mordanklage? Hier?«

»Sind Sie unschuldig, dann werden Sie Beweise vorbringen können. Sind Sie aber schuldig, dann müssen Sie auch gewußt haben, was Ihnen droht, wenn Sie entdeckt werden. Sie sind geborener Engländer?«

»Das bin ich.«

»Ich dachte es mir. Und von Australien herübergekommen?«

»Nein, von Valparaiso.«

»Aber vorher von Australien?«

»Nein, direkt aus England.«

»Na gut, das wird sich alles finden. Jetzt sind Sie so gut und kommen mit mir. Cook, Sie sind so freundlich und begleiten uns, das andere soll dann der Alkalde bestimmen.«

»Sir«, sagte der Engländer. »Hier liegt ein unglückliches Mißverständnis vor, das sich aufklären wird. Ich kann Ihnen aber nicht sagen, wie unangenehm mir der Aufenthalt ist, der mich gerade hier...«

»Ja, das kann ich mir wohl denken«, unterbrach Hale ruhig. »Hilft aber nun nichts. Mr. Hetson wird die Sache inzwischen schon bald in Ordnung bringen.«

»Was? Wer, haben Sie gesagt?« rief wirklich erschrocken der Gefangene.

»Hoho, das sieht nicht gerade nach einem guten Gewissen aus. Kennen Sie den Mann?« rief Cook.

»Ich habe ihn nie gesehen«, erwiderte der Gefangene, der jetzt völlig gefaßt war. »Ist er der Alkalde?«

»Ja. Übrigens keine Sorge wegen dem Pferd«, sagte Cook, als er bemerkte, daß der Gefangene einen Blick auf das Tier warf. »Sind Sie unschuldig, so steht es zu Ihrer Verfügung, sobald Sie von der Jury freigesprochen werden. Ich gebe inzwischen gut darauf acht. Sind Sie schuldig, dann brauchen Sie es nicht mehr, denn den kurzen Weg können Sie dann zu Fuß gehen.«

»Hetson«, murmelte der Gefangene leise vor sich hin. Der Blick zum Pferd hatte nicht der Sorge um das Tier, sondern der eigenen Freiheit gegolten. Wenn er in den Sattel sprang und floh – ehe sie ihn überholen konnten, war er im Wald.

Und wer hätte ihn in diesen Bergen wieder auffinden sollen? Sollte er so dem Mann vor die Augen treten, der ihm das Glück seines Lebens geraubt hatte? Aber Flucht war auch unmöglich, denn Cook, der vielleicht so etwas befürchtet hatte, hatte den Sattel des Pferdes locker geschnallt und seine Büchse fest im Griff im linken Arm ruhend. Es war vergeblich, er konnte seinem Schicksal nicht mehr entgehen.

»Haben Sie Waffen bei sich?« erkundigte sich der Sheriff. »Weigern Sie sich nicht, sie abzugeben, ich tue nur meine Pflicht, aber die richtig, darauf können Sie sich verlassen.«

»Hier«, sagte der Gefangene nach kurzem Zögern und nahm einen Revolver aus der Tasche. »Es ist alles, was ich habe, dieses Taschenmesser ausgenommen.«

»Sie haben kein anderes, breiteres Messer bei sich?«

»Nein, untersuchen Sie mich.«

»Es ist gut«, sagte Hale und nahm die Waffen an sich. »Alles andere hören Sie vom Alkalden selbst, kommen Sie.«


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