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20. Das Wiedersehen

Ein leichter Nebel lag am nächsten Morgen über dem Tal. Mit dem Sonnenaufgang fiel er aber als leichter Tau und gab der Luft eine eigene Frische. Nur ein leichter, von den Sonnenstrahlen rötlich gefärbter Dunst schwebte noch über dem engen Bergkessel, in dem das dunkle Grün des Zedernlaubes eine fast bläuliche Färbung annahm. Die roten, riesigen Stämme dieser stattlichen Bäume schimmerten wie glänzende Säulen aus dem Waldesschatten. So reizend aber sich auch die Natur bieten mochte, so verschieden war der Mensch, ›das edelste Geschöpf der Erde‹, wie er sich selbst gern nannte. Er stand nicht im Einklang mit diesem Rosenschein, der an den Hängen lag, mit dem leise rauschenden Laub, dem murmelnden Bach. Haß, Neid, Zwietracht, Gier nach Gold – das waren die Leidenschaften, die dieses kleine, geschäftige Volk erfüllten. Mit dem Bewußtsein, daß hier das edle Metall im Boden lag, hätten sie sich selbst ein wirkliches Paradies zur Hölle umgeschaffen.

Hetson, der Alkalde dieser wilden, gemischten Völkerschar, war schon mit Tagesgrauen munter. Durch die Unruhe getrieben, neues aus dem Lager zu hören, war er fertig angezogen, um den Sheriff aufzusuchen. Gern hätte er vorher mit Manuelas Vater gesprochen, der ihm gestern abend keine Rede stehen wollte. Der alte Spanier schlief aber noch fest, und er verschob es auf später. Jetzt gingen ihm doch wichtigere Dinge im Kopf herum. Seine Frau bat er, mit dem Frühstück nicht auf ihn zu warten, und verließ das Zelt. Mrs. Hetson hatte wohl bemerkt, daß etwas Ungewöhnliches im Lager vorging, wenn sie auch die wahre Ursache nicht ahnte. Sie dachte auch an keine Gefahr. Aber sie fühlte sich auch glücklich, daß Hetson in den letzten Tagen sein schwermütiges Wesen fast ganz verloren hatte. Er war fast schon heiter und fest, und schien sich in der neuen Beschäftigung wohl und zufrieden zu fühlen. Er hatte jedenfalls eine Tätigkeit gefunden, die ihm bis dahin gefehlt hatte. Mit der Verantwortung, die er dabei übernommen hatte, kräftigte sich auch sein Geist wieder. Mehr und mehr wich der düstere Schatten zurück, der bis dahin schon einigemal sein Leben bedroht hatte. Nur Manuela war heute ernst und trübe gestimmt. Seit dem letzten Abend tauchte auch die Sorge um ihren Vater wieder auf. Daß der Amerikaner, den sie mehr als einen anderen Menschen fürchtete, ihre Zuflucht hier gefunden hatte, beunruhigte sie am meisten. Nicht zu Unrecht hatte sie gefürchtet, daß er den schwachen Vater erneut verleiten würde. Der letzte Abend, an dem sie vergeblich auf ihn gewartet hatte, lieferte ihr den Beweis, daß sie sich nicht geirrt hatte. Nur Hetsons Versicherung hatte sie etwas beruhigt. Er wollte Siftly veranlassen, von jetzt an nicht mehr mit Don Alonso zu spielen.

Manuela, die Mrs. Hetson besonders gern mochte, unterzog sich jeder noch so ungewohnten Arbeit mit Freuden. Sie hatte auch heute schon das Frühstück zubereitet, aber vergeblich auf ihren Vater gewartet. Sie und Mrs. Hetson aßen allein. Weder kam Hetson zurück, noch ließ sich Don Alonso sehen, der sich scheute, seiner Tochter unter die Augen zu treten.

»Komm, Manuela«, sagte da Mrs. Hetson. »Die Männer lassen uns heute im Stich, dein Vater und auch mein Mann. Ich denke, wir haben lange genug auf sie gewartet. Wir wollen deshalb ihr Frühstück warmstellen und einen Spaziergang machen. Einen schöneren Morgen haben wir noch nicht gehabt, seit wir in den Bergen sind. Es ist herrlich draußen und wirklich Sünde, diese Zeit im Zelt zu verträumen.«

»Aber, Mr. Hetson...?«

»Der geht seinen Geschäften nach und kümmert sich auch nicht um uns«, lächelte die junge Frau. »Deshalb darf er es uns auch nicht übelnehmen, wenn wir uns in der freien Luft vergnügen. Lieber Gott, was hat man denn anderes in den Bergen als die wirklich schöne Natur?«

»Aber der Lärm, der gestern überall in der Stadt war?« sagte Manuela besorgt.

»Keine Sorge«, sagte freundlich Mrs. Hetson. »Du bist vielleicht in deiner Heimat andere Sitten gewöhnt, Manuela, aber die Frauen sind unter den Amerikanern überall sicher. Sie würden bei jedem, und wenn er noch so roh und ungebildet ist, Schutz finden. Nimm deine Mantille, es ist auch die Frage, ob Mr. Hetson vor dem Mittagessen nach Hause kommen wird. Er sagte mir, daß er viel mit dem Sheriff erledigen müßte. Kehren wir rechtzeitig zurück, um das Essen fertigzumachen, werden wir wohl kaum vermißt werden. Ich habe mich auch schon lange danach gesehnt, einen der benachbarten Hügel zu besteigen. Von da aus wollen wir einmal das sogenannte Paradies überblicken.«

Auf der gleichen Waldlichtung, auf der damals der Sheriff mit dem Häuptling Kesos und den Mexikanern zusammentraf, hielt ein einzelner Reiter. Er war abgestiegen und lehnte mit dem rechten Arm auf dem Sattel und sah auf die vor ihm ausgebreitete Szene. Es war ein noch junger Mann mit offenen, ehrlichen Zügen. Sein Gesicht war stark sonnengebräunt, aber ohne Bart. Er hatte braunes, lockiges Haar und helle, blaue Augen. Nach seiner Kleidung gehörte er aber nicht zu den Amerikanern. Seine braune Jacke war aus englischem, wasserdichtem Stoff. Dazu trug er graue, lederne Hosen und einen Panamahut – alles noch ziemlich neu und wenig mitgenommen durch eine Arbeit. Wohl eine Viertelstunde hatte er hier so gestanden. Das Pferd, das wahrscheinlich hungrig war, begann das Gras zu seinen Füßen abzuweiden. Plötzlich warf es den Kopf hoch und wieherte laut. Ein anderes antwortete nicht weit entfernt. Als sich der Fremde umdrehte, bemerkte er einen alten Mann im blauen Jeansanzug, wie ihn die amerikanischen Hinterwäldler meistens tragen. Ein Stück roten Flanell hatte er als Gamaschen um den unteren Teil der Beine gebunden und einen alten, schokoladenfarbigen Filzhut auf dem Kopf. Er führte sein Pferd im Schritt auf dem schmalen Bergpfad durch den Wald. Auf der linken Schulter trug er eines der langen, amerikanischen Gewehre, die man Rifle nannte. Eine alte, oft gebrauchte Kugeltasche mit einem Pulverhorn dran hing an seiner rechten Seite. Als er den Fremden bemerkte, hielt er an, nickte ihm zu und stieg dann ruhig aus dem Sattel. Er warf dabei nur den Zügel hinunter und überließ das Pferd sich selbst.

»Sehen Sie sich die Aussicht an, Fremder?« sagte er und trat zu dem anderen. Er lehnte sich auf seine lange Büchse und blieb so stehen. »Ja, es ist ein prächtiger Blick und tut kranken Augen gut, ein so liebes Plätzchen hier in die Berge hineingedrückt zu sehen. Ich bin auch ein ganzes Stück auf meinem Weg geritten, nur um hier ein Viertelstündchen halten zu können.«

»Es ist wirklich ein wunderbar schönes Land«, erwiderte der Fremde mit tiefer, klangvoller Stimme. »Jammerschade, daß es nur dazu dient, die Täler durch aufgewühlte Gruben entstellt zu bekommen, um das Gold herauszuwaschen.«

»Hoho«, lachte aber der Alte gutmütig. »Damit sind wir noch nicht fertig, und das ist nur der Anfang. Das Gold war schon sehr gut, um die Leute hierher zu locken und Einwanderer in das Land zu bringen. Aber der Kern der Ackerbauer steckt in den wilden Burschen da unten, die sich jetzt nur die größte Mühe geben, ihren Tagelohn gleich selbst aus der Erde herauszufischen, während sie später ihre Zeit besser anzuwenden wissen.«

»Glauben Sie wirklich, daß hier in Kalifornien jemand sich die Zeit nimmt und einen Acker bestellt?« fragte der junge Mann und schüttelte dabei ungläubig seinen Kopf.

»Da ist von glauben keine Rede, Fremder!« sagte der Alte. »Das ist so sicher wie die Sonne, die da drüben auf die prächtigen Zedern scheint. Wenn auch die ganze Welt ihre Abenteurer hierhergeschickt hat, so blüht doch dem Land hier einmal eine große Zukunft. Das wird einmal der hellste Stern in unserer Fahne – oder sein schlimmster Konkurrent.«

»Wer will sich denn hier niederlassen und Frau und Kinder in dieses wilde Treiben bringen?«

»Jetzt wäre das auch noch zu früh«, lachte der Alte. »Und Frauen würden sich nicht gerade behaglich in diesem Leben fühlen, wenn auch unsere Backwoodsfrauen nicht gerade verwöhnt sind. Aber lassen Sie noch ein Jahr vergehen, und sehen Sie dann einmal, wie sich die Sache geändert hat. Schon jetzt können Sie sehen, wie überall unsere spekulierenden Holzleute an den Ufern der Flüsse ihre Blockhütten aufschlagen. Sie haben sich Stellen ausgesucht, wo Mühlen angelegt werden können, oder an Kreuzwegen, wo der Verkehr vorbeikommen wird. Die Leute sichern sich das Vorkaufsrecht. Wenn sie jetzt auch nur schlechte Lebensmittel und erbärmlichen Brandy für schweres Geld an Reisende verkaufen, werden sie bald genug anfangen, den Acker zu bebauen, oder Mühlen und Sägewerke zu errichten. Wenn der Anfang gemacht ist, glauben Sie gar nicht, wie schnell die Farmen überall wie Pilze aus dem Boden wachsen.«

»Ich glaube allerdings kaum, daß ich das sehen werde«, lächelte der junge Mann. »Ich bin nur hierhergekommen, um das merkwürdige Land einmal zu durchreisen, und vielleicht auch, um wenigstens den Versuch zu machen, hier und da einmal nach Gold zu graben. Aber ich könnte es mir nicht als meine künftige Heimat denken.«

»Sie sind Engländer?«

»Ja.«

»Sie haben etwas Seemännisches an sich. Ich weiß nicht, woran es liegt, ob an Ihrem Halstuch oder Hut oder der ganzen Gestalt, aber Sie sehen aus, als ob Sie mehr an Bord eines Schiffes als auf einem Pferd zu Hause wären. Ihr Pferd scheint übrigens etwas zu haben.«

»Sie haben recht«, erwiderte der Fremde. »Ich bin auch ein Seemann und mit Schiffen besser vertraut als mit Pferden, obwohl ich sie ziemlich gut reiten kann. Das arme Tier hat sich aber, als wir heute morgen über einen umgestürzten Baumstamm setzten, an einem herausstehenden Ast das Vorderbein beschädigt und eine Fleischwunde davongetragen. Ich führe es jetzt, um es soviel wie möglich zu schonen. Allerdings kam mir der Zufall gerade jetzt sehr ungelegen, denn ich habe einen längeren Ritt vor, den das Pferd so nicht ertragen kann.«

»Na, dann tauschen Sie es doch gegen ein anderes!« sagte der Amerikaner, der die Wunde inzwischen untersucht hatte. »Es ist nichts weiter als ein Fleischriß, und das Pferd sieht sonst brav und tüchtig aus. Wer es ein oder zwei Wochen schonen kann, und die Weide im Wald kostet ja kein Geld, hat dann immer ein gutes Tier. Sie kommen vom Macalome, nicht wahr?«

»Allerdings.«

»Und es gefiel Ihnen da nicht mehr?«

»Liebe Güte, es ist ein Ort nicht schlechter als der andere«, sagte der Engländer. »Ich habe aber die Minen satt und will nach San Francisco zurückkehren, um mich dort wieder einzuschiffen.«

»Dann gefällt Ihnen ganz Kalifornien nicht? Ich denke doch aber, daß es für einen alleinstehenden Mann ein prächtiges Land ist. Ein bißchen wild, ja, aber wer sich so haus- und heimatlos in der Welt herumtreibt, wie ein Seemann, dem sollte es nicht darauf ankommen, es auch einmal ein Jahr an einem solchen Ort zu versuchen. Für einen Junggesellen gibt es kein besseres Land als Kalifornien.«

»Und wie steht es mit Ihnen?« erkundigte sich der Fremde. »Haben Sie keine Familie?«

Ein trauriger Zug zuckte über das wetterharte Gesicht des Alten, und ein tiefer Seufzer hob seine Brust. Endlich sagte er leise:

»Ich hatte Familie, Fremder, und zwei so prächtige Jungen, die so nur je an einem Büchsenrohr entlanggesehen haben. Im letzten mexikanischen Krieg fielen sie aber beide an einem Tag Seite an Seite, und meine Alte – hat den Schlag nicht verwinden können. Sie kränkelte von da an, bis wir sie auch hinausgetragen haben. Jetzt«, setzte er hinzu und kämpfte die alte Erinnerung gewaltsam herunter, »bin ich auch wieder Junggeselle, und wenn ich auch für mich selbst kein Ziel habe, so freue ich mich für unsere Jugend, wenn ich dieses blühende, tatkräftige und lebendige Land betrachte. Wir haben es uns teuer erkauft, denn es ist mit dem Blut unserer Besten bezahlt. Viele, viele Tränen hat es gekostet, aber dafür halten wir es auch und kennen seinen Wert.«

Der Engländer hatte den Alten mit tiefem Mitgefühl betrachtet. Als er ihn aber so ansah, kam ihm das Gesicht bekannt vor.

»Ich denke, wir haben uns schon irgendwo getroffen?« sagte er dabei. »Ich begegne Ihnen heute nicht zum erstenmal!«

Der alte Mann lächelte.

»Hier in den Minen kümmert sich selten jemand um den Nachbarn. Man läuft wochenlang nebeneinanderher, ohne nur zu fragen, wer es ist, mit dem man zusammentrifft. Allerdings sind wir uns schon begegnet, und zwar die ganze letzte Zeit drüben am Macalome, wo wir keine zweihundert Schritt voneinander am selben Bach gearbeitet haben. Sie haben da mit einem Amerikaner zusammen gewaschen, der nachher krank wurde, während ich mit noch fünf anderen etwas weiter unterhalb den Bach abdämmte.«

»Ich erinnere mich«, sagte der Fremde. »Und Sie wollen jetzt hier Ihr Glück versuchen?«

»Nein«, sagte der Amerikaner. »Ich war nur früher hier und will jetzt am Macalome bleiben, bin auch nur herübergekommen, um noch einige Sachen abzuholen, die hier zurückgeblieben waren. Womöglich kehre ich noch heute nachmittag zurück. Gehen Sie jetzt mit in die Stadt hinunter?«

»Ich weiß es noch nicht«, erwiderte der Fremde. »Zuerst hatte ich ja die Absicht, mich hier nicht aufzuhalten, nach dem Unfall meines Tieres hängt es aber von ihm ab, denn ich bin ein schlechter Fußgänger.«

»Wie alle Matrosen!« lachte der Alte. »Lassen Sie es aber nicht zu lange ruhen, damit es nicht steif wird, sonst bringt es sie gar nicht weiter. Ich denke aber auch, daß Sie da unten einen Käufer finden.«

»Um so besser, und wenn nicht, arbeite ich so lange hier in der Gegend, bis es sich ausgeheilt hat. Dann muß ich mir aber erst einen Partner suchen, denn ich habe mein Werkzeug am Macalome verkauft.«

Der alte Mann hatte ihm ruhig zugehört. Als der junge Fremde schwieg, sagte er freundlich:

»Darf ich Ihnen einen guten Rat geben?«

»Sehr gern, ich bin Ihnen dankbar dafür.«

»Gut, dann lassen Sie sich nicht zu sehr mit den Leuten da unten ein. Sie werden nur wenige oder gar keine Engländer dort finden und bald erfahren, daß die Amerikaner ein Vorurteil gegen Euch haben.«

»Gegen uns Engländer?«

»Ja. Es gibt ein Gerücht, nach dem von Australien eine Anzahl deponierter Verbrecher von der englischen Regierung herübergeschafft wurden. Ich weiß nicht, ob es wahr ist, und kann es mir auch eigentlich kaum denken. Aber trotzdem gibt es gerade unter meinen Landsleuten eine Menge rauhes und wildes Volk. Für die sind solche Gerüchte immer ein guter Anlaß, ihren ungerechtfertigten Haß gegen die Fremden auslassen zu können. Sie hassen besonders die Engländer, und es ist besser, ihnen aus dem Weg zu gehen, da sie meistens wie die Kletten zusammenhängen. Ein einzelner kommt gegen sie nicht an.«

»Ist denn hier schon etwas vorgefallen?«

»Soweit ich weiß, nicht gegen Engländer, aber wenn das wahr ist, was mir heute morgen ein Deutscher erzählte, der von hier kam, dann sind einige unangenehme Vorfälle zwischen Amerikanern und Fremden geschehen. Sie dienen nicht gerade dazu, die Leute günstiger gegeneinander zu stimmen.«

»Es scheint Unruhe in dem Lager zu herrschen«, sagte jetzt der Fremde, der eine Weile gedankenvoll hinabgeschaut hatte. »Was für Leute mögen das da drüben am Berghang sein? Von hier aus sieht es fast aus wie Militär.«

»Das sind Mexikaner«, sagte der Alte. »Sie können erkennen, wie sie die Packsättel im weiten Kreis um den Platz gelegt haben. Ich weiß auch nicht, was sie da alle so zusammengedrängt machen, denn für eine Handelskarawane sind es zu viele. Auch die Indianer haben sich hier in größerer Menge zusammengezogen. Sind Sie keinem ihrer Trupps begegnet?«

»Doch, zweimal, es waren etwa vierzig oder fünfzig Mann. Aber sie schienen friedlich zu sein, und mehrere Mexikaner waren bei ihnen.«

»So? Hm, dann wäre doch nicht alles so in Ordnung im Lager, wie es sein sollte.«

»Wie meinen Sie das?«

»Nun, wir werden ja sehen, wenn wir hinunterkommen. So, good-bye, wenn Sie Ihr Pferd noch hier oben rasten lassen wollen. Ich wünsche Ihnen alles Gute.«

Er reichte dem Engländer die Hand, die der herzlich schüttelte und dabei rief:

»Vielen Dank für Ihre freundlichen Worte. Wären alle Amerikaner wie Sie, würde es wohl nie Zank zwischen den beiden verwandten Nationen geben.«

»Na ja, Sie wissen doch, Geschwister kabbeln sich gerne miteinander«, lächelte der alte Mann. »Es ist aber selten ernst gemeint, und ich hoffe, daß das auch bei uns der Fall sein wird. Aber ich will machen, daß ich runterkomme.«

Damit stieg er wieder langsam in den Sattel, warf noch einen Blick in das freundliche, vor ihm ausgebreitete Tal, nickte dem Fremden zu und lenkte dann den ziemlich steilen Hang hinunter, der in die Flat führte. Der Engländer nahm jetzt seinem Pferd Zügel und Sattel ab und führte es dann etwas abseits an eine Stelle, wo eine Quelle aus dem Felsen sickerte und ringsum frisches, saftiges Gras wuchs. Dort wusch er ihm die Wunde aus und ließ es dann frei, um sich eine Weile auszuruhen, zu fressen und zu saufen. Er selbst lagerte sich unter einem der dichten Rotbeerbüsche, die den größten Teil des Unterholzes bildeten. Mit dem freundlichen Tal vor sich, den Kopf in die Hand gestützt, überließ er sich seinen Gedanken.

Eine halbe Stunde hatte er wohl so gelegen, als er plötzlich helle Frauenkleider durch die Büsche schimmern sah. Gleich darauf betraten zwei Frauen den offenen Platz und sahen von hier aus auf die Stadt zurück. Erst glaubte er, sie wollten vorübergehen, und wunderte sich, wie die Frauen in diese Wildnis kamen. Am Macalome hatte er aber auch einige Mädchen aus Mexiko und Chile getroffen. Als er hörte, daß die beiden Spanisch sprachen, achtete er nicht weiter darauf und blieb unbemerkt ruhig liegen. Die beiden Frauen hatten kaum den Waldrand erreicht, wo sie die Landschaft frei übersehen konnten, als sie gebannt stehenblieben. Eine schlug die Hände zusammen und rief:

»Sieh, Manuela, wie wundervoll und prächtig das hier ist. So viele Tage sind wir schon hier, und der böse Hetson hat uns noch nicht einmal hierhergebracht!«

»Wie still und friedlich liegt die kleine Zeltstadt da unten«, sagte Manuela. »Und doch leben so viele Menschen da unten, die nur die Goldgier kennen.«

»Aber auch viele gute«, lächelte die junge Frau und legte ihre Hand auf den Arm der Begleiterin. »Du mußt das alles nicht in so trüben Farben sehen. Nicht jetzt, wo die Sonne den ganzen Raum so erhellt und alles so schön aussieht. Das ist ein Augenblick, wo man dankbar sein sollte, und nicht klagen, daß neben dem Licht auch Schatten existiert. Sieh da unten die Männer mit den bunten Decken und den vielen Pferden. Das müssen Mexikaner sein. Da drüben die einzelnen Arbeiter in der Flat, wenn sie ihr Werkzeug haben, kannst du es in der Sonne blitzen sehen. Die bunten Zelte mit der wehenden Flagge darüber, die schattigen Baumgruppen zwischendrin, und die herrlichen Berge da drüben! Ich könnte stundenlang hier stehen und mir dieses Bild ansehen. Wenn man nur hier bleiben und Ruhe finden könnte!« Sie hatte ihren Arm auf Manuelas Schulter gelegt und sah lange schweigend in das Tal. Manuela störte sie mit keinem Wort. Aber die heitere Stimmung, in die sie dieser herrliche Morgen versetzt hatte, war auch verschwunden. Als Manuela sie ansah, bemerkte sie, wie zwei Tränen an ihren Wimpern hingen.

»Jenny, was ist mit dir? Fehlt dir etwas? Dich bedrücken selbst Sorgen, während ich dir mein Herz ausschütte. Etwas verheimlichst du mir, was dich nicht glücklich macht!«

»Glaub das nicht, Manuela«, flüsterte Jenny. »Das ist nicht zutreffend. In San Francisco hatte ich schweren Kummer, aber da Hetson sich in der frischen Bergluft so gut erholt hat, habe ich auch nicht mehr die Angst, ihn zu verlieren.«

»Und die Tränen?«

»Sind mir die Tropfen in die Augen gekommen?« lächelte die junge Frau und schüttelte die verräterischen Perlen ab. »Ich habe es nicht gemerkt. Aber sie galten nicht meinem Glück, sondern einem Toten. Nur die Erinnerung an vergangenes Leid hatte mich betrübt oder nur weich gestimmt. Es ist schon wieder vorüber, und wir wollen uns an diesem herrlichen Morgen erfreuen.«

»Was war das?« flüsterte da ängstlich Manuela. Ihr scharfes Auge hatte eine dunkle Gestalt erfaßt, die durch die Büsche glitt.

»Wo?« sagte Jenny rasch. »Hast du etwas gesehen?«

»Gleich da drüben, keine zwanzig Schritt von uns – da, wieder! Lieber Gott, es sind Indianer, und wir haben uns so weit weggewagt!«

»Laß uns zurückgehen«, flüsterte ihr Jenny erschrocken zu. »Hetson weiß noch nicht einmal, in welche Richtung wir gegangen sind. Vielleicht haben sie uns noch nicht gesehen.«

»Es ist zu spät, sie haben uns bemerkt und kommen herüber.«

Jenny war totenbleich geworden, aber sie erwiderte kein Wort. Krampfhaft hielt sie sich an Manuelas Arm und erwartete die braunen Gestalten, die, wie aus dem Boden auftauchend, von allen Seiten heranglitten. Die ersten wechselten einige Worte und sahen die Frauen an, aber sie hatten nichts Feindseliges gegen sie vor. »Walle-Walle«, sagten sie freundlich grüßend und gingen weiter. »Walle-Walle!« sagten die nächsten, und wenige Minuten später war die ganze Gruppe wieder verschwunden. Noch wagten die Frauen nicht, sich zu bewegen, aus Angst, daß die Indianer zurückkehren würden. Endlich sagte Jenny:

»Komm, wir verlassen lieber den Platz. Wenn diese Waldkinder auch gutmütig sind, so könnte ein zweiter Trupp doch vielleicht weniger freundlich sein. Wir sind auch zu weit vom Lager weggegangen, und Mr. Hetson wird vielleicht noch böse, wenn er es erfährt.«

»Da kommen noch mehr«, flüsterte Manuela. »Wenn wir doch schon weg wären! Es war auch zu leichtsinnig, ohne Begleitung allein in den Wald zu gehen.«

»Das ist nur ein Pferd«, beruhigte sie Jenny. »Es scheint zu weiden, und dann sind auch Weiße in der Nähe. Da – dort ist sein Reiter. Gott sei Dank, jetzt haben wir nichts mehr zu befürchten. Die Indianer haben doch Angst vor Schußwaffen.«

Es war der junge Engländer, der sich Sorgen um sein Pferd machte, als er die Indianer vorüberkommen sah. Man erzählte sich in den Minen, daß sie Pferde und Maultiere gern mitnahmen, um sich an ihrem Fleisch satt zu essen. Das Tier hatte sich jetzt auch genug erholt, um die kurze Strecke in die Stadt zurücklegen zu können. Er war gerade dabei, es wieder aufzuzäumen. Der rauhe Boden mit einigen Steilklippen zwang ihn, bei den beiden Frauen vorbeizugehen, um zu seinem Tier zu gelangen. Manuela hatte ihm den Kopf zugedreht, er erkannte auf den ersten Blick, daß es ein Mädchen mit spanischer Herkunft war. Nach dem, was er über diese ›Señoritas‹ in den Macalome-Minen gehört hatte, wollte er keine weitere Notiz von ihnen nehmen. Aber als er näher kam, wunderte er sich über die Schönheit und das kindliche Wesen des jungen Mädchens. Unwillkürlich grüßte er freundlicher, als es seine Absicht war. Im selben Moment fiel sein Blick auch auf die andere, neben ihr stehende Gestalt. Erschrocken hielt er an. Er sah, daß sie blaß wurde und sich auf die Freundin stützte. »Jenny!« rief er, und streckte die Arme nach der Frau aus, die fast ohnmächtig wurde.

»Jenny, um Gottes willen, was ist mit dir?« rief Manuela und stützte sie mit beiden Händen.

»Nichts, es ist schon vorüber«, flüsterte die junge Frau und richtete sich gewaltsam auf.

»Jenny!« sagte da der Fremde mit weicher, tiefbewegter Stimme, ging auf sie zu und ergriff ihre Hand. »Hier – so müssen wir uns wiederfinden?«

Jenny Hetson stand aufrecht vor ihm. Sie sprach kein Wort, aber sie hatte Manuelas Arm zurückgeschoben. Sie drehte den Kopf zur Seite und schien einen Fluchtweg zu suchen, um diesem furchtbaren Zusammentreffen zu entgehen. Aber unwillkürlich sah sie den Fremden wieder an. Ihr Blick ruhte auf dem edlen Gesicht mit den gramzerfurchten Zügen, und alle Gefühle, die sie bis dahin gewaltsam zurückgedrängt hatte, brachen plötzlich hervor.

»Charles!« rief sie und drückte die Hände auf ihr Herz, das wild schlug. »Charles!« Weinend und lachend zugleich stürzte sie an die Brust des Mannes und lehnte ihren Kopf an ihn. Minutenlang hielten sie sich in den Armen. Sein Gesicht war totenblaß geworden. Er rührte und regte sich nicht, hatte sie nur an sich gepreßt. Da endlich richtete sich die Frau wieder auf. Die Arme, die sie umschlossen hatten, ließen sie frei. Sie wandte sich ab und sank betend in die Knie, dabei verdeckte sie ihr Gesicht mit den Händen. Neben ihr kniete Manuela und umarmte sie.

Regungslos stand der Fremde neben den beiden Frauen, er wagte kaum zu atmen. Nur das Rauschen der hohen Baumwipfel unterbrach die feierliche Stille.

»Jenny, meine arme, arme Jenny«, flüsterte Manuela, »fasse dich!«

»Es ist vorbei«, sagte Jenny leise und erhob sich vom Boden. »Keine Sorge wegen mir, Manuela, ich kenne meine Pflicht.« Sie war jetzt wie umgewandelt, als sie ihrem früheren Verlobten gegenüberstand.

»Mr. Golway«, sagte sie mit fester, kaum noch zitternder Stimme, »es wäre besser für uns beide gewesen, hätten Sie uns dieses Wiedersehen erspart. Warum sind Sie uns gefolgt?«

»Gefolgt?« rief mit bitterer Wehmut im Ton der junge Mann. »Gefolgt?« setzte er langsamer hinzu. »Als ich in Chile ankam und die Schreckensnachricht hörte, die alle meine Hoffnungen zerstörte, erfuhr ich von Ihren Eltern, daß Sie mit Ihrem Mann nach Australien gegangen wären. In Chile wollte ich nicht länger bleiben, und da war die wilde Hast, mit der alles nach Kalifornien strebte, gerade passend. Hier konnte ich nicht annehmen, Sie zu finden. Ich hatte keine Ahnung davon, daß Mr. Hetson hierher gefahren ist.«

»Ich dachte es mir«, flüsterte Jenny leise vor sich hin. »Hätte Hetson doch auf meinen Rat gehört!«

»Keine Sorge, Mrs. Hetson, daß ich wieder Ihren Weg kreuze!« sagte der junge Mann. »So schnell ich kann, werde ich mit dem nächsten Schiff Kalifornien verlassen. Ich wäre der letzte, der Ihren Frieden, Ihre Ruhe stören will. Seien Sie mir aber auch nicht böse, daß ich dem Schicksal dafür danke, daß es uns noch einmal zusammengeführt hat. Ich füge mich dem Unabänderlichen. Aber ich nehme doch auch die Überzeugung mit, daß Sie mich noch nicht ganz vergessen haben, so glücklich Sie sich jetzt auch fühlen. Wenn Sie mich auch nicht mehr lieben, so hoffe ich doch, daß Sie mich als Freund in Erinnerung behalten werden. Die See war schon immer meine Heimat, ich wollte sie aufgeben. Gott hat es anders gefügt, und jetzt gehöre ich wieder der See.«

Die Frau erwiderte nichts. Es war, als ob sie reden wollte, aber nicht konnte. Sie brauchte ihre ganze Kraft, um gegen das Gefühl anzukämpfen, das wieder und wieder in ihr aufstieg. Stumm und schweigend stand sie vor ihm und sah wehmütig den jungen Mann an.

»Vielen Dank, Mr. Golway«, sagte sie endlich und streckte ihm langsam die Hand entgegen. »Sie haben so gehandelt, wie ich es von Ihnen erwartet hatte. Ein bitteres Schicksal hat unsere Lebenspfade auseinandergerissen. Sie werden die Einzelheiten von meinen Eltern gehört haben, wie alles zusammenkam, um das zu trennen, was für dieses Leben schien. Wir beide wissen aber auch, daß das Geschehene nicht zu ändern ist, was auch immer unsere Gefühle dazu sagen. Der Mann, mit dem ich verheiratet bin, hat meine ganze Achtung und meine Liebe gewonnen. Ihm gehöre ich an, kein anderer Gedanke darf in mir aufkommen. Ich versichere Ihnen aber...«, setzte sie weicher hinzu, »daß ich den Mann, den ich zuerst geliebt habe, nie vergessen werde. Für diese schöne Zeit soll der Himmel Sie segnen. Ich will Gott bitten, daß er auch Ihren Kummer mildert und Sie glücklich werden läßt. Leben Sie wohl, Charles.«

Der junge Mann hatte, während sie sprach, ihre Hand festgehalten und nicht gewagt, sie zu unterbrechen. Erst bei ihrem Abschiedswort raffte er sich zusammen.

»Leben Sie wohl, Jenny«, flüsterte er leise und hob die Hand, die er noch nicht losgelassen hatte, langsam an seine Lippen. »Gott segne Sie für die freundlichen Worte, die Sie mir gesagt haben. Dieser Augenblick wird mir manche trübe Stunde erhellen. Ich gehe jetzt in die Stadt, um mein lahmes Tier gegen ein anderes Pferd oder Maultier einzutauschen. Noch heute verlasse ich den Ort, um nie wieder hierher zurückzukehren. Leben Sie wohl.«

»Hallo, Fremder!« sagte da eine rauhe Stimme an seiner Seite. Alle drei fuhren überrascht und erschrocken zusammen. »Haben Sie kein... oh, Mrs. Hetson, ich habe Sie im ersten Augenblick gar nicht erkannt, und unsere kleine Señorita auch. Schön, daß ich Sie hier zusammen finde. Haben Sie kein schwarzes Pferd mit weißem rechtem Vorderfuß und weißem Stern an der Stirn hier gesehen? Das Brandzeichen ist ›H. W.‹«

»Nein, Sir«, sagte der junge Mann und musterte den Störer nicht gerade freundlich. Manuela erkannte mit Schrecken den gefürchteten Siftly wieder.

»Hm, tut mir leid«, sagte Siftly. Es war ihm egal, ob er gerade unwillkommen war. »Weiß der Henker, wo sich das verwünschte Vieh herumtreibt. Bei den vielen Rothäuten hier überall im Busch ist es hier genauso sicher wie drüben in den Schneebergen. Aber... sind wir beiden uns nicht schon einmal begegnet? Sie sind Engländer?«

»Das bin ich«, antwortete Charles Golway trocken und drehte sich von ihm ab.

»Sie heißen...«, fuhr Siftly fort. »Warten Sie... wie war doch der Name... John – nein, Charles Galway oder Golway, nicht?«

»Woher kennen Sie mich?« rief der Engländer verwundert aus. Das Gesicht war ihm vollkommen unbekannt.

»Woher? Lieber Gott, hier in Kalifornien kommt man auf merkwürdige Weise zusammen. Wir haben gleichzeitig in Carsons Flat gearbeitet.«

»Ich war nie an diesem Ort!« sagte der Fremde.

»So? Nicht? Na, dann war es woanders. Wenn man sich ständig in den Minen herumtreibt, verwechselt man manchmal die Plätze. – Ich habe hier doch nicht etwa gestört?« setzte er plötzlich mit einem fragenden Blick auf Mrs. Hetson hinzu.

Niemand antwortete ihm auf die Frage. Der junge Fremde war zum Rand des Abhangs gegangen. Noch einmal drehte er sich um und grüßte zurück, noch einmal begegnete er ihrem Blick, dann verschwand er in dem dichten Buschwerk, das den unteren Rand bedeckte.

Siftly war ein stiller, aber aufmerksamer Zeuge der ganzen Szene gewesen. Ein eigenes, spöttisches Lächeln zuckte dabei um seine Lippen.

»Komm, Manuela«, sagte jetzt Mrs. Hetson und griff den Arm des jungen Mädchens. »Wir wollen gehen, damit sich Mr. Hetson nicht um unsere Sicherheit sorgt.« Sie nickte dem Spieler zu und wandte sich um. Siftly war jedoch nicht gewillt, sich die Gelegenheit entschlüpfen zu lassen. Er rief:

»Dazu hätte Mr. Hetson alle Ursache, denn er konnte ja nicht wissen, daß Sie hier oben männlichen Schutz gefunden haben – ein alter Bekannter vielleicht? Wenn der Herr aber nicht wartet, um mit Ihnen hinunterzugehen, würde ich Sie gern begleiten, Mrs. Hetson. Der Wald wimmelt von Indianern, und diesen Burschen kann man jetzt nicht trauen.«

»Der Herr wird allerdings nicht auf uns warten, Sir«, entgegnete ihm Mrs. Hetson, von der Bemerkung verletzt. »Aber ich habe trotzdem keine Angst. So wie wir allein hinaufgegangen sind, werden wir auch den Rückweg finden. Ein ganzer Indianertrupp kam hier vorbei, aber sie haben uns freundlich begrüßt.«

»Um so besser«, lächelte Siftly. »Ich wollte Ihnen auch nur aus Freundschaft für Hetson meine Begleitung anbieten.«

Mrs. Hetson verneigte sich kurz und wollte an ihm vorbei.

»Ah, Señorita«, rief der Spieler. »Ihr Papa wird Ihnen wahrscheinlich schon gesagt haben, daß wir gestern einen Vertrag gemacht haben.«

»Mein Vater hat mir nichts gesagt«, antwortete das Mädchen abwehrend. »Er muß mir keine Rechenschaft geben.«

»Wie eine brave Tochter gesprochen!« lachte Siftly. »Na ja, die paar Stunden werden für Sie auch nicht weiter schlimm sein.«

»Die paar Stunden?« sagte Manuela, der es unangenehm wurde.

»Also wissen Sie noch gar nichts? Das ist aber nicht richtig von Señor Ronez, denn Ihre Finger brauchen bestimmt wieder einige Übung, um die alte Meisterschaft zu erlangen.«

»Mein Vater?« rief Manuela und konnte kein anderes Wort über die Lippen bringen. Die Angst vor der Enthüllung nahm ihr die Sprache.

»Oh, Sie müssen nicht erschrecken, Señorita«, lächelte Siftly. Ein Zug boshafter Schadenfreude um seine Lippen straften seine freundlichen Worte Lügen. »Es handelt sich bei der ganzen Sache nur um eine unbedeutende Kleinigkeit, eigentlich mehr um eine Unterhaltung für Sie als um eine Arbeit.«

»Er bringt mich um mit seinem kalten Hohn«, flüsterte die Arme leise vor sich hin.

»Ich habe mit ihm vereinbart«, fuhr Siftly fort, »daß Sie nur vorläufig in den nächsten vier Wochen, eigentlich einen Monat, aber das nehmen wir nicht so genau, in meinem neuen Zelt jeden Abend nur zwei Stunden spielen sollen. Da es...«

»Das kann mein Vater nicht abgemacht haben«, unterbrach ihn Manuela in Todesangst. »Das kann, das darf er nicht. Er weiß, daß ich geschworen habe, keinen Fuß wieder in ein solches Spielzelt zu setzen.«

»Man schwört manches in der Welt, schönste Señorita«, sagte der Spieler noch immer lächelnd. »Oft ist man aber nicht imstande, es durchzuführen. Wie oft habe ich schon geschworen, nicht mehr zu spielen. Aber es übt einen so unwiderstehlichen Reiz auf mich aus, daß ich es doch nicht lassen kann. Der Himmel ist sehr nachsichtig mit solchen Schwüren.«

»Niemand, Sir«, sagte da Mrs. Hetson, »wird das junge Mädchen zwingen können, einen solchen Vertrag einzuhalten. Sie müßte erst einwilligen, wenn es so einen Vertrag wirklich gäbe.«

»Man sieht, daß Sie die Frau eines Anwalts sind«, sagte Siftly und lächelte verbindlich. »Auf diese Einwilligung können wir hier aber leicht verzichten, weil Señorita Manuela noch unmündig ist und unter dem Willen ihres Vaters steht. Die Sache ist aber auch wirklich zu unbedeutend, um großes Aufsehen darum zu machen. Zwei Stunden an jedem Abend sind nicht der Rede wert.«

»Ich spiele nicht!« rief Manuela so entschlossen und gereizt, daß sie in diesem Augenblick sogar die Scheu vor dem sonst verhaßten Menschen überwand. »Wenn mein Vater sein Kind wieder verkauft hat, da wird mich das Gesetz schützen! Die Hand soll verdorren, die je wieder einen Bogen führt, wenn Sie Ihr falsches, tückisches Spiel spielen!«

Bei den heftigen Worten sah Siftly still lächelnd vor sich auf den Boden. Dann sagte er freundlich:

»Ereifern Sie sich nicht so, Señorita. Das Unabänderliche erscheint uns oft schwer, nicht wahr, Mrs. Hetson? Aber wir lernen doch, daß wir uns fügen müssen, wenn wir einsehen, daß es nicht anders geht.«

»Mr. Hetson wird nie erlauben, daß es geschieht!« sagte die Frau selbst erregt.

»Er wird es nicht verhindern können, beste Frau«, erwiderte Siftly achselzuckend. »Nach unseren in den Minen gültigen Gesetzen müssen vor allen Dingen Spielschulden in Ehren gehalten und eingelöst werden.«

»Also verspielt – auf eine Karte gesetzt – das eigene Kind!« stöhnte Manuela und schlug ihre Hände vor das Gesicht.

»Nein, das soll und darf nicht sein!« rief aber Mrs. Hetson entrüstet aus. »Was auch Ihre Gesetze hier sagen und behaupten mögen, Sir, die Gesetze der Menschlichkeit sagen nein und abermals nein. Manuela steht unter unserem Schutz, und gegen ihren Willen soll sie nicht gezwungen werden. Hetson wird mir die Bitte nicht abschlagen.«

»Und wenn ich Sie nun bitte«, sagte da Siftly mit derselben lächelnden, frechen Ruhe, »mein Fürsprecher bei Ihrem Mann zu werden? Wenn ich dann dafür dieses angenehme Zusammentreffen mit Ihrem alten Bekannten, Charles Golway, vergessen würde? Manuela wird ihrer Freundin gern dieses Opfer bringen, wenn man es wirklich so bezeichnen kann.«

Mrs. Hetson fühlte, wie ihr das Blut ins Gesicht stieg. Mit der Gewißheit, daß der Mann da vor ihr mehr von ihrem Privatleben wußte, als sie ahnte, und in gerechtem Zorn über diesen Verdacht, rief sie aus:

»Was auch Ihre versteckte Drohung bedeuten soll, will ich Ihnen sagen, daß sie machtlos an mir abprallt. Ich habe kein Geheimnis vor meinem Mann, keines, das ich mit Ihnen teilen möchte. Jetzt komm, Manuela, die roten Kinder dieser Wildnis werden uns weniger beleidigen als dieser Mann, der sich Freund meines Mannes und Amerikaner nennt.« Sie ergriff rasch den Arm des Mädchens und eilte mit ihr den Abhang hinab, um so bald wie möglich das Lager wieder zu erreichen.

Siftly blieb mit untergeschlagenen Armen stehen, die Zähne fest zusammengebissen. Mit einem boshaften Lächeln sah er den beiden nach, aber es war offensichtlich, daß er sich von seiner Drohung mehr Erfolg versprochen hatte.

»Ach, zum Teufel!« murmelte er endlich leise vor sich hin. »Geh du nur und arbeite mir selbst schon vor. Der alte Freund hätte zu keiner günstigeren Zeit hier in den Bergen auftauchen können. Keine Sorge, daß ich seine Nähe ausnutzen werde. Und was das trotzige Mädchen betrifft, verdammt will ich sein, wenn ich mir die Beute wieder aus den Fingern schlüpfen lasse. Ich habe Hetson nicht umsonst zum Alkalden gemacht! Inzwischen werde ich... ha, was ist das?« unterbrach er sich plötzlich. »Die Mexikaner da drüben haben eine Fahne gehißt? Sollten die feigen Señores doch noch Ernst machen wollen? Wenn ich nur mein Pferd hätte! Es fällt den Roten doch noch als Braten in die Hände!«

Unschlüssig, wohin er gehen sollte, blieb er noch einen Augenblick stehen. Aber die Sorge um seine eigene Sicherheit war stärker als die um sein Pferd. Er wußte recht gut, daß er hier am meisten der Gefahr ausgesetzt war, wenn die Feindseligkeiten wirklich ausbrachen. Jedenfalls zeigte ihm die Flagge im mexikanischen Lager, daß die Burschen dort drüben gemeinsames Handeln berieten. Mit einem Fluch warf er den Poncho um sich und ging den Pfad, auf dem die Frauen voraneilten, in das Lager zurück.


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