Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

10. Der indianische Häuptling

Es mochte etwa fünf Uhr nachmittags sein, als die neu eingetroffenen Deutschen ihre wichtigsten Vorbereitungen beendet hatten. Die Goldwäscher waren alle wieder bei ihrer Beschäftigung, teilweise in der Flat selbst, teilweise an den einzelnen kleinen Bächen. Das ›Paradies‹ lag ziemlich still und öde mit seinen weißen Leinwandwänden im heißen Sonnenschein.

Die Hauptstraße war völlig menschenleer, abgesehen von einem Indianer. Er war mit einem zerlumpten Hemd bekleidet und kam mit einer Holzladung auf dein Rücken gerade aus dem Wald, um es in ein Speisezelt zu bringen. Die Weißen gaben ihm dann ein Stück Brot und, die Hauptsache, einen Schluck Branntwein dafür. Um seine Gesundheit damit zu zerstören, strengte der rote Sohn der Berge vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben seinen Körper an. Da klapperten rasche Hufe auf der harten Straße, die von den Bergen herunterführte. Der ungewohnte Laut veranlaßte selbst einige der faulen Händler, die Köpfe aus dem Zelt herauszustrecken, nur um zu sehen, wer wohl kam. Diesmal bereuten sie ihre Neugier nicht, denn der Anblick lohnte die kleine Mühe.

Fünf nicht sehr große, aber kräftige braune Ponys kamen in vollem Galopp den Weg entlang. Auf den sattellosen Rücken der Tiere hingen Indianer. Der Führer des Trupps war ein etwa sechsundzwanzigjähriger Mann. Er war ganz europäisch gekleidet, was sehr selten war. Er trug helle Hosen, eine kurze, mit vielen Knöpfen besetzte Jacke und einen Strohhut. Darunter flatterte lustig sein langes, rabenschwarzes Haar. Schuhe trug er jedoch nicht. Über der linken Schulter hing eine lange, einläufige Schrotflinte, und in einem roten, seidenen, chinesischen Gürtel steckte ein langes spanisches Messer.

Die kalifornischen Indianer reiten eigentlich nie und haben auch keine Pferde. Der Mann ritt aber wie mit seinem Tier verwachsen und lenkte es mehr durch den Druck seiner Schenkel als mit dem leichten Zaumzeug. Er hatte auch nichts von dem scheuen, verschlossenen Wesen an sich, das sonst bei dieser Rasse wegen der Übergriffe der mächtigen Weißen zu finden ist. Wie er da so leicht und trotzig auf seinem weit ausgreifenden Renner saß, nickte er sogar hier und da in eines der Zelte zu einem bekannten Gesicht hinüber. Aber kein freundliches Lächeln huschte über sein ernstes Gesicht, das strenge, aber doch edle und schöne Zöge aufwies. Der junge und mächtige Indianerhäuptling Kesos, der große Gewalt über alle benachbarten Stämme der Berge hatte, war den Händlern hier schon bekannt. Wo ein Streit geschlichtet werden mußte oder gestohlene Waren gesucht wurden, wandte man sich an ihn. Sie konnten sicher sein, daß er ihnen zu ihrem Recht verhalf. Das größte Interesse galt jedoch eben den beiden Reiterinnen, die ihm folgten. Es war ein faszinierendes Bild, wie diese beiden wilden Mädchen auf den schnaubenden Pferden vorüberjagten.

Die Kleidung der Wildnis, einen Schurz aus gegerbter Hirschhaut, mit Stroh umflochten und Fruchtschalen verziert, hatten sie abgelegt. Dafür trugen sie die buntfarbigen Stoffe der Weißen als lange, bis auf den Knöchel reichende Kleider. Es waren sehr schöne Mädchen, ihre großen, dunklen Augen bei dem wilden Ritt blitzend und funkelnd. Die vollen, schwarzen Haare wurden nur von einem roten Perlmuttschmuck zusammengehalten und flatterten dadurch im Wind. Die üppige Figur der einen wurde von einem weiten, brennend roten Kleid umschlossen, das am Hals eng anlag und in der Taille durch eine gleichfarbige chinesische Schärpe zusammengehalten wurde. Ein schwefelgelbes Kleid mit roter Schärpe trug die andere. Hals, Arme und Füße der beiden waren unbedeckt. Sie ritten wie die Männer ebenfalls ohne Sattel, und ihre leichten Kleider flatterten so bei dem schnellen Ritt, daß ihre schönen Beine ständig zu sehen waren.

Hinter ihnen, auf nur mittelmäßigen Ponys, die ihren niedrigen Rang deutlich zeigten, ritten zwei indianische Jungen, vielleicht vierzehn bis sechzehn Jahre alt. Auch sie hatten den Versuch gemacht, sich europäisch zu bekleiden. Sie hatten Jacke und Hose – aber geteilt. Der mit der Hose hatte einen freien Oberkörper, der mit der Jacke trug einen Lederlendenschurz. Sie waren wohl die Diener oder Reitknechte des Häuptlings.

Im gestreckten Galopp sprengte der junge Häuptling die Straße herunter und überholte jetzt den Indianer, der das Holz trug. Sein schwankender Gang unter der leichten Last verriet deutlich, welchen Lohn er für seine Arbeit immer erhielt. Im Nu riß er sein Pferd zur Seite, das sich auf den Hinterbeinen herumwarf. Während die beiden Mädchen rechts und links auswichen, zügelte der junge Häuptling sein schnaubendes, dampfendes Tier und sah finster auf den erschrockenen Stammesgenossen.

»Kesos! Capitano!« stammelte der Holzträger erschrocken und sah scheu zur Seite, als ob er schnell flüchten wollte.

»Schämst du dich nicht?« sagte Kesos mit leiser, unwillig gedämpfter Stimme. »Schämst du dich nicht, Tibuka? Du trinkst das Gift der Bleichgesichter, du Krieger der Cayota trägst den Fremden Holz zum Feuer? Soll ich dir Weiberkleider schicken?«

Der Indianer stammelte einige entschuldigende Worte vor sich hin, aber der junge Häuptling erwiderte keine Silbe darauf. Er sah ihn nur verächtlich an. Der Holzträger sah nicht zu ihm auf, aber er fühlte trotzdem den Blick und senkte den Kopf tiefer.

»Soll ich dir einen Weiberrock schicken?« flüsterte der Häuptling noch einmal. Der Indianer war nicht mehr imstande, den Hohn zu ertragen. Er warf seine Holzlast mitten auf die Straße und lief, so schnell ihn seine Füße trugen, die Straße hinauf, wieder in die Berge.

Ein verächtliches, aber bitteres Lächeln zuckte für einen Augenblick um die Lippen des jungen Reiters. Er drehte aber nicht den Kopf nach dem Flüchtling um. Er warf sein Pferd wieder herum und setzte seinen Weg so schnell wie vorher fort. Die beiden Reiterinnen lenkten zur Seite und flogen mit ihren munteren Tieren über den Holzhaufen. Gleich darauf stieß der kleine Trupp noch auf ein Hindernis. Es bestand in der Person des deutschen, plötzlich nach Kalifornien versetzten Justizrates. Er hatte mit seiner langen Pfeife und einer kleinen grauen Mütze eben seinen Spaziergang angetreten, um die ›Stadt‹ etwas in Augenschein zu nehmen. Der Justizrat hörte zwar die galoppierenden Pferde, hatte aber soviel damit zu tun, in die rechts und links liegenden Zelte zu sehen, daß er nicht weiter darauf achtete. Jetzt flog Kesos so dicht an ihm vorüber, daß er ihm mit der Spitze des rechten Fußes den Ärmel streifte. Im Nu prallte er zur Seite, um aber dem Mädchen mit dem feuerroten Kleid in den Weg zu springen. Hätte sie nicht so rasch ihr Tier herübergerissen, so wäre der Mann gleich bei seinem Mineneintritt über den Haufen geritten worden. So kam er mit dem Schreck davon. Die beiden nachfolgenden Burschen hatten Zeit genug gehabt, um ihm auszuweichen. In der nächsten Sekunde waren sie schon vorbeigebraust.

»Donnerwetter!« sagte der Justizrat und hob die heruntergefallene Mütze auf. »Auch eine Art? Schwarze Heiden – Lumpenpack!« Ohne sich weiter um die Indianer zu kümmern, setzte er damit seinen Weg fort.

Der Häuptling zügelte sein Pferd vor dem Zelt des Alkalden unter der matt wehenden amerikanischen Flagge. Er sprang herunter und übergab den Zügel einem der rasch abspringenden Jungen. Den Mädchen rief er ein paar Worte zu. Sie nickten und ritten dann langsam weiter, bis sie die Stadt hinter sich und eine kleine Anhöhe zwischen verstreuten Zelten erreicht hatten. Dort hielten sie, um die weiteren Befehle ihres Herrn abzuwarten.

»Buenos Dias!« grüßte inzwischen der junge Häuptling. Er hatte ohne weiteres den Zelteingang zurückgeschlagen und war eingetreten. Der Alkalde lag gerade in einer etwas verlängerten Siesta auf seinem Bett in der Ecke des Zeltes ausgestreckt und fuhr überrascht von seinem Lager auf. Als er aber den Häuptling erkannte, blieb er auf dem Rand seines Lagers sitzen, streckte sich etwas und erwiderte dann freundlich nickend:

»Buenos Dias, Kesos!« Damit hatte er aber auch schon fast seinen ganzen Vorrat spanischer Wörter erschöpft und setzte ohne Umschweife auf englisch hinzu: »Was willst du?«

»Mit dir sprechen, Richter!« erwiderte der Indianer in gebrochenem, aber verständlichem Englisch. »Aber nicht in deiner Sprache, die schwer und ängstlich auf meiner Zunge liegt. Laß deinen Dolmetscher holen, denn ich habe dir viel zu sagen.«

»Hm«, brummte der sogenannte Alkalde, ein kleiner, ziemlich fetter Amerikaner. Er wurde von seinen Landsleuten – Gott weiß warum – Major genannt. »Viel zu sagen? Wäre mir nicht gerade angenehm, denn ich habe mehr zu tun, als deine indianischen Scherereien anzuhören. Was hast du wieder?«

»Wo ist Sheriff ?« erkundigte sich der Häuptling, ohne die Frage zu beantworten.

»Wo ist Sheriff?« wiederholte der Alkalde ärgerlich. »Ja, wo ist Sheriff – was geht mich Sheriff an? Sheriff wird schlafen oder Gold waschen oder spazierengehen oder sonstwas tun, was ihm gefällt. Muß ich mich um den Sheriff kümmern oder er sich um mich?«

»Hol ihn!« sagte lakonisch der Indianer.

»Hol ihn?« rief jetzt der Friedensrichter erstaunt über den Ton. »Das ist nicht schlecht, hol ihn! Als ob ich sein Stiefelputzer bin! Hol ihn selbst, wenn du was von ihm willst, ich brauche ihn nicht.«

»Gut!« sagte Kesos, drehte sich herum und verließ ohne Gruß das Zelt, um den Sheriff, den er kannte, selbst aufzusuchen.

Major Ryoth blieb in einer unbehaglichen Stimmung zurück. Wenn er irgend etwas auf der Welt haßte, so waren das Geschäfte, mit denen ihn der Sheriff ohnehin schon genug plagte. Außerdem kannte er den Einfluß, den der indianische Oberhäuptling auf die verschiedenen Stämme ausübte. Er wußte, daß etwas Außergewöhnliches vorgefallen sein mußte, sonst hätte er keinen Dolmetscher verlangt, um seine Verhandlung zu führen. Und war von den Indianern jemals Geld für ihre Klagen zu bekommen? Nicht einen Krümel! Ja, wenn es ein Landsmann oder ein Fremder gewesen wäre, der den Schutz der amerikanischen Gesetze verlangt hätte! Dann konnte er gut zwei bis drei Unzen oder mehr fordern und tunkte keine Feder ein, ehe er nicht das Gold sicher hatte. Aber mit den Indianern war das eine sehr unerquickliche Sache, die selten oder nie etwas einbrachte. Und doch mußte sie erledigt werden, wenn er nicht von dem Alkalden des Distriktscourts zur Rechenschaft gezogen werden wollte.

Einige Bewohner des Städtchens hatten sich inzwischen vor dem Zelt eingefunden, um den seltenen Besuch anzustaunen. Der Häuptling war überall als ein weit über seine Verhältnisse gebildeter, eigentlich schon halbzivilisierter Indianer bekannt. Die benachbarten Stämme sahen mit fast abgöttischer Verehrung zu ihm auf und erfüllten seine Befehle ohne Widerrede. So zog er, während er eigentlich bei den Calaveres-Indianern sein Hauptquartier hatte, von Stamm zu Stamm, um ihre Streitigkeiten zu schlichten und ihre Beschwerden zu hören. Leider gab es in dieser Zeit mehr als genug davon. Waren nicht die Bleichgesichter in ihr Land eingefallen wie ein Strom, der alle Dämme bricht, um gierig nach dem gelben Metall zu suchen? Hatten sie nicht ihre Eichenhaine gefällt, ihre Fischereien zerstört, ihr Wild getötet oder vertrieben, und waren sie nicht selbst aus ihren Jagdrevieren wie die Tiere des Waldes verjagt worden? Wo sie zusammentrafen, erlaubten sich die weißen Eindringlinge Übergriffe. Die geringste Vergeltung, die sie übten, zog die Rache von Tausenden über diese sonst so harmlosen Söhne der Wildnis herauf. Weiter und weiter wurden sie zurückgedrängt, höher und höher hinauf, nicht nur in den tiefen Schnee der Gebirge, sondern auch in Gebiete feindlicher Stämme. Und noch immer steckten die Bleichgesichter keine Grenzen, immer noch mehr Land beanspruchten sie als ihr Recht und Eigentum. Wie sollte das enden? Wo sollte endlich die Grenze zwischen dem roten und dem weißen Mann gezogen werden?

Die Mehrzahl der Indianer kannte allerdings nicht die Tragweite dieses Überfalles, den sie nur für vorübergehend hielten. Sie wußten, die Weißen waren herübergekommen, um nach dem gelben Metall zu suchen, und dachten, sie würden wieder gehen, wenn sie alles ausgegraben hätten. Kesos sah weiter. Er war schon selbst in San Francisco gewesen, hatte die Schiffe gesehen, die dort mit Häusern und Werkzeugen einliefen, und erkannte bald zu seinem Schreck, daß dieser Einbruch der verhaßten Fremden mehr als nur ein vorübergehender Besuch war. Überall zäunten sie schon große Stücke Land ein und ackerten es um. Auf den Missionen hatte er gelernt, was das bedeutete: Saat hatten sie dort in die Erde getan, von der sie später ernten wollten. Die Häuser, die sie bauten, sahen für den Wilden nicht danach aus, als ob sie nur für den milden Winter einer einzigen Jahreszeit errichtet wurden. Als die Missionare herüberkamen und ihre Missionsgebäude aufgestellt hatten, dachten sie nicht daran, das Land wieder zu verlassen. Sie wollten auch nur mehr und immer mehr Boden gewinnen. Diese neuen Ankommenden würden es nicht anders machen. Er hatte auch die furchtbare Zahl der Fremden gesehen. Er kannte die Gewalt ihrer Feuerwaffen und wußte, welches Übergewicht sie ihnen über seine armen, nackten und nur mit schwachen Bogen und Pfeilen bewaffneten Landsleute geben mußte. Er fühlte das Verzweifelte ihres Kampfes, ihres Widerstandes gegen diesen Koloß, und sein Herz blutete. Aber er war auch entschlossen, ihnen Schritt für Schritt streitig zu machen. Er war entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen. Eine Hoffnung blieb ihm dabei: daß die Weißen untereinander nicht einig waren.

Er hatte genug von fremden Sprachen bei seinem häufigen Besuch der katholischen Missionare gelernt, um einen Unterschied zwischen Amerikanos, Mexikanern und Franzosen zu machen. Es konnte ihm dabei nicht entgehen, daß die in Masse einströmenden Abkommen der spanischen Rasse eher mit den Franzosen und anderen Fremden zusammenhielten, den Amerikanern aber bitter feind waren. Hatten die ihnen doch auch den ihnen sonst gehörenden Küstenstrich mit Waffengewalt geraubt! Mit der Hilfe der einen Gruppe hoffte er die andere zu besiegen. – Armer Indianer, du hattest deine Hoffnung auf einen schwachen und morschen Anker, auf eine feige, entnervte Nation gestützt und kanntest die allmächtige Gewalt des Goldes nicht! Was half es dir, wenn sich selbst die Mexikaner ermannt und den Amerikanern Widerstand geboten hätten – etwas, wozu sie nicht einmal den Mut und die Kraft besaßen, als es galt, ihren eigenen Herd gegen den einbrechenden Feind zu verteidigen. – Die Berge, in denen deine Heimat lag, waren goldhaltig, und wer auch immer Sieger geblieben wäre – für dich und deine Leute waren und blieben sie für immer verloren.

Aber Kesos, trotz seines jugendlichen Alters in den höchsten Hang erhoben, den ein Kind seines Stammes erreichen konnte, sah die Zukunft noch nicht so schwarz und düster vor sich liegen. Er wollte nicht glauben, was ihn selbst manchmal wie eine Ahnung in trüben Stunden beschlich. Die Hoffnung, dieses Kind des Himmels, für uns arme Sterbliche ein Trost, hielt ihn aufrecht.

Solange der Mensch noch hofft, lebt er auch – nehmt ihm die letzte Hoffnung, und er wird, er muß zum Selbstmörder werden.

Die Hände in den Taschen, schlenderten inzwischen einige der Yankee-Storekeeper, der Händler, die Straße hinab, genau dorthin, wo die beiden wilden Mädchen mit den Pferden hielten. Dank ihrer Auffassungsgabe hatten sie auch von der Sprache der Indianer so viel gelernt, daß ›Walle-Walle‹ (Freund-Freund) der Gruß der Indianer war. Dieses ›Walle-Walle‹ war bei ihnen allerdings wenig mehr als der abgebrochene Henkel eines Topfes in ihren Händen, denn jede begonnene Konversation war damit auch wieder abgeschnitten. Nichtsdestotrotz und im Gefühl ihres Wertes als Weiße und Amerikaner, ja als Herren des Landes, gingen die langen, schlaksigen Burschen ziemlich zuversichtlich auf die beiden Schönen zu und brachten ihren Gruß an. Dann blieben sie abwartend vor ihnen stehen.

Die beiden Mädchen hatten sie schon von weitem kommen sehen und beobachtet, ohne ihre Stellung auch nur gering zu verändern. Sie waren abgestiegen und standen dicht beieinander auf einer kleinen Anhöhe, während die beiden Jungen die fünf Pferde hielten. Von hier aus konnten sie das ganze Zeltstädtchen bis zu seiner entferntesten Grenze übersehen. Es war derselbe Hügel, auf dem die Deutschen ihr Zelt errichtet hatten.

»Walle-Walle!« sagten die Yankees und sahen die beiden Mädchen freundlich lächelnd an.

»Walle-Walle!« antworteten sie, aber nur mit dem Mund. Ihre Augen schweiften zu der Stelle, an der der Häuptling jetzt gerade wieder aus dem Zelt des Alkalden trat, um den Sheriff zu suchen und ihn zum Alkalden zu bringen.

»Hm, verdammt nette Mädchen!« meinte einer der Amerikaner zum anderen. »Besonders die Rote, und die braune Haut steht ihr nicht übel. Der Indianerlump hat einen guten Geschmack!«

»Und gleich zwei!« sagte der andere.

Die Mädchen wechselten rasch ein paar Worte, ohne sich dabei anzusehen. Um die Lippen des Mädchens im roten Kleid spielte ein spöttisches Lächeln.

»Wenn man nur ihr verdammtes Kauderwelsch verstehen könnte!« sagte der erste Sprecher wieder. »Die Worte klingen aber alle, als ob sie kurz gehackt und in einem eisernen Mörser gestoßen worden wären. Ich glaube, ich könnt's nicht lernen, und wenn ich zehn Jahre in Kalifornien wäre.«

»Walle-Walle!« versuchte der zweite, das Gespräch noch einmal anzuknüpfen. Wieder verzog ein Lächeln die etwas aufgeworfenen Lippen der Schönen, aber keine erwiderte den erneuten Gruß. Für sie waren die Höflichkeiten erledigt, und sie wollten mit den Fremden weiter nichts zu tun haben.

»Zum Henker, vielleicht verstehen sie Amerikanisch!« rief der erste wieder. »Deutlicher klingt's auf jeden Fall, und ich denke, man müßte es den Worten gleich anhören, was sie meinen. Na, Mädels, wie geht's? Immer munter? Hübschen Spazierritt gemacht, he?« Dabei streckte er die Hand aus, um dem Mädchen im roten Kleid unter das Kinn zu greifen. Aber es blieb bei dem Versuch. Ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, warf die Indianerin den langsam ausgestreckten Arm mit ihrer rasch emporgehobenen Hand beiseite. Dabei drückte ihr wirklich schönes Gesicht mehr Verachtung und Ekel als nur bloßen Unwillen aus.

»Nu, nu!« sagte der Yankee etwas bestürzt und wie beschwichtigend. »Ich beiße nicht etwa!« Er drehte sich damit halb der anderen Indianerin zu, als ob er dort den hier verunglückten Versuch erneuern wollte. Der Blick, der ihn hier traf, ermutigte ihn nicht besonders. Er steckte die Hand wieder in die Tasche, drehte sich auf dem Absatz um und sagte zu seinem Gefährten:

»Komm, Bill, hol der Teufel die verdammten Weiber. Sie sind wie die wilden Katzen und so bissig wie roter Pfeffer. Gegen unsere grünen Bergmädchen kommen sie doch nicht an.« Damit schlenderte er wieder langsam, von dem anderen gefolgt, in die Stadt zurück.

Hufner hatte vom Zelt aus, wo er als Posten zurückgelassen worden war, das rege Leben in dem vor ihm liegenden Städtchen beobachtet. Auch die Indianermädchen entgingen ihm nicht, die hier dicht vor seiner Behausung auf jemand zu warten schienen. Einerseits wurde ihm die Zeit schon entsetzlich lang, und dann hielt er es aber auch für erforderlich, den braunen Damen wenigstens guten Tag zu sagen. Als die Amerikaner fort waren, kam er langsam aus seinem Zelt heraus. Er ging aber aus angeborener Schüchternheit nicht gerade auf die Mädchen zu, sondern tat so, als wollte er an ihnen vorüber. Sie konnten ja auch nicht wissen, daß er von seinem Zelt gar nicht fort durfte. Erst als er dicht vor ihnen war, zog er höflich seinen Hut und sagte auf englisch, denn den indianischen Gruß kannte er gar nicht:

»Good evening, Ladies!«

Die beiden Mädchen hatten einen flüchtigen Blick auf ihn geworfen und betrachteten ihn dabei nicht anders als die eben abgewiesenen, zudringlichen Amerikaner. Bei dem für sie aber merkwürdigen Gruß erhellte ein leichtes Lächeln ihre Züge, und sie drehten einander den Kopf zu, öffneten jedoch nicht die Lippen und wandten sich im nächsten Moment wieder ruhig ab.

»Hm, die haben dich nicht verstanden«, dachte Hufner und wurde bis hinter die Ohren rot. Eine weitere Annäherung wagte er aber nicht, nahm jedoch sein Taschentuch heraus und wischte sich die Stirn ab, als ob er nur deshalb den Hut gezogen habe, setzte ihn wieder auf und ging in einem weiten Bogen zu seinem Zelt zurück, in dem er gleich darauf verschwand.

Unten vor dem Zelt des Alkalden versammelte sich inzwischen eine größere Menge, darunter viele Amerikaner. Der Sheriff hatte einigen mitgeteilt, daß ihnen der junge Häuptling etwas anzuzeigen hatte. Manche der Händler kamen näher, um zuzuhören. Hier und da kehrten auch schon Goldwäscher aus der Flat oder der Nachbarschaft zurück und wollten sehen, was da vorging. Ein Dolmetscher war ebenfalls bald gefunden. Es war ein Deutscher, der lange in Chile gelebt hatte. Er sprach Spanisch fast ebenso perfekt wie Englisch. Er kannte außerdem den jungen Häuptling. Kaum hatte ihn Kesos gesehen, bot er ihm freundlich die Hand und schüttelte sie derb. Dabei sagte er:

»Das ist gut, daß ich dich finde, Compañero. Komm mit hinein, du sollst mir Recht verschaffen bei den Amerikanern.«

»Hast du Gold?« erkundigte sich der Deutsche lächelnd.

»Gold?« rief der junge Häuptling entrüstet. »Brauche ich Gold, wenn ich Gerechtigkeit verlange? Nimmt Kesos Gold von denen, denen er sie gibt?«

Der Deutsche zuckte mit den Achseln und schob die Spitzen seiner beiden Hände in den Gürtel.

»Der alte Major da drin«, sagte er dabei, »will aber gewöhnlich erst den blanken Stoff sehen, ehe er den Mund auftut, und nachher möchte man ihn lieber gleich noch einmal bezahlen, damit er nur wieder ruhig wird.«

»Aber der Sheriff...«

»Ist ein Ehrenmann, das muß man ihm lassen«, sagte der Dolmetscher. »Vor dem fürchtet sich auch unser Alter da drin. Wenn der ihm nicht manchmal den Daumen aufs Auge hielte, wäre bald der Teufel los. Na, komm, wir wollen sehen, was zu machen ist. Hat unser beschäftigter Alkalde heute nachmittag ordentlich ausgeschlafen, so ist er vielleicht auch guter Laune und tut einmal sein Bestes.«

Der Sheriff, ein Amerikaner natürlich, und zugleich der Fleischer des Ortes, hieß Hale. Er war inzwischen in das Zelt des Alkalden getreten und fand hier den Major in keineswegs so guter Laune, wie der Deutsche gehofft hatte.

»Da ist dieser rotfellige Landstreicher wieder, und so geschäftig wie eine Biene!« rief er dem Sheriff entgegen. »Wahrscheinlich wieder mit einer Klage gegen einen Weißen, als ob sich die Lumpen überhaupt zu beklagen hätten. Gottes Erbarmen ist es allein, daß wir sie noch am Leben lassen, die roten diebischen Schufte, die das Maultier eines Menschen nicht sehen können, ohne es zu stehlen!«

Dem Richter war nämlich vor etwa vierzehn Tagen ein Maultier abhanden gekommen.

»Ich glaube, wir stehlen ihnen mehr als sie uns, Major«, sagte der Sheriff trocken. »Es hilft auch nichts, sie müssen die Klage annehmen, denn unsere Gesetze sind da ziemlich klar: Klagen können vor einem Friedensrichter durch Weiße oder Indianer vorgebracht werden.«

»Auf keinen Fall aber«, rief der Friedensrichter, »soll ein weißer Mann irgendeines Vergehens auf die Aussage eines Indianers hin überführt werden können! Nun machen Sie mal was! Ich werde auch den Teufel tun, mir wegen einer solchen Rothaut hier unsere Goldwäscher auf den Hals zu ziehen. Kann mich der Staat schützen, wenn sie mir einmal über kurz oder lang eine Kugel durch den Kopf schießen?« Das Gesetz, Abschnitt VI, lautet wörtlich: »Klagen können vor einem Friedensrichter durch Weiße oder Indianer vorgebracht werden, in keinem Fall aber soll ein weißer Mann irgendeines Vergehens auf das Zeugnis eines oder mehrerer Indianer überwiesen werden können. In allen solchen Fällen soll es der Diskretion des Richters und der Jury überlassen bleiben, nachdem sie die Klage eines Indianers angehört haben.« Abschnitt XII: »In allen Fällen zwischen Weißen und Indianern können beide Parteien eine Jury beanspruchen.«

»Pah«, sagte der Sheriff verächtlich. »Soviel Gewalt haben wir auch noch, um das übermütige Gesindel im Zaum zu halten. Hören müssen Sie den Burschen jedenfalls. Wer weiß denn, was er hat und was vorgefallen ist.«

»Meinetwegen«, brummte der Richter verdrießlich. »Anhören kann man's, aber einlassen werde ich mich nicht weiter mit dem braunen Lump. Er ist mit allem unzufrieden und hetzt sein Gesindel mit jedem Tag mehr gegen uns auf. Wie lange wird's dauern, daß uns die Kerle sogar hier überfallen und zu plündern anfangen? Unverschämt genug sind sie jedenfalls dazu. Rufen Sie ihn herein, aber da ist er ja schon selbst. Dieses Volk läßt sich nicht lange bitten.«

Noch während der Richter sprach, betrat der junge Häuptling das Zelt. Der Deutsche folgte ihm. Ungeniert kamen auch sechs oder acht der Nachbarn herein, die wissen wollten, um was es sich handelte. Der Richter nahm verdrießlich an einem Tisch Platz, der Sheriff stellte sich neben ihn. Dann wurde, wie üblich, der Dolmetscher vereidigt, und der Major rief:

»Im Namen des Teufels, fangt endlich an. Was ist wieder vorgefallen, und wo brennt's? Wieder einmal wahrscheinlich eine Dummheit, die einer von euch gemacht hat und die jetzt ein Weißer ausbaden soll. Was habt ihr überhaupt hier in der Nachbarschaft zu tun? Macht, daß ihr weiter hinauf in die Berge kommt, dort stört euch niemand, und dort kommt auch keiner von uns hin, und Wild ist da ebenfalls genug. Hier seid ihr uns doch nur überall im Wege!«

Der Indianer hatte die englische Anrede wohl verstanden, denn sein Auge blitzte, und als der Dolmetscher Fischer sie ihm lachend übersetzen wollte, winkte er mit der Hand ab.

»Ich könnte dir darauf antworten, Richter«, sagte er dabei in seinem gebrochenen Englisch. »Aber wenn du noch etwas Schamgefühl in deinem Herzen hättest, würdest du mich, den Häuptling der eigentlichen Herren dieses Landes, nicht fragen, was wir hier zu tun haben. Wer hat euch gerufen? Aber genug davon«, setzte er hinzu und streckte die Hand wie zur Abwehr vor, als der Richter einen roten Kopf bekam und etwas erwidern wollte. »Nicht darüber wollten wir sprechen. So höre, was ich dir zu sagen habe.«

»Hol's der Teufel, Sheriff«, rief aber der Major. »Wenn mir der Kerl noch einmal solche Sachen ins Gesicht sagt, lasse ich ihn aus der Court werfen!«

Statt einer Antwort schüttelte der Sheriff nur ungeduldig mit dem Kopf und nickte dem Häuptling zu.

In der spanischen Sprache, die ihm völlig geläufig war und in der er sich deutlicher und verständlicher ausdrücken konnte, begann der Häuptling jetzt: »Gestern abend ist ein Weißer in unser Lager gekommen, während die jungen Leute auf der Jagd waren, und hat gegen die Weisung eines alten Mannes, der ihn fortschickte, die Frauen im Lager geärgert und beleidigt. Sogar an meine Hütte wagte er sich heran, deren innerer Raum geheiligt ist, überfiel meine Frauen und mußte von ihnen mit Gewalt vertrieben werden.«

»Was sagt er?« erkundigte sich der Richter, der jetzt neugierig wurde. Als ihm aber Fischer die Worte übersetzte, schüttelte er ärgerlich mit dem Kopf und rief:

»Unsinn! Das fehlte auch noch, daß wir uns mit solchen Lappalien befassen sollen! Was geht mich das an? Ich soll jetzt wohl auch noch die indianischen Weiber hüten?«

»Halt!« rief aber der Häuptling und streckte stolz die Hand gegen ihn aus. »Die hüten sich selber, und sind wir in der Nähe, so tun es unsere Arme. Leider«, setzte er dann in spanischer Sprache hinzu, »kam ich zu spät zurück. Als der weiße Schurke sah, daß ihn die Frauen mit Verachtung zurückwiesen, schlug er einen alten Mann zu Boden, der ihnen helfen wollte. Einen anderen verwundete er mit dem Messer und floh erst, als er fürchten mußte, daß der gellende Schrei der Frau einen der jungen Leute herbeirufen würde. Sein Pferd hatte er in der Nähe angebunden, ein ihm nachgeschossener Pfeil erreichte ihn nicht mehr.«

»So?« sagte der Richter, als ihm die Anklage übersetzt war. »Das ist nicht übel. Ihr schießt mit Pfeilen nach einem Weißen und verlangt dann am Ende auch noch, daß wir ihn dafür bestrafen sollen?«

»Lieber Freund«, ergriff da der Sheriff das Wort, ohne sich weiter um seinen Vorgesetzten zu kümmern, »das ist alles schön und gut, ich denke auch, ihr hattet das Recht, die zu vertreiben, die euch überfallen wollten...«

»Aber nicht mit Pfeilen nach ihnen zu schießen«, unterbrach ihn heftig der Major.

»Und warum nicht?« sagte der Sheriff ruhig. »Wenn der Bursche sein Messer gezogen und einen der Leute verwundet hat, so muß er auch damit rechnen, daß eine andere Waffe gegen ihn verwendet wird. Sie haben ja weiter keine Wehr als ihre schwachen Bogen und Pfeile. Davon abgesehen – kennen Sie den Namen des Schuldigen?«

»Was geht uns der Name an?« unterbrach ihn erneut der Richter, der sich jetzt über den Sheriff ärgerte. »Ich will seinen Namen gar nicht wissen, denn er hat Narrenstreiche gemacht! Ein Holzkopf, sich mit den Braunfellen einzulassen, dafür haben sie auf ihn geschossen, und die Sache ist abgemacht!«

»Die Sache ist nicht abgemacht!« rief, trotzig sich emporrichtend, der Wilde. »Er hat das Blut eines meiner Männer vergossen, das Blut eines Greises, der jetzt mit einer schweren Wunde leidet. Ich bin zu dir, dem Alkalden dieses Reviers, gekommen, um die Bestrafung des Weißen zu verlangen, ebenso wie du sicher sein kannst, daß von meinen Leuten die bestraft werden, die sich gegen einen der Fremden vergeben!«

»So?« rief der Richter mit einem boshaften Blick auf den Indianer. »Hast du auch etwa die spitzbübischen Kanaillen bestraft, die mir vor vierzehn Tagen mein Maultier gestohlen haben, he? Habe ich mein Tier etwa wiederbekommen?«

»Es ist von keinem meiner Leute gestohlen worden«, sagte der Indianer ruhig. »Wer weiß, wohin es gelaufen ist oder wer von deinen eigenen Freunden es mitgenommen hat. Ich bin nicht da, um deine Maultiere zu hüten.«

»Und ich nicht deine Frauen!« rief der Major ärgerlich und doch froh dabei, endlich einen Grund für seinen Zorn zu haben. Der Sheriff schien nicht gesonnen zu sein, die Sache so oberflächlich abgemacht zu sehen. Er konnte sich zwar denken, daß von seiten des Majors kaum ein Gerichtsverfahren gegen einen Weißen eingeleitet würde, der noch dazu nur indianische Zeugen gegen sich hatte, aber trotzdem wollte er für sich mehr von der Sache wissen.

»Aber Sie sind gar nicht dabeigewesen, als der Weiße in euer Lager einbrach«, redete er jetzt den jungen Häuptling wieder an. »Sie wissen nicht einmal, ob es ein Amerikaner, Franzose, Mexikaner oder Deutscher gewesen ist, und was nützt da eine Klage?«

»Es war ein Amerikaner«, sagte der Indianer bestimmt.

»Ein Amerikaner?« brummte der Sheriff, noch immer ungläubig.

»Wir erkennen euch Amerikaner aus allen anderen heraus«, rief da Kesos finster. »Er sprach auch englisch und war ein langer, hagerer Mann, das Gesicht eingefallen, die Augen klein und grau. Seine Jacke war bis unter den Hals zugeknöpft, seine blaue Zarape anders, als sie die Mexikaner und Kalifornier tragen.«

»Und wohin ist er geflüchtet?«

»Hier in diesen Ort. Bis hierher, bis in den glattgetretenen Pfad eurer Straße bin ich seinen Spuren Schritt für Schritt gefolgt. Sein Pferd, ein starkes, schweres Tier, hat aus dem Hufeisen des linken Hinterbeines zwei Nägel verloren und schont sein Bein vermutlich wegen des lockeren Eisens.«

»Das geht uns alles nichts an!« rief der Richter ärgerlich dazwischen. »Der Mann hat kein Verbrechen begangen, und da...«

»Allerdings, Major«, sagte aber der Sheriff ernst. »Wenn er in die Zelte der Eingeborenen brach und die Frauen überfiel, einen Mann sogar mit seinem Messer verwundete, so ist das allerdings ein Verbrechen. Sie als Friedensrichter sind jedenfalls verpflichtet, auf eine solche Klage hin eine Jury zusammenzurufen.«

»Ich will verdammt sein, wenn ich's tue!« sagte der Richter.

»Dann kann der Indianer an das County Court gehen, und Sie werden gezwungen, ihn wenigstens anzuhören.«

»Ach, zum Teufel auch«, rief da der Richter, in die Enge getrieben. »So soll er uns den Burschen herschaffen, der den Alten verwundet hat. Dann wollen wir hören, was der dagegen zu sagen weiß. Wenn diese Rothäute einem Weißen mit ihren verwünschten Glasspitzen an den Pfeilen zu nahe kommen, soll er sich nicht wenigstens mit seinem Messer verteidigen dürfen?«

»Ja, Sheriff, da hat der Major recht!« riefen jetzt auch einige der herbeigeschlenderten Händler. »Den Friedensrichter oder Sheriff möchte ich sehen, der mir verweigern wollte, mich meiner eigenen Haut zu wehren, wenn ich angegriffen werde.«

»Bah, redet nicht solchen Unsinn!« rief Hale ärgerlich. »Davon spricht ja niemand! Soviel ist aber sicher: Wenn uns Kesos, der sich stets als ordentlicher und redlicher Indianer betragen hat, die Person zeigen und angeben kann, die den Frieden seines Lagers gebrochen hat, so haben wir allerdings Gesetze, die ihm zu seinem Recht verhelfen. Das Blut eines Eingeborenen darf nicht ohne wichtigen Grund vergossen werden.«

»Ordentlicher und redlicher Indianer, ja!« brummte einer der Händler. »Anstatt seine Indianer zum Arbeiten anzuhalten, damit sie sich ihr Brot auf nützliche Weise verdienen und nicht hier bettelnd und vagabundierend herumlaufen, jagt er sie fort und schickt sie wieder in die Berge, wie noch vor kaum einer halben Stunde. Einer der Rothäute, die ich in den Wald geschickt habe, um für mich Holz zu holen, kam mit einer Ladung zurück und mußte sie mitten auf der Straße abwerfen, als er dem Herrn da begegnete!«

»Allerdings!« rief der Häuptling trotzig, in seinem schlechten Englisch direkt antwortend. »Aber weshalb? Weil Sie ihm statt Gold oder Brot nur das giftige Feuerwasser geben. Eure Gesetze verbieten euch, einem Indianer Branntwein zu geben, und drohen mit harter Strafe. Aber haltet ihr euch an die Gesetze? Fürchtet ihr, für eine Übertretung jemals bestraft zu werden? Nein, natürlich nicht. Fragt euren Alkalden, ob er das Zeugnis eines Indianers, und wenn ich es selber wäre, annehmen würde, und von euch Bleichgesichtern verrät keiner den anderen, ihr habt doch alle einen Nutzen dabei!«

»Der Kerl hat doch ein echtes Schandmaul!« sagte der Major. »Werft ihn hinaus, Sheriff, wir sind fertig mit ihm und wollen seine Vorwürfe hier nicht länger mit anhören.«

Der Sheriff antwortete nicht auf den Befehl, sondern zündete sich langsam eine Zigarre mit dem auf dem Tisch stehenden Feuerzeug an. Da wurde plötzlich draußen ein wilder, jubelnder Schrei laut.

»Hallo, was ist das?« sagte der Richter erstaunt.

»Das kann ich euch sagen!« rief Kesos mit leuchtendem Blick und eilte zum Zelteingang. »Melangaju hat den Weißen, der uns überfallen hat, unter euren Leuten entdeckt. Einen Namen könnt ihr ihm jetzt selbst geben!« Mit diesen Worten riß er die Zeltleinwand zur Seite und sprang ins Freie.

»Der Kerl hat den Teufel im Leib!« sagte der Major, ohne sich jedoch von der Stelle zu rühren, während der Sheriff mit den anderen rasch dem Indianer folgte.

Draußen auf dem Hügel hatten inzwischen die beiden jungen Mädchen regungslos neben den Pferden ausgeharrt. Ihre Augen fixierten scharf die verschiedenen Gestalten der Fremden, die in ihren Bereich kamen. Die beiden indianischen Jungen plauderten dabei miteinander und zeigten sich hier und da eine mehr oder weniger auffallende Persönlichkeit, über die sie dann lachten. Kam aber derjenige in ihre Nähe oder sogar an ihnen vorbei, so waren sie plötzlich ganz still und ernst und sahen schweigend vor sich nieder – bis er vorüber war. Dann ließen sie sich wieder gehen. Das hinderte sie jedoch nicht daran, mit ihren scharfen Adleraugen umherzuspähen. Nichts in ihrem Gesichtskreis entging ihnen. Besonders scharf beobachteten sie die aus der Flat heimkehrenden Arbeiter, bis ihre Aufmerksamkeit auf einen einzelnen Mann gelenkt wurde, der auf der Straße vorüberging. Sein Gesicht konnten sie nicht erkennen, denn er hielt es von ihnen abgewandt. Nach ein paar rasch miteinander geflüsterten Worten nahm aber der eine von ihnen die Zügel aller Tiere in die Hand, während der andere wie eine Schlange den Hügel hinunterglitt und dem Fremden folgte. Doch noch ehe er ihn überholte, hatte er sich schon Gewißheit verschafft. Der lange Bursche hörte nämlich die leichten Schritte dicht hinter sich und drehte sich um. Kaum hatte aber der junge Indianer nur einen flüchtigen Blick auf sein Gesicht geworfen, als er, wie von einem Schlag getroffen, in die Knie einknickte.

Der Lange zog die Brauen finster zusammen und verfolgte, ohne weiter auf den Burschen zu achten, seinen Weg. Der Knabe deutete mit ausgestrecktem Arm auf ihn, und dieses Zeichen wirkte eigenartig auf die Mädchen am Hügel.

›Melangaju‹, ›die Wespe‹, wie sie der junge Häuptling genannt hatte, zuckte empor, raffte ihr langes, rotes Kleid zusammen und war mit einem Sprung bei ihrem Pferd. Kaum hatte der kleine Bursche Zeit, den Zügel loszulassen, so riß sie ihn schon über den Nacken des Tieres, griff mit der linken Hand in die zottige Mähne, schwang sich auf seinen Rücken und flog im nächsten Augenblick schon in toller Hast den Hügel abwärts. Kaum zwei Minuten später hatte sie den breiten Weg erreicht. Die Weißen konnten ihr kaum, lachend und fluchend, schnell genug Platz machen, da hatte sie auch schon den Fremden erreicht, den sie nicht für einen Moment aus den Augen verloren hatte.

Als der die Hufe auf dem harten Weg hörte, drehte er sich um und wollte aus dem Weg springen. In dem Augenblick hatte Melangaju auch schon ihr Pony herumgeworfen, preßte ihm die Hacken in die Flanken und hob es zum Sprung. Es flog über den Weg, dicht vor dem Erschrockenen vorbei. Dabei stieß sie ihren triumphierenden Schrei aus, der den Häuptling alarmieren mußte.

»Hast du ihn, Mädchen?« rief er ihr auch schon von weitem zu, als er nur die Szene erblickte.

»Das ist er!« jauchzte sie ihm zu. »Sieh nur, wie bleich er geworden ist! Das sind die Zeichen meiner Nägel, die ich ihm in die Stirn und die Wange gegraben habe!«

»So nah ist er dir gewesen?« zischte der Indianer zwischen den Zähnen hindurch und warf einen Blick voll tödlichem Haß auf den Amerikaner. »Da, Sheriff, ist das einer Ihrer Landsleute oder nicht?« sagte er dann zu dem Mann, der ihm eilig nachgekommen war. »Ich denke, sein Vaterland steht ihm deutlich genug auf der Stirn.«

»Das wäre eine verdammt schlechte Empfehlung!« brummte der Sheriff leise in den Bart. Es blieb ihm keine Zeit für lange Betrachtungen. Der Gestellte hatte sich von der ersten Überraschung erholt und rief jetzt ziemlich barsch, was das zu bedeuten habe. Gleichzeitig zog er seinen Revolver und sah den Sheriff wie den Indianer trotzig an.

Der Sheriff war nicht der Mann, der sich von einer gezogenen Waffe einschüchtern ließ. Im Gegenteil stimmte ihn das noch eher zugunsten des Indianers ein, an dessen Klage er keinen Augenblick zweifelte.

»Stecken Sie bitte den Revolver wieder ein«, sagte er deshalb ruhig. »Sie haben keinen Überfall zu befürchten, denn ich bin der Sheriff hier.«

»Und was habe ich mit dem Sheriff zu tun?« sagte der Lange, der jedoch der Aufforderung Folge leistete und seine Waffe in eine Seitentasche zurückschob.

»Das werden Sie gleich hören. Wie ist Ihr Name?«

»Smith.«

»Gut, Mr. Smith. Sie halten sich hier im Paradies auf?«

»Wie Sie sehen, ja.«

»Wo schlafen Sie?«

»In Dolkins Zelt.«

»Gut. Der Indianer hier hat eine Klage gegen Sie eingebracht. Sie sollen in sein Lager eingebrochen sein und einen alten Mann seines Stammes mit dem Messer verwundet haben.«

»Der Bursche träumt«, sagte der Lange finster. »Seit ich in Kalifornien bin, habe ich kein Lager dieser braunen Schufte betreten.«

»Du lügst, Weißer!« rief ihm der Häuptling entgegen, und wieder zuckte die Hand des Amerikaners nach der Waffe. Rasch trat der Sheriff zwischen die beiden und sagte ernst:

»Auf offener Straße kann die Sache nicht abgemacht werden. Sie werden sich morgen im Zelt des Majors Ryoth einfinden.«

»Wegen der Aussage eines Indianers?« lachte Smith höhnisch. »Seit wann gelten diese Gesetze in den Vereinigten Staaten?«

»Sie werden sich nicht weigern, sich einer Jury zustellen«, sagte der Sheriff finster.

»Bestimmt nicht«, lachte der Amerikaner, »aber natürlich nur einer Jury von weißen Männern, falls Sie etwa eine andere Absicht hätten.«

»Es ist gut«, erwiderte der Sheriff, ohne auf die höhnische Bemerkung weiter ein Wort zu entgegnen. »Es wird meine Sorge sein, daß Sie morgen um die bestimmte Zeit noch hier an Ort und Stelle sind.«

»Ich werde mich der edlen Gerichtsbarkeit nicht entziehen!« lachte Smith und schritt langsam durch die angesammelte Menge die Straße hinab.

»Lassen sie den Mörder gehen?« rief erstaunt das junge Mädchen dem Häuptling zu.

Der Indianer biß seine Zähne fest aufeinander und drehte sich, um zum Hügel zu gehen, auf dem die Pferde standen.

»Kommt morgen rechtzeitig in die Stadt, Kesos!« rief ihn da der Sheriff an. »Wenn es irgend möglich ist, bringt den Verwundeten mit!«

»Glauben Sie, daß mich Ihr Stock von einem Richter überhaupt hören wird?« fragte der Indianer finster.

»Er kann es nicht verweigern«, erwiderte der Sheriff. »Viel Erfolg kann ich Ihnen allerdings nicht versprechen, auch wenn Sie das Recht auf Ihrer Seite haben. Wenn Sie nur einen Weißen als Zeugen hätten! Aber kommt trotzdem, mir liegt viel daran, daß der rauflustigen, vor nichts zurückschreckenden Menschenklasse wenigstens bewiesen wird, daß das Gesetz die Indianer unter ihren Schutz stellt. Sie müssen dann weniger befürchten, weiter belästigt zu werden.«

»Ich werde kommen!« sagte der Häuptling, ergriff den Zügel des neben ihm reitenden Mädchens und schritt langsam mit ihr zu dem nahen Hügel zurück. Wenige Minuten später sprengte der kleine Trupp wieder in voller Flucht, die Stadt umreitend, den Bergen zu.


 << zurück weiter >>