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21. Die mexikanische Flagge

Charles Golway war schnell zu seinem Pferd geeilt. Das arme Tier lahmte aber stärker als vorher, und er konnte es nicht reiten. Solang es noch im Gang war, war das verletzte Bein gelenkig geblieben. Wie der Amerikaner gesagt hatte, war durch die Rast die Wunde geschwollen, und das kranke Bein konnte es kaum heben.

»Armer Bursche«, sagte der Mann und klopfte ihm den schönen Hals. »Du hast mich wohl das letztemal getragen. Ich darf hier nicht warten, bis du wieder hergestellt bist. Komm wenigstens mit in die Ebene auf den weichen Boden, da kannst du dann ruhig weiden und dich erholen.«

Er legte ihm den Zügel wieder an und führte es den bequemsten Weg, schräg am Hang hinunter. Endlich erreichte er weiter westlich den oberen Teil der Flat, wo ein kleiner Bergbach vorüberrieselte, der von den Goldwäschern gerade erst in Angriff genommen wurde. Er erstreckte sich im Schatten der mächtigen Zedern und Kiefern sowie wilder Kirsch- und Haselnußbüsche. Von hier aus konnte man das Zeltstädtchen nicht mehr sehen. Beim Hinuntergehen war ihm aber nicht entgangen, daß dort eine ungewöhnliche Bewegung stattfand. Er konnte sich auch nicht erklären, weshalb die Mexikaner in ihrem Lager eine Flagge aufgezogen hatten. Zu sehr mit seinen eigenen, schmerzenden Gedanken beschäftigt, gönnte er dem Geschehen kaum weitere Beachtung. Was kümmerte es ihn, ob sich die Leute hier friedlich vertrugen, oder ob sie in Haß und Feindschaft lebten. Sein Ziel war wieder die See, die offene See. Sehnsüchtig trieb es ihn zum Meeresstrand. Im Stürmen der Wogen wollte er seinen Kummer betäuben.

Unten, gleich am Eingang der Flat, durch niedriges Buschwerk von der freien Fläche abgetrennt, arbeiteten einige Goldwäscher. Es war eine kleine Gruppe Neger, die hier den Boden aufgewühlt hatten. Eine kurze Strecke von ihnen entfernt sah er einen einzelnen Amerikaner damit beschäftigt, die Büsche an einer anderen Stelle auszuhauen, um da wahrscheinlich ebenfalls zu graben. Als der den Fremden mit dem lahmen Pferd vorbeikommen sah, hielt er in seiner Arbeit inne, um sich aufmerksam das Pferd anzusehen. Es war ein alter Bekannter von uns, Boyles. Er hatte den geringen, aber doch sicheren Erfolg des Grabens dem unsicheren, wenn auch verlockenden Ertrag des Spiels vorgezogen. Mit abgeworfener Jacke und aufgerollten Ärmeln war er eifrig dabei, dem Boden die Schätze zu entreißen. Der Amerikaner und der Engländer interessieren sich beide sehr für Pferde. Besonders die richtigen Backwoodsmen haben ein erstaunliches Gedächtnis für diese Tiere, die sie an kleinen, unbedeutenden Merkmalen leicht wiedererkennen, wenn sie sie auch nur kurz gesehen haben. Übung bekommen sie genug zu Hause, wo sie ihre Pferde und Rinder frei im Wald mit denen der Nachbarn laufen lassen. Sie sind nicht selten auf solche Zeichen angewiesen, um ihr Eigentum herauszufinden.

Nicht weit von Boyles hielt der Engländer an einer Stelle, wo das kranke Pferd Gras und Wasser finden konnte. Im Schatten der Büsche war es auch den Sonnenstrahlen nicht zu sehr ausgesetzt. Er nahm dem Tier Sattel und Zaum ab, um es frei weiden zu lassen.

»Hallo, Fremder!«, sagte der Amerikaner, warf seine Axt auf die Schulter und schlenderte langsam auf ihn zu. »Was haben Sie mit Ihrem Pferd gemacht? Donnerwetter, das ist ja Jim Roylicks Brauner, haben Sie das Tier schon lange?«

»Etwa vier Wochen.«

»Na ja, so lange ist es etwa her, daß er es verkauft hat. Soll einen guten Preis dafür bekommen haben.«

»Ich gab ihm zehn Unzen.«

»Donnerwetter, das ist viel Geld. Was haben Sie jetzt damit angefangen?«

»Nichts Schlimmes. Es hat sich an einem dürren Ast im Wald die Haut aufgerissen, und durch Hitze und Staub scheint sich das entzündet zu haben.«

Der Amerikaner hatte seine Axt hingelegt und war zu dem Pferd getreten. Er untersuchte die Wunde genau und musterte dann das Pferd mit Kenneraugen.

»Was wollen Sie jetzt damit anfangen?« erkundigte er sich dann.

»Ich weiß es selbst noch nicht. Ich möchte gern so rasch wie möglich nach San Francisco. Ehe dieses Pferd mich wieder tragen kann, können acht oder vierzehn Tage vergehen.«

»Das bestimmt«, sagte Boyles, »wenn es überhaupt wieder wird.«

»Es ist nur ein Fleischriß, der rasch wieder heilt.«

»Ja, aber mit den Insekten und der Hitze kann auch leicht eine schlimmere Entzündung dazukommen, wenn die Wunde nicht saubergehalten wird. Sie sollten es lieber verkaufen.«

»Es wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben. Vielleicht finde ich hier jemand, der es mir gegen Aufpreis gegen ein anderes Pferd oder Maultier tauscht.«

»Wenn Sie nur nach San Francisco wollen«, sagte da Boyles, »dann brauchen Sie noch nicht einmal ein eigenes Tier kaufen. Rückfahrgelegenheit gibt es fast jeden Tag mit einem leeren Wagen oder Maultiertrupp.«

»Ich möchte aber schneller dahin kommen.«

»Gut, Leute, die Ihnen Tiere verkaufen, finden Sie überall, eher noch als solche, die Ihnen ein lahmes Tier abnehmen. Aber... wenn Sie einen mäßigen Preis verlangen, wäre ich selbst nicht abgeneigt, einen Handel über den Braunen abzuschließen. Nur, weil ich das Tier von früher her kenne!«

»Geben Sie mir drei Unzen und das Tier gehört Ihnen«, sagte der Fremde.

»Drei Unzen, das ist verdammt viel Geld für ein lahmes Pferd, für das ich vielleicht in acht Tagen noch einen Schuß Pulver verschwenden muß«, sagte der Amerikaner. Er war aber innerlich schon entschlossen, sich den guten Handel nicht entgehen zu lassen. »Wenn Sie zwei gesagt hätten!«

»Dann laß ich es lieber frei, damit es sich sein Futter selbst im Wald sucht.«

»Wie lange, glauben Sie, läuft es da ohne Aufsicht frei herum? Das dauert nicht lange, und einer der gelbhäutigen Señores hat es am Wickel, um ein Packpferd daraus zu machen, bis es zusammenbricht. Oder die roten Halunken schneiden sich Beefsteaks daraus. Sagen Sie zwei und eine halbe Unze, und geben Sie den Sattel dazu.«

»Nein, Freund, den brauche ich selber, um darauf weiterzukommen. Handeln kann ich ebenfalls nicht. Ich verliere an dem Tier genug. Wenn Sie drei Unzen geben, ist es Ihr Eigentum. Was das Pferd wert ist, brauche ich Ihnen nicht zu sagen.«

»Ja, zum Henker. Aber fordern und bieten macht doch den Kaufmann aus. Wer gibt denn jemand das, was er fordert? Da müßten Sie mal unsere Yankee-Krämer hören!«

»Ich bin auch kein Yankee-Krämer, lieber Freund«, lächelte der Engländer. »Wenn Sie aber unbedingt etwas abhandeln wollen, dann denken Sie, ich hätte fünf Unzen gefordert, und Sie haben mir zwei weniger geboten. Kommen Sie mit zum nächsten Zelt und zahlen Sie mir da drei Unzen, und das Tier gehört Ihnen. Oder lassen Sie es mir, und ich will sehen, ob ich es nicht woanders verkaufe.«

Boyles konnte sich noch nicht damit abfinden, daß der Fremde gar nichts von dem geforderten Preis nachlassen wollte. Er kannte aber das Pferd und wußte, daß die Verletzung nicht viel zu bedeuten hatte und bald wieder heilen würde. Nach einer Weile sagte er deshalb:

»Meinetwegen, Fremder, wenn Sie so hartnäckig auf Ihrem Preis beharren, soll es mir auf die paar Dollars auch nicht ankommen. In ein Zelt müssen wir aber deshalb nicht gehen, jeder von uns hat ja wohl seine Waage dabei und kann hier gleich alles erledigen.« Dabei hatte er seinen Goldbeutel und die Waage aus der Jackentasche genommen und wog die drei Unzen in Goldkörnern ab. Der Engländer schüttete sie in seinen eigenen Beutel, ohne sie nachzuwiegen. Mit etwas Übung lernt man mit einem Blick die richtige Menge einzuschätzen. Nur hier und da macht feineres oder grobkörnigeres Gold einen geringen Unterschied. Das Pferd war inzwischen zum nächsten Wasser gehinkt, um seinen Durst zu stillen. Während Golway den Sattel zusammenschnürte, wusch Boyles sorgfältig die Wunde aus und band sein Taschentuch darum.

»Leb wohl, mein alter, braver Bursche!« sagte der junge Mann und klopfte den Nacken des Pferdes. »Halte dich tapfer. Hoffentlich behandelt dich dein neuer Herr so gut, wie ich es getan habe.«

»Keine Sorge«, sagte Boyles. »Ich kann mit Pferden umgehen. Wollen Sie jetzt ins Paradies?«

»Ja, aber ich werde mich da wohl nur so lange aufhalten, bis ich ein neues Reittier gefunden habe. Es scheint da unruhig herzugehen.«

»Ach was«, lachte der Amerikaner. »Die Señores da oben am Hügel haben sich etwas zusammengerottet. Aber das Ende vom Lied wird sein, daß sie aufsatteln und einen anderen Platz suchen.«

»Sie haben ihre Flagge gehißt«, sagte Golway.

»Was?« schrie der Amerikaner und sprang überrascht auf. »Die mexikanische Flagge bei uns?«

»Ich sah es, als ich den Berg herunterstieg.«

»Teufel auch! Nun weiß ich erst, weshalb mein Kamerad, mit dem ich hier das Loch graben wollte, nicht zur Arbeit gekommen ist. Donnerwetter, den Schuften wollen wir die Flagge bald wieder herunterholen! Und ich sitze hier inzwischen und hacke die alten Büsche um!«

Der Mann murmelte wilde Flüche in seinen Bart, sprang zu seinem Arbeitsplatz zurück, zog seine Jacke an, ergriff sein Werkzeug und lief, so schnell er konnte, durch die Büsche zu dem nahen Städtchen. Golway hing sich das Zaumzeug um, nahm den zusammengeschnürten Sattel auf den Rücken und folgte ihm langsam auf dem schmalen Pfad, der von hier in die Ansiedlung führte.

Wie Boyles richtig vermutet hatte, herrschte im Paradies einige Aufregung. Schon am frühen Morgen zeigten die Mexikaner, daß sie ihr bisheriges Verhalten gegen die Amerikaner aufgegeben hatten. Welche Gerüchte sich bei ihnen verbreitet hatten, wußte man natürlich nicht. Aber als Hale, der noch immer hoffte, die Sache in Güte beizulegen, sie aufforderte, ruhig auseinander und an die Arbeit zu gehen, wiesen sie ihn kurz und barsch ab. Er hatte ihnen sogar zugesichert, daß sie nicht weiter belästigt würden, wenn sie die gesetzlich vorgeschriebene Steuer bezahlen würden. Möglich, daß die freundliche Anrede sie in ihrem Widerstand noch bestärkte, denn sie schrieben sie der Furcht vor ihrer Überzahl zu. Aber sie hatten sich geirrt. Hale, der mit höhnischen Bemerkungen nach Hause geschickt wurde, kehrte in das Lager zurück und rief sofort alle Amerikaner zusammen, ohne den Alkalden zu fragen. Die meisten arbeiteten in der Flat. Als er Boten zu ihnen schickte, folgten nur wenige dem Aufruf. Die meisten ließen ihm sagen, daß sie jetzt mehr zu tun hätten, als sich um die lumpigen Mexikaner zu kümmern. Zur Mittagszeit wollten sie kommen. Hale war außer sich. In dieser Stimmung wollte er den Alkalden aufsuchen, um mit ihm die nächsten Schritte zu beraten. Da begegnete er Hetson, der blaß und verstört aus seinem Zelt kam.

»Haben Sie meine Frau nicht irgendwo gesehen?« rief er dem Sheriff schon von weitem zu. »Sie ist nicht im Lager.«

»Ihre Frau?« brummte der Sheriff ungeduldig. »Ja, als ob ich jetzt Zeit hätte, mich um die Frauen zu kümmern! Wo soll sie denn sein?«

»Gott weiß es – vielleicht auf einem Spaziergang, vielleicht sogar in den Bergen.«

»Dann hätte sie sich eine prächtige Zeit dafür ausgesucht«, sagte Hale. »In den Bergen schwärmen heute die Indianer aus. Gott weiß, woher diese roten Halunken auf einmal alle kommen. Mr. Hetson, die Sache wird ernst, und so leicht wir sie bislang genommen haben, müssen wir jetzt etwas tun, um den Burschen Respekt einzuflößen. Warten wir, bis sie den Angriff machen, sind wir verloren. Wir können kaum einen Mann gegen zwanzig stellen.«

»Sie haben recht, Hale, vollkommen recht«, sagte Mr. Hetson. Von innerer Aufregung war er völlig blaß. »Bringen Sie nur um Gottes willen meine Frau hierher. Wenn wir hier einen Kampf beginnen und die Burschen überall herumlaufen...«

»Das ist gut«, sagte Hale ärgerlich. »Gehört das auch mit zu meinem Amt? Warum, zum Henker, läuft sie auch gerade heute draußen herum, wo der Teufel an allen Ecken und Enden los ist. Ist sie ganz allein unterwegs?«

»Manuela muß bei ihr sein.«

»Und in der Stadt ist sie nicht?«

»Ich habe alle Kaufzelte abgesucht.«

»Na ja, Frauen gehören aber auch nicht in die Minen. Donnerwetter, hier hat ein Mann genug zu tun, um sich oben zu halten. Wir müssen jetzt unsere Landsleute so oder so zusammenbringen. Wenn wir bis Mittag warten, kann mehr verdorben sein, als wir in einer Woche gutmachen können. Die Pest über die Burschen, die nicht einen halben Tageslohn verlieren wollen, während alle anderen Nationen wie Kletten zusammenhängen! Von den Franzosen arbeitet kein einziger, sie sind alle drüben in dem einen Zelt versammelt. Wenn die uns auch noch auf den Hals kommen, bleibt uns nichts anderes übrig, als Fersengeld zu geben!«

»Wir werden nicht fliehen, Sheriff«, rief Hetson. Aber er sprach die Worte zerstreut, und seine Blicke schweiften dabei unruhig die Straße auf und ab. »Sammeln sie inzwischen unsere Landsleute. Ich... bin gleich wieder bei Ihnen.« Ohne sich weiter um den Sheriff zu kümmern, der ihm erstaunt nachsah, eilte er rasch die Straße hinauf und verschwand bald hinter den Zelten.

Hale blieb noch eine ganze Weile an der Stelle stehen, als ob er nicht wisse, was er jetzt tun solle. Endlich brach sein Grimm mit ein paar Flüchen heraus. Er stampfte den Boden und rief hinter dem Alkalden her:

»Wir werden nicht fliehen – bin gleich wieder da – So? Ich will verdammt sein, wenn ich das glaube. Gleich wieder da sein, jawohl, jetzt hat er die beste Ausrede, hinter seiner Frau herzulaufen. Hale kann inzwischen ganz gemütlich die Kastanien aus dem Feuer holen. Aber meinetwegen. Schlagen Sie mich tot, ist es auch kein Unglück. Weder hier noch in den Staaten wird ein Mensch eine Träne wegen mir vergießen. Aber ich will lebendig gebraten sein, wenn es nicht ein Skandal ist, daß man keinen richtigen Alkalden finden kann. Habe ich nicht recht, wenn ich behaupte, daß die Kerle, die richtig schreiben und lesen können, ihr Herz in den Federkielen sitzen haben? Es gibt keinen Mann unter ihnen!« Während er sprach, nahm er sein kleines Fernrohr aus der Tasche und sah nach den Bergen hinüber. Schon mit bloßem Auge konnte man da die dunklen Schwärme der Eingeborenen erkennen. Wo eine der kleinen Waldblößen einen Blick in das Tal freigab, hielt eine Gruppe. Bis in die Flat waren sie schon heruntergestiegen und lagerten da, jetzt natürlich noch ohne ein Zeichen feindlicher Absicht. Hale wußte aber recht gut, wie schnell sich das ändern konnte, sobald sich ein Anlaß dafür fand. Wenn diese Männer erst einmal losbrachen, hätten sie auch ohne weiteres das ganze Lager in Brand gesteckt. Langsam schwenkte er sein Glas zu der Stelle, wo die Mexikaner hielten. Plötzlich sprang er mit einem Schrei auf. Er traute dem Glas nicht und wollte mit dem bloßen Auge sehen, was sich ihm da bot: die mexikanische Flagge.

»Da haben wir's!« schrie er dabei und schob sein Glas in die Tasche. »Offener Aufruhr im Lager, und die Amerikaner arbeiten so ruhig das vermaledeite Gold aus dem Boden, als ob sie kein Interesse an der Sache hätten. Kein Alkalde da, kein Pech heiß, um den Teufel zu bezahlen. Ich will verdammt sein, wenn ich mir das gefallen lasse. Und wenn ich allein hingehe, um die Flagge herunterzuholen!«

Wütend über die Frechheit der Fremden sprang er in sein Zelt, um das eigene Gewehr herauszuholen. Was er damit wollte, wußte er selbst noch nicht.

Hetson war inzwischen wirklich in Todesangst die Straße hinaufgeeilt, um zu sehen, ob er die beiden Frauen da fände. Er bereute schwer, sie nicht davor gewarnt zu haben, was ihnen drohte. Aber er wollte sie auch nicht unnötig ängstigen und hatte nicht daran gedacht, daß sie morgens das Lager verlassen könnten, um in den Wald und mitten zwischen die Feinde zu gehen. Als er bei den letzten Zelten ankam, erkundigte er sich vergeblich nach den Vermißten. Nur ein Deutscher wollte sie vor etwa einer Stunde gesehen haben, als sie durch die Flat zu den nächsten Bergen gingen. Gerade dort streiften aber die meisten Indianer umher. Hetson wollte sie da selbst suchen, als ihm die beiden Frauen eilig entgegenkamen.

»Gott sei Dank!« war alles, was Hetson sagen konnte, aber eine Last schien von seiner Seele gewälzt zu sein.

»Sei nicht böse, Frank, daß wir dir heute morgen weggelaufen sind«, bat seine Frau und nahm seine Hand. »Wir hatten keine Ahnung, daß uns in der Nähe der Zelte eine Gefahr drohen könnte.«

»Du hast mir große Sorgen gemacht, Jenny«, rief ihr Mann. Sie traten sofort gemeinsam den Rückweg an. »Ich wußte nicht einmal, wohin ihr gegangen sein könntet. Die Fremden um das Lager zeigen eine immer bedrohlichere Haltung.«

»Die Mexikaner haben eine Flagge gehißt, ist das ein schlimmes Zeichen?« sagte ängstlich seine Frau.

»Ihre Flagge?« rief Hetson. Von diesem Augenblick an war er wie verwandelt. »Komm schneller, wenn du kannst, ich habe keine Zeit mehr zu verlieren. Bist du auch ganz sicher?«

»Von weiter oben konnte man es ganz genau erkennen«, bestätigte auch Manuela. »Selbst von hier aus, wenn Sie ein Stück hierherkommen, Señor, können Sie das wehende, bunte Tuch da draußen erkennen.«

Hetson folgte der Richtung ihres ausgestreckten Armes mit den Augen. Ein einziger Blick genügte, um die Nachricht zu bestätigen.

»Kinder«, sagte er freundlich zu den beiden Frauen, »ihr habt den weiten Weg von den Bergen herunter allein gefunden, da kann ich euch auch diese kurze Strecke allein gehen lassen. Wir sind hier dicht an den Zelten, und ihr braucht nichts mehr zu fürchten.«

»Hetson, ich möchte dir etwas sagen, ehe du uns wieder verläßt«, bat Jenny.

»Betrifft es das Lager da oben oder die Indianer?« sagte der Mann.

»Nein, uns selber – mich.«

»Dann laß es bis nachher. Haltet euch nicht auf und geht, so schnell ihr könnt, zu unserem Zelt zurück, da sehen wir uns wieder...« Ohne eine Antwort abzuwarten, lief er rasch den Weg zurück, den er gekommen war, um den Sheriff zu suchen und die nötigen Maßnahmen zu ergreifen.

Hale hatte eilig sein Gewehr gesäubert und geladen. Er kam eben mit ein paar Amerikanern die Straße herauf und ihm entgegen.

»Na, Alkalde, haben Sie Ihre Frau gefunden?« rief er dem Mann eher höhnisch als freundlich zu. »Ich habe nicht geglaubt, daß Sie so schnell zurück sind.«

»Ja, Sheriff, ich habe sie gefunden«, erwiderte Hetson ruhig. Er trat dabei ruhig zu seinem Zelt, vor dem an einer hohen, geschälten Zeder die amerikanische Flagge lustig im Wind flatterte. »Die Frauen sind in Sicherheit, und wir sollten uns ebenfalls absichern.« Mit diesen Worten löste er das Flaggenseil und war im Begriff, die amerikanische Flagge niederzuziehen. Da sprang Hale mit einem Schrei auf ihn zu, die Büchse im Anschlag.

»Sind Sie wahnsinnig? Wollen Sie die Sterne und Streifen vor den mexikanischen Hunden streichen? Verdamm mich, auch wenn Sie der Alkalde sind, aber ziehen Sie die Flagge noch einen Zoll weiter herunter, und ich sende Ihnen eine Kugel durch das verräterische Hirn!«

»Sheriff«, sagte Hetson und hielt mit der Linken das Flaggenfall. Mit der Rechten zog er seinen Revolver aus der Tasche. »Für diese Bemerkung könnte ich Sie jetzt auf der Stelle erschießen wie einen tollen Hund. Ich würde es tun, wenn ich Sie nicht als ehrlichen und braven Mann kennen würde. Aber wir haben nach außen Streit genug, um nicht auch noch im Lager damit zu beginnen. Kennen Sie ein besseres Mittel, um unsere Landsleute herbeizurufen, als durch das Niederholen der Flagge?«

Der Sheriff schwieg und sah ihn noch immer zweifelnd an. Hetson schob seinen Revolver in die Tasche zurück. Ohne weiter auf den noch immer im Anschlag stehenden Mann zu achten, zog er das wehende Banner entschlossen nieder.

»Und was wollen Sie jetzt tun?« fragte da Hale. Er war durch das entschiedene Auftreten des Alkalden, den er bis dahin nur für einen zaghaften, unschlüssigen Mann gehalten hatte, stutzig geworden.

»Allein können wir nichts tun«, sagte Hetson und löste die Flagge, bevor sie den Boden berührte, aus dem Fall. »Aber wenn die gehißte mexikanische und die gesenkte amerikanische Flagge die Burschen nicht ins Lager treibt, dann verdienen sie nicht, Amerikaner genannt zu werden. Sie verdienen dann auch nicht, daß die Sterne und Streifen je wieder über ihrem Kopf wehen.«

»Und dann? Wenn sie kommen?« sagte Hale und schien mit seinem Blick die Gedanken des Alkalden lesen zu wollen.

»Na, dann holen wir uns einfach die mexikanische Flagge hierher und ziehen sie verkehrt unter der amerikanischen auf, ich denke, das wird die Burschen schon zur Vernunft bringen!« sagte Hetson lachend.

»Das wollen Sie wirklich tun?« erkundigte sich Hale noch immer ungläubig.

»Wenn Sie mir dabei helfen, Hale, gewiß! Aber da kommt meine Frau, sie braucht nicht gerade zu wissen, was wir vorhaben, denn sie würde sich nur unnötig ängstigen. Da sehe ich schon einige von unseren Leuten über die Flat springen. Das Mittel hat geholfen, Sheriff. Ist kein Fahnenstock da?«

Mrs. Hetson war in diesem Augenblick mit Manuela herangekommen und stehengeblieben, als ob sie mit ihrem Mann reden wollte. Der winkte ihr aber nur freundlich zu, in das Zelt zu gehen, und wandte sich dann wieder seinen Landsleuten zu. Hale lief schnell, um einen passenden Stock für die Fahne zu suchen. Nach wenigen Minuten kam er schon mit einer Stange zurück. Von verschiedenen Seiten stürmten jetzt die Amerikaner heran. »Was ist los?« riefen einige im Laufen. »Wer hat die amerikanische Flagge eingeholt?«

»Ich war das!« erwiderte der Alkalde völlig ruhig. »Wenn Euch die aufgezogene mexikanische Flagge nicht an Eure Pflicht erinnert, hat es die eingeholte amerikanische getan.«

»Zum Henker!« rief ein langer Kentuckyer dazwischen. »Von uns hat keiner auf die Mexikaner geachtet. Eben erst haben wir den bunten Lappen da oben gesehen. Ich bin gelaufen, daß mir die Puste ausgegangen ist. Hoho, da kommt Boyles und da Briars. Hierher, Jungens, hierher!«

Mehr und mehr Amerikaner sammelten sich auf dem Platz, bis sich so ziemlich alle, die sich dort aufhielten, vor dem Zelt des Alkalden einfanden. Mit zornigen Worten und wilden Flüchen machten sie ihrem Grimm Luft und stießen Drohungen gegen die Mexikaner aus. Ein Jubelruf gellte aus dem mexikanischen Lager herüber und wurde aus Hunderten von Kehlen beantwortet. Er unterbrach die Tobenden, und der Sheriff schrie:

»Bei Gott, sie verhöhnen uns, weil wir unsere Flagge eingezogen haben!«

»Was wollt ihr tun, Männer?« sagte Hetson mit völlig weißem Gesicht. Kein Muskel darin verriet, was in ihm vorging. »Etwa zweihundert Mexikaner sind dort versammelt, und mehr als die doppelte Anzahl Indianer lagert an den Bergen, um sich jeden Augenblick mit ihnen zusammenzuschließen.«

»Schickt Boten an die anderen Minenplätze in der Umgebung!« rief Briars. »Wenn wir noch zwanzig, dreißig entschlossene Männer zusammenbringen, brauchen wir die ganze Bande nicht zu fürchten.«

»In der Zeit haben wir ihnen die amerikanische Flagge zu Füßen gelegt«, knirschte der Sheriff zwischen den zusammengebissenen Zähnen hindurch.

»Ich will nach Golden Bottom hinüberreiten«, sagte da Mr. Smith, der entsetzlich bleich und unruhig aussah. »Ich habe ein sehr gutes Pferd und kann schon morgen früh mit Verstärkung hier sein!«

»Donnerwetter!« rief Boyles. »Sollen wir uns hier von den Mexikanern verhöhnen und nachher von unseren Landsleuten auslachen lassen, weil wir nicht einmal im eigenen Lager Ordnung halten können?«

»Aber was wollen Sie tun?« rief Smith dagegen. »Wenn der ganze Schwarm Mexikaner und Indianer über uns einbricht, drücken sie uns zusammen tot und plündern das ganze Nest!«

»Dann hätten wir auch nicht die Flagge einholen sollen!« rief ein anderer. »Zum Teufel, Alkalde, binden Sie das Ding nicht hier unten fest, sondern lassen Sie es wenigstens wieder oben an seinem alten Platz wehen, damit die Schufte sehen, daß wir uns nicht vor ihnen fürchten!«

Hetson äußerte kein Wort zu den verschiedenen Vorschlägen. Er hatte die amerikanische Flagge an der Stange befestigt. Dann ergriff er sie, hob sie empor und stieß das untere Ende in die Erde, so daß sie wieder im Wind wehte.

»Amerikaner!« rief er dabei mit seiner hellen, kräftigen Stimme über die Menge. »Ich habe geschworen, daß ich als Alkalde die Rechte unseres Landes vertreten und beschützen will. Keine andere Flagge außer unserer darf auch nur eine Stunde lang ungestraft hier wehen. Wenn Ihr Leute in die Nachbarminen schicken wollt, um da bekanntzumachen, was uns hier droht – gut, ich habe nichts dagegen. Ich fordere euch jetzt aber alle auf, die ein Gewehr haben oder ein Messer schwingen können, mir zu folgen. Mit Gottes Hilfe holen wir die feindliche Flagge herunter, wie sie unsere Landsleute vor wenigen Monaten erst so glorreich unter ihre Füße getreten haben. Wer geht mit mir?«

»Na, ich glaube doch wohl, alle!« rief Boyles. »Fragen Sie lieber, wer hierbleibt?«

»Und wenn die Indianer von den Bergen aus den Mexikanern zu Hilfe kommen?« sagte der Sheriff. »Wir müssen wenigstens darauf gefaßt sein!«

»Ich glaube es nicht«, rief Hetson. »Unsere einzige Hoffnung gegen diese Übermacht ist, daß wir die Hauptpartei einfach angreifen. Unterliegen wir, werden uns unsere Landsleute rächen. Ich vertraue aber auf die Macht unserer Schußwaffen und noch mehr auf die Überraschung unseres Angriffs, der die ohnehin feigen Männer einschüchtern wird. So, auf, und holt eure Büchsen, in fünf Minuten brechen wir auf!«

»Hurra!« schrien die Männer, die dem Tod schon oft ins Auge gesehen hatten, wild durcheinander. »Hurra für unseren Alkalden! Die Waffen her, nieder mit den Mexikanern!« Damit stürmten sie in alle Richtungen, um aus ihren Zelten die Waffen zu holen. Den meisten war der tollkühne Angriff völlig recht und aus der Seele gesprochen. Die wenigen, die mit ruhigerer Überlegung vielleicht gern zurückgeblieben wären, wagten es nicht gegenüber den anderen. Nur Smith, der nicht gewillt war, sein erbeutetes Gold oder sogar sein Leben in Gefahr zu bringen, hatte schon rechtzeitig alles zusammengepackt und sein Pferd geholt. Er beschloß jetzt, unter dem Vorwand, Hilfe zu holen, seine eigene Haut in Sicherheit zu bringen. War dann die Sache vorüber, die nur wenige Tage dauern konnte, konnte er noch immer zurückkehren. In den von Fremden gesäuberten Minen würde er dann ein reiches Betätigungsfeld finden. Mit Siftly hatte er sich schon verabredet. Deswegen war der auch so früh losgegangen, um sein Pferd zu suchen. Was interessierte den Spieler der Kampf, wo nur Blei und kein Gold zu holen war. Er selbst wollte dem Streit aus dem Wege gehen.

Nur Hetson und Hale waren bei der Fahne geblieben. Kaum hatten sich die anderen zerstreut, als der Sheriff auf seinen Vorgesetzten zuging, dessen Hand ergriff und sie herzlich schüttelte.

»Mr. Hetson, Gott soll mich strafen, wenn es mir nicht sehr leid tut, Ihnen unrecht getan zu haben...«

»Mein lieber Hale...«

»Nein, wirklich, Sir. Ich – ich habe Sie für eine Memme gehalten, und... jetzt möchte ich mich dafür selbst verprügeln.«

Hetson lachte, aber ein wehmütiger Zug zuckte doch um seine Lippen. Endlich sagte er:

»Es gibt manches, Hale, das mich ernst und vielleicht auch weich gestimmt hat. Daß ich nicht wirklich feige bin, werde ich Ihnen heute beweisen.«

»Aber Ihre Frau, Sir, wenn uns nun doch... etwas Menschliches passieren sollte!«

»Wir stehen alle in Gottes Hand, Hale«, lächelte der junge Mann. »Ich hin in dieser Hinsicht Fatalist.«

»Fata – was?« sagte der Sheriff. Ihm schoß der Gedanke durchs Hirn, daß das vielleicht eine neue Art von Lebensversicherung sein könnte.

»Fatalist«, lächelte Hetson wieder. »Das heißt: Ich glaube, wenn ich heute sterben soll, kann mich der Tod genausogut hier in meinem Zelt treffen.«

»Mit den Frauen ist das aber immer eine böse Sache.«

»Mit meiner nicht, Hale. Sie ist selbständig und würde im schlimmsten Fall ihren Weg nach San Francisco schon finden. Da kennt sie meinen Bankier, und die Rückkehr in die Heimat wäre für sie kein Problem.«

Ein bitteres Gefühl überkam ihn. Er dachte daran, ob es seine Frau überhaupt als Unglück ansehen würde, ob sie nicht vielleicht... Er mochte den Gedanken nicht beenden, und fast unwillkürlich fuhr er sich mit der Hand an die Stirn.

»Es wird schon nicht so schlimm werden, Mr. Hetson«, flüsterte der Sheriff, der die plötzliche Bewegung einer anderen Ursache zuschrieb. »Wenn alle Kugeln träfen, gäbe es längst keine Soldaten mehr. Wollen Sie aber nicht hineingehen, und ihr... und ihr sagen, daß wir – na, zum Teufel, daß wir den Mexikanern die Jacke ausklopfen wollen?«

»Nein, Hale«, erwiderte Hetson. »Ich bin jetzt gerade in der richtigen Stimmung und möchte mich nicht noch unnötig weich machen. Da kommen auch unsere Freunde schon wieder. Die Zeit verfliegt, und die freche Flagge da drüben hat schon viel zu lange geweht. Aber was schleppen die Leute da an? Können Sie erkennen, Hale, was die da vorn tragen?«

Der Sheriff lachte.

»Es ist und bleibt ein verrücktes Volk!« rief er aus. »Diese westlichen Burschen laufen zu einem richtigen Kampf so übermütig, als ob sie nur zu einem Tanz gehen.«

»Aber was tragen sie da?«

»Ein paar Kindertrommeln und einen Gong, wie die Kochzelte sie hier benutzen, um ihre Gäste zu rufen. Es sieht so aus, als wollten sie sich Musik verschaffen.«

»Herrlich!« rief Hetson freudig aus. »Einen besseren Einfall konnten sie nicht haben!«

»Hurra, Squire!« schrie da Boyles. Er kam mit einer kleinen Kindertrommel angelaufen und trug seine lange Büchse, mit dem Kolben nach hinten, auf der Schulter. »Hier bringen wir den richtigen Stoff, um die Ratten auszutreiben. Hurra für Old America, aber ohne Yankeedoodle können wir nicht in den Kampf gehen!«

»Hu – pih!« gellte gleichzeitig ein langer Arkansasmann seinen Jagdschrei. Dann setzte er eine kleine Kindertrompete an die Lippen und blies einige sehr merkwürdig klingende Töne. »Zu schade, daß wir über die verdammten Löcher da draußen nicht mit unseren Pferden reiten können. Wenn es aber zu Fuß sein muß, wollen wir ihnen auch etwas bieten!«

»Bang, bang!« schmetterte dabei der dröhnende Schlag des Tamtam dazwischen, und die kleinen Trommeln wirbelten, die Trompeten quietschten, und einer hatte eine Blechkaffeekanne mitgebracht, auf der er mit einem Holzlöffel herumklapperte. Die Leute waren so ausgelassen wie Kinder, die sich überall das Material zusammengesucht haben, um einmal Soldaten zu spielen. Dabei trugen sie die scharf geladenen Gewehre auf den Schultern und wußten, daß sie zu einem tollkühnen Kampf gegen eine Übermacht antraten, die sie schon beim ersten Ansturm erdrücken konnte. Hetson musterte die wilde Schar mit einem freudigen und zugleich trotzigen Lächeln. Jedes Anzeichen von Unruhe oder Schmerz war aus seinem Gesicht verschwunden. Er zeigte seine feste Entschlossenheit. Jetzt hob er das Banner, ordnete den wilden Trupp zu einem geschlossenen Zug, und Boyles schrie jauchzend:

»Hallo, Jungens, die Musik gehört nach vorn! Hierher, meine Lieben. Wo ist der Pfeifer, wo ist unser Baby?«

»Hier, Sir!« antwortete eine feine Stimme, und ein kleiner Bursche, höchstens dreizehn Jahre, sprang nach vorn. Er trug Hemd und Hosen und einen breitrandigen Hut aus Wachstuch. Aber jedes Stück verriet, daß er von einem Kriegsschiff weggelaufen war, und die blauen Wogen mit den grünen Bergen vertauscht hatte. Der breite, zurückgeschlagene blaue Hemdkragen mit dem weißen Streifen wäre nicht einmal nötig gewesen, um ihn als Schiffsjungen auszuweisen. Er hatte nur das breite Hutband abgelegt, das früher den Namen seines Schiffes trug. Er wollte wohl den Leuten keinen zu genauen Hinweis geben, um nicht wieder eingefangen zu werden.

»Das Kind dürfen wir nicht mitnehmen!« wandte da Hetson ein. »Leute, glaubt doch bloß nicht, daß wir zu einem Spiel aufbrechen! Wir wollen einen Feind angreifen, der uns an Stärke zehnfach, ja, mit den Indianern sogar dreißigfach überlegen ist!«

»So, Sir?« rief der kleine Bursche und sah ihn keck an. »Ich bin dreizehn Jahre alt, wenn Sie's nicht glauben, und ich habe schon im vorigen Jahr geholfen, die Mexikaner zu verprügeln, jawohl! Wenn Sie das Recht haben, unsere Sterne und Streifen in ihre Reihen zu tragen, dann darf ich ihnen auch den Yankee-doodle in die Ohren blasen. Ich will verdammt sein, wenn ich hierbleibe!«

»Hurra für Jim!« schrien die Männer jubelnd um ihn her. Hetson mußte sich achselzuckend fügen.

Als sie sich jetzt ordentlich aufstellten, kamen zwei Männer auf sie zu. Es waren offensichtlich Franzosen. Aus einem der französischen Zelte drängten jetzt vierzig oder fünfzig andere heraus und blieben am Eingang stehen, um die Gruppe der Amerikaner zu beobachten.

»Aha, da schicken uns die Franzosen ein paar Gesandte!« flüsterte Hale dem Alkalden zu. »Wenn wir die in den Rücken bekämen, könnte die Geschichte unangenehm werden.«

Hetson erwiderte nichts. Mit der Flagge in der Hand trat er den beiden Leuten entgegen. Sie grüßten ihn freundlich. Hale hatte sich nicht geirrt. Einer von ihnen, der sehr gut Englisch sprach, sagte:

»Sir, wollen Sie uns offen eine Frage beantworten, die vielleicht hilft, weitere Störungen und Unzufriedenheit zu vermeiden?«

»Sehr gern, wenn ich es kann«, antwortete Hetson.

»Es gibt ein Gerücht in den Minen«, fuhr der Franzose fort, »daß die Amerikaner alle Fremden von ihren Claims vertreiben wollen, obwohl die Regierung der Vereinigten Staaten uns schon dadurch das Recht einräumt, hier zu graben, indem sie von uns eine enorme Steuer verlangt. Ist das der Fall?«

»Monsieur«, erwiderte Hetson ruhig, während sich die Amerikaner um ihn drängten. »Das Gerücht ist falsch. Daß sich einige meiner Landsleute strafbare Übergriffe erlaubt haben, ist mir bekannt. Ich versichere Ihnen aber, daß wir die ruhigen Fremden nicht belästigen werden. Wo sich jemand über einen Amerikaner beklagen will, soll er sich getrost an mich wenden. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich für sein Recht sorge!«

»Wer hat die Fremden überhaupt hierhergerufen?« schrie Briars dazwischen. »Wir brauchen sie nicht und können...«

»Schweigen Sie, Sir!« donnerte Hetson ihn an. »Was ich gesagt habe, dafür stehe ich ein, solange ich hier Alkalde hin. Wenn es derartiges Gesindel unter meinen Landsleuten gibt, die über Schwache herfallen, um sich durch Raub zu bereichern, so schwöre ich bei Gott, daß sie dafür büßen werden!«

Die schlanke, schmächtige Gestalt des Mannes hob sich dabei unwillkürlich, und sein helles Auge blitzte den sonst so frechen und übermütigen Burschen so zornig an, daß der scheu zurückwich.

»Bravo, bravo!« klang es von der anderen Seite. »Es ist eine Schande für uns gegenüber den Fremden, wenn wir das zulassen!«

»Ich freue mich, das zu hören, Gentlemen«, sagte der Franzose und nahm seinen Hut ab. »Und nun die Steuer, Sir?«

»Das ist ganz einfach«, antwortete Hetson wieder völlig ruhig. »Egal, was wir selbst hier in den Minen über die Taxe denken, ob sie zu hoch oder vielleicht ungerecht ist. Das Gesetz ist nun einmal von der Regierung unserer Staaten gegeben und muß aufrechterhalten werden, unter jeder Bedingung. Wer sich als Fremder weigert, die Taxe zu bezahlen, muß die Minen verlassen. So, wie ich Ihnen mein Wort gegeben habe, daß ich die Fremden gegen jedes Unrecht schützen will, so gebe ich es Ihnen wieder, daß ich das Gesetz aufrechterhalten werde, und wenn es mit meinem eigenen Blut geschehen müßte.«

Der Franzose sah ihm einen Augenblick ernst und nachdenklich ins Auge. Dann reichte er ihm plötzlich die Hand und sagte:

»Sie sind ein Ehrenmann, Sir. Was in meinen Kräften steht, werde ich tun, um Sie bei meinen Landsleuten zu unterstützen. Haben Sie keine Sorge, daß einer von ihnen etwas Feindseliges gegen Sie unternehmen wird. Hüten Sie sich aber davor, mit Ihren wenigen Leuten über die Flat hinauszuziehen. Die Mexikaner sind zum Äußersten entschlossen.«

»Wir wollen ihnen nichts antun und uns nur ihre Flagge hier hereinholen«, sagte Hetson lächelnd. »Übrigens«, setzte er ernster hinzu, »liegt unser Schicksal in Gottes Hand. Jetzt vorwärts, Leute!«

»Hurra!« jubelten die Männer. »Yankee-doodle voran, spiel uns den Yankee-doodle, Jim!«

Ein Pferd kam die Straße heraufgaloppiert. Als sich die Leute danach umsahen, sprengte ein alter Mann mit einer langen Büchse auf der Schulter mitten zwischen sie.

»Heda, Männer, wo wollt ihr hin?«

»Hallo, Nolten, hurra, alter Bursche! Der kommt gerade rechtzeitig!« jubelten ihm die Leute entgegen. »Runter von dem alten Bock, wir wollen uns die Fahne da draußen holen!«

»Da geh ich mit, Kinder!« sagte der Alte und war mit einem Sprung aus dem Sattel. »Ich habe zwar nur eine Stunde Zeit, denn meine Leute warten drüben auf mich, aber die kann ich nicht besser verwenden.«

»Binde das Pferd irgendwo fest und leg den Sattel in mein Zelt«, rief ihm Boyles zu.

»Nicht nötig, mein Junge«, lachte der Alte. Er nahm Sattel und Zaumzeug ab und legte es auf die Straße. Das Pferd ließ er frei laufen. »Mein Schimmel geht nicht weg, und das Zeug liegt da genauso sicher wie in einem Zelt. Aber beeilt euch, damit wir bis zum Mittag wieder hier sind! Ich habe noch nichts gegessen!«

Während er sprach, ordnete sich der Zug erneut. Immer vier Mann standen nebeneinander. Hetson überflog die kleine Schar und zählte jetzt fünfundzwanzig Mann.

»Also vorwärts, Männer!« rief er mit leuchtendem Blick. »Aber keiner von euch schießt, bevor die Feinde selbst beginnen! Jeder haftet mit seinem Leben dafür! Der erste Schuß, der erste Schlag von ihrer Seite, und drauf und dran! Daß keiner danebenzielt, muß ich ja wohl nicht sagen. Seid ihr bereit?«

»Hurra!« jubelten alle erneut und schwenkten die Hüte.

»Hetson!« flüsterte da eine Stimme an seiner Seite. Als er sich umsah, stand Jenny neben ihm. Aber sie sah nicht etwa ängstlich aus, sondern sah ihren Mann mit leuchtenden Augen an. Sein energisches Auftreten hatte ihr gefallen.

»Liebes Kind«, sagte Hetson verlegen. »Dies ist nicht der richtige Platz für dich!«

»Willst du böser Mann ohne Abschied von mir gehen?«

»Wir kommen bald zurück, es ist ja nur...«

»Leb wohl, ich nehme dich beim Wort! Komm bald zurück«, sagte seine Frau und reichte ihm die Hand. Dann ging sie schnell zur Seite. »Gott sei mit euch!«

»Hurra!« schrien die Burschen wieder. Jim stimmte in diesem Augenblick auf einer kleinen Flöte in raschen, schrillen Tönen den Yankee-doodle an. Völlig aus dem Takt fielen die anderen mit Kindertrompeten, Trommeln, Blechkannen und Tamtams ein.

Nur Boyles hatte sein Instrument noch nicht richtig bearbeiten können, denn seine Büchse war ihm dabei im Weg. Aber er wußte sich zu helfen.

»Hier, Tom, trag doch mein Gewehr etwas«, rief er seinem Hintermann zu und drückte es ihm in die Hand. »Nur so lange, bis ich das alte Trommelfell hier zerschlagen habe. Bleib aber dicht neben mir, damit ich sie gleich fassen kann, wenn's losgeht!« Jetzt rasselte er mit den anderen im allgemeinen Lärm mit. Die Melodie wurde soweit gehalten, daß man den scharf und grell daraus hervortönenden Yankee-doodle nicht störte.


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