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16. Die Entdeckung des Justizrates

Das ziemlich große Zelt, in dem der Alkalde früher gewohnt hatte, war sein Eigentum. Er hatte es an jenem Abend im Stich gelassen. Der Amerikaner Kenton hatte den Major über mehrere Monate hin mit Wein und Spirituosen versorgt, ohne Geld dafür zu bekommen. Er nahm deshalb jetzt das Zelt in seinen Besitz. Niemand machte ihm das streitig, und Kenton vermietete es an einen gerade eingetroffenen Franzosen. Das Gerücht von in der Nähe entdeckten reichen Minen, hatte ihn jedoch schon bald wieder aus dem Paradies vertrieben, und so stand das Zelt eine Woche leer. Heute fand sich ein Käufer dafür.

Smith hatte seinem ›Freund‹ Siftly richtig berichtet, daß Hetson mit seiner Frau und Begleitung in den Minen angekommen sei. Kaum hörte der junge Mann von einem Landsmann, daß dieser Wohnraum frei war, als er zu Kenton hinüberging und mit diesem bald darauf handelseinig wurde. Segeltuch hatte er außerdem mitgebracht, für den Fall, daß er keine Unterkunft finden würde. Daraus wurden jetzt Zwischenwände hergestellt, um das Innere aufzuteilen. Etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang war schon alles vorbereitet. Die Lagerstätten aufzuschlagen brauchte auch nur kurze Zeit. Tisch und Stühle standen schon im Zelt und waren im Kaufpreis enthalten. Wenn der Platz auch keine besonderen Ansprüche erheben konnte, so war er doch unter diesen Verhältnissen eine ausreichende Unterkunft.

Hetson hatte zwei Seeleute engagiert, die mit ihm in die Minen gekommen waren. Sie machten die Segeltucharbeit, und er selbst kümmerte sich eifrig um alle Arbeiten, organisierte und half mit, wo er nur konnte. Aber eine gewisse Unruhe ließ sich in seinen Bewegungen nicht verkennen. Es schien so, als wollte er in der anstrengenden Arbeit seinen Gedanken entfliehen. Seine bleichen, abgemagerten Züge belebten sich, und die eingesunkenen Augen bekamen wieder Glanz. Hetson war sehr krank gewesen, und der Tod hatte schon ernsthaft an die schwache Hülle geklopft, die seine Seele noch umschlossen hielt – aber die Frucht schien noch nicht reif zu sein. Jennys treue Pflege und die aufopfernde Freundschaft des alten Arztes trieben das Fieber wieder aus den heißen, pochenden Adern und richteten den matten Körper wieder auf. Mit den neuerwachten Kräften fingen dann auch die drohenden Phantasiebilder an, sich abzuschwächen. Aber der sonst so freie, offene Mann war noch immer scheu und ängstlich, und deshalb befürchtete seine Frau noch immer einen Rückfall.

Besonders erfreut war sie deshalb, als Doktor Rascher ihr versprach, daß sie sich nicht völlig trennen würden. Wahrscheinlich würde man sich schon nach ganz kurzer Zeit wieder in den Bergen treffen und sehen, was sie in den Minen trieben. Für seine botanischen Studien war ihm ja jede Stelle im Land recht, wenn er nur neue und interessante Pflanzen fand. Sein Wirken war für beide wirklich ein Segen, besonders als er die Spanierin Manuela als Gesellschafterin engagierte. In einem Land, wo auf hundert Männer in dieser Zeit kaum eine Frau gerechnet werden konnte, hätte sich die einzelne Dame in den Bergen sehr unglücklich fühlen müssen. Durch seinen Freund Emil war Doktor Rascher auf die Spanierin aufmerksam geworden. Mrs. Hetson beherrschte ihre Sprache fließend. Die traurigen Verhältnisse, in die der Vater das arme Mädchen durch seine Spielleidenschaft gebracht hatte, der Abscheu, den das Mädchen vor diesen Spielhöllen empfand, ließen sie nicht lange überlegen, als das Angebot kam. Manuela ging dankbar auf den ersten Vorschlag ein. Hetson, der ein ziemliches Vermögen zu besitzen schien, löste sie aus ihrem Arbeitsverhältnis ab und erlaubte auch ihrem Vater, sie auf der Reise zu begleiten.

Don Alonso war in der Zwischenzeit sehr heruntergekommen. Sogar seine Kleidung verriet, wie sehr ihm die launische Göttin Fortuna mitgespielt hatte. Sein wertvoller Ring war vom Finger verschwunden, statt seiner kostbaren, mit Goldfäden durchwirkten mexikanischen Zarape hüllte ihn jetzt ein ganz ordinärer kalifornischer Poncho ein und verdeckte seinen schäbigen Anzug. Sein Hut war arg zerknittert, selbst seine Schuhe beschädigt. Die eingefallenen Wangen, die tiefliegenden, düsteren Augen verrieten die wilde Leidenschaft, die in ihm krankhaft nagte und arbeitete. Er war auch stiller und zurückhaltender als früher geworden. Die Tatsache, daß er nicht mehr spielen konnte, zehrte an seiner Gesundheit. Für alle, mit Ausnahme des alten Spielers, schien die Reise in die Berge eine Erholung zu sein. Selbst Hetson war viel lebendiger und frischer geworden. Mit der wundervollen Natur um sich und dem ungewohnten Leben und Treiben sowie der ungewohnten Tätigkeit für ihn selbst begann er wieder freier aufzuatmen. Er begann, sich selbständig zu bewegen und weniger den trüben Gedanken nachzuhängen, die in San Francisco sein Leben bedroht hatten. Aber diese Vorstellungen hatten ihn nicht völlig verlassen, nur sicherer fühlte er sich hier, abgeschiedener von der Welt und ihrem Verkehr. Wie eine feste Wand schienen diese waldigen Berge, die das Tal umschlossen, es vom Leben draußen abzuschneiden.

Eigentlich hatte er sich fest vorgenommen, Kalifornien schon in den nächsten Wochen wieder zu verlassen und zu den Sandwichinseln zu fahren. Aber er befürchtete auch, daß sein Verfolger die Spur leichter wiederfände, als wenn er erst für eine Weile von San Francisco verschwunden wäre. Hier oben wurde keine Kontrolle geführt. Jeder kam und ging, wie er wollte, ungefragt, unbemerkt. Was der Nachbar trieb, kümmerte keinen – wenn er nicht an seinen Arbeitsplatz kam, um ihm den Gewinn zu schmälern. Hier wollte Hetson selbst mitgraben und arbeiten. Doktor Rascher hatte ihm das besonders empfohlen. Er hoffte, daß die neue, ungewohnte Arbeit mit hartem körperlichem Einsatz ihm die Lust am Leben wiedergeben würde. Auf diese Weise würde er am schnellsten von seinen trüben Gedanken freikommen.

Mit der Morgendämmerung begannen überall die gewöhnlichen Arbeiten. Die Goldwäscher hatten sich mehr aus der Flat hinausgezogen und die einströmenden kleinen Bergbäche aufgesucht. Dort war die Arbeit nicht so mühsam und dadurch auch lohnender. Die Bachbetten führten hier überall Gold in ziemlich groben Körnern. Große Stücke kamen aber selten oder gar nicht vor. Aber das feinere Gold zahlte ihnen doch auch ihre Arbeit, und sie brauchten nicht so lange zu graben, bis sie die goldhaltige Erde erreichten.

Eine dieser Stellen hatte der Justizrat in Angriff genommen. Zum ersten Mal fand er dort auch wirklich Gold, und da begann die Sache ihn auch zu interessieren. Am Vorabend hatte er sich mit dem Assessor abgesprochen. Sie wollten nicht nur zusammen arbeiten, sondern auch ein gemeinsames Zelt beziehen. Kochgeräte hatte der Assessor noch aus Deutschland mitgebracht. Ein kleines Zelt kaufte der Justizrat von zurückkehrenden Franzosen. Gegen Mittag hatten sie alles soweit eingerichtet, daß sie nach dem Essen gleich an die Arbeit gehen konnten. Zuerst hatte der Justizrat beabsichtigt, sein Zelt dicht neben den früheren Kameraden aufzustellen. Binderhof ärgerte ihn aber an diesem Morgen wieder, als er von Lamberg verlangte, daß er den neuen Bund der beiden würdigen Männer einsegnen sollte. So beschloß er, den ewigen Neckereien zu entgehen und sich mehr von ihnen zu entfernen. Wenn sie dann einmal zusammenkommen wollten, konnte das ja immer geschehen. Das Zelt wurde deshalb etwa fünfhundert Schritt weiter am Fuß eines ziemlich hohen Hügels, der mit einigen Büschen bewachsen war, aufgeschlagen. Nicht weit davon quoll Wasser aus einem Felsen, Holz war von hier aus auch bequem zu bekommen, und die beiden neuen Partner versprachen sich von ihrem künftigen Leben nicht nur einige Bequemlichkeit, sondern auch reichlichen Gewinn.

Der Assessor war besonders glücklich über diese neue Tätigkeit. Dem Justizrat war er dafür so dankbar, daß er alle nötigen Arbeiten ganz allein erledigte, während sein würdiger Kompagnon mit der langen Pfeife ruhig daneben saß. Als sie am Nachmittag endlich zum Goldwaschen gingen, erzählte ihm der Assessor auch unter dem Siegel der Verschwiegenheit, warum er eigentlich Frau Siebert und die Kinder verlassen hatte und in die Minen gegangen war. Er tat das auch in dem Gefühl, sich unbedingt entschuldigen zu müssen, als ob er die arme, vom Schicksal schwer geschlagene Frau rücksichtslos sich selbst überlassen habe. »Aber es ging nicht mehr, Herr Justizrat, Sie dürfen es mir glauben!« sagte er. »Ich habe ja alles getan, aber das... das konnte ich nicht.«

»Was? – Unsinn«, sagte der Justizrat. »Was konnten Sie nicht?«

»Die Frau heiraten«, platzte der Assessor heraus. Dabei sah er sich scheu um, als ob er selbst hier fürchtete, daß sie ihn hörte.

Bis dahin hatte noch nie jemand den Justizrat richtig lachen gesehen. Der finstere, erhabene Ernst, den er, stets im Gesicht trug, wurde nur sehr selten durch einen heiteren Zug gestört. Kam ihm etwas komisch vor, verzog er sein Gesicht in derselben Art, als ob er aus Versehen in eine Zitrone gebissen hätte, und hustete dazu. Jetzt aber blieb er stehen und lachte, ein wirklich ordentliches, menschliches Lachen. Er lachte, daß ihm der Rauch seiner Pfeife in die Kehle kam und er drei-, viermal heftig husten mußte. Dabei fluchte er mehrfach ein kräftiges »Donnerwetter« dazwischen. Plötzlich sah er wieder so ernst aus wie immer und sagte:

»Also Sie sollten die Frau Siebert heiraten, Assessor?«

»Verzeihung, Herr Justizrat«, sagte der etwas ängstliche Mann. »Sie... sie wollte mich heiraten. Sie erklärte mir eines Morgens, die Kinder hätten sich so an mich gewöhnt, und... und sie sich auch, wir wären aber schon in das Gerede der Leute gekommen, und da sei es besser, man verleide den Leuten das Reden durch... eine Heirat. Besonders Ohlers hörte nie auf, seine Witze über mich zu machen.«

»Und da sind Sie ausgerissen?«

»Ich habe zuerst versucht, sie auf mein Alter hinzuweisen und auf meine bescheidenen finanziellen Mittel, aber es half nichts. Sie verdiente gutes Geld und behauptete, daß sie mich auch in eine Beschäftigung hineinarbeiten könnte. Mit einem Wort – sie war entschlossen, mich zu heiraten.«

Der Justizrat hatte ihm gespannt zugehört. »Und dann?« fragte er endlich.

»Als ich merkte, daß meine Einwände nichts nutzten und ich mich in meinem Alter nicht mehr zu einer Heirat entschließen konnte... die Frau Siebert... ja, sie ist eine gute Frau, aber...«

»Und? Als alles nichts geholfen hat?«

»Da packte ich abends meine Sachen zusammen...«

»Frau Siebert war nicht zu Hause?«

»Sie war drüben bei Frau Hetson.«

»Und Sie brannten durch?« rief der Justizrat, und sein Gesicht wurde vor Freude feuerrot.

»Ich bitte Sie... erzählen Sie es keinem weiter!« sagte der Assessor ängstlich.

»Und vielleicht selbst die Witwe heiraten?« rief der Justizrat in einem Anfall von Humor. »Donnerwetter, die Pfeife ist ausgegangen. Schlagen Sie Feuer, Assessor, ich habe mein Feuerzeug verloren.«

Der Assessor rauchte selbst nie, hatte aber immer Stahl und Schwamm bei sich, um anderen einen Gefallen tun zu können. Die Pfeife wurde also wieder in Brand gesetzt, und die beiden Männer setzten ihren Weg schweigend fort. Der Arbeitsplatz des Justizrats lag außerhalb des Städtchens, an einem kleinen Bergbach. Sie mußten etwa eine gute Viertelstunde gehen. Als sie den Platz erreichten, zeigte er seinem neuen Kompagnon die Stelle, wo er sein letztes Gold gefunden hatte – er hätte auch sagen können, sein erstes. Dort zeigte er ihm auch die Stelle, wo er weitergraben sollte.

Die etwas langweilige und ermüdende Beschäftigung überließ der wackere Mann seinem Partner. Er wollte noch einmal auf den Berg hinaufgehen, um sein letztes hohes Loch zu besichtigen. Er glaubte, daß er dort sein unentbehrliches Feuerzeug vergessen hatte. Da der Platz abseits von allen Wegen lag, konnte er hoffen, daß kein Vorübergehender es gefunden hatte. Gleichzeitig entging er damit für einige Stunden dem langweiligen Graben. Während sich also der Assessor mit der Leidenschaft eines neuen Goldwäschers über seine Arbeit machte, schlenderte unser Freund mit frisch gestopfter Pfeife gemächlich den nicht steilen Berg hinauf. Bei jedem fünften Schritt blies er den blauen Qualm von sich. Da er sich viel Zeit nahm, war er eine dreiviertel Stunde unterwegs, ehe er das kleine Zederndickicht erreichte, das er sich gemerkt hatte. Dort mußte er nicht lange suchen, bis er die Spuren seiner erfolglosen Tätigkeit fand. Erstaunt blieb er aber an der Stelle stehen, denn eine merkwürdige Veränderung war an dem Platz geschehen.

Das kleine, kaum 1,20 Meter lange und vielleicht genauso tiefe Loch war zugeschüttet worden. Hatte noch ein anderer nach ihm dort gegraben und den Platz jetzt wieder zugeworfen, um später um so sicherer dort arbeiten zu können? War vielleicht doch Gold darin?

»Hm, verfluchte Geschichte«, murmelte der Justizrat vor sich hin, als er an der Stelle stehenblieb. »Soll doch nie Platz verlassen, ohne durchgegraben zu haben. Hm...« Er blies die Dampfwolken in dichten, rasch hintereinanderfolgenden Puffen von sich. »Nur meine Schaufel mitgenommen hätte!« Trotz seines Nachdenkens kam er zu keinem Entschluß, bis ihm plötzlich die Ursache einfiel, weshalb er noch einmal auf den Berg gekommen war – sein Feuerzeug. Er sah sich um und entdeckte bald die Stelle, wo er an dem Morgen sein mitgebrachtes Frühstück gegessen und sich nachher die Pfeife angezündet hatte. Dort war ein kleiner, runder Moosfleck gewesen, prächtig geeignet für eine kurze Siesta im Schatten eines dichtgezweigten, wilden Kaffeebusches. Den hatte er ausgiebig benutzt, um seine müden Glieder auszuruhen. Der Platz war auch noch da, der Kaffeestrauch ebenfalls, aber der Moosfleck war zerstampft, als wären Kühe darauf herumgelaufen. Er mochte sich nicht mehr dort hinsetzen.

Wer aber auch hier gewesen war, hatte sein Feuerzeug nicht gefunden. Es lag tatsächlich noch dicht neben der Wurzel des Busches, wohin er es gelegt hatte, um es immer gleich zur Hand zu haben.

»Das ist gut«, nickte jetzt vollkommen zufrieden der Justizrat und steckte das kleine Nickelbüchschen ein. »Fatal gewesen, ohne Feuerzeug hier im Walde. Nicht auszudenken ohne Rauchen.«

Sein Pfeifenkopf war etwas locker geworden, und er drückte ihn wieder fest auf. Dabei fühlte er etwas Klebriges an den Fingern, und als er den weißen Kopf ansah, bemerkte er einen Blutfleck daran.

»Auch nicht übel«, brummte er vor sich hin und betrachtete seine Finger. Dann rieb er den Blutfleck an der rauhen Rinde des nächsten Baumes ab. »Finger gerissen – verfluchte Dornen... Malefizland doch eigentlich und viel klüger, zu Hause geblieben!«

Der Justizrat hatte jetzt, was er wollte, und war im Begriff, den Hügel wieder hinabzusteigen. Aber er mußte noch einmal an seiner mit soviel Mühe ausgeworfenen Grube vorbei. Dabei ärgerte er sich darüber, daß er nicht erfahren sollte, ob der, der hier nach ihm gewesen war, etwas gefunden hatte oder nicht.

»Verfluchte Amerikaner«, murmelte er. Er blieb an dem Platz stehen und warf mit dem Fuß einige Erdschollen zur Seite. »Stochern überall herum... wo gar nichts zu tun haben... Lumpenpack... große Lust, Spaten zu holen... verdammt hoher Berg, zweimal an einem Tag... hm.«

Während er so, immer noch mit dem Verdacht, daß wirklich Gold in der Erde sein könnte, mit dem Fuß daran herumstöberte, kam es ihm plötzlich so vor, als würde er etwas im lehmigen Boden blitzen sehen. Rasch bückte er sich und faßte im nächsten Augenblick die untere Spitze einer mit Erde bedeckten Schaufel.

»Da haben wir's!« rief er erstaunt aus. »Richtig Gold darin, Amerikaner sein Werkzeug drin gelassen – wiederkommen. Esel ich, Grube aufzugeben. Hm, Teufel holen!«

Sein Gedanke war nicht unwahrscheinlich, wenn man überhaupt glaubte, hier auf der Spitze eines Hügels Gold zu finden. Das Zurücklassen eines Werkzeuges in einer Grube sicherte dem Eigentümer das Recht zu, sie für sich zu beanspruchen. Mit Erde war sie vielleicht nur bedeckt worden, um Vorübergehende nicht in Versuchung zu bringen, sie mitzunehmen. Wer hier aber graben wollte, mußte sie sofort finden.

Der Justizrat war jetzt fest überzeugt, daß ein anderer hier Gold gefunden hatte. Er befand sich in einer höchst unangenehmen Situation, denn er wußte nicht, ob er noch das Recht hatte, seine verlassene Arbeit und dann auch noch mit dem Gerät des anderen wieder aufzunehmen, und ob er dabei Minengesetze übertrat. Zugleich war es aber für ihn auch ein Triumph, daß seine von Binderhof verhöhnten ›Bergarbeiten‹ doch noch Anerkennung fanden. Er hatte große Lust, den Platz trotz der Schaufel noch einmal in Angriff zu nehmen, aber seine fast angeborene Scheu vor jedem Gesetz gewann die Oberhand. Er hatte den Platz aufgegeben, ein anderer hatte nach ihm da gegraben und ein Werkzeug als Zeichen hinterlassen. Er selbst durfte deshalb keine Hand daran legen. In nicht gerade bester Laune verließ er den Ort und ging zurück in das Tal, um dem Assessor beizustehen. Den Spaten hatte er wieder auf die Grube gelegt und mit Erde verdeckt.

Der Assessor, der zum erstenmal in seinem Leben schwere Arbeit verrichtete, hatte sich schon Blasen an den Händen gearbeitet. Er war deshalb sehr zufrieden, als seine Uhr endlich die Mittagszeit zeigte. Die beiden wanderten jetzt schneller, als sie am Morgen gekommen waren, zu ihrem Zelt zurück. Dem Justizrat ging der Gedanke nicht aus dem Kopf, seine Bergarbeiten wieder aufzunehmen. Seinem Begleiter erzählte er unterwegs die Geschichte mit dem begonnenen und jetzt von jemand in Besitz genommenen Loch, aber in einer Weise, als ob er durch diese Vernachlässigung ein paar tausend Dollar eingebüßt hätte.

Ihr Mittagessen war bald fertig und schnell gegessen. Beide hegten die Überzeugung, daß anstrengende Arbeit gleich nach dem Essen schädlich sei, und blieben deshalb wohl noch eine halbe Stunde sitzen, um zu verdauen. Der Justizrat rauchte, und der Assessor betrachtete sich seine Hände, mit denen er keineswegs zufrieden war. Wie sie noch still ihren Gedanken nachhingen, kam Graf Beckdorf mit Hacke und Schaufel auf der Schulter, die große Blechpfanne unter dem linken Arm, den Hügel herauf. Er wollte eben an den beiden Deutschen vorbeigehen, als er den Justizrat erkannte.

»Ah, sieh da!« rief er ihm zu. »Sie haben also Ihren Wohnsitz verändert. Sind Sie neulich mit dem alten Tomlins noch einig geworden?«

»Ah, Herr Graf«, sagte der Justizrat und zog seine Mütze vom Kopf. »Danke, schlecht, Lumpenhund, sieben Baumwollhemden und alle zerrissen.«

»Donnerwetter!« lachte der junge Mann. »Aber Sie haben sich Ihren Pfeifenkopf blutig gestoßen!«

»Pfeifenkopf? Hm ja, apropos, Graf, möchte Sie um was fragen.«

»Fragen Sie.«

»Wenn ich ein Loch gegraben habe und gehe fort – darf anderer hingehen und es nehmen?«

»Nein, solange Sie noch nicht damit fertig sind, auf keinen Fall. Nur wenn Sie es beendet haben und Ihr Handwerkszeug herausnehmen, hat jeder das Recht, sein Glück zu versuchen. Ich selbst habe schon ganz hübsches Gold in solchen aufgegebenen Plätzen gefunden.«

»Hm – verwünscht.«

»Ist Ihnen so etwas passiert?«

»Mir? Ja – habe oben auf dem Berg da großes Loch gegraben, fand nichts, fing woanders an, hatte mein Feuerzeug oben vergessen, ging hinauf suchen, das da...« Er nahm es dabei aus der Tasche und zeigte es dem jungen Mann.

»Das ist auch blutig!« sagte der Graf.

»Schweinerei«, brummte der Justizrat und wischte das Feuerzeug an einem Stück Papier ab. »Weiß gar nicht... glaube, mich gerissen zu haben, ist aber nicht wahr...«

»Und Ihr Arbeitsplatz?« sagte der junge Mann, der sich hier nicht so lange aufhalten wollte.

»Ja, so, kam oben wieder an die Stelle, wo ich Loch gegraben, war anderer dran gewesen...«

»Und hatte das Loch oben auf dem Berg tiefer gemacht?« fragte Graf Beckdorf ungläubig. Er kannte die schwache Seite des Justizrates und konnte sich nicht denken, daß noch jemand auf die Idee eingehen würde, an solch unmöglichen Stellen nach Gold zu graben.

»Nein«, sagte der Justizrat ärgerlich. »Zugeworfen bis obenhin, aber oben Schaufel drauf, mit Erde zugedeckt.«

»Die Schaufel?« sagte der Graf und wurde plötzlich aufmerksam.

»Versteht sich, jedenfalls verwünschte Amerikaner!«

»Und gruben Sie nach?«

»Nein, Schaufel drin – durfte nicht.«

»Und Ihr Feuerzeug?«

»Lag nicht weit davon unter Busch, wo ich gesessen hatte.«

»Aber das Blut?«

»Weiß der Henker, jemand Nasenbluten gehabt.«

»Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Justizrat«, rief da Graf Beckdorf. »Da oben ist mehr geschehen, als daß nur jemand Nasenbluten hatte. Wir müssen sofort zum Sheriff, um ihm Anzeige zu machen.«

»Sheriff? Wieso, Sie meinen doch nicht...«

»Daß da oben ein Mord verübt wurde? Doch, das meine ich, und die Beweise werden wir in Ihrer Grube finden. Wie weit ist es von hier?«

»Keine halbe Stunde.«

»Gut, dann wollen wir keine Zeit versäumen. Ich gehe selbst mit Ihnen, um die Sache zu untersuchen.«

»Unsinn«, brummte, aber noch immer ungläubig, der verblüffte Mann. Es wollte ihm nicht in den Kopf, daß er als Justizrat nichts bemerkt hätte, wenn dort wirklich etwas passiert wäre. Schon sein Instinkt hätte ihn leiten müssen. Das Blut machte ihn aber doch stutzig, und jetzt fiel ihm auch ein, daß er auf dem zertretenen Moos ein paar dunkle Flecke gesehen hatte. Er weigerte sich nicht, mit zum Sheriff zu gehen, um die Anzeige zu machen.

Hale war glücklicherweise zu Hause und sofort bereit, auf den Verdacht hin den Platz zu untersuchen. Wenige Minuten später gingen die vier Männer die Straße zu den Bergen hinauf. Der Justizrat hatte den Assessor gebeten, als Zeuge mitzukommen.

Unterwegs begegnete ihnen Siftly. Er hatte den Poncho nach mexikanischer Art über die linke Schulter geworfen und nickte dem Sheriff freundlich zu. Der erwiderte aber kaum den Gruß. Als der kleine Trupp vorüber war, blieb der Spieler stehen und sah ihnen spöttisch lächelnd nach. Graf Beckdorf bemerkte es und ärgerte sich darüber. Aber ein Blick auf seine beiden würdigen Begleiter, den Justizrat und den Assessor, rechtfertigte auch wieder den Spott des Amerikaners. Der junge Mann sah ein, daß diese beiden Persönlichkeiten dem an andere Gesichter gewohnten Yankee auffallen mußten. Nur in Deutschland laufen sie zu häufig herum, um noch aufzufallen. Unsere beiden Freunde hatten mehr zu tun, als sich um andere Leute zu kümmern, die ihnen entgegenkamen. Der Sheriff ging so entsetzlich schnell, daß sie kaum Schritt halten konnten. Auf der Ebene ging das noch, aber kaum waren sie am Fuß des Hügels angelangt, als der Justizrat erklärte, daß er nicht daran dächte, die Schwindsucht zu bekommen. Er war eine solche Eile nicht gewohnt, und die anderen mußten sich fügen, da sie ohne ihn den Platz nicht finden würden.

An Ort und Stelle angekommen, ließ sich der Sheriff vor allen Dingen die Stelle zeigen, wo das Feuerzeug gelegen hatte. Für ihn genügte ein Blick, um festzustellen, daß hier eine Gewalttat stattgefunden hatte. Rasch ging er zur Grube, wühlte die versteckte Schaufel heraus und begann, die Erde auszuwerfen. Er mußte nicht lange graben, kaum dreißig Zentimeter tief, kam er auf das Opfer des Verbrechens. Schaudernd half ihm Graf Beckdorf. Kaum eine halbe Stunde später hatten sie die Leiche eines Amerikaners ausgegraben. Spitzhacke und Blechpfanne des Unglücklichen lagen neben ihm. Jetzt ließ sich leicht erkennen, was hier geschehen war.

Am Kopf des Ermordeten fanden sie eine Schußwunde, an seinem Körper noch drei Stiche, die mit einem breiten Messer gegeben sein mußten. Sie konnten aber auch von einem Säbel stammen, wie ihn die Mexikaner oft als Bewaffnung trugen. Die Spuren eines Pferdes fanden sie in der Nähe. Der Mann hatte sich jedenfalls auf dem schattigen Moosfleck zum Schlafen hingelegt, als ihn der Mörder entdeckte und auf ihn schoß. Die Wunde schien aber nicht sofort tödlich gewesen zu sein, denn auf dem Moos waren die Spuren eines Kampfes zu erkennen. Die Stiche gaben ihm jedoch den Rest, und der Mörder hatte sein Opfer dann zu der für ihn sehr bequem gegrabenen Grube geschleppt, es hineingeworfen und zugeschüttet. Um das letzte Zeichen zu verbergen, legte er den Spaten oben drauf und konnte nun ziemlich sicher sein, daß der eingescharrte Körper dort lange liegen würde, ehe sich jemand wieder die Mühe machen würde, die Erde an solcher Stelle wieder aufzuwühlen.

Ein anderer als der Justizrat wäre wohl auch kaum auf die Idee gekommen, und so war es nicht einmal leichtsinnig, auf dieses Versteck zu vertrauen. Der Sheriff wollte auch nicht glauben, daß das Loch dort schon vorher gegraben worden war. Denn daß hier oben jemand Gold gesucht hatte, kam ihm verrückt vor. Graf Beckdorf bestätigte aber die Arbeiten des Justizrates und bot ihm an, Hale noch wenigstens zwölf weitere Stellen auf anderen Hügelrücken zu zeigen, die derselbe Mann mit dem gleichen Erfolg ausgehoben hatte.

»Dann ist er wirklich verrückt«, brummte der Sheriff. Glücklicherweise hatten ihn weder der Justizrat noch der Assessor verstanden. Dem Sheriff lag jetzt zunächst daran, die Leiche in das Städtchen zu schaffen, um zu sehen, ob jemand den Unglücklichen kannte. Er machte also den Vorschlag, den Toten abwechselnd zu zweit zu tragen. Aber das wiesen der Justizrat und der Assessor entrüstet ab.

»Sagen Sie ihm, er soll sich zwei Polizisten oder Gendarmen holen, werde Teufel tun, sollen andere schleppen.«

»Wir dürfen ihn auch gar nicht mitnehmen«, wandte der Assessor ängstlich ein. »Erst muß eine amerikanische Gerichtsperson dagewesen sein, um den völligen Tatbestand aufzunehmen. Dieser Mann schreibt sich ja gar nichts auf, was will er denn nachher zu den Akten geben, oder wo will er überhaupt Akten herbekommen?«

Der Sheriff lachte, als ihm Graf Beckdorf die Bedenken übersetzte. Dann meinte er:

»Na, wir beide können ihn nicht in das Tal schleppen, und vielleicht ist es auch gar nicht nötig. Die jungen Burschen können herauflaufen und sich den Mann ansehen, ob ihn jemand kennt. Hat er dann Bekannte, werden sie ihn rasch genug herunterholen. Hat er sie nicht, dann bleibt uns auch nichts anderes übrig, als ihm hier oben ein anständiges, langes Grab und nicht nur so ein kurzes Loch zu geben. Jedenfalls muß ich noch vor dem Abend mit ein paar Burschen und Äxten heraufkommen. Sie sollen den armen Teufel auf ein Gestell legen, damit die Wölfe nachts von ihm wegbleiben. Ob er noch Gold bei sich hat?«

»Wohl kaum«, sagte der Graf und schüttelte den Kopf. Seine rechte Tasche ist nach außen gedreht. Der Mörder hat ihn jedenfalls vorher geplündert.«

»Und wahrscheinlich nur wegen der paar Körner Gold den Mord begangen. Es ist doch ein verdammtes Gesindel, das sich hier in den Minen herumtreibt, und es wird wirklich Zeit, daß ernsthaft etwas geschieht.«

»Aber wie soll man sie fassen?«

»Es ist schwer, aber nicht unmöglich. Es gehört natürlich ein anderer Mann dazu als diese Schlafmütze von Major, die wir hier oben hatten.«

»Man lastet den Mexikanern fast alle Morde an«, sagte Graf Beckdorf. »Glauben Sie, Sheriff, daß auch diesen Unglücklichen ein Mexikaner ermordet hat?«

»Nein«, unterbrach ihn rasch der Sheriff. Unwillkürlich zuckte sein Blick dabei zu dem Justizrat hinüber. Aber es war nur ein Moment, wenn er einen Verdacht in dieser Richtung hatte. Als lächelte er über sich selbst, schüttelte er den Kopf. »Diesen nicht«, setzte er dann hinzu. »Den hat ein Weißer auf seinem Gewissen, ob Engländer oder Amerikaner, zeigt uns hoffentlich die Zukunft. Die Wunde ist zu breit für einen Säbel. Die Mexikaner haben auch nur selten Schußwaffen und können nicht richtig damit umgehen.«

»Die schlechte Schußwunde am Kopf würde dafür sprechen.«

»Ja, aber ich glaube es doch nicht. Eine besondere Art des Gesindels schiebt gern alles den Mexikanern zu, und sie schlagen damit zwei Fliegen mit einer Klappe. Aber wir wollen machen, daß wir hinunterkommen. Der Mord ist erst vor kurzer Zeit geschehen, kaum länger als gestern. Je rascher wir versuchen, den Verbrecher aufzuspüren, desto besser.«


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