Emanuel Geibel
Vermischte Gedichte
Emanuel Geibel

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Herr Walther.

Herr Walther lag im Zauberthurm
In der Waldfrau schneeweißem Arm; –
Frau Mechthild klagte bei tiefer Nacht
Ihres Herzens bittern Harm.

Sie saß auf ihrem verwittweten Bett,
Und weinte Thränen wie Blut;
Zwei Monden war's, daß ihr Gemahl
Ihr nicht am Herzen geruht.

Und als der Morgen in's Fenster sah,
Vom Lager sprang sie empor,
Und als man im Münster die Frühmette sang,
Sie pocht' an des Bischofs Thor.

»Ach heiliger Bischof, nun rath und hilf,
Groß Unheil sag' ich dir an;
Die Waldfrau hat meines Gatten Herz
Verzaubert mit Spruch und mit Bann.

»Wohl lebten wir Monden drei und vier,
Und die Zeit ward nimmer uns lang;
Tags klang aus dem Wald herüber sein Horn,
Und es hüpfte mein Herz bei dem Klang,

»Und bei Nacht, wie blühte so roth sein Mund!
Und er küßte mich tausendmal.
Nun hält ihn, bezwungen das teuflische Weib,
Und einsam verzehrt mich die Qual.

»Ach Bischof, heiliger Vater mein,
Und weißt du ein Sprüchlein nicht.
Das stark ist wider höllische Kunst
Und solchen Zauber zerbricht?«

Den weißen Bart der Bischof strich:
Er griff in den Busen hinein:
»Da nimm die Kapsel von rothem Gold
Mit des Märtyrers heil'gem Gebein.

»Und hältst du sie hoch in Sonn' und Wind,
Wenn von ferne die Glocken erschallen,
Und rufst dreimal seinen Namen dazu,
Der Zauber wird von ihm fallen.«

Frau Mechthild schürzt' ihr langes Gewand,
Sie schritt in den Wald hinaus,
Und als auf den Wipfeln der Mittag lag,
Sie stand vor des Waldweibs Haus.

Da kam es gewogt durch die stille Luft,
Die Glocken klangen so tief;
Sie hielt die Kapsel in Sonn' und Wind,
Herrn Walthers Namen sie rief.

Sie rief ihn zum zweiten und drittenmal,
Vor Thränen vermochte sie's kaum;
Herr Walther lag in der Waldfrau Schooß,
Er hob die Stirn wie im Traum,

»Nun sage mir an, mein schneeweiß Lieb,
Sag' an, was soll es bedeuten?
Mir ist, als zöge mich was von hier,
Und Glocken hört' ich läuten.

»Mir ist, ich müßt' mich besinnen auf was,
Was süß und theuer mir war.«
Da sah sie mit funkelnden Augen ihn an,
Und löst' ihr wallendes Haar.

»Sieh bin, sieh her, was willst du mehr?
Meine Locken sind güldene Schlangen.
Mein Leib ist weiß, und mein Mund ist heiß,
Du bist und bleibst gefangen.«

Und sie küßt' ihn wild auf den lechzenden Mund,
Da vergingen die Sinnen ihm all;
Und als er zurück in den Schooß ihr sank,
Sie lachte mit lautem Schall.

Frau Mechthild hörte das Lachen wohl,
Ihr schnitt's wie ein Messer durch's Herz;
Unter den Lindenbaum sank sie dahin
Auf's Moos in tödtlichem Schmerz.

Sie wollte rufen, und konnt' es nicht,
Ihr war die Brust so beklommen;
Sie rang und wand sich in stummer Qual,
Es war ihr Stündlein gekommen.

Und als die Sonne zu sinken kam,
Ein Knäblein lag ihr im Schooß,
Das schaute sie an mit Walthers Blick
Aus Augen blau und groß.

»O Kind, mein Kind, nun erbarme sich dein
Der Vater droben im Licht!
Mit Thränen wirst du getaufet sein,
Einen Vater hast du nicht.

»Durch Wald und Wind, mein Waisenkind,
Komm, komm, nun trag ich dich fort.«
Da that der Knab' einen hellen Schrei,
Als wollt' er nimmer vom Ort.

Herr Walther lag in der Waldfrau Schooß,
Er hörte des Kindleins Schrei,
Da war's, als sprang ihm in tiefster Brust
Ein tönend Glas entzwei;

Und rings zerging's wie ein weißer Dampf,
Und leicht ward Seel' und Leib.
»Laß los, Verfluchte, laß mich los!
Ich muß zu meinem Weib.

»Zu meinem Weib, das ich vergaß,
Zu meinem Fleisch und Blut –
O Gott im Himmel sei Preis und Dank!
Nun wird noch alles gut!«

Den Teppich zerriß er und sprang hinab
Die Stufen zu vier und vier.
»O du, vergieb, mein treu, treu Lieb,
Nun scheid' ich nimmer von dir,

»Und grüß dich Gott mein Knab, mein Kind,
Und segne dich tausendfach,
Und segne dir auch dein Stimmlein hell,
Das all den Zauber zerbrach!«


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