Emanuel Geibel
Vermischte Gedichte
Emanuel Geibel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Judas Ischarioth.

Er ist es! Jede Stunde lehrt: er ist's!
Die Flut gehorcht ihm, und der Feigenbaum
Verdorrt auf sein Gebot. Kein Geist der Plage,
Des Siechthums ist, den er nicht bändigte:
Die Stummen reden und die Lahmen wandeln,
Aus ihren Gräbern stehn die Todten auf,
Und gehn hervor im Schweißtuch. Das verbürgt
Ihn als Propheten, Aber hätt' er auch
Von diesen Wundern keins gethan und wäre
Das ganze Land nicht seiner Zeichen voll',
Vom todten Meere bis an Zions Burg:
Wenn er mich anblickt, und aus seinem Auge
Der stille Glanz der Ewigkeit mich trifft,
Wenn ich ihn reden höre, und sein Wort
Voll schlichter Klarheit, jedem Kind verständlich,
Und tief doch wie des Himmels tiefster Abgrund,
Die Festen meines Wesens schüttern macht,
Fast wie Posaunenschall – das ist's, woran
Ich dennoch spüren müßte: Hier ist mehr
Denn Moses und Elias und der Täufer,
Hier ist der Eine, der verheißen ward.
Er ist's. Und doch, schau' ich in mich hinein:
Wie starr und düster alles, und kein Ton,
Der auf die Freudenbotschaft Antwort giebt!
Warum denn stürmt nicht ohne Rückhalt ihm
Dies Herz entgegen; warum jauchzt es nicht
In lichten Psalmen auf, und schmilzt nicht hin
Am Strahl des Heiles, wie ein eis'ger Born
Der rauschend in lebend'ge Flut zergeht?
Warum auch jetzt noch, da mich seine Kraft
Für Augenblicke schauernd angerührt,
Dampft trüber Zweifel, wie ein Nebel, wieder
Im Geist, empor mir, und wenn Zweifel nicht,
Doch stete Luft, zu zweifeln? Was empört
In diesen Gliedern, die doch Juda's Samen,
Sich trotzig wider seine Göttlichkeit,
Und bäumt zurück von seinem Liebesjoch
Gleich wie ein störrisch Roß, und sähe lieber
Das große Werk der Gnaden ungeschehn,
Als so geschehn? – Ich hab' es oft durchgrübelt,
Doch all mein Grübeln frommt und ändert nichts.

Als Knabe hatt' ich Stunden, ahnungsreich
Und wie voll Weissagung; dem Jüngling wurden
Sie Kern des Lebens bald. – Sah ich den Römer
Mit ehrnem Fuße schreiten durch dies Land,
Gebietrisch trotzend, wo das Heiligtum
Des Höchsten ragt, und in geweihten Grüften
Der Staub der Väter schläft da wandte sich
Von jachem Weh durchzuckt mein Eingeweid,
Und jeder Tropfen Bluts in mir ward Zorn.
Hinaus in's Felsgebirge trieb es mich,
Und unterm Sternenhimmel, beim Geseufz
Des Nachtwinds in den dürren Disteln flammte
Mein brünstig Beten Fluch um Fluch herab
Auf der Bedrücker Haupt und schrie empor
Um den Messias, daß er uns erlöste
Aus solcher Schmach. – Und wenn ich heimgekehrt,
Erschöpft vom Eifern, mich auf's Lager warf,
Da füllten, seltne Bilder mir den Schlaf,
Und meiner Seele grimme Sehnsucht trat
In körperlosen Schatten vor mich hin,
Auf Bergeszinnen einsam fand ich mich
Und eine Hand aus Wolken reichte mir
Ein schneidig Schwert, und da ich's umgegürtet,
Durchfloß mich eine Kraft wie Feuerwein.
Im Sturme trug des Traumes Geist mich dann,
Und hoch zu Roß durch Schlachten ging es hin,
Durch blanke Speere, Leichen, Wagentrümmer,
Durch Blut und Staub – die Römeradler sanken
Wie scheue Tauben vor dem Wetterschlag
Weit, weit 'in's Unermess'ne stob die Flucht,
Und fern im Untergang stieg eine Röthe
Von Flammen auf, und ward zum Feuermeer
Von Pol zu Pol, und in der Glut verging
Die Stadt des Gräuls und aller Heiden Trotz.

Und wieder dann in Purpur sah ich mich,
Das dunkle Scheitelhaar von Salböl triefend,
Auf goldnem Stuhle; Harfen hört' ich rauschen,
Und alle Gipfel überprangend stand
Jehovahs Tempel, denn des Erdrunds Fürsten
Knieten umher und huldigten dem Herrn,
Der sie durch meinen Arm gebeugt – und mir.

So träumt' ich oft, und dacht' an Josephs Traum
Wenn ich erwacht'. Und all mein Leben ward
Ein durstig Harren, dem das Gegenwärt'ge
Nur Morgendämmrung großer Zukunft schien,
Die Schriften der Propheten wühlt' ich durch
Bei tiefer Nacht, und sog aus dunklen Worten
Mir Wachsthum jener Ahnung, die mein Mund
Nicht kund zu geben wagte, mit Gebeten
Den Himmel stürmend um Bestätigung.
Doch Wochen, Monde, Jahre rollten hin,
Eintön'gen Schwungs, und Heute war wie Gestein,
Und nichts geschah.

               Da plötzlich an mein Ohr
Erging ein dumpf Gerücht, das schüchtern erst,
Wie Windesodem durch den Pappelwald,
Durch's Volk dahinlief, doch im Weiterwandeln
Anwuchs und tausendstimmig Brausen ward.
Der Heiland, hieß es, der Erwartete,
Der Leu vom Stamme Juda sei gekommen,
Und sühnen werd' er seines Volkes Schmach.
Und wundervolle Mähren gingen um
Vom Stern, der über Bethlehem geleuchtet,
Da er geboren ward: ergraute Hirten
Entsannen sich, daß sie in jener Nacht
Auf dunkler Feldwacht Engelsgruß vernahmen,
Und daß sie dann mit fremden Königen
Vor einem Kind gekniet, von dessen Lächeln
Ihr trüber Sinn licht wie der Himmel ward.
Und wie die Greis' erzählten, glänzten ihnen
Die falt'gen Stirnen, gleich als stoße drum
Der einst geschauten Glorie Widerschein,
Und ihre Reden tönten wie Musik.

Das alles traf den Geist mir, wie ein Blitz
In's Wasser schlägt und seine Tiefen aufrührt,
Und was auf meines Wesens letztem Grund
Bedeckt von der Alltäglichkeit geruht,
Kam wild vermischt nach oben: brünst'ge Sehnsucht
Nach Heil für mich und für mein duldend Volk,
Ehrgeiz'ger Wunsch, getäuschten Stolzes Grimm,
Gedankenunrast, welche nur mit Qual
Den Zweifel trug und doch die Klarheit scheute;
Und halb voll Hoffnung, halb voll Furcht! er sei's,
Ging ich zum Jordan.

               Wunderbare Stunde,
Die noch in der Erinnrung mein Gemüth
Durchbebt mit Schauern, und den Felsenkern
Der Männerseele mir in weibisch Heimweh
Dahin zu thauen droht – mir wär' es besser
Vielleicht, ich hätte nimmer dich gesehn,
Als daß du kamst und gingst und all mein Leben
Seitdem zum ungelösten Zwiespalt ward.

Auf einen König hatt' ich mich bereitet,
Auf einen Helden, der wie Saul das Volk
Weit überragt' um eines Hauptes Länge,
Auf einen Hohenpriester und Propheten,
Deß Wort, in stammend Feuer eingetaucht,
Die Seelen zündete zum heil'gen Krieg –
Und nun, wie anders war er! – Demuth ganz,
Holdsel'ge Sanftmuth – statt das Schwert zu zücken,
Die Arme breitend, gleich als wollt' er drin
Die Welt umfangen; all sein Feldgeschrei
Ein Wort von Hieb' und Frieden, sonder Zeichen
Der königlichen Hoffnung sein Gewand –
Und dennoch glänzt' auf seiner klaren Stirn
Göttlichen Ursprungs Stempel, dennoch lag
In seinem Aug' ein unergründlich Etwas,
Daß ich davor die Wimper niederschlug,
Als schaut' ich in die Sonn'.

               Und als ich nun
Verwirrt, betroffen, mit mir selbst im Streit,
Mich stehlen wollte durch des Volks Gewühl,
Wie ein verletzter Hirsch das Dickicht suchend:
Da wandt' er plötzlich auf mich her sein Antlitz,
Und Halt gebietend mir mit einem Blick,
Von dem ich spürte, daß mein Innerstes
Ihm wie Krystall war, sprach er freundlich: Komm!
Ich weiß, wonach dich lüstet. Folge mir!

Ich folgt' ihm, und für Stunden ward mir's nun,
Ich sei verwandelt. In mein rastlos Stürmen
Kam eine Stille, die, wie süßer Schlaf
Des Kranken Fieber, mein erhitzt Gemüth
Besänftigte; mein Wandel und Gebet
Ward anders, denn zuvor; und Thränen weint' ich,
Wie ich als Kind sie weinte, sonder Zorn.
Und horcht' ich dann, gelagert bei den Andern
Dem Worte, das von seinen Lippen ging,
Da ward mir oft zu Sinn, als wandert' ich
In einem dunkeln unterird'schen Gang,
Und sähe fern am äußersten Gewölb
Den Strahl des Tages fließen, und mich faßte
Ein weich Verlangen nach dem Licht hinauf.

Doch Stunden waren's nur, und all ihr Glanz
Und Glück war Traum. Mein Geist, auf Augenblicke
In Bilder sanften Friedens eingelullt,
Fuhr auf aus müß'ger Schwachheit und verlangte
Nach Größerem. – An seiner Wunderkraft
Nicht könnt' ich zweifeln, doch was frommte sie,
Wenn er sie rosten ließ, wie in der Scheide
Die Klinge rostet? Thaten wollt' ich sehn,
Zerbrochen Zions Joch, gerächt die Qual,
Die wir erduldet, wieder hergestellt
Der auserwählten Stämme Königreich,
Ihn selbst gekrönt, und ihm zur Seite mich.
Er aber zog durch's Land, und predigte,
Und heilte Kranke, statt mit Kriegsgeschwadern,
Mit Fischern, Zöllnern, Sündern sich umgebend;
Vergab verbuhlten Dirnen, schwatzt' am Brunnen
Mit fremden Weibern, ja und hieß dem Kaiser
Den Zins uns geben, der des Kaisers sei,
Indeß sein trotz'ger Lictor täglich doch
Für Juda's Rücken frische Ruthen band, –
Und als ich endlich, in der düstern Brust
Den ungeduld'gen Groll nicht länger zügelnd,
Auf eines Berges Gipfel zu ihm trat,
Und an sein Amt ihn mahnt' und ihm das Land
Verheißend wies, das seines Fürsten harrte,
Wie's vor uns lag mit seinen Seen und Städten
Und Cedernhöhn in Abendglut getaucht,
Da fuhr's aus seinem Aug' in meine Seele
Wie zornig Wetterleuchten, und sein Ruf
Ging dräuend in mein Ohr: Hinweg, Versucher!
Kommst du noch einmal? Hebe dich hinweg!

Seit jenem Tag steht etwas zwischen uns.
Wie eine Mauer. Fremd ist mir sein Thun
Und unbegreiflich, all sein Will' und Weg.
Wohl pocht bisweilen seine Rede noch,
Sein Blick an's Herz mir, daß die Angeln schüttern
Wie vormals, wenn er heischte: Laß mich ein! –
Doch machtlos sprengt er nicht die Riegel mehr.
Und wenn mein Fuß ihm folgt, und wenn mein Leib
Ihm noch gehorsamt, ist's Gewohnheit nur:
Denn kaum, daß ich, was er gebot, vollführt,
So schnellt mein Geist, wie ein gekrümmter Bogen,
In seinen Stolz zurück, und Eines nur
Empfind' ich noch, daß wir geschieden sind.

Nun hör' ich wundersame Stimmen oft,
Die aus dem Boden gehn, im Winde schwimmen,
Im Abendnebel flüstern an mein Ohr.
Und wie ich ihnen lausche, wächst in mir,
Gleich Winterzacken unterm Tropfenfall,
Ein tödtliches Gefühl empor, wie Haß;
Und ein Gedanke, den ich, seit er einmal
Sprang aus der Dämmrung und Gestalt gewann,
Nicht mehr in's Nichts zurückzubannen weiß,
Heißt durch ein unerhörtes Wagniß mich
Das angefangne Werk nach meinem Sinn
In's Gleis zu rücken, oder – fügt sich's nicht –
Es zu zerbrechen, und auf seinen Trümmern
Erhobnen Haupts den eignen Weg zu gehn.
Woher dies Trachten stammt, wohin's mich führt,
Kaum mag ich's fragen. Ist's ein ewig Schicksal,
Das mich dahinreißt? Ist's ein Theil des Fluchs,
Den Adam fallend seinem Stamm vererbt?
Ist es der Sinn, dadurch der Engel reinster
Von seiner Stirn das Diadem verlor,
Und Satan ward? – Ich weiß es nicht zu nennen,
Noch auch zu bänd'gen. Geh's denn seinen Gang!


 << zurück weiter >>