Emanuel Geibel
Vermischte Gedichte
Emanuel Geibel

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Mythus vom Dampf

Es ruht auf klarem Perlenthrone
Die Meerfei im Krystallpallast,
Der Feuergeist mit güldner Krone
Durchschweift die Lüfte sonder Rast;
Sie meiden sich mit finsterm Grollen,
Sie stören, was des andern ist;
So lang des Erdballs Achsen rollen,
Währt unversöhnt ihr grimmer Zwist.

Da fängt in erzgetriebnen Schranken
Der Mensch, der Schöpfung Herr, die zwei,
Daß dienstbar seines Haupts Gedanken
Ihr ungestümes Walten sei;
Er bändigt ihren Grimm gelassen,
Er gibt dem dumpfen Trieb das Ziel;
In's Brautbett zwingt er, die sich hassen,
Zu unerhörtem Minnespiel.

Und sieh, aus ihrem dunkeln Bunde,
Aus Lieb' und Abscheu, Brunst und Kampf
Erwächst in mitternächt'ger Stunde
Das starke Riesenkind, der Dampf,
Mit wildem Tosen hochgestaltig
Entspringt er aus der Wiege Hast,
Durch all sein Wesen gährt gewaltig
Des Vaters Zorn, der Mutter Kraft.

Er fühlt's in seinen Adern sieden,
Ihn dünkt kein Werk zu schwer, zu groß.
Doch ach, es ward ihm nicht beschieden
Ein Feld des Ruhms, ein Heldenloos,
Nicht darf er in die Wolken greifen,
Nicht spielen mit des Blitzes Loh'n,
In Lüften nicht die Welt durchschweifen,
Ein freigeborner Königssohn.

Nein: wo der Mensch von Eisenschienen
Sein unabsehbar Netz gespannt,
Da muß in hartem Frohn er dienen,
Ein Herkules im Knechtsgewand;
Da muß er mit des Windes Flügel
Wettlaufen in erglühter Hast,
Und über Heide, Strom und Hügel
Dahinziehn die gethürmte Last.

Des Mühlrads ungeheure Speichen
Muß er im Schwunge rastlos drehn,
An's Schiff geschmiedet muß er keichen
Als Ruderknecht bei Sturmeswehn;
Er muß den Riesenhammer führen
Zu ewig wiederholtem Schlag,
Des Webstuhls Spulen sausend rühren;
Ein neues Werk bringt jeder Tag.

Seit Jahren trägt er's; doch im Stillen
Gedenkt er seines Stammes noch,
Und feindlich allem Menschenwillen,
Ingrimmig knirscht er in sein Joch.
O wenn von seiner Kraft getrieben
Ihr Nachts durchflogt ein weit Gebiet,
Vernahmt ihr bei der Funken Stieben,
Vernahmt ihr nie sein dräuend Lied?

»Frohlocket nur, ihr Herrn der Erde,
Ihr Staubgebilde bläht euch nur,
Daß ihr uns herzwangt zur Beschwerde,
Die alten Götter der Natur.
Ein schnöder Raub ist eure Krone,
Ein Hochverrath ist euer Ruhm;
Denn uns verstießet ihr vom Throne
Und theiltet unser Fürstenthum.

»Wohl dienen wir euch nun als Knechte,
Und dulden eurer Geißel Schlag;
Doch murren wir im Schooß der Nächte
Und harren auf der Sühnung Tag.
Es bleibt des Glückes Sonnenwende
Für kein Geschlecht von Herrschern aus;
Auch euer Reich hat einst ein Ende,
Auch euer Bau zerfällt in Graus.

»Wenn ihr dereinst in Eisenbande
Des letzten Eilands Wildniß schlugt,
Wenn prunkend ihr durch alle Lande
Die Fackel stolzer Weisheit trugt;

Wenn dann von euren Königssesseln
Ihr greifet nach des Himmels Schein:
Dann springen jählings unsre Fesseln,
Dann bricht der Tag des Zorns herein.

»Dann wird des Vaters Krone blitzen,
Und jeder Blitz ist Weltenbrand ;
Dann wird bis zu der Berge Spitzen
Die Mutter ziehn ihr Schaumgewand;
Dann will ich selbst auf freier Schwinge
Durch's All, Zerstörung brausend, wehn
Und überm Trümmersturz der Dinge
Aufjauchzen, und in's Nichts vergehn.«


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