Emanuel Geibel
Vermischte Gedichte
Emanuel Geibel

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Distichen.

I.

Tageszeiten der Kunst.

Dreifach sind in der Kunst wie im Leben die Stufen der Schönheit;
Geh zum Garten, im Bild zeigt sie die Rose dir an.

Keusch in sich selber vertieft, wie ein halb noch zu rathendes Räthsel,
Birgt sie am Morgen im Kelch streng den geschlossenen Reiz;

Doch nun schwellt sie der Tag; da beginnt sie zu lächeln, geöffnet,
Kaum wie zum Gruße geneigt schwebt sie in ruhiger Pracht;

Aber entgegengebeugt dem Bewunderer hängt sie am Abend
Und – weit offen den Schooß – strömt sie berauschenden Duft,

Stets noch schön und reicher als je; doch du ahnst in der Fülle,
Welche den Gürtel gelöst, schon den Beginn des Verfalls.

II.

Wissenschaft, stolzragender Bau, dran tausende rastlos
Durch Jahrhunderte fort ewiglich wechselnd sich mühn!
Selbst dem Gewaltigsten stellt sich ein Anderer bald auf die Schultern;
Aber der Künstler beginnt, merk' es, und schließt mit sich selbst.

III.

Freilich die Tochter des heutigen Tags ist immer die Dichtkunst,
Aber die Mutter zugleich soll sie des künftigen sein.
Was die Epoche besitzt, das verkündigen hundert Talente,
Aber der Genius bringt ahnend hervor was ihr fehlt.

IV.

Nicht die Natur bloß macht den Poeten, es macht ihn die Kunst auch;
Fülle des Wesens allein reizt, doch ermüdet sie bald.
Nur so viel du gestaltend bezwangst vom inneren Reichthum,
Mag, Jahrhunderte durch, ruhig im Wechsel bestehn.

V.

Wo ein lebendiger Geist in den Stoff, den kühn er bewältigt,
Seiner besondersten Art kenntlichen Stempel gedrückt,
Da wohnt Zauber der Form. Ihr meint ihn freilich gewonnen,
Wenn mit dem Schliff der Fabrik jedes Gepräg ihr verwischt.

VI.

Reim.

Was sich zu suchen bestimmt und zu finden im Reich der Gedanken,
Leise dem ahnenden Sinn möcht' es die Sprache vertraun;
Heimlich winken die Laute sich zu, mit verstohlener Sehnsucht,
Aber der Dichter allein merkt's und erweckt den Accord.

VII.

Reim und Assonanz.

Wenn vieltönig im Reim sich die Zeilen des Liedes verschlingen,
Schließt anlautender Klang fest der Romanze Geweb.

Jenes ergötzt wie ein Strauß buntwechselnder Blumen, es fesselt
Dies wie ein Kranz einfarb glühender Nelken den Sinn.

VIII.

Dichter begehrst du zu sein? Du verwechselst Talent und Bedürfniß.
Bist du Prometheus schon, weil dich das Feuer erwärmt?

IX.

Weil in den Lauf des Gedichts du stets Zufälliges aufnimmst,
Wie sich's im Leben begiebt, rühmst du dich wahrer zu sein?
Ei, so rühme den Maler doch auch, der, weil du am Zahnweh
Jüngsthin littest, getreu mit der Geschwulst dich gemalt.

X.

Wahrheit, lastendes Wort! Wer wagt zu verkünden: hier ist sie,
Wenn ihm die Brust nicht ein Gott unwiderstehlich bewegt!
Doch wahrhaftig zu sein, ist menschliche Tugend und scheidet
Ewig den edleren Geist von der gemeinen Natur.

XI.

Wahrheit, kannst du sie fassen mit sterblichen Sinnen, und wird sie
Nicht, durch des Auges Natur schon, das sie schauet, getrübt?
Freilich, aber nur so, wie des Urlichts schimmernde Reinheit
Durch den verschleiernden Duft prächtig in Farben erblüht.

XII.

Was doch heißt Ideal, als das Wirkliche, das sich zur Wahrheit
Aus des Künstlers Gemüth wiedergeboren erhöht?
Was zufällig allein, gohr aus; doch es blieb das Besondre,
Wie sich der Traube Natur stets noch im Wein dir verräth.

XIII.

Wahrheit setzt sich zum Ziele die Kunst, nicht sinnliche Täuschung,
Ja, sie vernichtet sich selbst, wo sie zu täuschen versucht;
Leben athmet des Künstlers Gebild im glänzenden Marmor,
Gieb ihm Farben, und todt starrt es als Leiche dich an.

XIV.

»Nur das Stoffliche gilt in der Zeit. Wer mag zum Gesang da
Trieb noch finden?« – Nicht du, der du so zweiflerisch fragst;
Doch zwiefach der Poet, auf daß von den himmlischen Gütern,
Deren die Menge vergaß, irgend ein Zeugniß doch sei.

XV.

Wo die Kritik aufhört und der Schauer beginnt, ist ein Grenzstein
Aufgerichtet! Talent scheiden sich hier und Genie.

XVI.

Das ist des Lyrikers Kunst, aussprechen was allen gemein ist,
Wie er's im tiefsten Gemüth neu und besonders erschuf;
Oder dem Eigensten auch solch allverständlich Gepräge
Leihn, daß jeglicher drin staunend sich selber erkennt.

XVII.

Unübersetzbar dünkt mich das Lyrische. Ist doch der Ausdruck
Hier von des Dichters Geblüt bis in das Kleinste getränkt.
Auch in verwandelter Form noch wirken Bericht und Gedanke,
Doch die Empfindung schwebt einzig im eigensten Wort.

XVIII.

Wechselnd färbt, wie der Strahl des Gefühls, sich des Lyrikers Ausdruck,
Aber des Epikers Stil fließe wie reiner Krystall;
Klar sei jede Gestalt, und unsichtbar wie das Licht nur
Ueber dem Ganzen dabin schwebe des Dichters Gemüth.

XIX.

Einem Erzähler.

Zeigst du dich selber bewegt, so bewegst du die Menge; sie weint dir
Leicht, wenn du Thränen im Blick Trauergeschichten erzählst;
Aber ein Höheres ist's mit keuscher Verhüllung des Antheils
Ruhig ein Werk aufbaun, das durch sich selber ergreift.

XX.

Zur Nibelungenfrage.

Zweifelt, so viel euch beliebt, und erwägt philologische Gründe,
Aber dem Dichter erscheint mindestens Eines verbürgt:
Wer den Gesang anhub mit dem Falken im Traume der Chriemhild,
War auch den Tod Siegfrieds schon zu verkünden gewillt.

XXI.

In der Geschichte verschwinden dir oft die Fäden des Schicksals,
Aber des Volkes Gemüth stellt in der Sage sie her.

XXII.

Als ein Vergangnes erzählt dir der Vorzeit Sage das Epos,
Aber ein werdendes Loos zeigt der Dramatiker dir;
Weit dort streckt sich der Raum, bunt wechseln die Helden, und sichtbar
Tritt aus dem hohen Gewölk waltend die ewige Macht,
Während du hier aus der menschlichen Brust ureigensten Tiefen
Jegliche That aufblühn siehst in ein einig Geschick.

XXIII.

Episch dichtet das Volk im Unschuldstande. Das Drama
Wächst als Frucht der Kultur, die mit sich selbst sich entzweit
Und sich zu sühnen versucht, indem sie den irdischen Zwiespalt
Als die vergängliche Form ew'ger Gedanken enthüllt.

XXIV.

An den Gränzen der Menschennatur hinwandelt die Muse,
Wo die unendliche Macht an das Vergängliche rührt!
Aber sie findet die Brücke gestürzt, da wölbt sie der Iris
Glänzenden Pfad und entführt rettend das ewige Theil.

XXV.

Nicht im Sieg der Idee ruht einzig die tragische Sühnung,
Auch die erhabene Form bändigt verklärend das Weh;
Nimm der Antigone nur und dem Oedipus ihren Rothurngang,
Und sie erhöhn nicht mehr, nein sie zerreißen das Herz.

XXVI.

Othello.

An dramatischer Kunst und Gewalt, was gleicht dem Othello?
Aber er lastet wie Blei auf dem zermalmten Gemüth;
Naht in Gigantengestalt das Geschick, so erhebt es uns schaudernd;
Doch es erdrückt uns, scheint's kleinlicher Bosheit Triumph.

XXVII.

Shakspeare.

Keiner erkannte den Menschen wie du, glorwürdiger Brite,
Aber ein Höheres noch, Meister, verehr' ich an dir:
Daß du in sterblicher Brust stets klar die geheiligte Satzung
Trugst, nach welcher der Welt Lenker die Dinge regiert.

XXVIII.

Kaufmann von Venedig.

Wie das geschriebene Recht vor dem göttlichen endlich vergehn muß
Und den gesetzlichen Fluch himmlisch die Gnade bezwingt;
Was kein andrer so tief in der höchsten Tragödie aussprach,
Hast du, Gewaltiger, hier lächelnden Mundes gesagt.

XXIX.

Schiller.

Jugendlich schwärmt' ich für dich; dann ward ich lange dir untreu,
Weil ich am lichten Gestirn schwärzer die Flecken empfand.
Doch längst kehrt' ich zurück! die Gebrechen der einzelnen Werke
Deckt mir die Hoheit zu deiner gesammten Natur.

XXX.

Goethe und Schiller.

Schön ist's, wenn das Gedicht uns reizvoll in sich hineinzieht,
Daß der bezauberte Sinn drüber des Dichters vergißt;
Aber den Pulsschlag auch der begeisterten Brust zu empfinden,
Welcher im Werk durchbebt, ist ein erhabner Genuß.

XXXI.

Wirken will der Poet, wie der Redner. Aber das Höchste
Bleibt ihm die Schönheit doch, die er zu bilden sich sehnt.
Jener behält den Erfolg im Blick stets, dieser erreicht ihn,
Wenn er ihn über dem Drang seligen Schaffens vergißt.

XXXII.

Witz ist ein schelmischer Pfaff, der keck zu täuschendem Ehbund
Zwei Gedanken, die nie früher sich kannten, vermählt;
Aber der nächste Moment schon zeigt dir im Hader die Gatten,
Und vor dem schreienden Zwist stehst du betroffen und –lachst.

XXXIII.

Mit feinlächelndem Mund eingehend auf deine Verkehrtheit
Zeigt der Ironiker dir schlagend, wie sehr du geirrt..
Gründlich beweist er der Welt, schön sei dein häßliches Antlitz,
Aber indem er es thut, hält er den Spiegel dir vor.

XXXIV.

Sittlich sei der Poet, kein Sittenprediger. Lehren
Soll er, allein so nur, wie die Geschichte belehrt;

Hat er ein ewig Gesetz in geschlossenem Bild euch entfaltet,
Sei ihm die trockne Moral drunter zu schreiben erspart.

XXXV.

Sprecht von Poeten mir nicht, die stumm im Gemüth der Begeistrung
Feuer genährt, doch nie Worte verliehn dem Gefühl.
Neben der Kraft wohnt stets allmächtig der Trieb, sie zu brauchen;
Wer freiwillig den Flug meidet, ist nimmer ein Aar.

XXXVI.

Architektur und Musik, euch beide begrüß' ich als Schwestern,
Die ihr die zwingende Kraft ewiger Maße bewährt.
Was dort sichtbar im Raum als Verhältniß das Auge bezaubert,
Bannt hier wogenden Klangs in der Bewegung das Ohr.

XXXVII.

Warum glückt es dir nie, Musik mit Worten zu schildern?
Weil sie, ein rein Element, Bild und Gedanken verschmäht,
Selbst das Gefühl ist nur wie ein sanft durchscheinender Flußgrund,
Drauf ihr klingender Strom schwellend und sinkend entrollt.

XXXVIII.

Moderne Oper.

Löwin und Aar, Poesie und Musik, wenn sie je sich in Inbrunst
Gatteten, herrlich als Greif schwänge die Oper sich auf;
Aber der zeugenden Kraft, der lebend'gen, bedürft' es von beiden;
Chemischem Experiment glückt ein Gryphunculus nur.

XXXIX.

Lauf bei Welt.

Mancher erkämpft ein Gebiet, doch nimmer gelangt er zur Herrschaft,
Auf dem eroberten Grund sinkt er verblutend dahin;
Ach, und die mühlos dann den Besitz antreten als Erben,
Gönnen den Lorbeerkranz kaum dem gefallenen Mann.

XL.

Früh vom Meister befreit sich der Genius. Tief in der Seele
Trägt er das Maß, und allein sucht er sich Gränzen und Ziel.
Doch manch redlich Talent, das zuchtlos schweifend verkäme,
Wird in der Schule gedeihn, wo es Beschränkung erlernt.

XLI.

Wähle zum Lehrer dir nicht den Autodidakten, er weist dir
Stets den geschlängelten Pfad, welchen er selber gewallt;
Auch den Genius nicht, sein Weg führt über den Abgrund,
Wo sein Flügel ihn trug, meint er, da müssest du gehn.

XLII.

Wenn du zum Thurm aufklimmst auf gewundener Staffel, erscheint dir
Oefters das nämliche Bild, doch es erweitert sich stets.
So auch kommst du zumeist, aufstrebend im Reich der Erkenntniß,
Auf ein Bekanntes zurück, aber du schaust es erhöht.

XLIII.

Zur Abwehr.

Unabhängig im Strom mein sittliches Selbst zu bewahren
Streb' ich, doch legt mir nicht auf, Sklave der Freiheit zu sein.

XLIV.

Daran magst du den Menschen in dir und den Künstler erproben,
Wie dich des Freundes Erfolg, der dich verdunkelt, berührt.
Kannst du dich seiner erfreun und neidlos weichen dem Höhern,
Dann nur bist du es selbst werth, daß die Muse dich grüßt.

XLV.

Sprich von Reue mir nicht, wenn du nichts empfindest als Unmuth
Ueber die Folgen der Schuld oder als Furcht des Gerichts.
Wirkliche Reu' ist verwandelnde Glut; nur, weil du ein Andrer
Wurdest, sobald du sie fühlst, hat sie zu sühnen Gewalt.

XLVI.

Das Geheimniß der Sprache.

Wenn ein unendlich Gefühl aufwogt in der Seele des Dichters,
Wenn ihm ein neuer Gehalt dämmernd den Busen bewegt,
Nimmer findet er Rast, es beklemmt ihn die gährende Fülle,
Bis sie gestaltet zuletzt, klar im Gesang sich ergießt.
Ach, wie wächst ihm das Herz, wenn er dann, ergriffen vom Hauche,
Der auf der Sprachflut webt, nennend das Dunkle bezwingt,
Und beim vollen Gefühl ureigenen Schaffens und Bildens
Dennoch das schauernde Glück höchster Empfängniß genießt.
Fuhr wie ein Blitz ihm das Wort aus der Brust? kaum weiß er's zu scheiden –
Hat es erlösend ein Gott ihm auf die Lippe gelegt?
Doch nun steht es geprägt, ihm selbst und allen verständlich,
Und fast staunt er bestürzt fremd wie ein Wunder es an –
O dann mag er es ahnen von fern, das Geheimniß der Sprache,
Wie in der Zeiten Beginn aus dem erwachenden Geist,
Da er sich selbst und die Dinge vernahm, das lebendige Wort sprang,
Offenbarung und That, göttlich und menschlich zugleich.

XLVII.

Als aus Eden verbannt untröstlich Eva sich härmte,
Schenkte der Herr ihr das Kind, daß sie der Thränen vergaß.

XLVIII.

Menschen, willst du sie lieben, so mußt du zuvor sie erkennen,
Gott erkennest du nur, Suchender, wenn du ihm liebst.

XLIX.

Strecke die Hand nur empor im Gebet. Gott faßt sie von oben,
Und die Berührung durchströmt dich mit geheiligter Kraft.

L.

Oft wie der Goldfrucht Ball, frühzeitig gebrochen, im Schiff erst
Ausreift, wird dir das Glück erst als Erinnerung süß.


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