Emanuel Geibel
Vermischte Gedichte
Emanuel Geibel

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Balladen und Erzählungen.

Des Deutschritters Ave.

»Herr Ott vom Bühl, nun drängt die Noth,
Nun zeigt, wie treu ihr's meint;
Das Feld ist roth, und die Brüder sind todt,
Und hinter uns rasselt der Feind.

»Wohl klag' ich manch gebrochnen Speer,
Manch Wappenschild zerspalten;
Doch schmerzt's um den heil'gen Kelch mich noch mehr
In meines Mantels Falten.

»Im Schlachtfeld tranken wir alle daraus,
Zu sühnen uns mit Gott;
Soll nun beim wüsten Siegesschmaus
Der Heid' ihn schwingen zum Spott?

»Herr Ott, und fühlt' ihr euch stark und jung,
Noch einmal wendet das Roß,
Versucht mit scharfem Schwertesschwung
Noch einmal zu hemmen den Troß.

»Und haltet ihr nur so lang' ihn auf,
Bis ihr ein Ave spracht,
So rettet meines Hengstes Lauf
Den Kelch, um den ihr's wagt.«

Herrn Otts Besinnen war nicht groß,
Sprach: Ja, und weiter nichts;
Des Meisters Roß von dannen schoß
Im Strahl des Mondenlichts.

Und als das Kreuz auf dem Mantel weiß
Nicht mehr zu kennen war,
Da sauste schon auf Gäulen heiß
Heran der Lithauer Schaar;

Und als der Mantel fern im Schwung
Nur schien wie ein fliegender Schwan,
Da fielen sie den Ritter jung
Mit grimmigen Streichen an.

Die krummen Schwerter blinkten frei,
Es rasselten dumpf die Keulen,
Dazwischen ging ihr Kampfgeschrei
Wie hungriger Wölfe Heulen.

Herr Ott vom Bühl sprach: Ave Marie,
Und führt' einen Hieb, der traf!
Der Häuptling flog vom Sattel auf's Knie
Mit durchgespalt'nem Schlaf.

Das zweite Wort der Held dann sprach,
Und hieb noch kräftiger schier;
Der Bannerträger zusammenbrach,
Und über ihn fiel das Panier.

Und Wort um Wort, und Streich um Streich,
Das war ein tapfer Gebet;
Bei jedem Spruch lag alsogleich
Ein Heide dahingemäht.

Und es klaffte dem Ritter das Stahlhemd weit,
Und es färbten die Ringe sich roth;
Er aber ward nicht laß im Streit,
Und jeder Schlag war Tod,

Und es barst sein Schild, und es sank sein Pferd,
Da kämpft er fort zu Fuß;
Mit beiden Händen schwang er das Schwert,
Und betete weiter den Gruß.

Doch als zu Ende das Ave ging,
Er führte noch Einen Streich,
Und in gethürmter Leichen Ring
Hinsank er blutig und bleich.

Sein Mund ward stumm, sein Arm ward schwer,
Im Tode stand sein Herz;
Nicht: Amen konnt' er sprechen mehr,
Das war sein letzter Schmerz.

Doch die Lithauer warfen die Renner herum,
Kein Streit mehr lüstete sie.
Gerettet war das Heiligthum
Durch des Ritters: Ave Marie.

Gott geb' ihm droben selige Statt
Auf's tosende Schlachtgetümmel!
Wer so auf Erden gebetet hat,
Mag Amen sagen im Himmel.


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