Emanuel Geibel
Vermischte Gedichte
Emanuel Geibel

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Babel.

Und sie sprachen: »was brauchen wir fürder des Herrn?
Mag im Blauen er thronen, wir gönnen's ihm gern;
Doch die Erd' ist für uns, wir sind Könige drauf,
Laßt uns schwelgen und glühn, sie beschert uns vollauf.

Denn die Flur giebt uns Weiden und Brod das Gefild,
Und den Fisch giebt der Strom und die Forstung das Wild,
Und die Harfe den Ton, und die Rebe den Schaum,
Und das Weib ihren Reiz – und das andre ist Traum.

Und zum Zeugniß der Herrschaft, zum Zeugniß der Kraft
Laßt uns gründen ein Mal, das die Zeit nicht entrafft:
Einen Thurm, drum die Wolken sich lagern im Kreis,
Dem da droben zum Trotz und uns selber zum Preis.«

Und der Jubel des Volks ob der Rede war groß,
Und sie schritten an's trotzige Werk mit Getos;
Durch den Wald scholl das Beil, durch's Geklüfte der Karst,
Und es sank die Cypress' und der Porphyr zerbarst.

Und sie strichen die Ziegel und brannten den Thon,
Hoch schlugen aus bauchigen Oefen die Loh'n,
Hoch schritt durch's Gewühl das Kameel mit der Last,
Und die Kelle des Maurers war nimmer in Rast.

Und es knarrte die Wind' und es ächzte das Tau,
Und es wuchs wie ein Berg in die Lüfte der Bau:
Eine schwebende Stadt, dran der Blick sich verlor,
Und Zinn' über Zinnen und Thor über Thor.

Die Monde, die Jahre verstrichen im Flug,
Schon rührten den Gipfel die Wolken im Zug,
Da vermaß sich ihr Herz, und sie jubelten laut:
»Nun steht's! und wer stürzt, was wir haben gebaut?

Unser Name wird gehn von Geschlecht zu Geschlecht,
Wie Göttern, so wird man uns opfern mit Recht,
Denn das ewige Werk es ist morgen vollbracht.«
Und sie harften und zechten, und schwarz kam die Nacht.

Doch der Engel des Herrn mit dem feurigen Schwert,
Der dem Ahn einst die Pforten von Eden gewehrt,
Stieg herab in Gewölk, da sie lagen im Schlaf;
Hoch schwang er das Schwert, und es flammt', und es traf.

Und wie Schall der Posaunen erklang's durch den Stral,
Da schwankten die Zinnen und stürzten zuthal;
Da zerbarsten die Pfeiler mit dumpfem Gekrach,
Und die Bogen, die Mauern, sie taumelten nach.

Und ein Schein war ergossen wie Schwefel und Blut,
Und es wirbelte Rauch, und der Rauch ward zur Glut,
Und die Lohe, gefacht von den Schwingen des Sturms,
Umschwoll wie ein Segel die Trümmer des Thurms.

Doch verstört aus dem Schlaf zu der Stätte des Baus
Herstürzten die Menschen und schauten den Graus;
Bleich starrten sie hin in verzweifelndem Leid,
Und zerrauften ihr Haar und zerrissen ihr Kleid.

Und sie däuchten sich fremd von Gestalt und Gesicht,
Und sie schrieen sich an und verstanden sich nicht,
Denn ihr Auge war trüb und verblendet sein Stern
Und verwirrt ihre Zungen vom Zorne des Herrn.

Da wandten sie sich von Entsetzen erfaßt,
Wie der Hirsch, wenn das Hifthorn ihn schreckt aus der Rast,
Und es ward eine Flucht wie noch keine geschah,
Und Gewühl und Geheul und Gewimmer war da.

Und Gesichter voll Angst wie der Marmor so blaß,
Und Lippen voll Fluchs, und gestammelter Haß,
Und verworrener Hader, und hastige Fracht,
Und Gewieher und Wagengedröhn durch die Nacht.

Wie Spreu vor dem Wirbel nach Süd und nach Nord,
Gen Aufgang und Niedergang stoben sie fort;
Und die Fackel des Brandes erleuchtete stumm
Ihren Pfad – und kein Einziger schaute sich um.

Und das Feuer verglomm, und die Flucht war vertost,
Und es graut' und die Sonne erhub sich im Ost,
Doch in schweigender Oede gewahrte sie nichts,
Als den wehenden Schutt auf der Statt des Gerichts.


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