Mynona (Salomo Friedländer)
Rosa die schöne Schutzmannsfrau und andere Grotesken
Mynona (Salomo Friedländer)

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Faust lach sich ins Fäustchen

Herr v. G. trug sich mit der Absicht, einen Faust zu schreiben, hielt es aber für geraten, sich erst mit dem Zensor darüber zu unterhalten, um nicht unversehens in Schund und Schmutz zu verfallen. Der Zensor, ein wohlkonfektionierter Mann mit gleichsam schlicht gekämmtem Blick, empfing ihn höchst jovial: «Das lob' ich mir», patschte er v. G.'s devoten Rücken, «Prophylaxe! Vorher, nicht erst nach der fertigen Ausarbeitung sollten die Herren zu mir kommen, damit sie in den gestatteten Schranken blieben. Was möchten Sie verfassen?» «Einen Faust», wisperte Herr v. G. fast kleinlaut. «Nana», wiegte der Zensor sein bedenkliches Haupt, «so ein, gelinde gesagt, dämonischer Professor. Würde heutzutage keinen Lehrauftrag bekommen oder gleich geschaßt werden. Aber übrigens kann man das allerheikelste Thema mit sauberen Fingern behandeln. Ich lasse jetzt sogar Boccaz und Aretin für die Jugend bearbeiten. Also wie denken Sie sich Ihren Faust?»

v. G. seufzte: «Faust, der die Welt im Innersten erkennen will, verzweifelt darüber an aller Wissenschaft . . .» «Also selbstverständlich gleich früh nichts, wie der Sachse sagt. Schmutz ist es zwar noch nicht, aber Schund. Ändern Sie das etwa so: Faust ist ein gläubiger Mensch, den sein ganzes Gefühl auf Gott hinweist. So ergänzt er die Unzulänglichkeit der Wissenschaft religiös. Das wäre ja noch schöner, wenn ein Universitätsprofessor die Wissenschaft aufgeben wollte, weil sie ihn religiös unbefriedigt ließe! Der Mann muß auf dem Posten bleiben, auf den man ihn als Lehrer der Jugend stellt. – Also weiter! Was machen Sie dann?»

«Faust plant daher Selbstmord...» «Also ganz ausgeschlossen!» erschrak der Zensor, «das wäre ja verrucht unreif. Ändern Sie das nur!» «Bereits geschehn», lächelte v. G., «Faust hört die Osterglocken läuten und beschließt weiterzuleben.» «Woran er rechttut», fiel der Zensor bei, «und 198 damit ist die Sache zu Ende?» «Oh nein», wehrte sich v. G., «sie beginnt erst.» «Was soll denn da noch kommen?» wunderte sich der Zensor, «um Himmelswillen nur keine Erotik! Das würde an Schmutz streifen.» v. G. warf sich in die Brust: «Faust verschreibt sich dem Teufel provisorisch, wird verjüngt, verführt ein kleines Mädchen . . .» «Halt, halt!» rief der Zensor, «nicht so rasch! Wie klein? Dacht' ich mir's doch, ganz und gar Schmutz und Schund. An Ihrer Stelle ließe ich diesen wüsten Bruder lieber eingehen, bevor er derartig verluderte. Als alter, würdiger, ob auch verstörter Professor, was ja vorkommt, müßte er enden. Von mir aus lassen Sie ihn bei Freud eine sittliche Läuterung durchmachen, bei Steinach auf neu polieren, G. Hauptmann interviewen, mit ihm zur Kirche gehen, eine radikale seelische Wandlung erfahren . . .» «Die erfährt er bei mir durchs Leben», sagte v. G. «Ach was, ‹Leben›», schnarrte der Zensor, «ein Kautschukbegriff, der an Schmutz gemahnt. Faust will sich ausleben. Das darf er aber nicht. Sie müssen das ändern, sonst gefährden Sie unsre Jugend. Kürzen Sie lieber! Wie ist der Schluß?» «Tragisch: das Mädchen wird gravid und entledigt sich . . .» «Aber schauderös!» schüttelte sich der Zensor, «malen Sie nicht so lüstern aus! Machen Sie nur rasch zu Ende!» «Des Mädchens Bruder, dem um ihren Ruf bangt . . .» «Bravo!» unterbrach der Zensor, «. . . wird erstochen.» «Unerhört!!» brüllte der Zensor. «Weiter, nur weiter!» «Faust versucht, das Mädchen der Todesstrafe zu entreißen . . .» «Hahaha!» lachte der Zensor giftig auf, «ja, das glaube ich! Schmutz und Schund, Schund und Schmutz! Nun weiter!» «Das Mädchen weigert sich, mit dem Ausruf: ‹Heinrich, mir graut vor dir›!» «Ganz meine Meinung», nickte der Zensor eifrig, «gesunde Ansicht. Wie schließt's?» «Eben das ist der Schluß.» «Den können Sie lassen. Das andre ist teils Schmutz, teils Schund, nichts für unsre Kleinen. Unbegreiflich, daß das Mädel ohne mütterliche Aufsicht . . .» «Gestatten Sie», bat v. G., «der Mutter gab sie einen Schlaftrunk, der leider tödlich 199 wirkte.» «Pfui Teufel!» ekelte sich der Zensor, «konzentriert anstößig. Selbstverständlich zu ändern. Das mag Leben sein, ist aber keine Kunst! Kunst wäre z. B. so: ein Universitätsprofessor wird in reiferen Jahren, trotz aller Wissenschaft, streng gläubig, überwindet seine unkeuschen Gelüste und hilft einer frommen Mutter bei der Erziehung ihrer Tochter. Diese, die ihn verehrt, nimmt er in allen Züchten zu seinem angetrauten Weib. Gott segnet die Ehe mit einem Kinde, und der Professor stirbt, von den Seinen betrauert, hochbetagt. – Sehen Sie, das wäre gute Kinderstube. Also dichten Sie's so und reichen Sie mir das Manuskript getrost wieder ein. Meinethalben personifizieren Sie die Anfechtungen des Professors als Teufel. Überhaupt lasse ich Häßliches, Böses, selbst Verführerisches als Möglichkeiten zu. Verwirklicht aber wird mir nur das Wahre, Gute, Schöne! Verstanden? Der Rest wäre als unmöglich, wie gesagt, äußerst diskret anzudeuten.» Herr v. G. war mit gnädigem Wink entlassen.

Seit März 1832 ist er beflissen, seinen Faust im Sinne des Zensors zu retuschieren. Weihnachten hofft er, dem Publikum endlich seinen chemisch gereinigten Faust vorführen zu dürfen. Inzwischen ist das Stück, unsicherem Vernehmen nach, schon verfilmt worden. Jugendliche haben Zutritt . . . 201

 


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