Mynona (Salomo Friedländer)
Rosa die schöne Schutzmannsfrau und andere Grotesken
Mynona (Salomo Friedländer)

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Das Abgebrochne

– sagte Klärchen. Und wie gerade ihr Blick schmelzen wollte, faßte ich mich, kam ihr zuvor und ließ den meinigen noch vorher schmelzen.

«Aber was wird dein Papa sagen?»

«Mein Papa kann mich –»

«Um Gottes willen!»

«– am Ende nicht zurückhalten.»

So begann unsere Liebe.

(Fortsetzung folgt)

*

(Fortsetzung)

Der Friede brach plötzlich herein wie ein Ungewitter. Die Wipfel der Bürger welkten. Die Kinder verloren den süßen Analphabetismus aus ihren (wie Tante sagte) Gesichtchen. Der Friede legte sich auf die Straße, in der unser Häuschen steht, da sah es bald aus wie der Turm zu Pisa, wissen Sie, die Toilette mit ihrem Schwerpunkt über den Unterstützungspunkt der Hauskapelle beinah hinausfallend. Miessauers Liebesgesang an Albanien erscholl draußen vor den Toren. Da sagte mir Klara:

«Die Lande in Ruhe! Atme auf, du Rumplertaube ob dem London meines nicht mehr stürmischen Busens.» Ich lachte, wie nur der Glückliche im Frieden lachen kann – so nämlich:

. . . daß die Flöhe leiser stechen,
die dich kurz vorher behopsten,
und die Läuse, die sich moppsten,
in dein Fell von frischem brechen.

(Fortsetzung folgt) 84

*

(Fortsetzung)

Nun war Klara endlich eine alte Frau geworden, die sich meiner kaum noch erinnerte. Ich selbst ruhte auch lange schon von meinen Irrfahrten (auf dem Friedhof der Selbstmörder) aus. Unsre junge Generation feierte bereits ihre fünfzigsten Geburtstage; sie trug in ihren Anzügen Taschen, in denen sie die Fäuste ballen konnte. Sonst alles so liebenswürdig, selbst der Tod lächelte schelmisch, und in seinen Wangen zeigten sich liebliche Senkgrübchen. Da – ich glaube Mittwoch – karjolte mein Grab los. Ein langer Schleier von Verzweiflungen wehte flordünn über die Eingesunkenen, darunter her rollten unsere Gräber wie blumengeschmückte Autos beim Festkorso. Wir sausten zur Stadt, ich ließ mein Autograb vor dem Haus meiner greisen Wittib halten: «Wie bist noch gegen mich gesinnt? Und weinest oder lachst du?»

(Fortsetzung folgt)

*

(Fortsetzung)

Auch die andern Grabgefährten hielten bald da, bald dort. Und die Ihnen bekannten «Lieben», die sich gern «unsre» nennen, kamen. Sie kamen herbei, sie eilten, sie genierten sich. Auch Klara kam:

«Wie hast du dein Leichentuch arrangiert, Helmut-Hinrich? Immer noch der alte Theatraliker – so in die Höhe, so –» ein Tränenrieseln drang unter ihren zarten, welken Lidern hervor, und die Sonne. Ich meine wohl, die Sonne schien so goldwarm um die alte Gestalt herum, so unsäglich ironisch, so anders. Rührungen gibt es, ganz leise, unmerklich, bis zum Sterben des Todes. Ich hatte mit Klara einige Kinder erzeugt, sie sahen aus den Fenstern, sie winkten mit den Tüchern, ich rasselte mit knöchernen Fingern hinauf wie mit Kastagnetten und ballerte meinen Schädel bis unters Dach. Doch: 85

«Ade nun, ihr Lieben,
Geschieden muß sein!»

(Fortsetzung folgt)

*

(Fortsetzung)

Klara wollte gern mit; ich widerriet es ihr. Laß deinen andern Fuß, flehte ich, nicht wissen, daß du mit dem einen schon dort stehst, wohin ich jetzt mit meinen beiden springe. Noch ein Kuß. Noch einer. Noch zwei. Noch Küsse. Ein Blick von der Brechungskraft – und

«Weiter, weiter. . .», na, «hopp, hopp, hopp!» schon weniger. Nein, sämtliche Trompeten von Jericho unsre Hupen. «Die Gräberautos», hieß es in einem Bericht, «passierten soeben unser Örtchen. Die Spitzen der Behörden hatten sich mit der Schuljugend zur Begrüßung aufgestellt. Bürgermeister Verbogen hielt die Festrede, worin er überzeugend nachwies, daß justament einzig und allein die Selbstmörder eine ganz besondere Talentiertheit zur Unsterblichkeit entfalteten. An Exzellenz Häckel ging ein Huldigungstelegramm ab.»

(Fortsetzung folgt)

*

(Fortsetzung)

Kaum hatten wir nun, durch ein paar Handgriffe, unsre Gräberautos in Luftgräberschiffe umgewandelt, als oben im herrlichen frischen Himmel Fritz M . . . r sich erbot, uns Gespräche halten zu lassen. Er wies uns Proben – gar nicht übel! Jedoch die Brauchbarkeit des Himmels zur Diskretion vor unsern Lieben soll nicht beeinträchtigt werden. Gern, sagten wir ihm, wollten wir auf sie pfeifen, ungern zu ihnen reden. Entsetzlich schwer begriff dieses olle Sprachrohr seine völlige Überflüssigkeit. Es legte sich verstohlen an H. v. Kleist an, kam aber versehentlich an das 86 vis-à-vis von dessen Mund, und v. Kl. entnahm einer seiner Anekdoten einen Äolus und ließ diesen.

(Fortsetzung folgt)

*

(Fortsetzung und Schluß)

Das Abgebrochne aber ist es, das so siegt. Wenn Sie jemals auf unserm ungewöhnlichen Wege in den Himmel kommen sollten: lassen Sie von dem an die Konsequenz. Nicht in ihr, nie in ihr, nur in Ihren Abgebrochenheiten ruht und schwelgt Ihr Himmel. Sie seufzen. Unterbrechen Sie Ihr Seufzen. Unterbrechen Sie die Gedanken und Stimmungen, die sich konsequenterweise daran knüpfen wollen! Essen Sie einen Pfirsich, stecken Sie seinen Kern ja in Ihren (bloß schon darauf wartenden) Blinddarm. Vergessen Sie nie, daß Sie nur zur Zerstreuung gesammelt sind! «Vergißmeinnicht» ist die schlimmste Blume, denn nur ihretwegen hat man das Grab erfunden, worauf sie blüht. – 87

 


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