Mynona (Salomo Friedländer)
Rosa die schöne Schutzmannsfrau und andere Grotesken
Mynona (Salomo Friedländer)

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Die Entführung

Haus stand bei Haus. In den Vorfluren hantierten die ehrenwerten Diener, und drinnen, in den Festgemächern, erfreuten die reichen Familien sich ihres liebenswürdigen Daseins. Margarete mischte sich Punsch. Onkel Emil kaute Weißbrot mit kaltem Fasan. Der Großpapa schlürfte eine Auster nach der anderen. Da kam der Diener Wilhelm vorsichtig auf den Hausherrn, den Baron von Bohleke, zu und flüsterte höflich: «Draußen sind drei Männer vorgefahren, welche den gnädigen Herrn zu sprechen verlangen.» «So führe sie ins Empfangszimmer!» «Aber sie erwarten den Herrn Baron draußen in ihrem Wagen.» «Was?», der Baron kreischte empört. «Mich! Was sind es für Männer?» «Es sind keine vornehmen Herren; es sind so Leute mehr Unseresgleichen.» «Wo ist meine Hundepeitsche?» «Hier, gnädiger Herr.» Baron Bohleke begab sich vors Portal. Da stand eine Mietskutsche und drinnen saßen drei Männer. Sie trugen Schirmmützen und schäbige Kleidung; zwischen ihren bärtigen Mäulern wanderte eine Pulle. Sie sahen aus wie von Zille gezeichnet, und der eine sagte gröhlend: «Wenn Bohleke nicht rauskommt, schlag ich ihm den Schädel mit der Pulle ein.» Bohleke trat, indem er mit der Peitsche an sein Hosenbein klatschte, dicht an den Wagen: «Was wollen Sie? Aber bitte, ein bißchen rasch.» Statt aller Antwort wurde Bohleke von sechs Männerfäusten ergriffen, in den Wagen gehoben, geknebelt und fort sauste das Gefährt vor dem entsetzten Diener, der mit offenem Munde nachstarrte! – Die drei Männer indessen lachten und tranken. Sie lobten ihren Kutscher. Den von Bohleke hatten sie wie ein Paket zu ihren Füßen; er konnte sich nicht rühren; sie hatten ihn gefesselt. Nach einer etwa halbstündigen Fahrt, während welcher von Bohleke sich vergebens bemühte, Orientierung zu bekommen, hielt der Wagen still. Die drei stiegen aus. Der eine zerbrach Bohlekes Peitsche. Die andern verbanden ihm die 132 Augen. Er hörte den Wagen abfahren und fühlte sich emporgehoben. Aus dem Hallen der Schritte zu schließen, ging es durch kellerartige Räume. Nach einer kleinen Weile nahm man ihm die Binde ab. «Justav», sagte eine ziemlich rohe Stimme, «hole nu man die Marie.» Justav entfernte sich taumelnd. Man befand sich in einem kahlen Raum. Von Bohleke, noch etwas wirr im Schädel, zog seine schneidigste Grimasse und wollte zu krähen beginnen. Aber die Männer packten ihn jeder an einem Arm. Der eine legte ihm seine schmierige Hand auf den Mund, und der andere sagte: «Hier hältste die Schnauze, Baron. Wir haben dir in Gewalt.» Sie nötigten ihn zum Niedersitzen auf eine hölzerne Bank und flankierten ihn liebend. «Also wieviel», fragte von Bohleke, «wollt ihr für meine sofortige Freilassung?» «Ne», sagte der Rechte, «hier bleibste'n kleenes Vierteljahr.» «Was?» schrie von Bohleke, «Kerls! Ich . . .» «Reg' dir ab, sonst kriegste eens drauf.» «Ich verlange, zu wissen, was ihr mit mir vorhabt.» «Mensch», sagte der links, «so was Gutes, daß du vor Wonne hochgehn wirst. Schau! da kommen se schon. Etwas will ich dir noch verraten: Du sollst hier als Zuchtbulle Verwendung finden.» «Als . . .?» – aber noch hatte von Bohleke den Satz nicht beendigen können, als Justav wieder anlangte. In seiner Begleitung befand sich ein altes Weibsbild von ausgesprochen kupplerischem Aussehen. «Det is die Marie», sagte Justav, «is se nich immer noch propper? Marie», fuhr er mit vorstellender Handbewegung fort, «det is der bekannte Lebemann Baron von Bohleke.» «Kinder», flötete Marie, «laßt mich mit dem gnädigen Herrn allein!» «Aber Marie! Aber Marie!» warnten die drei wie aus einem Munde, «Marie, was hast du vor, Marie?» Dann torkelten sie durch eine Falltür ab. – Marie setzte sich neben von Bohleke und tat kriecherisch liebenswürdig: «Es handelt sich um eine zarte Angelegenheit, verehrter Herr Baron. Ich habe früher bessere Tage gesehen und denke mir leicht, wie es Ihnen jetzt zumute sein mag.» «Bitte langweilen Sie mich nicht, meine Liebe! Womit kann ich dieser unerhörten 133 Frechheit sofort ein Ende machen?» «Mit gar nichts», erwiderte freundlich Marie, «Sie müssen ein kleines Vierteljahr Geduld haben. Solange hält man Sie zu gewissen, Ihnen gleich näher zu erklärenden Zwecken hier gefangen. Sie müssen nämlich wissen, wir sind prachtvoll organisiert. Es ist ein Verein zur Veredlung der Menschenrasse. Wir fangen aristokratische Lebemänner ab und zwingen sie, unter Todesandrohung, zum liebenden Verkehr mit sorgfältig von uns ausgesuchten Mädchen niedrigen Standes; pikfeine Ware, Herr Baron. Bisher haben wir noch keinen zu töten brauchen. Sie waren uns nur allzugern zu Willen.» «Pfui Satan!» brach da der Baron los, «das übersteigt ja jede Vorstellung von Schamlosigkeit.» «Ah, Herr Baron, warum? Ihr Herren seid ja sonst so galant? Warum soll man das nicht lieber in ein vernünftiges System, in eine gegenseitige Hinneigung von hoch zu niedrig bringen und aus den Leibeserben dieser Sympathie dem ganzen Volke wertvolle Blutmischungen erzeugen? Wir sind Idealisten, Herr Baron. Warum regen Sie sich moralistisch auf? Just Sie? Beiläufig gesagt, ich bin aus Ihren Kreisen. Ich war, ich bin Komtesse. Deklassiert. Ich fühle mich wohl! Ich gab jungen Menschen das Leben, welche jetzt angesehene Rollen in Staat und Gesellschaft spielen. Ich bin freiwillig bei dieser Mission geblieben. Im übrigen, mein Lieber, sind Sie ja erstlich ein Freund hübscher Mädchen; und zweitens scheuen wir nicht vor der letzten Gewalttat zurück, um Sie unseren Zwecken gefügig zu machen. Also bitte bitte, lassen Sie alle Prüderie!» «Wahnsinn», ächzte der arme Baron. Er rang die Finger, daß die Gelenke knackten. Marie blickte ihm lächelnd ins ebenso böse wie ratlose Antlitz. «Zum Donnerwetter, Gnädigste» . . . «Bitte einfach Marie», sagte die Gnädigste. – «Ja, zum Donnerwetter, Sie Mieze» (och! machte Marie), «das läßt sich doch aber sofort abkaufen. Ihr seid zwar Idealisten. Aber ihr lebt doch wahrscheinlich von solchen Erpressungen und nicht nur um Gotteslohn. Arrangieren Sie die Chose doch möglichst dalli, meine Liebe. 134 Speziell Ihnen noch ein Extradouceur!» «So wird es nicht gehen, Baron. Sie haben schon recht vermutet, daß wir, notgedrungen, unseren Idealismus aus den Taschen seiner Opfer zu kapitalisieren gezwungen sind. Aber, mein Lieber, vergessen Sie nicht unsere eugenischen Zwecke. Sobald unser Vertrauensarzt endgültig sein Votum abgegeben hat, daß Sie mehrfacher Vater zu werden im Begriffe sind, entläßt man Sie mit unseren Segenswünschen. Früher keineswegs; denn Sie müssen durch die intimsten menschlichen Beziehungen an uns gefesselt bleiben. Übrigens rede ich etwa nicht, um zu überreden. Wir haben Gewaltmittel, z. B. mit dem raffiniertesten Luxus eingerichtete Folterkammern. Ich rede nur, um Sie zu informieren. Ich bin hier Empfangsdame. Sträuben, Baron, lächerlich und geradezu verhängnisvoll überflüssig. Folgen Sie mir willig, sonst kommt ein ziemlich brutaler Beistand.» Von Bohleke erhob sich. Inzwischen war doch seine Neugierde ein wenig geweckt worden. Marie schritt ihm voran. Die Hand nach einem kaum sichtbaren Knopf an der weißgetünchten Wand ausgestreckt, sagte sie, halb zurückgebogen: «Sie werden rund ein Vierteljahr lang eleganter, wie ich glaube, leben, als Sie es sonst gewöhnt waren. Vorausgesetzt, daß man willig ist, erfährt man bei uns eine allererstrangige Behandlung.» «Es ist mir unfaßbar», zögerte der Baron, «daß Sie dort Gewalt anwenden, wo Sie doch wahrscheinlich mit der leichtesten Mühe, unter so luxuriösen Bedingungen, freiwillige Vereinsmitglieder die Menge fänden.» «Hahaha», lachte Marie entzückt auf, «Sie sind, Baron, von der grandiosesten Naivität. Um diesen heimlichen Staat im Staate unentdeckt spielen zu können, brauchen wir Milliarden, nicht Millionen. Wir brauchen soviel Geld, wie man es uns freiwillig gewiß noch nicht einmal zu einem Drittel geben würde. Wollen Sie noch etwas wissen?» – «Wie bekommen Sie soviel Geld, ohne daß man Sie anzeigt?» «Aber Bester, wen will man anzeigen? Und das Gesetz wegen der standesgemäßen Alimentationen ist auf unserer Seite. Ärzte, Rechtsanwälte, ja hohe, 135 vielleicht höchste Beamte sind unsere Rentenempfänger. Und gesetzt, mein Lieber, der Staat selber hätte ein geheimstes Interesse daran, uns unentdeckt zu lassen, so läßt sich kein Einfluß mehr gegen uns aufbieten. Sie sollen das erleben! Wir zählen einige Prinzen zu unseren Interessenten. Ich schweige. Ihrer Phantasie ist Spielraum gegeben.» Mit diesen Worten drückte sie auf den Knopf. Scharniere glitten auseinander. Die getünchte Wand rollte nach unten. Es zeigte sich ein bronzenes Portal im Renaissancegeschmack. In getriebenen Figuren sah man darauf einen stolz athletischen Mann von jungen Frauen umschmeichelt. An einem Ringe hing ein Türklopfer. Marie tat drei metallisch gongartig dröhnende Schläge. Die Flügel öffneten sich nach innen. Ein Diener in schwarzsammetner Livree geleitete durch einen breiten Korridor mit Oberlicht in eine Art Vestibül mit herrlichen Ebenholzmöbeln auf rotem Teppich. Durch ein breites Glasfenster sah man in einen französischen Park, ein Springbrunnen rauschte. «Die Damen hierher», befahl Marie dem Diener. Von Bohleke klemmte sein Monokel ins Auge. Man hörte ein seidenes Rauschen. Aus einer hohen Tür dem Fenster gegenüber traten fünf Mädchen in weißseidenen Schleiern. Marie sagte in befehlendem Ton: «Ihr seid diesem Herrn zugeteilt. Ich erwarte, daß ihr euch seinen Anordnungen fügt. Baron, ich sehe Ihrer Miene gern an, daß Sie nicht unangenehm berührt sind. Ich empfehle die Herrschaften der gegenseitigen liebevollen Berücksichtigung.» Sie entfernte sich. – – –

Haus stand bei Haus. In den Vorfluren hantierten die ehrenwerten Diener. Drinnen, in den Festgemächern, erfreuten die vornehmen Familien sich ihres genußreichen Daseins. Onkel Emil aber war nicht mehr froh. Er trauerte, Rebhuhn kauend, vor sich hin. In sein Weinglas fiel ab und zu ein Tränentröpfchen. Der Großpapa schlürfte melancholisch seine Austern. Margarete sang am Klavier: «Wer nie sein Brot mit Tränen aß.» – Da kam der Diener Wilhelm vorsichtig ins Zimmer: «Gnädige Herrschaft, es fährt eine 136 Mietsdroschke vor, und ich glaube, der Herr Baron sind drinnen.» Dem Großpapa glitschte die Auster aufs Oberhemd. Margareten blieben die kummervollen Nächte knödelig in der Kehle stecken. Onkel Emil erhob sich, zitterte und stieß tiefe Seufzer aus, er verschluckte sich am letzten Bissen. Da trat von Bohleke ins Zimmer. «Gott, wie blühend siehst du aus!» «Spritztour», sagte er jovial. «War in Paraguay. Ausgezeichnete Verpflegung. Schlechte Postverbindung. Vergebt mir diese Überraschung.» Der Großpapa fragte: «Kamillo, bist du normal? In der Nebenlinie hatten wir Paranoia.» – «Übernormal, Großvater!» Er umschlang Margareten prüfend. Ach, sie fand ihn so sonderbar feurig. Onkel Emil wischte sich Mund und Augen. Diener Wilhelm erhielt den Auftrag, zur Deutschen Bank zu gehen. –

Seit einiger Zeit bemerkt man frische Schwungkraft im Volke. Überall sieht man forsche junkerartige Herren, welche aber dabei doch so leutselig auch zum Geringsten sind. Woher kommt das? Marie, Justav, von Bohleke u. a. wissen Bescheid, aber sie schweigen; sie empfangen schweigsam große Summen Geldes, und alles steht sich gut dabei; und jeder Lebemann fast erinnert sich mit Sehnsucht seiner Entführung. 137

 


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