Mynona (Salomo Friedländer)
Rosa die schöne Schutzmannsfrau und andere Grotesken
Mynona (Salomo Friedländer)

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Die alte Witwe

Der Spaß bestand in nichts Geringerem, als daß endlich eine freundliche alte Witwe auf den Einfall gekommen war, sich wieder zu verheiraten. Wie es die Art alter Frauen nun einmal ist, so griff sie nachdenklich in die Dose und begann zu schnupfen. Da sie nachgerade ins Niesen geriet, wurde ihr der Kopf hell und sie sprach zu sich selber: «Anna!» und als wenn sie nicht zugehört hätte, betonte sie lauter: «Anna, Anna!» Jeder wird ihr gewiß recht geben. Sich selber laut beim Namen zu nennen, wenn man einen Gedanken hat, der unser Leben höllisch revolutioniert, ist gar ein deutliches Zeichen von Tiefsinn.

Die Witwe – Handschuhnummer 8!! – zog ihr Taschentuch, schneuzte sich, daß es klang wie eine morsche Turmglocke, schluchzte auf und weinte sich wieder jung. In diesem zivilisierten Zustande holperte sie auf die Straße und ging zu einem mäßigen Junggesellen, der ihr Nachbar war und dem sie gern zu verstehen geben wollte, was eine Harke ist. Es war nicht allzu leicht, indem dieser Nachbar besonders prophylaktisch veranlagt war. Aber wenn erst 'ne olle Wittib –

«Guten Abend!»

«Guten Abend!»

Hierauf verfuhr die infame Witwe resolut. Sie setzte sich hageldicht an den Nachbarn heran und begann einen Plausch, daß diesem die Weste zu eng wurde. Sie sprach von Theater, Gurkensalat, Maßliebchen, Schnürleibchen, Moses, Spitzhunden, Bettlaken, Ölsardinen, Kanonen und Flöhen. Als sie sah, daß der Augenblick gekommen war – nämlich der Nachbar, ein Herr in mittleren Jahren mit ungeheurer Vorliebe für Filzschuhe und Einsamkeit war fast unter den Tisch geredet –, alsdann heulte und jammerte sie unter Tränengüssen, rang die Hände, warf sich plötzlich über ihn, verbarg ihre Flügelhaube an seiner Hemdbrust und stöhnte: 38

«Wir tun uns eben zusammen!»

Selbst ein sehr strenger Logiker hätte über diese Manier, zu schlußfolgern, keineswegs überraschter sein können als Herr Wenndudoch (so hieß er leider). Wenndudoch besann sich etwa so lange wie ein Hahn braucht, um energisch zu krähen – dann aber krähte er mit einer förmlich unirdischen Stimme in die obige Witwe hinein: «Frau Trockendock (so hieß sie glücklicherweise), ich bedaure mit geneigter Miene, daß ich auf Ihre jeden von uns so sehr ehrende wie auch beglückende Offerte nicht eingehen kann.» Darauf tuschelte er ihr etwas ins Ohr, worauf sie ihm aber laut antwortete: «So? Na das macht doch nichts!» In diesem Augenblicke beschloß Wenndudoch, da eben nichts weiter half, irrsinnig zu werden. Siehe da, die Trockendock fand ihn jetzt erst interessant. «Wissen Sie», sagte sie zärtlich, «Sie glauben gar nicht, wie langweilig der normale Mann ist. Bleiben Sie man so!» Wenndudoch wurde blaß wie weiße Stubendeckentünche. Fünf Minuten später war er ††† Leiche. Dieser Mann war den Stürmen der Leidenschaft nicht gewachsen.

Es ist verzeihlich, daß er starb. Nur half es ihm nichts. Die Witwe radelte mit der Leiche zum Standesbeamten. Der blickte sie lange verwundert an. Er begab sich nach vollbrachter Amtshandlung sofort in ein Sanatorium. Das Ungewohnte ist so anstrengend!

Witwe Trockendock fand in ihrer neuen Ehe keine Befriedigung. Leichen sind stets schlechte Ehemänner gewesen – und gar wenn sie, wie in diesem Falle, schließlich gegen ihren Willen geheiratet wurden. Aber immerhin –! Es ging. Man vertrug sich. Man ergänzte sich, so gut es ging. Man wahrte die Dehors. Von Wenndudoch hat sie nie ein böses Wort gehört; überhaupt keins . . . 39

 


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